Lit.COLOGNE Spezial: Nick Cave on becoming an actual person

Nick Cave zu Gast in Köln. Foto(s): Robin Patzwaldt

Faith, Hope and Carnage (dt.: Glaube, Hoffnung und Gemetzel) – in einem Lit.COLOGNE Spezial sprechen Nick Cave und Seán O’Hagan im Kölner Theater am Tanzbrunnen über ihr gemeinsames Buch, das im letzten Oktober erschien.

Das Werk ist das Resultat eines über 40 Stunden langen Gesprächs zwischen dem Bad-Seeds-Frontmann und dem britischen Journalisten Seán O’Hagan, mit dem Nick Cave eine langjährige Freundschaft verbindet.

Zuerst, so verriet Cave, ging er davon aus, dass es eine Art Rock’n’Roll-Buch werden würde, aber das änderte sich im Laufe der Konversation zwischen ihm und O’Hagan. Es sei kein Interview, sondern eine gesunde Konversation („healthy conversation“) gewesen, die die Grundlage des Buches bilde – das sei ihm wichtig. Den Unterschied machte er deutlich, indem er erklärte, ein Interview „states what you already know“, wohingegen „a conversation pours things out of you which you didn’t know you knew“. Das erklärt auch, warum Cave immer wieder betont, wie er in den letzten Jahren zu einer „actual person“, also zu einer „wirklichen“ Person geworden sei. Wer Nick Cave kennt, weiß, dass er ohnehin kein Freund von Interviews ist.

Faith, Hope and Carnage ist keine Autobiographie im eigentlichen Sinne, aber dennoch ein sehr ehrliches und intimes Buch. Es behandelt in erster Linie die Zeit der Trauer, nachdem Nick und Susie Caves Sohn Arthur 2015 15-jährig bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war.

Dem Kölner Publikum zeigte Nick Cave sich im Gespräch mit Seán O’Hagan ebenso offen, ehrlich und von einer sehr persönlichen Seite wie auch in der Beantwortung der Fragen aus dem Zuschauerraum nach Ende der Konversation.

Ca. 1000 Gäste fanden sich am Abend des 05. Juni 2023 im Theater am Tanzbrunnen in Köln ein, um dem Gespräch zwischen dem Journalisten und dem Musiker zu lauschen.

Nick Cave, der zwar schon einige Bücher verfasst hat, ist dem Publikum seit 1983 aber eher als Sänger von Nick Cave and the Bad Seeds bekannt. Somit geht es an dem Montagabend in Köln selbstverständlich auch um Musik. Der Musiker und Autor berichtet über seine Kampf mit sich selbst, wenn er einen neuen Song schreibt, dass ihm ein Song nicht einfach so zufalle wie beispielsweise Neil Young, der wahrscheinlich einfach seine Gitarre zur Hand nehme und losspiele und das Ganze dann noch mit ein paar schönen Zeilen bestücke.

Er habe zu seinen Büchern, besonders zu diesem letzten, eine komplett andere Beziehung als zu seinen Alben, sie schaffen ein gutes Gefühl. Sie in der Hand zu halten, im Regal stehen zu haben, sei besonders.

Häufig werde er gefragt, ob er etwas zu bereuen hätte. Selbstverständlich könne er in Rockstarmanier sagen, da gäbe es absolut nichts. Aber er denkt anders, tiefer: Das Älterwerden beinhalte Dinge, die man bereuen könne, Enttäuschungen und Verluste. All das verändere den Menschen und sorge dafür, ein anderer, wahrer Mensch zu werden. Er verstünde nun, was das Leben zu bieten habe. Erst seit dem Tod seines Sohnes habe er begonnen, mit anderen Menschen mitzufühlen.

Mit dem Tod Arthurs geht Nick Cave sowohl im Gespräch mit Seán O’Hagan als auch gegenüber den Fragen aus dem Publikum sehr offen und ehrlich um, beantwortet sie alle freundlich und ausführlich, nennt besonders ausgewählt formulierte „beautiful“ oder „lovely questions“. Auch das Thema Glaube, Gott und Religion bleibt nicht unangetastet. Religion und Kirche bezeichnet Cave als „crazy, weird stuff“, nicht aber im negativen, sondern in einem eher neutralen Sinn. In die Kirche zu gehen, kann sehr tröstend sein, unabhängig davon, ob Gott existiere oder nicht. An dieser Stelle berichtet Nick Cave von einer sehr intimen und anrührenden Situation, die seiner Frau und ihm während eines Gottesdienstbesuches widerfahren sei. Auch die Musik sehe er als eine religiöse Angelegenheit an, sie sei „outpourring and incoming love“.

Die offene und ehrliche Art der Interaktion mit dem Publikum zeigte sich an diesem Abend ebenso deutlich wie bei Konzerten, denn auch bei denen, so Cave, brauche er nicht nur den visuellen, sondern auch den direkten Kontakt zum Publikum, indem er Hände schüttelt und ganz nah dran ist.

Der Abend gestaltete sich anders als gewöhnliche Lesungen, in denen Autoren ihre Bücher vorstellen. Es war nicht notwendig, aus dem Buch vorzulesen, da es bereits im letzten Oktober auf Englisch und kurz darauf auf Deutsch erschienen war und ein Großteil des Publikums es bereits gelesen hatte. Dieses Gespräch zwischen Nick Cave, Seán O’Hagan und dem Publikum kann als Ergänzung zum Buch gesehen werden. Es beantwortete Fragen zu dem, was vor und während der Entstehung und nach dem Erscheinen des Buches geschehen ist. Es ging um Gedanken, Gefühle und die Sicht auf das Leben.

Zur Signierstunde nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung wurden 100 Personen zugelassen, die zuvor per Losverfahren ausgelost worden waren.

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