„Ich weiß nicht, was darüber in den Literaturseminaren gesagt wird, aber auch Schriftsteller müssen Miete zahlen, Kinder aufziehen, Schuhe kaufen und ab und zu einen Schnaps trinken.“ Jörg Fauser
Von unserem Gastautor Till Beckmann
Die Idee zum Literaturwettbewerb kam mir während der Auftritte mit unserer Literatur-Revue Kohle, Kumpels & Kanal. In diesem Rahmen bin ich mit vielen Menschen in Kontakt gekommen, die großes Interesse an Literatur über das Ruhrgebiet haben. Das Ruhrgebiet verfügt – entgegen der landläufigen Meinung – über eine Basis an literarisch interessierten Menschen. Dass diese Basis nicht wächst, liegt auch an der notorischen Nichtbeachtung der Geldgeber, siehe Kulturhauptstadt 2010.
Ich habe durch unsere Auftritte etliche Menschen kennengelernt, die diese Region als Fundgrube für ihr schriftstellerisches Schaffen nutzen. Da gibt es den Journalisten, der »nebenbei« Kurzgeschichten schreibt, den Garten-und Landschaftsbauer, der jede freie Minute nutzt, um an Poetry-Slams teilzunehmen oder Gedichte über verkrachte Existenzen der Ruhrstadt in seine Schreibmaschine haut, oder die Studentin, die, angelockt durch »Milch und Kohle« und die Fotografien von Bernd und Hilla Becher, ins Ruhrgebiet zieht. Und viele andere.
Sie alle reflektieren in ihren Texten die krass aufeinander prallenden Gegensätze und die sozialen Veränderungen, die sich im Ruhrgebiet wie unter einem Brennglas vollziehen.
Im 1. Ruhrgebiets-Literaturwettbewerb haben wir den Spieß umgedreht und haben nach dem »schönsten Text« über das Ruhrgebiet gesucht. Uns erreichten über 380 Texte, jeden Morgen war mein Briefkasten voll mit Umschlägen und mein Mailfach ist fast explodiert. Ich habe Beiträge von gestandenen Schriftstellern und sentimentale Erinnerungen von Rentnern erhalten. Es wurden Comics, Hörspiele und ganze Romane eingereicht. Das hat uns sehr gefreut, war aber nicht zu bewältigen. Deshalb gibt es diesmal ein paar Regeln (siehe unten).
Den ersten Wettbewerb haben Kathrin Butt und ich einfach aus dem Boden gestampft. Wir haben einfach losgelegt, ohne ein festes Ziel vor Augen zu haben außer möglichst viele Text-Schätze zu bergen und die Verfasser zu fördern.
Beim 2. Ruhrgebiets-Literaturwettbewerb haben wir zumindest ein bißchen geplant. Die Anthologie wird diesmal pünktlich zur Preisverleihung erscheinen. Die Beiträge werden durch biographische Angaben zum Autor bzw. der Autorin ergänzt.
Die Organisation und Durchführung des Literaturwettbewerbs wird finanziell nicht unterstützt. Sollten Sie Interesse an einer Förderung haben, melden Sie sich bei uns.
Seit gut drei Jahrzehnten arbeite ich im Ruhrgebiet als Lyriker. Einmal wurde mir
scherzhaft entgegen gehalten, dass man in dieser Region keine Gedichte schreiben kann. Das Gegenteil ist der Fall und meine Gegenfrage, wo sonst?
Dass ich trotz aller Präsenz dennoch kaum beachtet werde, kränkt mich schon,
hält mich aber nicht von meinem eingeschlagenen Weg ab; keiner Mode möchte
ich mich unterwerfen, sondern den Dingen, die uns Menschen bewegen. Wenn du
mal ein Großer wirst, sagte mir einmal ein italienischer Gastarbeiter, vergiss uns
Kleine nicht. Dieser Satz ist meine Prämisse und ich weiß mich mit den Kleinen
im Einklang, denn ich habe mich nicht von Ihnen entfernt. Mit meinem eigenen
Erleben liefern sie den Stoff, über den ich schreibe, in meiner Sprache, mit meinen
begrenzten Möglichkeiten. Ich kenne manche Schriftsteller vor Ort, die ähnlich
denken wie ich und denen größere Resonanz fehlt. Das ist schade und daran, denke ich, wäre zu arbeiten. Trotz leerer Kassen vielleicht auch von den Kulturämtern her und von denen, die lieber bekannte Autoren von außen holen,
die zwar sicherlich klingende Namen haben, aber mitnichten hier verwurzelt bin
wie ich z. B., der als Zugereister schon über vierzig Jahre hier lebt und das Ruhrgebiet seine innere und äussere Heimat nennt.
@Michael Starcke: Man kann überall schreiben. Eine Gegend ist so gut wie die andere.
Folgendes Zitat stammt aus dem Roman „Stier“ von Ralf Rothmann:
„Übrigens-er (Romanfigur Dr. Hernandez, d. V.) hob die Stimme gegen den zunehmenden, vom Theatertisch herüberdringenden Lärm-, was Ihren Plan betrifft, in eine Großstadt zu ziehen, so haben Sie völlig recht. Die Atmosphäre einer Metropole kann einem Menschen in ihrem Alter nur guttun und wird Sie jedenfalls davor bewahren, Schöngeist zu werden. Nur, daß sie dort das Abitur nachmachen und Germanistik, Literaturwissenschaften oder dergleichen studieren wollen: Lassen Sie das. Schreiben lernen Sie nicht in Universitäten; dann schon eher auf der Ladefläche eines Lasters, der durch Mexicos Steinwüsten brettert (…)“
oder durch die Betonwüsten des Ruhrgebiets.
Ich denke, dass das Ruhrgebiet für Schreibende schon interessant sein kann. Ich denke auch, dass sich viel verändert hat und Doktor Hernandez das heute so nicht mehr sagen würde. Allerdings gebe ich Herrn Starcke Recht: Die hier schreibenden Autoren/innen werden nicht genügend beachtet. Das liegt auch an den Gegebenheiten. In der größten Tageszeitung gibt es immer noch keinen großen, ausschließlichen Ruhrgebiets-Kulturteil, obwohl hier doch wirklich genug passiert.
Man kann noch so schöne Veranstaltungen machen, wenn niemand da ist, der diese angemessen bespricht und einordnet, ist das doch ermüdend. Und diese Vorbedingungen kann man nicht auch noch selbst schaffen. Aber Besserung ist ja in Sicht.
Besonders lächerlich war das Kulturhauptstadtprogramm der Stadt, die ein Buch in ihrem Wappen trägt. Hier wurde groß die Stadt des Buches ausgerufen. Und was ist passiert? So gut wie nichts. Und bei aller Freude an Poetry Slams, das kann nicht alles sein. Es gibt ein paar Lichtblicke, aber damit hat die öffentliche Kulturpolitik überhaupt nichts zu tun – es gibt Ausnahmen, wie immer. Die Projekte des Literaturbüros Ruhr sind natürlich erste Sahne. Ein Beispiel ist das 2010-Projekt „Mehr Licht! Die europäische Aufklärung weiter gedacht“, da waren sogar Ruhris dran beteiligt Vor einiger Zeit habe ich Feridun Zaimoglu auf der Herner Straße „flanieren“ gesehen. Wir hatten gerade ein Theaterprojekt an einer Hauptschule am laufen und ich war schon kurz davor ihn anzusprechen, um ihn für einen Tag einzuladen, hab mich dann aber nicht getraut. Man munkelt, dass sein nächster Roman in Duisburg spielt. Aber dazu weiß Herr Herholz vielleicht mehr?
Eine Möglichkeit ist natürlich auch nochmal Herrn Grass ins Schauspielhaus Bochum einzuladen.
Dass der Nobelpreisträger für so einen Auftritt 11 000 Euro einstreicht ist nur ein Gerücht, oder?
@Till Beckmann: Ich Grass mal an der Uni Essen erlebt. Er war dort „Poet in Residence“ – und hielt an einem Tag zwei Vorlesungen. Das wars. Ich habe noch nie so einen arroganten Fatzke wie Grass erlebt und bin nach zehn Minuten gegangen.
Zunächst eine organisatorische Frage: Wo ist unten?
Das hat uns sehr gefreut, war aber nicht zu bewältigen. Deshalb gibt es diesmal ein paar Regeln (siehe unten).
Sicherlich gibt es hier eine Menge Autoren, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, als sie bekommen. Meines Erachtens nach ist das allerdings ein allgemeines, überregionales Problem. Man konzentriert sich medial lieber auf einzelne Figuren, deren Werke sich medial aufgebauscht besser verkaufen lassen, als die vieler „kleiner“ Autoren.
Ich frage mich seit einiger Zeit, wo die Reaktion des Internets darauf bleibt. Eine Plattform für freie, deutschsprachige Literatur wäre dabei z.B. wünschenswert. Würde man das ordentlich umsetzen, änderte sich vielleicht auch etwas an der Wahrnehmung einzelner Autoren.
Hallo Theo,
ich habe den Artikel mindestens ungünstig aufgebaut; entschuldigung.
Hier nochmal die offizielle Ausschreibung zum 2. Ruhrgebiets-Literaturwettbewerb:
Themenstellung:
»Leb im Ballungsgebiet, das an Druckstellen wie Fallobst aussieht.«
Was kann über die Druckstellen des Ruhrgebiets erzählt werden? Welche Hoffnungen, Ängste oder Träume haben die Menschen, die die Druckstellen dieses Ballungsgebiets bewohnen?
Wollen die nachkommenden Generationen nur noch schnell wegziehen, oder sind die Druckstellen besonders lebens- und liebenswert? Wie lebt es sich in den Städten, Stadtteilen und Siedlungen, die scheinbar »abgehängt« sind? Wie sieht die Zukunft dieser Gebiete aus?
In den Beiträgen sollen aber auch die Druckstellen der Gesellschaft thematisiert werden. Wo sind Druckstellen im zwischenmenschlichen Miteinander, im Miteinander der Generationen, der unterschiedlichen Kulturen und verschiedenen Lebensmodelle?
Sind Druckstellen nur Altlasten oder wichtig für die Identität?
Die Begriffe soll von den Autoren/innen weit gefasst werden. Ein freier, spielerischer Umgang mit der Themenstellung ist ausdrücklich erwünscht.
Formalia:
Wir freuen uns über jeden Text: Gedicht, Kurzprosa, Erzählung, Kurzgeschichte, Reportage, Interview, Essay, Brief, Tagebucheintrag, Anekdote u.v.m.
Die Einsendungen sollten folgende Kriterien erfüllen:
– Der Text muss unveröffentlicht sein.
– Maximale Textlänge: 6 DIN A4-Seiten, Schriftgröße 12, Zeilenabstand 1,5.
– Der Text darf nicht mit Namen gekennzeichnet sein. Auf einem anderen Blatt sollte zusätzlich eine Kurzbiografie (max. 10 Zeilen) eingereicht werden.
– Pro Teilnehmer darf nur ein Text eingereicht werden.
EINSENDESCHLUSS: 01. November 2011
Einsendungen bitte an: Kathrin Butt, Klartext Verlag, Heßlerstr. 37, D-45329 Essen.
Oder per Mail an: butt@klartext-verlag.de
Preise:
Der 2. Ruhrgebiets-Literaturwettbewerb ist mit 1000 Euro dotiert.
1. Platz: 500 Euro
2. Platz: 300 Euro
3. Platz: 200 Euro
Ausgewählte Texte erscheinen in einer Anthologie beim Klartext-Verlag. Die Preisverleihung und die Buchpräsentation finden im Februar 2012 statt.
Alle Informationen zum Wettbewerb, zur Jury, zu den Stationen der Lesetour und zur Buchveröffentlichung unter:
http://www.druckstellen.info (in Kürze) oder http://www.facebook.de/druckstellen
Aah ja – Ruhrgebiets-Literatur! Die gabs schon lange vor dem Wettbewerb. Von den ersten „Kohle-Kumpel-Kameraden“-Dichtungen von Kämpchen oder Kessing über die revolutionären Dichter der 1920er Jahre, wie Kläber (der später als Kurt Held die Rote Zora geschrieben hat) und Marchwitza (über den sie jetzt in Essen streiten, ob er einen Straßennamen zieren darf) bis hin zu den Literaten der neueren Zeit wie von der Grün und Lodemann. Lest sie alle, dann habt ihr eine (literarische) Geschichte des Ruhrgebiets ohne gleichen, die man aus den sonstigen Reportagen nur wenig erfahren kann. Gibt aber nicht mehr alles aktuell in den Buchhandlungen, also lauft in die Bibliotheken (des Ruhrgebiets) oder in die Antiquariate, in die wenigen, die es noch gibt. Ansonsten freut euch auf die neuen Geschichten über das Ruhrgebiet, die der Liteartuwettbewerb bestimmt bringen wird.
Wir freuen uns sehr, dass Till Beckmann in Zusammenarbeit mit dem Klartextverlag nun zum zweiten Mal einen Ruhrgebietsliteraturwettbewerb startet. Die Ergebnisse des ersten Wettbewerbs waren gelungen. Nun soll es wieder frische, neue Texte geben über das Ruhrgebiet heute. „Leb im Ballungsraum, das an Druckstellen wie Fallobst aussieht“ ist ein Phantasie anregendes Motto. Ich bin sehr gespannt auf die eingereichten Texte und hoffe, wir werden bei uns in der Bibliothek des Ruhrgebiets in Bochum zur Preiverleihung im Frühjahr 2012 und zur Buchpräentation wieder so einen gelungenen Abend erleben, wie beim ersten Wettbewerb.