Heute um 16 Uhr will Jürgen Rüttgers ein Pressestatement am Bochumer Opelwerk 1 abgeben. Der Ministerpräsident ist Gast der Betriebsversammlung der Automobilwerker. Ganz gleich, wie man den Einsatz der Regierenden aus den Opelländern, aus USA und Russland zur Opelrettung beurteilt – in diesem Fall ist der Ort die Nachricht. Die Staatskanzlei hat SMSen herumgeschickt, trommelt die Presse zusammen. Damit Rütte, wie gewünscht, gleich vorm "Werkstor 1" stattfindet – ein Symbolbild. Oder: Wenn Politik Wirklichkeit trifft, lagern dort Übertragungswagen, Reporter, Techniker. Professionelle Schaulustige. Und ich frage mich, ob das sein muss? Wozu das gut ist? Ich frage mich das spätestens seit der Nokiatragödie.
Fotos: ruhrbarone.de
Damals musste ich ein paar Stunden nach der überraschenden Nachricht von der Schließung der Fabrik vors Tor. Sollte ein Fotos machen, Betroffene befragen, Stimmungen einfangen. Und ich habe mich selten so geschämt als Journalist. Hatte doppeltes Mitleid mit den verhuschten Arbeiterinnen. Erinnere mich an Privatfernsehkollegen, die sich mit blendendem Arbeitslicht auf jede/n stürzten, die/der aus dem Werk kam und immer die gleiche (W_)Fragen loswurden: Wie fühlen Sie sich? War das ein Schock? Was machen Sie jetzt? Und wenn sie genug Wut, Trauer, Tränen im Kasten hatten, machten sie wieder dumme Sprüche über die Privatwagen der Mitarbeiter – "sitzen die auch nicht mehr lange drin, höhö". Echt, fies.
Ich habe mich deshalb gefreut, dass ich in den letzten Wochen nicht vorm Opel-Werk stehen musste. Und mir dann diese Frage gestellt: Darf man das, überhaupt? Sollte man die Leute, die "Betroffenen" nicht in Ruhe lassen, die gerade von Kündigung, Schließung, sonst was erfahren? Sollte es nicht ein Echttränenverbot geben im Fernsehen.
Oder muss man gerade dahin, muss die Nachricht ein Bild bekommen? Gewerkschafter sagen, natürlich muss die Presse dahin, im Falle Nokia haben sich die Kollegen explizit bei der Presse bedankt. Ohne Medien, wären sie sang- und klanglos abgewickelt worden.
Ich weiß es nicht, ich weiß nicht, wer mehr davon hat: Sender, Journalisten, Profischaulustige? Oder der Mitarbeiter?
„Menschen, Bilder, Emotionen“ – heißen nicht die Fernsehjahresrückblicke so? Und so funktioniert sie wohl, die Medienmaschine, eine Gratwanderung, mal mehr, mal weniger zynisch.
Mir fällt dazu ein ganz anderes Beispiel ein, das aber glaube ich psychologisch ähnlich läuft: Die traurigen schwarzen Babys, mit denen zu Weihnachten immer um Spenden geworben wird. Wenn ich ehrlich bin, rührt mich das auch mehr an, als wenn ich eine Zahl lese „so und soviel Millionen Kinder sterben jedes Jahr an Unterernährung“. Ganz automatisch und obwohl mir der Mechanismus vollkommen klar ist.
Mit den Bildern wird ja Meinung gemacht und werden Interessen verteidigt. Und eine weinende Nokianerin oder ein fluchender Opelaner hinterlassen einen bleibenderen Eindruck als eine simple Zahl von wieder so und soviel tausend Entlassenen. Vielleicht liegt’s auch mit an den fehlenden Bildern, dass sich für Hertie und Karstadt nicht so viele Retter finden.
Irgendwie haben wohl alle was davon. Und wie bei jeder Gratwanderung können sich auch alle Beteiligten in gewissem Maße entscheiden, wie weit sie gehen wollen.
Das war mein Wort zum Freitag. 🙂