Loveparade: Das Versagen der Vielen und der Tod der 21

Eine Tragödie ohne Schuldige?

Heute vor einem Jahr starben 21 Menschen bei der Loveparade in Duisburg. Wer letztendlich Schuld hatte, werden die Gerichte entscheiden. Wer verantwortlich war, wissen wir heute schon.

Irgendwann, es wird in Monaten oder vielleicht auch letztinstanzlich in Jahren sein, wird ein Gericht ein Urteil fällen. Es wird entscheiden, wer die rechtliche Schuld oder Mitschuld an der Loveparade-Katastrophe 2010 trägt oder auch nicht trägt. Es wird ein Urteil fällen – ob es Freisprüche oder Haftstrafen sein werden, kann heute niemand sagen. Klar ist nur: Es gibt den Schuldigen, den einen Schurken, der alles verbrochen hat nicht. Aber es gibt viele, die verantwortlich sind für das, was am 24. Juli 2010 in Duisburg geschah.

Zum Beispiel die Medien: Kaum jemand hat im Vorfeld über die Risiken der Loveparade in Duisburg berichtet. Fast alle macht mit dem Hype und wenn es Kritik an der Loveparade gab, dann war es Popkritik: Ramsch-Veranstaltung, hat ihre beste Zeit hinter sich, hat mit dem Original nichts mehr zu tun.

Das war auf diesem Blog nicht anders. Auch unsere Autoren aus Duisburg haben nicht darüber berichtet, wie eng der Tunnel ist, dass es unvorstellbar ist, dass sich durch ihn hunderttausende quetschen könnten ohne das was passiert. Was mich betrifft: Ich war so naiv zu glauben, dass wenn deutsche Behörden eine Veranstaltung genehmigen, das seine Richtigkeit haben würde. Deutschland war immer ein etwas langweilige, biederes Land, aber es war ein ordentliches Land. Als ich ein paar Tage nach der Katastrophe vor dem Tunnel stand, begriff ich nicht, wie man so etwas genehmigen konnte. Vorher kam  ich noch nicht einmal auf die Idee, die Genehmigung zu hinterfragen.

Alle, fast alle haben mitgemacht beim Hype um die Loveparade. Auch der WDR, der in seiner Reportage vor ein paar Tagen zwar die Wege von Duisburgs OB Sauerland, Lopavent-Chef Schaller und einer Familien aus Lünen, die ihren Sohn bei der Loveparade verlor, nachzeichnete, aber kein Wort zur eigenen Rolle verlor.

Was die Polizei und damit auch das Land NRW  am Tag der Loveparade leistete, war kein Ruhmesblatt: Nachdem was wir heute wissen waren die Einsätze zum Teil unkoordiniert, klappte die Kommunikation nicht – unvorstellbar an einem solchen Tag. Noch nicht einmal eine Freischaltung für Handys war beantragt worden. Beamte im Blindflug. Unprofessionelle geht es nicht. Sie man mit welche Akribie sich die Polizei in NRW auf jede mittelgroße Demo vorbereitet, war die Leistung am 24.7.2010 unentschuldbar.

Lopavent – die Loveparade-Macher um ihren Chef Rainer Schaller – mussten die Loveparade durchziehen. Das Format war bereits nach dem  Weggang aus Berlin angeschlagen. Die Marke strahlte nicht mehr allzu hell. Aus dem hippen, globalen Event war eine Pott-Proll-Party geworden. Die Szene im Revier war von der Loveparade nicht angetan. Sie war ein Fremdkörper, den man nicht schätzte.  Für 2011 hatte Bochum die Loveparade abgesagt – wäre sie auch im Kulturhauptstadtjahr ausgefallen, wäre das Format tot gewesen. Welche Fehler Lopavent genau gemacht hat, werden die Gerichte feststellen. Klar ist aber auch: Ein Scheitern der Planungen wäre für das Unternehmen das Aus gewesen. Augen zu und durch?

Die Loveparade war nicht offizieller Teil der Kulturhauptstadt, aber hinter den Kulissen wurde alles getan, um die Veranstaltung zu ermöglichen. Dieter Gorny, der Berufsjugendliche der Ruhr2010 GmbH, erklärte sie zum großen Event der Szene-Kultur und auch die Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr setzte sich dafür ein, dass die Parade stattfinden konnte. Man sah die Loveparade als Imageträger für das Ruhrgebiet. Und trotzdem vertraute man auf die überkommenen und wenig leistungsstarken Strukturen der einzelnen Städte. Die wollten aus dem regionalen  einen lokalen Event machen – und alle ein wenig Berlin sein, zumindest für einen Tag.

Adolf Sauerland wird wohl nie wegen der Loveparade vor einem Gericht stehen. Vor Gericht stehen seine Mitarbeiter. Natürlich hat die Stadt Duisburg Verantwortung auf sich geladen. Und Sauerland ist der politische Repräsentant seiner Stadt. Seit einem Jahr kämpft er um sein politisches Überleben. Präsentiert sich als erster Aufklärer, dann als Schutzschild seiner Mitarbeiter – nur um eines, um das Naheliegendste drückt er sich herum: Die politische Verantwortung zu übernehmen und den Platz frei zu machen für jemanden, der mit der Loveparade nichts zu tun hat. Es wäre für seine Stadt das Beste. Es wäre für die Aufklärung der Vorfälle das Beste. Es wäre eine Selbstverständlichkeit. Aber selbst dazu ist dieser Mann nicht fähig.

Wer  schuldig ist, werden die Gerichte entscheiden. Wer verantwortlich war, wissen wir heute schon.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
8 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
intermerker
13 Jahre zuvor

Ein Erfolg der Veranstaltung hätte viele Väter gehabt. Nun aber wird die Vaterschaft der Katastrophe nach unten durchgereicht. Die Opfer würde eine ernsthafte Aufarbeitung nicht wieder lebendig machen. Für die Zukunft würde sie aber Zeichen setzen und Hemmschwellen wieder höher legen. Mal ganz abgesehen davon wie das derzeitige Prozedere auf die Angehörigen wirken muss.

P.S: Wohltuend ist in diesem Artikel die Selbstkritik.

denk nach
denk nach
13 Jahre zuvor

Was für mich nach wie vor unvorstellbar ist: wie konnte man den Tunnel nicht sehen???? Wer jemals auf einem Konzert mittlerer Größe war, weiß, wie schnell plötzlich und unerwartet Panik ausbrechen kann, nur weil vielleicht eine einzelne Person Platzangst bekommt und hektisch wird. Ist dann kein Raum/Platz, beginnen die Leute zu quetschen und zusammenzudrücken, bis sie keine Luft mehr bekommen und die Füße vom Boden abheben. Dort waren es die Zäune, die zu unüberwindbaren Barrieren wurden. Ich selbst habe dies mehrfach bei „normalen“ Konzerten, und bei Festivals mittlerer Größenordnung erlebt. Aus dem Nichts heraus!

Es werden einfach immer die Falschen gefragt: nicht die, die praktische Erfahrung haben, sondern Theoretiker. Und Politiker haben doch meist wirklich am wenigsten mit dem realen Leben zu tun, oder?! Polizei?? Sie hätten zumindest in der akuten Gefahr Übersicht haben müssen und schnell reagieren müssen, dass lernen sie doch auch bei Großdemonstrationen, oder??!! (Stefan, Du hast es schon geschrieben)

Die Entscheidung, die Loveparade im Rahmen von RUHR2010 laufen zu lassen, war richtig. Die Blindheit der Verantwortlichen (aller Abteilungen) war falsch, dramatisch und ist unentschuldbar. Egal aus welchem Grund.

Ob Sauerland deshalb zu gehen hat – ? Wegen der Loveparade-Katastrophe aus meiner Sicht nicht. Vielmehr aber wegen seines (Fehl-)Verhaltens nach diesem tragischen Ereignis, denn das zeugt nicht von politischer oder menschlicher Größe, die man doch in einer derartigen Position verkörpern sollte.

Thomas
13 Jahre zuvor

>Zum Beispiel die Medien: Kaum jemand hat im Vorfeld über die Risiken der Loveparade in Duisburg berichtet.

Unsure.

Stimmen gabs schon.

Jedenfalls hätten die Baronskis, ich war ja damals auch noch dabei, deutlicher über die Risiken berichten müssen.

Den Fehler kreid‘ ich mir persönlich an.

Wahnsinn, der Eingang der Crowd, der Tunnel. Während der Promieingang nächst des Hauptbahnhofes gelegen das Drängelproblem gelöst hätte.

Egal.

Hören wir alle mal die Ministerpräsidentin unseres Bundeslandes Nordrhein-Westfalen wie sie bei der zentralen Gedächtnisfeier heute im Duisburger Wedaustadion eine Fürbitte vortragen wird.

Ich nehme Frau Kraft übrigens ihre ausgesagte Emotion, ihre Betroffenheit ab.

So wie die damals die Trauerrede gehalten hat, mit feuchten Augen, stockender Stimme, das war echt Landesmutti und garantiert keine Verstellung:

Axel Krause
13 Jahre zuvor

„Adolf Sauerland wird wohl nie wegen der Loveparade vor einem Gericht stehen.“

Das ist eine Mutmaßung. Die Staatsanwaltschaft spricht bis heute davon, dass Sauerland „noch nicht“ Gegenstand der Untersuchung ist.

„Natürlich hat die Stadt Duisburg Verantwortung auf sich geladen. Und Sauerland ist der politische Repräsentant seiner Stadt.“

Sauerland ist nicht nur der politische Repräsentant der Stadt, er ist auch Chef der Verwaltung. Das ist ein gewichtiger Unterschied. Und er hat keine Verantwortung auf sich geladen, sondern er hat sie.

„Es wäre für seine Stadt das Beste.“

Das ist verdammt nochmal nicht seine Stadt. Sondern unsere.

Jay
Jay
13 Jahre zuvor

Was mich übrigens ankotzt:

Wenn jetzt die WAZ-Mediengruppe sich als „Wir haben’s gewußt“-Aufklärer aufspielen. Ja, es gab einen Artikel der NRZ(?), der auch im Westen veröffentlicht wurde, in dem das ganze vom Sicherheitsaspekt her kritisiert wurde.

Aber haben die verantwortlichen Vertreter der WAZ-Mediengruppe diesen Artikel und die dort veröffentlichten Kommentare zum Anlass genommen großflächig zu intervernieren und zu warnen? Nein. Aber jetzt reden NRZ-Chefredakteure in Dokumentationen davon, wie sie das ganze schon immer kritisch sehen, jetzt veröffentlicht das Internet-Portal Berichte, wonach man es ja schon vorher gewusst habe und in den Leserbriefspalten der WAZ werden Briefe veröffentlicht, in denen der WAZ für die kritische Berichterstattung gedankt wird.

Meiner Meinung nach ein purer Hohn. Natürlich hätten die Blogs und Internet-Seiten der Region auch etwas besser davor warnen können, aber mal ehrlich: Selbst wenn alle Ruhrgebietsblogs auf einmal vor der Loveparade vor einem Besuch gewarnt hätten, wäre das abgetan worden. Hätten jedoch alle Zeitungstitel der WAZ-Mediengruppe auf ihren Titel eine Warnung vor den Besuch der Loveparade gepackt – dann wäre das was anderes gewesen.

Frank
Frank
13 Jahre zuvor

Sieht man sich die beklemmende Dokumentation ein Jahr später noch mal, fällt einem immer mehr auf.

Z.B. hätten die Polizisten, die die Szenerie von oben beobachteten, die Menge mit einem Megafon beeinflussen und lenken können. Das macht sie doch sonst auch für weniger bedeutende Dinge. Die standen da und guckten zu.

Was die drei Verantwortlichen, die sich die Schuld hin und her schieben, entweder nicht verstehen oder aussitzen wollen: Wer Führungs- oder unternehmerische Verantwortung hat, der ist grundsätzlich mitverantwortlich, was im Namen seiner Organisation oder Unternehmung passiert. „Nichts gewusst“ oder „nichts unterschrieben“ ist typisch deutsche Schreibtischmentalität. Wenn wer nichts gewusst hat, dann ist er obendrein auch dafür noch verantwortlich. Und wer nichts unterschrieben hat, und deshalb „keine Details kannte“, ist genau deshalb trotzdem verantwortlich.

Unvergessen auch die Posse um das „Gutachten“ dieser gewissen Anwaltskanzlei, das nicht eingesehen werden durfte, aus „Datenschutzgründen“.

Dass jetzt Sachbearbeiter vor Gericht stehen, das hätte ich vorher nicht mehr für möglich gehalten. Aber diese Mentalität hat unsere Bürokratie bis heute nicht überwunden.

Dass die Hinterbliebenen und Überlebenden diese Katastrophe nicht verarbeiten können, bevor jemand Verantwortung dafür übernommen hat, das ist diesen Personen offenbar völlig egal. Das ist brutal.

trackback

[…] und ähnlich wie viele andere Medien sich eher unkritisch gezeigt (siehe dazu auch den Beitrag Loveparade: Das Versagen der Vielen und der Tod der 21). Jedoch gab es keine Live-Berichterstattung, erst in der Aktuellen Stunde um 19:10 Uhr kamen […]

trackback

[…] Das Versagen der Vielen und der Tod der 21 (Ruhrbarone) – […]

Werbung