Der Aufstieg des VfL Bochum in die erste Liga bedeutet zugleich Risiken als auch Chancen. Ist das Team von Trainer Thomas Reis reif genug sich gegen Clubs aus Wolfsburg, Leipzig oder Stuttgart zu bewähren – oder werden sie zur Schießbude der Liga? Peter Hesse und der Bochumer Fußballexperte Thommy Junga probieren unter dem Motto „You’ll Never Talk Alone“ den Verein zu durchleuchten und geben ihr Urteil ab: jeder Punktgewinn wird ein echter Kampf werden. Es wird nicht leicht – das ist klar! Aber es ist auch kein aussichtsloser Kampf.
Peter Hesse: Lieber Thommy, du bist Kindestagen an VfL Bochum Fan – in dieser Saison hat nach 11 Jahren endlich der Aufstieg in die erste Liga geklappt. Für die Stadt Bochum ein toller Moment – und natürlich auch für uns Fußballfan-Romantiker ist es schön, wenn du trotz kleiner Etats viel PS auf die Gewinnerstraße bringen kannst. Während Corona wird es nicht leicht sein neue Sponsoren zu kontaktieren, dennoch herrscht für Liga 1 Verbesserungsbedarf. Nach seinem Ausscheiden beim FC Bayern München hat die Spieler und Trainer Ikone Hermann Gerland in Interview gesagt, dass er jetzt noch nicht daran denkt in Rente zu gehen. Sollte Gerland zurück zum VfL kommen – und wenn „ja“ – in welcher Position?
Thommy Junga: Hallo Peter! Ja, der Bochumer Aufstieg nach so vielen Jahren hat schon etwas Heilsames. Wie schon 2006 – beim letzten Aufstieg – hatte ich wieder ein Tränchen im Auge. Als Bochumer Fan war das schon sehr deprimierend der fortschreitenden „Meppenisierung“ des Herzensvereins zuzuschauen. Das waren viele Jahre gelebte Hilflosigkeit dabei, auf der Tribünen wie auf dem Rasen. Und du hast vermutlich Recht, so ganz ohne Upgrades wird das eine Liga höher kaum gutgehen. Hinsichtlich der Ausgliederung und Investorensuche herrschte ja schon Ungeduld, jetzt ist das als Erstligist vielleicht eine historische Chance. Romantik hin oder her. Die Ankündigung von Hermann Gerland habe ich auch vernommen. Er ist natürlich gerade im Nachwuchsbereich extrem gut vernetzt und sicher auch in seiner Heimatstadt vorstellbar, aber gerade da sind wir in Bochum ja echt verwöhnt und schon seit Jahren gefühlt Erstligist. Als rüstiger Grantler auf der Tribünen wäre er sicher verschenkt. Ich würde vermutlich a la Schafstall das Klemmbrett gegen die Rosenschere tauschen – und dann doch einfach meine Ruhe vor den Jungmillionären haben wollen.
Peter Hesse: In der allgemeinen Wahrnehmung gibt es ein paar Modelle, wie Vereine in der Bundesliga agieren: es gibt das Hire-and-Fire-Prinzip, was auf Schalke, beim Hamburger SV oder bei Hannover 96 praktiziert wird – kommt dort der Erfolg nicht per Express angeflogen, wird der Holzhammer ausgepackt und Trainer, sowie Management werden quasi wie am Fließband ausgewechselt, bis die nächste Gang die Kartoffeln aus dem Feuer holen muss. Dann gibt es Vereine, die auf Personen setzen, die eine lange Geschichte im Verein haben – und so wird mancher Sturm dank gefestigter Strukturen überstanden. Udo Latteck holte im Jahr 1970 Uli Hoeneß von der TSG Ulm 1846 zum FC Bayern – und seitdem ist er im Club. Das gleiche gilt für Michael Zorc, der 1978 vom TuS Eving Lindenhorst zum BVB kam und jetzt seit 43 Jahren in Farben von Schwarz-Gelb arbeitet. Das dritte Modell sind Clubs wie Union Berlin oder St. Pauli, die noch nie viel Geld hatten und immer mit viel Ideenreichtum und hochgekrempelten Armen ihre Club-Identität nach vorne bringen. Wo siehst du den VfL Bochum zwischen diesen drei Modellen?
Thommy Junga: Bei den kleineren Klubs wird ja das Freiburger Modell immer als Idealbild herangezogen: der geduldige und nachhaltige Ansatz. Zwischen den großen Konstanten Finke und Streich haben die allerdings auch zwei Trainer in vier Jahren verbraucht. Einer davon war Robin Dutt, dessen Karriereplan damals auch vermutlich nicht unbedingt den Posten in Bochum vorsah. Je weniger Kapital im Spiel ist, desto mehr muss einfach genau passen. Sieht man sehr gut an den angesprochenen Unionern. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass Fußballvereine eine eigene Mentalität haben. In Freiburg brauchen sie eben einen Trainer, der nebenbei auch eine wöchentliche Soziologievorlesung hält, bei Bayern den Zeremonienmeister, der es schafft die allgegenwärtigen Figuren zu besänftigen und beim VfL Bochum lieben wir bodenständige Vaterfiguren. Das war bei Toppmöller so, bei Neururer und Verbeek nicht anders. Thomas Reis ist auch wieder so ein Charakter. Er scheint ein Händchen dafür zu haben, Spieler mit Karriereknick wieder aufzupäppeln und Talente zu integrieren. Wer weiß, vielleicht das Bochumer Modell der nächsten Jahre.
Peter Hesse: Es gibt im Mittelbau der Bundesliga ja auch immer wieder Beispiel für großartige Arbeit. Irre, wie Bielefeld die Klasse halten konnte. Auch in Mainz (zwölf Jahre ununterbrochen dabei in Liga 1) oder Augsburg (10 Jahre) hat man Überlebenskunst mit konservativer Kaderplanung und einer soliden Spielweise vermischt. Ein „Denken Sie groß!“ kommt dort nicht in die Tüte – und ich denke das wird an der Castroper Straße nicht passieren. Der VfL Bochum 1848 hat nun Christopher Antwi-Adjei vom SC Paderborn unter Vertrag genommen. In 144 Spielen für Paderborn gelangen dem schnellen Offensivspieler 27 Tore und 17 Vorlagen. Es ist klar, dass für einen zweiten Götze oder ein Talent wie Youssoufa Moukoko (aktueller Marktwert: 10 Millionen) kein Geld da sein wird. An welchen Positionen herrscht deiner Meinung nach Verbesserungsbedarf – Abwehr und Mittelfeld?
Thommy Junga: Viel wird natürlich davon abhängen, wie die Spielweise in der nächsten Saison aussehen wird. Dass der Kader qualitativ zumindest in der Nähe der Bundesliga zu anzusiedeln ist, lassen die guten Leistungen im Pokal gegen Mainz und Bayern ein wenig erhoffen. Man wird aber in Zukunft sicher nicht so häufig Spiele drehen können – da wünschte ich mir jetzt nochmal zentral defensive Erfahrung, Stabilität und Körperlichkeit hinzuzugewinnen. Jemanden der ab der 60. Minute reinkommt und alle auffrisst. Im defensiven Mittelfeld braucht man sicherlich noch jemanden mit zusätzlichen Qualitäten im Umschaltspiel, denn auch die Verpflichtung von Antwi-Adjei deutet an, dass wir wohl auch in der ersten Liga mit schnellen Außen spielen wollen. Auf der Sechserposition muss aber auch eine gewisse Perspektive her, damit du nicht nach der Saison wieder bei null anfängst. Vorn ist Simon Zoller – mein Spieler der Saison – vermutlich erstmal gesetzt. Dahinter stehen wohl Veränderungen an.
Peter Hesse: Gegenüber der FAZ sagte VfL Bochums Sport-Manager Ilja Kaenzig: „Unser Fußball ist anders, er soll Volkssport bleiben. Diese Linie wollen wir gezielt weiterführen.“ Das klingt nach verschüttetem Fiege Pils, Currywurst-Flecken von Dönninghaus auf der Hose und der hemdsärmeligen „Oder Watt“-Philosophie von Kultfan VfL Jesus. Aber reicht das? Muss man nicht doch die Angel nach zahlungskräftigen Sponsoren auswerfen um mit dem Geld einen bockstarken Kilometerfresser für das Mittelfeld zu kaufen, den du forderst? Also eine Art Sven Bender im Castroper Straßen-Format, der natürlich auch nicht das Gehaltsgefüge sprengen darf. Könnte schwierig werden, oder?
Thommy Junga: Mir ist natürlich eine Geschäftsführung lieber, die Tradition und Kultur nicht völlig aus den Augen verliert, aber von Luft und Vereinsliebe wird auch keiner satt. Das ist sicher auch ein Stück akzeptable Folklore. Immerhin besteht auch dieses zweiten Corona-Transferfenster die Hoffnung eines nicht allzu überhitzten Marktes. Da kann dann auch die Kategorie Augsburg, Bielefeld oder Bochum mal mitbieten. Den Wettbewerbsvorteil Kohle hast du zwar nicht, aber du kannst zweite Chancen, regelmäßige Spielpraxis und immerhin die Aussicht auf einen von knapp 150 Stammplätzen in der Liga in den Ring werfen. Deine Stars musst du dir dann eben aus den Jungs entwickeln, die man vom Verein, den sportlichen Vorstellungen des Trainers und nicht zuletzt der Stadt überzeugen konnte.
Peter Hesse: Bei meiner Schlussfrage muss ich etwas ausholen: Sogenannte Möchtegern-Traditionsklubs, wie Schalke 04 oder der 1. FC Köln, haben in den letzten Monaten sogar den Steuerzahler um Geld angebettelt. Beide Clubs haben sieben- bis achtstellige Landesbürgschaften in Nordrhein-Westfalen beantragt – und gleichzeitig wurden einigen ihrer Akteure selbst im Falle des Abstiegs noch Gagen in Millionenhöhe garantiert. Wie kommt dieses Signal nach 16 Monaten Corona-Dauer-Blues bei Otto-Normalverbraucher und Lieschen Müller an? Der moralische Segnungsruf nach Demut und Mäßigung hindert Gladbach, Bayern und Dortmund ebenfalls nicht, ihre zukünftigen Trainer mit der arroganten Gutsherren-Art der Marke „Isch scheiß dich zu mit meinem Geld“ aus laufenden Verträgen zu kaufen und bei den Ablösesummen für Trainer-Transfers neue Rekorde aufzustellen. Die Liga 1 nervt zu oft mit ihrem unerträglich arroganten Dummdoof-Gehabe mit dem schnellen Griff zum Scheckheft. Besteht unter diesen Protzfürsten und Platzhirschen trotzdem die Chance, dass der VfL hier mithalten kann? Oder werden die Blau-weißen aus der Ruhrstadt zur Schießbude der Liga und müssen in einem Jahr wieder runter zu Aue, Heidenheim und St. Pauli?
Thommy Junga: Ich betrachte es als großes Glück, dass Bochum ausgerechnet diese Saison aufgestiegen ist. Das wird ein ganz wilder Ritt in Liga zwei kommende Saison. Da hätte ich echt die Sorge gehabt, der VfL hätte unter die Räder kommen können. Derzeit plant ja gefühlt die halbe Liga den Aufstieg. Da bin ich lieber in der Bundesliga und weiß was auf mich zukommt. Für uns wird es fraglos knüppelhart in der Bundesliga, jeder Punkt vermutlich ein echter Kampf, aber genau das ist ja tief verankert in der DNA dieses Vereins. Mäßigung und Demut müssen beim VfL Bochum nicht erst als Dogma installiert werden. Darüber bin sehr froh. Dass es nach Anpfiff trotz allem Drumherum doch nur heißt: Elf gegen Elf. Es dreht einem als Steuerzahler schon den Magen auf halbacht, wenn man hört, stumpf wiederholte strukturelle Fehlentscheidungen in anderen Vereinen werden jetzt von Landesbürgschaften unterfüttert.
Protzfürsten und Platzhirschen und Liga 1 – das ist wohl sehr wahr! Danke für diesen gehaltvollen Beitrag.
Warten wir doch mal ab, wie es in zwei bis drei Jahren – so der Abstieg vermieden wird- aussieht. Der Erfolg zieht die Schmarotzer an wie Nektar die Bienen. Und auch so mancher, der bislang die genannten Eigenschaften aufbrachte, wird irgendwann seinen Teil vom Kuchen haben wollen: Fußball ist Geschäft, auch in Bochum. Dann wird der Platzwart zum Greenkeeper,
natürlich braucht es für jeden Mist einen Beauftragten, besser noch einen Manager. Die für ihre Mühen natürlich auch fürstlich entschädigt werden müssen. Die Dienstwagen werden auch nicht kleiner werden. Weiß hier eigentlich jemand, was aus dem Büdchenbetreiber beim BuLi-Rebellen St.Pauli (dem bislang einzig mir bekannten Klub mit eigener Zigarettenmarke) geworden ist?