Man könnte es Apartheid nennen: BDS im Vergleich

South-African train station before 1972 by Ernest Cole | Public Domain

Eine erfolgreiche Musikerin, die sich für BDS zerreißt, wird selber boykottiert  –  von BDS.  Krause Geschichte, sie zeigt, worum es der antisemitischen Kampagne geht: nicht um gewaltfreien Boykott, sondern darum, Gewaltfreiheit zu boykottieren. Deutlich wird dies, wenn man die Hetzkampagne, die sich „inspiriert“ wähnt von der Anti-Apartheid-Bewegung, tatsächlich einmal mit dem Kulturboykott gegen Südafrika vergleicht.

Emel Mathlouthi, in Tunis geboren, dann Paris, dann New York, gilt als die Stimme der Jasmin-Revolution, dem tunesischen Auftakt zum kurzen Arabischen Frühling 2010/11. WDR-Cosmo stellt sie als „weltweit erfolgreichste tunesische Singer/Songwriterin“ vor, sie selber nennt sich eine „Aktivistin“, ihr Vorbild sei Joan Baez, sie covert Tiersens „Wunderbare Welt“  und Rammsteins „Frühling in Paris“ oder auch –  musikalisch ist es alles gut gemacht  –  einen „alten griechischen Gypsy-Song“, dem sie einen arabischen Text unterlegt, dessen Refrain: „Ich wurde in Palästina geboren / Ich habe keinen Ort / Ich habe keine Landschaft / Ich habe am allerwenigsten ein Heimatland.“ Ihre Erklärung: „Ich wollte die Gypsies irgendwie mit den Palästinenserrn  vergleichen, auch wenn die irgendwie ein Land haben.“

Als BDS 2017 versucht hat, die Pop-Kultur Berlin zu boykottieren, war Emel Mathlouthi  –   neben den Young Fathers, die im Jahr darauf Stefanie Carp für sich gewonnen haben und deren Ruhrtriennale ruiniert  –  der prominenteste Name unter den Boykotteuren. Vor wenigen Wochen führte sie ihre Sommertour zweimal in den arabischen Teil Jerusalems  und zweimal nach Ramallah –  beide Orte annoncierte sie als „Palestinian Territory, Occupied“, Ramallah ist Sitz der Palästinensischen Autonomiebehörde   –  und zwischendurch, so der Plan, nach Haifa, der drittgrößten Stadt in Israel, die sie ebenfalls zu „the occupied city of Haifa“ erklärte. Dort, im israelischen Kernland, wollte sie am 31. Juli in einem palästinensisch geführten Haus, der Fattoush Bar, für eine palästinensische Community spielen, eine Show „with Palestinians for Palestinians”, wie sie erklärte.

Grund genug für BDS, nicht nur diesen Abend in Haifa zu boykottieren, sondern Emel Mathlouthi selber auf die Streichliste zu setzen: “We call upon Tunisians and Arabs, and all Palestine supporters around the world, to boycott Emel Mathlouthi, all her music and all her shows”, so der BDS-Aufruf, über den die israelische Haaretz berichtet hat. Daraufhin wurde Mathlouthis Auftritt in Haifa, aber auch –  und das lässt aufmerken  –  der auf dem Internationalen Hammamet Festival in Tunesien abgesagt. Hammamet ist ein Touristen-Magnet, das Festival ein Wirtschaftsfaktor und Emel Mathlouthi eine BDS-Supporterin, die eine Menge Internationalität ins Programm einbringt: Eben noch die Stimme der tunesischen Revolution, der einzigen, die halbwegs erfolgreich war, jetzt als Verräterin gebrandet  –  die  Geschichte ist merkwürdig deshalb, weil in der BDS-Welt eigentlich doch als ausgemacht gilt, dass überall „Apartheid“ herrsche, in Haifa wie in Jerusalem, in Ramallah wie in Gaza. „Alles arabische Land“ müsse, so fordert es BDS, von „Besatzung“ befreit werden „from the river to the sea“. Warum also nicht auch in Haifa spielen? Warum eine Grenze ziehen, wenn die gesamte Organisationstheorie darauf aus ist, genau diese Grenze zu leugnen?

„Gewerkschaftsschädigendes Verhalten“

Mathlouthi spricht von einem „Missverständnis“. Um es richtig zu verstehen, muss man BDS beim Wort nehmen, die Hetzkampagne behauptet von sich, sie sei von dem Kulturboykott „inspiriert“, der sich gegen das südafrikanische Apartheidregime gerichtet hat. Hier ein Vergleich, vorweg dies: Faktisch hat die israelische Demokratie mit dem südafrikanischen Apartheidsregime rein gar nichts gemein, die beiden Staaten begrifflich gleichzusetzen, sei „eine Beleidigung für das, was unsere Eltern und Großeltern durchgemacht haben“, sagt etwa Klaas Mokgomole, Sprecher von African for Peace. Schöne Sequenz im Netz, in der er erzählt, wie er  –  von BDS gebrieft  –  in Tel Aviv landet, eine Toilette sucht und feststellt, „you can identify your gender and use any of those bathrooms there“. Es gibt Keimzellen auch politischer Art, sie lassen zwischen Terror und Demokratie ebenso unterscheiden wie zwischen Innen- und Außenpolitik: Auf zwischen- oder außerstaatliche Beziehungen angewandt, wie BDS oder auch Amnesty International es tun  –  Amnesty ortet „Apartheid“ sowohl in Israel wie in der Westbank und zählt die Grenze zu Gaza ebenso dazu wie ein angeblich weltweit geltendes „Rückkehrrecht“, das Palästinensern verweigert werde, dies alles sei „Teil desselben Systems“, so AI  -,  derart ortlos verwandt und beliebig gefüllt, ist der Apartheidbegriff glattweg antisemitisch, wie nicht nur der Bundesbeauftragte Felix Klein attestiert.

Johnny Clegg (1953 – 2019) by Gorup de Besanez cc 3.0 (cropped)

Dies vorausgesetzt, lässt sich BDS betrachten, als stünde die Kampagne tatsächlich in der Tradition des Kulturboykotts, der gegen das rassistische Südafrika gerichtet war: In der knapp 40jährigen Geschichte dieses Boykotts hat es zwei Kurswechsel gegeben, sie spiegeln sich wider in dem, wie BDS jetzt mit Mathlouthi umgeht, wobei sich BDS, anders als die Anti-Apartheid-Bewegung damals, gegen beide Kurswechsel stemmt: gegen den von einem „totalen“ Boykott zu einem „selektiven“ und gegen den von einer politisch gegängelten Kultur zu einer freien.

Der erste Kurswechsel ist mit den Namen von Johnny Clegg und Paul Simon verbunden. Clegg, in England geboren, jüdische Mutter, wuchs in Simbabwe, Israel und vor allem in Südafrika auf, dort mit der Kultur der Zulus. 1969 gründete er Juluka, 1985 Savuka, beide Bands „gemischtrassig“, wie es damals hieß, beide Pioniere einer Weltmusik, die sich von Folklore ablöst und keine races, sondern Stile mischt. Deren Crossover hat ästhetisch die Himmel geöffnet und Clegg wiederholt ins Gefängnis gebracht: Das Juluka-Album „Universal Men“ von 1979 kann als epochal bezeichnet werden, „Scatterling“ von 1982 brachte den internationalen Durchbruch, vor allem mit Savuka wurde er zu einer prominenten Stimme der inländischen Opposition. Als im Juni 1988 die internationale Soli-Szene ins Wembley-Stadion lud zum 70th Birthday Tribute Concert für Nelson Mandela  –  auf der Bühne ein Who is Who, das Konzert in über 60 Länder übertragen und von rund 600 Mio Menschen verfolgt  –  wurde Clegg von der Einladungsliste gestrichen mit der irrwitzigen Begründung, Südafrikaner würden nun einmal boykottiert. Die britische Musikergewerkschaft hatte ihn da bereits, weil Boykott-Brecher, wegen „gewerkschaftsschädigendem Verhaltens“ ausgeschlossen.

“Essence of the Antiapartheid”

Zwei Jahre zuvor, im September 1986, war „Graceland“ erschienen, das legendäre Album, das Paul Simon 1985/86 großteils in Südafrika aufgenommen hatte zusammen mit Ladysmith Black Mambazo, Ray Phiri und anderen südafrikanischen Künstlern, ohne dafür beim African National Congress (ANC) eine Erlaubnis erbeten zu haben: „I’m with the artists“, so Simon damals, „I didn’t ask the permission of the ANC (…) or the Pretoria government.“ In der Tat formierte sich der ANC  –  in enger Abstimmung vor allem mit dem britischen Anti-Apartheid-Movement (AAM)  –  zu der Zeit als Zensor, der politische Motivforschung betrieb, bevor er einen Passierschein ausstellte und wenn, dann nur an Künstler, die in der Bewegung organisiert waren, künstlerische Einzelgänger blieben außen vor. Die südafrikanischen Einzelgänger der Band, unter ihnen jetzt auch Miriam Makeba und Hugh Masekela, gingen dann im folgenden Jahr mit Simon auf Tour. Der ANC rief zunächst dazu auf, die Tour zu boykottieren, revidierte dann nach und nach seine Haltung, während das britische AAM die Konzerte in London und Birmingham verbissen boykottierte: „Think long and hard before you go to Paul Simon’s concerts or listen to ›Graceland‹“, texteten sie die Audience an und verwiesen auf „big record companies“, die nur Geld verdienen wollten, man müsse die Boykottfront umso dringender schließen. Dagegen wurden Proteste laut, deren Tenor: Wer unterdrückt werde, müsse gehört werden und nicht zum Schweigen gebracht, “who are we to boycott what Masekela and Makeba supported?”

Die Anti-Apartheid-Bewegung hat sich damals von der Idee eines „Totalboykotts“ gelöst und versucht, die Strategie aufzunehmen  –  eine ästhetische Strategie  – , wie sie Johnny Clegg und Paul Simon verfolgten: “Graceland”, so Simon im Rückblick, “was on the surface apolitical, but what it represented was the essence of the antiapartheid” und “the opposite from what the apartheid regime said”.

Miriam Makeba, Paul Simon 1986 by Bernard Gotfryd, Library of Congress | Public Domain

Heute dürfte jedem BDS-Strategen, der sich von dieser Boykott-Tradition „inspiriert“ denkt, sofort klar werden: Anders als diese hat BDS ausschließlich Verbote im Programm und keine ästhetische Strategie  –  außer der, die Simon und Clegg entwickelt haben und die heutzutage jeder nutzt, auch Emel Mathlouthi mischt in ihrer Musik verschiedene Stile und Stilmomente, bei ihr sind es tunesisch-arabische mit westlichen. Nicht mit israelischen, Mathlouthis Musik ist kein West-Eastern Divan Orchestra, also kein politisch abgezähltes Beisammen, aber gerade dies dürfte die Sache  –  aus Sicht von BDS  –  nur noch schlimmer machen, weil klar wird, welcher Konflikt als nächstes ansteht im Boykott-Management. Vor gut 30 Jahren verband sich dieser Konflikt mit dem Namen von Albie Sachs:

Der südafrikanische Jurist, der wie Clegg und wie Simon aus einer jüdischen Familie stammt, hatte sich gegen das Apartheid-Regime engagiert, war mehrfach inhaftiert und gefoltert worden, lebte lange Jahre im englischen Exil und überlebte halbtot ein Bombenattentat. 1994 berief ihn Mandela zum Verfassungsrichter, bis 2009 hat er in dieser Funktion das neue Südafrika mit geprägt. Im Winter 1989 hatte Albie Sachs eine heftige Debatte innerhalb des ANC und der internationalen Soli-Bewegung ausgelöst, seine Forderung: „Es sollte unseren Mitgliedern verboten werden, von der Kultur als einer ,Waffe des Kampfes‘ zu sprechen.“ Sich als „Waffe des Kampfes“ zu inszenieren, war förmliche Bedingung dafür, vom ANC ein Plazet zu ergattern, alle Kultur war ins Geschirr des Befreiungskampfes gespannt. In der Zeit brutalster Oppression sei dies auch richtig gewesen, schrieb Albie Sachs wenige Wochen, bevor Nelson Mandela freikam, Kultur aber sei sehr viel mehr als ein politisch vernutzbares Instrument, „sie sagt uns, wer wir sind“. In einem Interview mit der TAZ  stellte Sachs im Dezember 1990 die Frage, die BDS heute zusammenzucken lässt: „Wollen wir zornige Opfer einer ungerechten Gesellschaft sein oder freie Menschen, die entdecken wollen, was es bedeutet, frei zu sein.“

 „Geistige Mobilisierung“

Jetzt der Gegenschnitt mit dem Protest, den mehr als 30 Jahre später der BDS-Boykott der BDS-Aktivistin Emel Mathlouthi hervorgerufen hat, er klingt ähnlich: “I am a Palestinian. And I want to speak about what I want without someone from outside watching me and telling me how to fight and how to live”, kommentiert Haaretz zufolge die Aktivistin Athir Ismail und wendet sich direkt an BDS: “What do you know about our life here aside from what you see?” Die palästinensische Singer/Songwriterin Haya Zaatry, Architektin aus Nazareth, schreibt laut Haaretz: “We are working hard to produce independent Palestinian art. We are working hard to build an independent Palestinian cultural space. We are working hard to make our voice heard in the world.” Statt dies zu fördern, werde man von BDS attackiert, die Fattoush-Bar in Haifa, in der Mathlouthi auftreten wollte, sei längst ein „independent Palestinian space in Haifa“.

Und damit eine Alternative zum Terror. Eine, die BDS nicht aufkommen lassen will, die Kampagne gibt sich zivil, um den Aufbau einer zivilen Gesellschaft in den palästinensischen Gebieten zu boykottieren. Deutlich wird im Vergleich des Anti-Apartheid-Protests mit BDS: Wer anfängt, independent Palestinian cultural spaces zu schaffen, wird auf der Stelle boykottiert, weil sich solche Räume unabhängig machten von BDS. Bekanntlich ist die Kampagne eng an Terror-Organisationen gebunden, deren größte die inzwischen vom Iran finanzierte Hamas: Alle Kultur, heißt es in deren Charta, „Bücher, Artikel, Flugblätter, Predigten, Botschaften, verschiedenste Arten der volkstümlichen und klassischen Dichtung, Dramen und anderes mehr“, alles diene der „geistigen Mobilisierung“, alles sei „Kultur im Befreiungskampf“ gegen den „Weltzionismus“, und wer aus diesem „Kampf mit den Juden“ ausscheide, begehe „Hochverrat“.

BDS ist keine Alternative zum Terror, sondern dessen Bedingung. Was BDS und den Kulturboykott gegen Südafrika von Grund auf unterscheidet, ist das Beharren auf einer totalen, einer kompomisslosen Position und die vollkommen fraglose Verzweckung von Kultur für Terror: BDS hat nie die Gewaltfrage gestellt, in der Südafrika-Solidarität wurde gerade diese Frage lange und heftig debattiert, und der ANC hat sich immer darauf verpflichtet, keine Zivilisten ins Visier zu nehmen. Hamas & Co legen es genau hierauf an: „Tod Israel“, „Tod den Juden“.

Aber nicht nur der Terror gegen israelische Zivilisten ist für BDS fraglos legitim, außer Frage steht ebenso der Terror, den die Hamas gegen palästinensische Zivilisten verübt: Die massiven Proteste, die es erst dieser Tage wieder in Gaza gegen das Hamas-Regime gibt, sind BDS nicht eine Bemerkung wert bisher. Die Hetzkampagne, die von sich behauptet, sie vertrete eine „palästinensische Zivilgesellschaft“, hat sich abgelöst von denen, für die sie zu streiten vorgibt. Man könnte es Apartheid nennen.

 

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Eine materialreiche Analyse der „Aporien des Kulturboykotts“ gibt es hier auf zeithistorische-forschungen.de, Dank an Detlef Siegfried, Professor an der Uni Kopenhagen

 

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LibertyLoveIt
1 Jahr zuvor

LibertyLoveIt
1 Jahr zuvor

LibertyLoveIt
1 Jahr zuvor

BDS Boss gibt zu das er Israel vernichten will.

Last edited 1 Jahr zuvor by LibertyLoveIt
LibertyLoveIt
1 Jahr zuvor

Eines der Vehikel, mit welchen BDS und Apartheid salonfähig gemacht werden sind links regressive NGOs.
Der britische Journalist David Collier recherchiert unter anderem verdeckt bei Amnesty International. Hier ist sein Englischer Bericht als pdf von seiner Seite ladbar.
https://david-collier.com/amnesty-international-obsession/

Wenn wir bei Collier zu BDS, Human Rights Watch oder Amnesty suchen, so finden wir viele gute kritische Einblicke.

LibertyLoveIt
1 Jahr zuvor

Watch: Three prominent anti-Israel activists admit that their accusation that Israel is an apartheid state is a lie. It’s just an effective tool to portray Israel as „the villain.“ “It’s not about facts, it’s about power.“ #ApartheidHoax
https://twitter.com/correctedmedia/status/1689738207938613248?s=20

LibertyLoveIt
1 Jahr zuvor

BDS Gruppenführer Omar Bargouhti .

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LibertyLoveIt
1 Jahr zuvor

BDS: The Many Faces of Omar Barghouti

LibertyLoveIt
1 Jahr zuvor

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