„Mannschaften haben vor heimischem Publikum besser abgeschnitten als bei Geisterspielen“

50jähriges Jubiläum des Westfalenstadions Foto: Peter Hesse


Wenn es drauf ankommt, spielt die Psyche vielen Sportlerinnen und Sportlern einen Streich. Aber nicht allen.

Matchball. Nur noch ein Punktgewinn bis zum Sieg. Das Publikum hält gespannt den Atem an. Es ist mucksmäuschenstill, man kann die Asche unter den Schuhen knarzen hören. Der Spieler schließt die Hand fester um den Griff seines Schlägers, tippt ein paar Mal mit dem Ball, der im Sonnenlicht gelb leuchtet. Er holt Schwung, um den Arm zum Aufschlag zu heben. Wie unzählige Male zuvor in diesem Match. Aber irgendwas ist anders. Der Arm wird schwer. Er will die Bewegung, die sich bei den vorherigen Aufschlägen noch so flüssig angefühlt hat, nicht mehr mitmachen. Vom Eisenarm sprechen Tennisspielerinnen und -spieler in solchen Momenten.

Dieses Phänomen kennt auch Prof. Dr. Christoph Bühren von der Ruhr-Universität Bochum. Er hat fünf Jahre in der Tennis-Bundesliga gespielt und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit Leistungsdruck im Spitzensport. Wenn ein Fußballer den entscheidenden Elfmeter kurz vor Abpfiff in den Himmel schießt, eine Biathletin vor heimischer Kulisse zittrige Arme am Schießstand bekommt oder ein Tennisspieler ausgerechnet den Aufschlag zum Matchgewinn ins Netz schlägt – dann hat die Psyche den Profis ein Schnippchen geschlagen.

„Choking under pressure“ nennt der Fachjargon das Versagen unter Leistungsdruck. Christoph Bühren hat es mit Kolleginnen und Kollegen schon in verschiedenen Sportarten untersucht. Eigentlich ist er Wirtschaftswissenschaftler mit Fokus auf Verhaltensökonomik, aber in Bochum ist seine Professur an der Fakultät für Sportwissenschaft angesiedelt. Denn seit vielen Jahren bedient Bühren sich an Daten aus dem Sport. Weil die Wettkämpfe klaren Regeln folgen und die Teilnehmenden sehr hohe Anreize haben zu gewinnen, bieten Sportevents ideale Rahmenbedingungen, die sich im Labor kaum simulieren lassen.

Heimvorteil oder Heimnachteil?

Was passiert, wenn ein Spiel in die Crunchtime geht – also in die entscheidende Phase –, wollte Christoph Bühren genauer wissen. Ihn interessierte, welche Leistungsparameter unter Druck leiden und welche nicht. „Druck kann auch etwas Positives sein“, sagt er. „Sportlerinnen und Sportler können über sich hinauswachsen, wenn sie lautstark vom Publikum angefeuert werden.“ Ob die Heimkulisse lähmt oder beflügelt, konnte der Forscher während der Corona-Pandemie untersuchen, als die Vereine zeitweilig zu Geisterspielen gezwungen waren. Damals noch an der Technischen Universität Clausthal angestellt verglich Bühren zusammen mit seinem Kollegen Dominic Jung die Statistiken von Heimmannschaften der ersten Fußball-Bundesliga bei Spielen mit und ohne Publikum.

„Der Heimvorteil bei Spielen mit Fans war unbestritten vorhanden“, so Christoph Bühren. „Die Mannschaften haben vor heimischem Publikum besser abgeschnitten als bei Geisterspielen.“ Die Forschenden schauten aber auch in die einzelnen Performance-Maße. Manche verbesserten sich vor Publikum, etwa die Gesamt-Laufleistung oder die Anzahl der Sprints. Auf der anderen Seite litt beispielsweise die Präzision der Pässe und Torschüsse, wenn Fans in der Arena waren. „Wenn Zuschauerinnen und Zuschauer im Stadion sind, kämpfen die Heimmannschaften mehr, und das scheint entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Spiele zu haben“, resümiert Christoph Bühren. „Aber die Geschicklichkeit leidet unter Druck.“

Das passt auch zu Beobachtungen aus Tennis-Matches: Spieler verlieren ihre Aufschlagsspiele am Ende des Satzes, also wenn der Druck am höchsten ist, häufiger als zu Beginn eines Satzes. Obwohl es eigentlich von Vorteil sein sollte, Aufschlag zu haben, gewinnen viele Spieler besonders wichtige Punkte bei eigenem Aufschlag mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit als unwichtige Punkte. „Es gibt allerdings Belege, dass das bei den Top 50 der Welt nicht der Fall ist“, weiß Christoph Bühren. „Besonders guten Spielern gelingt es anscheinend, jeden Punkt einzeln zu betrachten und so eine konstante Performance über das gesamte Match hinweg abzurufen.“ Problematisch an Untersuchungen mit Sportarten wie Tennis sei aber, dass nicht ein Spieler allein über den Ausgang entscheide. „Die Tatsache, dass es einen Gegner gibt, kann die Ergebnisse verzerren“, so der Bochumer Forscher. „Vielleicht wirkt es nur so, als ob der eine Sportler unter Druck besonders gut spielt, aber eigentlich versagen dem Gegner in der Crunchtime die Nerven.“

Sportarten ohne Gegner

Daher schaute Bühren sich mit Kollegen aus Norwegen und der Schweiz, Alex Krumer und Martin Gschwend, den Ski-Sport an. Die Forschenden betrachteten Daten aus dem Slalom, Riesenslalom und Super-G von 1.039 Frauen und 1.274 Männern aus 19 Saisons. Dabei analysierten sie die Performance separat für den ersten und den zweiten Lauf im Slalom und Riesenslalom; im Super-G gibt es nur einen Durchgang.

„Bei den drei Disziplinen ist es üblich, dass eine oder einer der Trainerinnen und Trainer den Parcours steckt“, erklärt Christoph Bühren. „Sie können die Tore so setzen, dass es den Vorlieben ihres Athleten oder ihrer Athletin entspricht, und sie können entsprechende Anweisungen geben.“ Profitieren die Schützlinge davon? Oder steigt durch den vermeintlichen Vorteil der Erwartungsdruck?

Frauen besser, Männer schlechter

Ein Effekt ergab sich nur beim Slalom, aber nicht beim Riesenslalom oder Super-G – und auch nur im zweiten, also entscheidenden Lauf. „Der Slalom ist die technisch anspruchsvollste Disziplin“, erklärt Christoph Bühren. Frauen schneiden im zweiten Lauf beim Slalom signifikant besser ab, wenn ihr eigener Trainer oder ihre Trainerin den Parcours gesteckt hat. Sie nutzen den Vorteil also aus. Männer hingegen versagen unter den gleichen Bedingungen häufiger; sie scheiden im zweiten Slalom-Lauf öfter aus.

„Dieser Geschlechtereffekt tritt nicht in allen Studien auf“, stellt Christoph Bühren klar. „Aber in unseren Arbeiten haben wir ihn schon dreimal nachweisen können.“ Stets waren es die Männer, die bei Geschicklichkeitsaufgaben in der entscheidenden Phase nicht die Maximalleistung abrufen konnten. „Wir denken, dass es daran liegt, dass Männer sich in Wettkampfsituationen selbst unter Druck setzen“, vermutet Christoph Bühren. „Sie möchten vielleicht zu sehr gewinnen, das Level des Stresshormons Cortisol steigt bei ihnen stark an in kompetitiven Situationen.“ Kommt dann aber noch Druck durch die Rahmbedingungen hinzu, schießen sie über das optimale Level hinaus.

Weniger Druck durch weniger Anweisungen

Für den Ski-Sport könnte es laut Christoph Bühren eine Lösung sein, den Kurs von einer neutralen Person stecken zu lassen. Außerdem könnten die Trainerinnen und Trainer ihre Ansprache anpassen. „Gerade Männer muss man in solchen Situationen nicht zusätzlich motivieren und vor allem nicht zu sehr auf technische Details hinweisen“, rät Christoph Bühren. „Wenn sie zu viel über Geschicklichkeitsaufgaben nachdenken, kann es sein, dass sie Automatismen plötzlich nicht mehr abrufen können.“

Der Forscher würde sich freuen, wenn die Erkenntnisse aus seinen Studien in der Praxis ankämen. Vielleicht könnte das den ein oder anderen Sturz beim Slalom vermeiden – und vielleicht auch den einen oder anderen Eisenarm beim Tennis.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits auf Rubens

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