[Nach Sisyphos im Ruhrgebiet und Kultur ist was für den Müll nun der ditte Teil]
Seit Jahrzehnten betreibt man für das Ruhrgebiet ein Marketing ohne Produkt. Die wirtschaftlichen Folgen sind unverkennbar: Die Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist unverändert gering, liegt, wie dem Regionalatlas des statistischen Bundesamtes zu entnehmen ist, in den Großstädten für 2011 auf sehr niedrigem Niveau, unterhalb von 50,2 %, vergleichbar mit Berlin, Aachen, Göttingen. Sogar an der Grenze zu Polen ist diese Quote vielerorts höher, sieht man einmal von Mecklenburg-Vorpommern ab.
Es gibt Ausnahmen, den Duisburger Hafen hatte ich angeführt, aber der kann eine Stadt wie Duisburg nicht retten. Die Beschäftigten-Quote beträgt in Duisburg für 2011 47,2 %. Aber es geht im Ruhrgebiet durchaus noch geringer: Gesenkirchen mit 43,5 %, Herne mit 43,4 %, Bochum mit 46 %, Dortmund mit 46,3 %. Essen liegt hingegen ungefähr gleichauf, mit 47,1 %. Etwas besser sieht es vor allem in den südlichen Kreisen aus.
Freilich lassen sich die industriellen Gräberidyllen touristisch nutzen, Busse von diversen Altersheimen herankarren, aber dieses gewonnene Profil ist für Investoren alles andere als attraktiv. Speziell Duisburg hat deshalb Foster-Pläne eingekauft, u.a. für die Innenstadt, mit denen Stararchitektur Einzug erhielt. Wie jedoch am benachbarten Innenhafen zu sehen ist, der gleichfalls von Foster bedacht wurde, ist eine Bereitstellung von Gebäuden kein hinreichendes Kriterium dafür, dass potentielle gewerbliche Mieter einziehen oder, falls sie kommen, auch bleiben. Duisburg hat besonders im Dienstleistungssektor unter der Konkurrenz von Düsseldorf zu leiden, ist vergleichsweise farblos. Die Frage wäre, wie man Duisburg als Produkt entwickeln könnte, das eigene besondere Merkmale aufweist, die der Stadt Farbe geben könnten.
Gerade weil kaum Mittel zur Verfügung stehen, könnte es eine Strategie sein, nach Stärken zu suchen und diese weiterzuentwickeln, nicht eine Strategie der Nachahmung zu verfolgen, sondern nach Stärken in Differenz zu. Ohne sachliche Analyse wird man zu keinem relevanten Ergebnis kommen, mithin zu keinem Produkt. Von großem, sogar produktbildendem Vorteil der Städte an Emscher und Ruhr könnte sein, dass keine der Kommunen in allen Bereichen Stärken aufweisen muss: sie können sich ergänzen! Um dies erkennen zu können, wäre jedoch der Blick zu heben, vor allem politisch, über den eigenen Schrebergarten hinaus, und dies nicht nur, um Dreck zu werfen.
Hätte man in Duisburg und ruhrgebietsweit ein Produkt, wäre Marketing vermutlich einfacher. Ich vermag aktuell keinen Überblick zu geben, worin die begründbaren Stärken der jeweiligen Kommunen liegen und was sich daraus insgesamt für die Region ergeben wird. Mehr als einen Vorschlag, wie man vorgehen könnte, wenn es Bereitschaft dazu gäbe, kann ich nicht anbieten. Doch wie immer das Ergebnis aussehen wird: Das Ruhrgebiet wird über lange Zeit eine Region der Kontraste bleiben! Es kann erstaunen, wie wenig dies in der Öffentlichkeitsarbeit Berücksichtigung findet. Könnte man sich nicht von einem Hang an parzellierten Idyllen emanzipieren, von einem kleinbürgerlichen Drang zum Schönmachen? Ist es nicht ein besonderes, ja produktbildendes Merkmal, im Ruhrgebiet reichhaltige Kontraste zu haben?
[…] Der Beitrag entstand für die Ruhrbarone. […]
Zurzeit sind Dortmund mit seiner Nordstadt und Duisburg doch die Symbole für Armut und heruntergekommene Viertel. Beide Städte werden in jeder Problemviertel-Berichterstattung genannt.
Als Lösung sorgt die Politik noch dafür, dass ständig gejammert wird, dass wir arm sind und mehr Geld brauchten. Von wem ist eigentlich egal, aber es müssen immer andere helfen.
Auch das sind Botschaften des Ruhrgebiets.
Dass man dann noch bei vielen Rankings schlecht abschneidet (Bildung, Kriminalität etc.) erzeugt insgesamt ein Image, dass nur schwer zu ändern ist. Im Wesentlichen geht dies nur durch Besucher, die das Ruhrgebiet erleben und durch positive Aspekte, die verbreitet werden.
Auch sollte wir einfach mal sehen, dass wir zumindest in der relativen Entwicklung gut abschneiden (GE wird hier häufiger erwähnt). Bei der aktuell schlechten Lage, sollte das doch einfach möglich sein. Schlechter geht es doch kaum noch.
Dass das Ruhrgebiet nur als Region erfolg haben kann, ist aus meiner Sicht richtig. Hier muss das Kirchturmdenken vermieden werden. Wenn ich 1h Reisezeit nehme, die für viele Metropolen Standard ist, kann ich auch als Dortmunder viel erleben. Aber selbst vor meiner Haustür gibt es viele nette Ecken. Aber die gibt zurzeit auch in Bitterfeld etc. Die anderen schlafen ja nicht.
Zutreffender Artikel. Kluger Kommentar. Danke
Ich glaube zu verstehen, was das Argument des Textes ist. Ich frage mich, was der Grund ist, warum London, Paris und New York mehr als ein attraktives Produkt wahrgenommen werden als das Ruhrgebiet. Liegt es an Massnahmen, mit denen die Städte vermarktet werden? Oder liegt es an dem, was in London, Paris und New York dem Besucher möglich ist? Ich neige dem letzteren zu.
Ich frage mich, was das Ruhrgebiet selbst über sich denkt. Denkt es, die guten Zeiten sind vorbei und Touristen können nur noch kommen, um etwas über die in der Vergangenheit liegenden guten Zeiten zu erfahren? Oder denkt es, die guten Zeiten sind nicht mehr da, können aber wieder kommen?
Bei neuen guten Zeiten denke ich an die Vorschläge im McKinsey Gutachten zu NRW. Das Gutachten versucht wird zu trennen zwischen Folgen des Endes des Bergbaus in den 70ern und 80ern und Folgen von Weichenstellungen in der jüngeren Zeit und macht Vorschläge, wie das weiterentwickelt werden kann, was bereits da ist.
Was ist denn aus der „Kulturhauptstadt“ geworden?
@ Regenzwei #4
„Liegt es an Massnahmen, mit denen die Städte vermarktet werden?Oder liegt es an dem, was in London, Paris und New York dem Besucher möglich ist? Ich neige dem letzteren zu.“
Ich auch. Die Londoner Tate-Galerie hat pro Jahr alleine mehr Besucher als das ganze Ruhrgebiet zusammen. 🙂
@#5 | owlbaron: War die jemals? Zumindest in Dortmund steht ein immer noch nicht fertiger, in Bauausführung und Unterhalt unbezahlbar teurer und vom Bürger und Kunstliebhaber wegen fehlender Ausstellungskonzepte nicht angenommener Leuchtturm namens „U-Turm“ auf einer Betonwüste rum.