In der Debatte um den in Südafrika lehrenden Philosophen und Historiker Achille Mbembe, der die Eröffnungsrede auf der Ruhrtriennale halten sollte, steht der Deutschlandfunk wie kaum ein anderes Medium fest an dessen Seite. Der öffentlich-rechtliche Sender räumt seinen Unterstützern viel Platz ein, geht mit den Mbembe-Kritiker hart ins Gericht und hat nun in einem Kommentar von Stephan Detjen, seinem Chefkorrespondenten im Hauptstadtstudio, nun auch die gängigen Definitionen von Antisemitismus kritisiert. Das ist nur logisch, denn sie sind die Grundlage vieler Beschlüsse gegen die von Mbembe mehrfach unterstütze antisemitische BDS-Kampagne, deren Ziel der Vernichtung Israels ist und die in Deutschland in öffentlich finanzierten Räumen kaum noch einen Platz findet.
In dem Kommentar greift Detjen Felix Klein, den Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, scharf an, der sich gegen eine Auftritt Mbembes bei der Ruhrtriennale ausgesprochen hatte. Klein sagte der Funke-Mediengruppe: „Die Eröffnungsrede für eine solch bedeutende Veranstaltung zu halten ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass das Festival mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Es sollte daher eine Person ausgewählt werden, die dieser Verantwortung gerecht wird – und nicht in der Vergangenheit bereits durch die Relativierung des Holocaust aufgefallen ist.“
Für Detjen ist damit klar: „Die Bundesregierung macht damit eine intellektuelle Abschottung Deutschlands zum politischen Programm.“ Und auch die Grundlage auf der Klein argumentiert, erkennt der DLF-Korrespondent nicht an: „Der Regierungsbeauftragte machte sich damit eine Strategie von Lobbygruppen zu eigen, die einen entgrenzten Antisemitismus-Begriff instrumentalisieren. Politisch oder wissenschaftlich begründete Kritik an der israelischen Besatzungspolitik soll auf diese Weise systematisch delegitimiert werden.“
Doch was ist der „entgrenzte Antisemitismus-Begriff“, den irgendwelche im Hintergrund agierende und von Detjen nicht näher benannte „Lobbygruppen“ instrumentalisieren? Die Basis, auf der sich Bund, Länder und zahlreiche Kommunen mittlerweile gegen den BDS gestellt haben, besteht vor allem aus zwei Papieren: Das eine ist die 2016 von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) beschlossene Arbeitsdefinition des Antisemitismus. Zu den 34 Mitgliedern der IHRA gehören unter anderem die Bundesrepublik, die USA, Großbritannien, Griechenland, Israel und Australien. Zu Merkmalen für Antisemitismus gehören nach Ansicht der IHRA das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen, die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird und Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten
Bei dem anderen Papier handelt es sich um den „Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“, dem seinerzeit unter anderen Aycan Demirel von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), der Historiker Peter Longerich und die Historikerin Juliane Wetzel gehörten. In dem Bericht heißt es: “Der antizionistische Antisemitismus tritt unter dem Deckmantel einer Ablehnung der Innen- und Außenpolitik des Staates Israel auf, der im Kern aus einer besonderen ideologischen Verzerrung und pauschalen Diffamierung des jüdischen Staates besteht, die sich zugleich traditioneller antisemitischer Stereotype bedient. Dabei lässt sich das eigentliche Motiv für die Aversion gegen Israel einzig in der Tatsache der Existenz eines jüdischen Staates ausmachen. Nicht jede einseitige oder undifferenzierte Kritik an Israel ist jedoch antisemitisch.“
Keine der beiden Papiere zeichnen sich dadurch aus, dass es entgrenzt ist. Auf die Idee kann man nur kommen, wenn man das BDS-Credo, das im Kern „Kauft nicht bei Juden“ lautet, für eine Position hält, die in Deutschland öffentlich finanziert werden sollte. BDS kann in Deutschland Veranstaltungen durchführen und sich dagegen aussprechen, dass Israelis an Konferenzen oder Festivals teilnehmen. Das alles ist durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Nur haben die von den Bürgern gewählten Parlamente und Räte auch das Recht zu entscheiden, für wen sie das Geld der Steuerzahler ausgeben – das ist immerhin eine der wichtigsten Aufgaben die Parlamente haben. Um mehr geht es nicht.
Besonders schäbig wird es, wenn Detjen Klein durch die Hintertür Rassismus vorwirft – ein Vorwurf, den 0auch Mbembe in der Debatte verwandte, ohne ihn j zu belegen: „Niemand bräuchte sich dann noch zu wundern, wenn der Antisemitismusbeauftragte als erster auf der Anklagebank des Rassismusbeauftragten einer solchen Regierung landen würde.“
Wie bei den ominösen Lobbygruppen nennt Detjen auch bei dem indirekten Rassismusvorwurf gegen Klein, den er auf einer imaginären Anklagebank sitzen sieht, weder Ross noch Reiter.
Detjen arbeitet mit Andeutungen und der Verbreitung von Ressentiments. Das ist nicht unüblich. Medien wie Compact oder KenFM arbeiten nach derselben Methode, viele andere Mbembe-Verteidiger tun es ihm seit Monaten gleich. Allerdings gibt ihnen kaum ein anderes Medium so viel Raum wie der Deutschlandfunk – die Verteidigung des Rechts des BDS und seiner Unterstützer auf Steuergelder, scheint dem Sender eine Herzensangelegenheit zu sein.
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Die Beschäftigten im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk sind vor allem eine Art Luxusbeamte.
Gehälter, Pensionen und Spesen sind schon so
oft von verschiedenen Rechnungshöfen kritisiert
worden. Aber wer liest schon
Rechnungshofberichte ? Ich auch nicht.
Da fällt mir spontan der grosse Uli Wickert ein,
jahrelang ARD-Korrespondent in Paris. Schrieb
dann natürlich auch Bücher über die französische
Edelgastronomie "Gott in Frankreich", oder so ähnlich. Hat der auch nur einmal
privat bezahlt ? Alles "Arbeitsessen", wie üblich.
Und jetzt soll die nächste Gebührenerhöhung
erfolgen, damit der Bildungsauftrag mit
Hochkultur wie "Traumschiff" weiterhin erfüllt werden kann.
Die Verteidigungsstrategie scheint auf ein Zudecken unter einer Textsauce hinaus zu laufen. Konkretes kann gar nicht angeboten werden, da dies immer ein Eigentor wäre.
3Sat sendete ebenfalls einen Beitrag zum Thema. Der belastbarste Inhalt war die These, jemand, der eine antirassistische Agenda habe, könne kein Antisemit sein und wenn er antisemitisch konnotierte Argumentationsmuster bediene, wäre dies trügerisch und würde Herkunft und Kontext der Muster ignorieren. Leider wurde vergessen zu erklären, wie die Antisemitismen durch Herkunft und Kontext in ihrer Bedeutung gewandelt werden könnten.
Ich rate dazu, wenn wir in Betrachtungen zum Spannungsfeld Postkolonialismus-Antisemitismus weiterkommen wollen, den Essay von Caspar Battegay https://geschichtedergegenwart.ch/postkolonialismus-und-juedisches-denken-anmerkungen-zur-debatte-um-achille-mbembe zu lesen. Abseits der wichtigen Polemik gegen Mbembe und seine Förderer in unseren Institutionen geht Battegay auf geschichts- und kulturphilosophische Zusammenhänge ein, er erklärt auch, warum M sich auf Franz Rosenzweig beruft. Der Essay erschliesst sich eigentlich erst bei mehrmaligem Lesen, ist dann aber gut verständlich. In der Summe sagt Battegay, dass Rosenzweig und Mbembe eine utopische Vorstellung von Erlösung haben und deshalb die Probleme des Alltags ignorieren, welche sich seit 1948 konkret stellen, um mit kleinen Schritten das tägliche Leben im israelisch-arabischen Spannungsfeld menschlich zu gestalten. –Ich möchte zwei Ergänzungen hinzufügen: Die Kritiker Israels um Mbembe und das BDS-Movement mögen erklären, wie Israel sich gegen Terrorismus an allen Orten wehren kann, außer z.B. durch einen unschönen Mauerbau? Kann sich irgendwer unter Mbembes Anhängern vorstellen, was es für Eltern bedeutet, jeden Schultag Angst darum zu haben, ob ihre Kinder mit dem Bus unversehrt nach Hause kommen oder unterwegs in die Luft gesprengt werden? – Ein weitere Bemerkung zu Mbembes Begriff "colonial occupation", koloniale Besatzung, durch den er Israel in eine Reihe stellen will mit den alt-kolonialen Mächten Großbritannien, Frankreich, Niederlande usw. Es gibt einen gewaltigen Unterschied in der sozialen Zusammensetzung der Kolonisatoren. Die Massenbasis der Kolonialmächte bildeten Verarmte, die für sich keine wirtschaftliche Zukunft in der Heimat sahen. Cecil Rhodes, Namensgeber für Rhodesien (Zimbabwe), hat das damals prägnant formuliert: ohne Kolonien würden die Armen England erschüttert haben. Kolonialismus statt Revolution. Die Einwanderung von Europäern jüdischen Glaubens nach Palästina hatte dagegen einen völlig anderen Grund, die rassistische Verfolgung. Ohne den Judenhaß im alten Russland, jederzeit im damaligen Polen und im Deutschen Reich wären die Zionisten eine kleine Gruppe von Wiener Kaffeehaus-Literaten geblieben, die Einwanderung nach Palästina vor 1933 bewegte sich in gut überschaubaren Größenordnungen, Einwanderer und Araber hätten sich dann arangiert (Witzig ist in diesem Kontext die kleine Schar deutscher christlicher Einwanderer, die ebenfalls aus apokalyptischen Gründen sich dort niederliessen) . Durch die Shoah ist sie dann erst zu einem zahlenmäßig bedeutenden Faktor geworden. Da gab es keinen sozialen Grund (Armut) wie im alten Kolonialismus; es war schlicht eine Folge des Antisemitismus. Ich wüßte nicht, wohin man mit den Hunderttausenden jüdischer Displaced Persons im Europa der Jahre 1945 -1950 sonst gekonnt hätte; in den deutschen Amtsstuben saßen die Täter von gestern und versuchten, ihre Opfer weiter zu molestieren. Dazu kamen mehrere zigtausend jüdischer Waisenkinder, die überlebt hatten, oft in Südfrankreich und Italien in katholischen Klöstern, oft noch sehr jung, im Schulalter. Auch ihnen musste eine Perspektive gegeben werden. Und die Siegermächte wußten schon, warum sie den Teilungsplan von 1947 einstimmig beschlossen haben – ihr Versagen gegenüber den jüdischen Flüchtlingen während des Krieges war ihnen nur allzu bewußt. Es gab keine realistische Alternative zur jüdischen Einwanderung nach Palästina nach 1945, in den meisten übrigen Ländern gab es weiterhin Restriktionen gegen eine solche Einwanderung, die erst viel später gelockert wurden.
Die ganze Debatte geht leider auf den inhaltlichen falschen Kern von Mbembes Argumentation nicht ein. Die Apartheid in Afrika hat am Ende zu der Machtübernahme der Unterdrückten geführt. Die "Apartheid" gegen die Juden in Europa haben dagegen nur wenige von ihnen überlebt. Genauso massiv hinkt der Kolonialismusvergleich mit Israels Besatzungspolitik. Israel wäre demnach die erste "Kolonialmacht" der Geschichte, die 4 Angriffskriege ihrer "Kolonie" überstanden hat und die auch jenseits dieser Kriege von dort aus unter Dauerbeschuss steht.
@reinhard fink Die Argumente hinsichtlich jüdischer Opfer durch bspw Selbstmordanschläge bzw. durch Raketenangriffe werden entweder ganz geleugnet oder die Höhe der Opferzahlen massiv in Zweifel gezogen, wie ich es mehrfach von Mitgliedern der Link(s)partei erlebt habe, bspw bei einer Veranstaltung mit der Reisegefährtinnen bärtiger Islamisten auf Kaperfahrt gen Gaza, Höger und Grothe. Ebenso ist diesen moralisch-politisch völlig verwahrlosten Antisemiten auch völlig egal, nicht der Rede wert, dass es kaum ein arabisches Land gibt, dass seinen Bürgern so viele demokratische Rechte gewährt, wie es der Staat Israel all seinen Staatsbürger gewährt, zu denen ja auch über zwei Millionen arabische Israelis gehören. Linker Antisemitismus lässt sich nur sehr schwer rational bekämpfen, v.a. auch dann, wenn Israel als Stützpunkt des westlichen Imperialismus verortet wird.
Manchmal gibt ein Witz eine gute Kurzfassung dessen ab, was gemeint ist, wenn auch vor dem ernsten Hintergrund der späteren Shoa. Was ich oben ausführlich schrieb, formuliert ein Witz, der in den 1930er Jahren unter Juden in Palästina die Runde machte: Jüdische Neueinwanderer wurden von Alt-Ansässigen gefragt: "Kommst Du aus Überzeugung oder wegen Deutschland?" Im Englischen noch besser, weil beidesmal "out of" verwendet wird: Did you come out of conviction or out of Germany? Ohne die Verfolgung durch die nichtjüdischen Deutschen wäre die Zahl der zionistisch motivierten Einwanderer gering gewesen.
@ reinhard fink Schon in den 20er Jahren gewann die zionistische Bewegung unter jungen deutschen Juden immer mehr an Attraktivität, wie ich feststellte als ich hier eine Serie über Juden im deutschen Fußball schrieb. Das hatte auch damit zu tun, dass sich bürgerliche Sportvereine und Verbände jüdischen Sportlern nur sehr zögerlich öffneten. Ausnahme waren einige süddeutsche Fußballhochburgen, in denen jüdische Mitglieder und Sponsoren am Aufstieg heute noch bekannter Fußballclubs wie Bayern,der Club,Spvgg Fürth, VfR Mannheim und nicht zuletzt der SGE entscheidend mitwirkten. In Karlsruhe war u.a. Walther Bensemann tätig, der einen der Vorgängerclubs des KSC mitgründete.
@thomas weigle: ja, das ist interessant. Zum Thema "Muskeljudentum" Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es leider wenig zu lesen. Wikipedia hat kein spezielles Lemma dazu, sondern führt zu "Max Nordau", immerhin. Der von dir genannte Unterschied zwischen Preußen und Süddeutschland bei den Sportvereinen ist mir neu, man lernt gerne dazu. Als dokumentarischen Roman hat Michael Blume aktuell in seinem Buch "Oranienstraße" etwas zum Muskeljudentum in Berlin (und unter Auswanderern nach Palästina) geschrieben.