Medizin für den Kopf – Teil 4: Wechselwirkungen

Ein Wechselspiel. Quelle: Pexels

In diesem vierten Teil meiner Serie über Psychopharmaka will ich auf Wechselwirkungen eingehen und auf die Frage, warum so viele Menschen mehrere Mittel gleichzeitig bekommen. Hier findet ihr Teil 1, Teil 2 und Teil 3.

Was sind denn überhaupt Wechselwirkungen? So etwas Ähnliches wie Nebenwirkungen, oder? Ja und nein. Wechselwirkungen können sich in Nebenwirkungen zeigen. Aber auch in einem Ausbleiben der Wirkung. Oder in zu starker Wirkung. Wechselwirkungen oder Interaktionen bezeichnen das Wechselspiel verschiedener Substanzen im Körper untereinander. Meistens handelt es sich dabei um verschiedene Medikamente, aber auch Nikotin oder etwa Grapefruitsaft können Wechselwirkungen verursachen. Meistens bedeuten sie, dass eine Substanz vermehrt oder aber vermindert im Körper kreist. Aber der Reihe nach.

Etwa 42% der über 65-jährigen Menschen nehmen fünf oder mehr verschiedene Arzneimittel gleichzeitig ein. Man nennt das Polypharmazie. Pflegeheimbewohner bekommen durchschnittlich zwischen sechs und sieben verschiedene Medikamente. Man muss sich diese Zahlen auf der Zunge zergehen lassen. Schaut man sich die älteren Leute heutzutage an, meint man ja nicht unbedingt, dass überhaupt so viele von ihnen Medikamente bräuchten, geschweige denn gleich fünf verschiedene. Und selbstverständlich bedeuten diese Durchschnittswerte, dass einige der Betroffenen noch weit mehr als fünf oder sieben Mittel erhalten. Gerade in der Psychiatrie sind Kombinationsbehandlungen leider keine Seltenheit. Das heißt, wenn ein alter oder körperlich kranker Mensch an einen verschreibungsfreudigen Psychiater gerät, schnellt die Zahl der gleichzeitig verordneten Mittel leicht noch einmal in die Höhe.

Warum Cocktails?

Wie kommt es zu diesen Vielfach-Kombinationen? Zunächst muss man sagen, dass natürlich nicht automatisch ein Kunstfehler vorliegt, wenn jemand mehrere Medikamente erhält. Es kommt auch nicht automatisch und in jedem dieser Fälle zu Wechselwirkungen. Verschiedene Arzneimittel können erforderlich werden, wenn der Betroffene mehrere Erkrankungen gleichzeitig hat. Wenn es sich dann auch noch um solche Krankheiten handelt, die jede für sich nur mit einer Kombination von Mitteln in den Griff zu kriegen sind, steigt die Zahl rapide. Nehmen wir zum Beispiel jemanden mit Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) und hohem Blutdruck. Diese zwei Erkrankungen gehen oft miteinander her, insbesondere bei älteren, übergewichtigen Menschen, die sich zu wenig bewegen. Zusammen bilden sie Risikofaktoren für Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Sagen wir also, unser Beispielpatient hatte schon einen Schlaganfall. Diabetes und Bluthochdruck sind oft hartnäckig und lassen sich erst in den Griff bekommen, wenn man sie mit mehreren Medikamenten attackiert, welche mit verschiedenen Wirkmechanismen ansetzen. Wenn derjenige also zwei Mittel für den Diabetes und zwei für den Blutdruck erhält, sind das schon vier. Beides ist wichtig, um das Risiko für einen neuen Schlaganfall zu verhindern. Hierfür sind aber noch zwei Mittel angezeigt, nämlich ein Blutverdünner (z. B. Aspirin®) und ein Fettsenker. Jetzt sind wir schon bei sechs. Der Stand der Forschung sagt, dass dies die Gefahr eines erneuten Schlaganfalls senkt. Es ist also zunächst sinnvoll, das so zu verordnen.
Bloß, was diese Mittel untereinander so treiben, ist jetzt schon kaum noch zu berechnen (dass es aber durchaus ein bisschen zu berechnen ist, erläutere ich weiter unten). Jetzt klagt der arme Mensch vielleicht noch über Knieschmerzen (wegen dem Übergewicht) und erhält noch Ibuprofen. Außerdem hat der Hausarzt erhöhte Harnsäurewerte festgestellt und gibt prophylaktisch Allopurinol (gegen Gicht). Ich würde außerdem eine Wette eingehen, dass er auch Omeprazol (ein Mittel, das die Produktion von Magensäure hemmt) bekommt, auch wenn keiner mehr weiß, wann und warum und von wem das mal angesetzt wurde.
Wenn dieser gebeutelte Mensch jetzt noch eine Depression bekommt, bringt er schon neun Mittel mit, als er die Psychiatrie betritt. Wenn er mit nur zehn wieder herauskommt, hat er Glück gehabt. Übrigens kann es natürlich auch umgekehrt sein: Wie in Teil 2 erläutert, können viele Psychopharmaka zu Gewichtszunahme und in der Folge Diabetes mellitus führen. Es ist also nicht selten, dass junge Leute durch diese Medikamente erst krank gemacht werden und dann eine Behandlung brauchen wie die über 65-jährigen.
Ein Problem ist dabei, dass die Medizin sich mittlerweile so spezialisiert hat und jeder Arzt nur noch sein Fachgebiet sieht. Mit den anderen Medikamenten kennt er sich vielleicht gar nicht genug aus, um zu beurteilen, ob er im Gegenzug zu seinem angesetzen Mittel vielleicht ein anderes weglassen kann. Jeder macht in seinem Bereich alles richtig, aber ob die Summe von all dem noch gut ist, gerät dabei aus dem Blick. Und die meisten Studien, die zu Medikamenten gemacht werden, dienen dazu, die Wirksamkeit oder Verträglichkeit eines bestimmten Mittels zu erforschen. Da stört es nur, wenn Kombinationen gegeben werden und man nicht mehr weiß, welche Effekte durch was verursacht werden. Natürlich gibt es auch Studien zur Polypharmazie, aber die sind in der Unterzahl.

Braucht man mehrere Psychopharmaka gleichzeitig?

Um also auf die Psychopharmaka zu kommen – warum werden so oft so viele davon kombiniert? Die Leitlinien zu den wichtigen psychischen Störungen sagen eindeutig, dass immer eine Monotherapie, also die Behandlung mit einem einzigen Präparat, anzustreben ist. Wenn das erste Mittel nicht ausreichend wirkt, sollte man zunächst schauen, ob vielleicht einfach eine höhere Dosis erforderlich ist. Wenn das auch nicht hilft und man dem Mittel auch genug Zeit gelassen hat, ist auf ein anderes Präparat umzustellen, und zwar eines mit einem anderen Wirkprinzip. Wenn das auch nicht hilft, kommen wir in den Bereich, wo es uneindeutiger wird. Man kann vielleicht ein drittes Medikament probieren, man kann aber auch schauen, ob vielleicht eine Kombination von zwei Mitteln besser wirkt. Oder man kann augmentieren, das bedeutet (im Gegensatz zur Kombination z.B. zweier Antidepressiva), dass man ein Mittel hinzunimmt, welches eigentlich nicht für die Behandlung dieser Erkrankung gedacht ist, aber vielleicht die Wirksamkeit des ersten Mittels „anheizt“. Man kann zum Beispiel ein Antidepressivum mit einem Schilddrüsenhormon unterfüttern oder mit einem Antipsychotikum. Hier ist man schon in Bereichen, die keine „hohe Evidenz“ haben, wie die Mediziner sagen, bei denen also eine Wirksamkeit nicht eindeutig belegt ist. Man versucht es immer erst mal mit den Methoden, die wissenschaftlich bewiesen sind (dass sich auch dieses Wissen ändern kann, steht auf einem anderen Blatt). Aber wenn es dem Patienten damit nicht besser geht, greift man auch auf Therapieformen zurück, die nur vermutlich oder eventuell etwas bringen können.
Das heißt nicht, wie Patienten es manchmal wahrnehmen, dass sie „Versuchskaninchen“ sind. Selbstverständlich werden auch in dieser zweiten Reihe der Therapiemöglichkeiten nur solche empfohlen, für die eine gewisse Erfahrung vorliegt. Aber die Methoden der ersten Wahl sind eben entweder besser belegt oder auch risiko-ärmer. Denn natürlich wird man versuchen, das geringste Risiko einzugehen. Aber wenn der Mensch weiter leidet, weil die Methode der Wahl nicht hilft, sind andere Techniken (nach sorgfältiger Abwägung, siehe Teil 2) eben auch denkbar.
Außerdem kann es sein, dass man einzelne Symptome mit einem zusätzlichen Mittel behandelt. So gehen viele psychische Erkrankungen mit Schlafstörungen oder Unruhe einher. Bis die eigentliche Behandlung greift, kann es sinnvoll sein, ein Beruhigungsmittel dazuzugeben. Wenn jemand eine Depression mit psychotischen Symptomen hat, kann es helfen, auch ein Antipsychotikum zu verordnen. Hinzu kommt, dass Umstellungen schleichend und überlappend erfolgen sollten. Man setzt also nicht Mittel A abrupt ab und Mittel B abrupt an, sondern tauscht sie nach und nach gegeneinander aus.

In Stein gemeißelt?

All das sind gute Gründe, warum ein Patient in der Psychiatrie mehrere Medikamente gleichzeitig haben kann. Normalerweise befindet er sich dann in einem Prozess, dessen Ziel die Monotherapie wäre. Sein behandelnder Arzt könnte ihm erklären, dass das eine Mittel gerade ausgeschlichen wird und das andere nur noch weitergegeben wird, bis sich der Schlaf normalisiert hat. Und es gibt viele Patienten, die in den Händen guter Ärzte sind, bei denen das auch genauso läuft. Leider gibt es aber auch andere Fälle. Insbesondere im Krankenhaus, wo immer mehr Personal eingespart wird, kann Chaos dazu kommen. Da hat vielleicht ein Arzt einen Plan gehabt, wird aber auf eine andere Station abgezogen. Der Oberarzt hat in der Visite etwas anderes gesagt, was aber nicht ordentlich weitergegeben wurde. Nachts wurde der Dienstarzt gerufen, weil es dem Patienten sehr schlecht ging und der war gezwungen zu improvisieren und noch mal was ganz Neues anzusetzen. Mit dieser Kombination wird der Patient auf eine neue Station verlegt (z.B. von der geschlossenen auf die offene, weil es ihm jetzt besser geht). Dort weiß man nur noch, dass der Mensch sehr krank kam und es jetzt besser ist und traut sich nicht, etwas anzurühren. Schließlich soll der Patient auch bald nach Hause und jetzt ist er gerade stabil. Wenn der Mensch dann mit diesem Sammelsurium entlassen wird, hat er noch keinen weiterbehandelnden Psychiater, sondern kriegt vom Hausarzt die Mittel weiterverordnet, der sich damit gar nicht auskennt und lieber nichts anrührt. Und wenn er dann nach einem halben Jahr endlich bei einem niedergelassenen Psychiater landet, sagt dieser: „Also, wenn sie das schon ein halbes Jahr so genommen haben und damit alles gut ging, ändern wir lieber ohne Not gar nichts.“
Das ist im Übrigen auch nicht unbedingt falsch, ich würde im ersten Gespräch auch nicht gleich die Medikation über den Haufen werfen, solange der Patient stabil ist und keine Beschwerden hat. Aber ich würde freilich im Verlauf darauf zielen, die Mittel auszudünnen. Angesichts der überfüllten Wartezimmer und der wenigen Zeit gerät so ein Plan aber leider bei manchen Kollegen in Vergessenheit. Es gibt also gute und weniger gute Gründe, warum ein Mensch mehr als ein Medikament und auch mehr als ein Psychopharmakon auf seinem Plan haben kann. Kommen wir zur Frage, was das bedeutet.

Schnaps plus Bier

Vereinfacht kann man sagen, dass Wechselwirkungen entweder dadurch zustande kommen können, dass sich die Wirkung von Mitteln aufaddiert oder dass deren Verstoffwechslung sich ändert.
Ersteres ist beispielsweise der Fall, wenn ich zwei sedierende (beruhigende) Medikamente kombiniere. So, wie ich auch betrunkener werde, wenn ich Bier und Schnaps trinke, werde ich auch stärker benommen, wenn ich etwa ein Schlafmittel und ein müde-machendes Antidepressivum zusammen einnehme. Oder, um ein komplizierteres Beispiel zu nehmen: Bestimmte Antidepressiva, die sogenannten MAO-Hemmer, beruhen darauf, dass sie das Enzym Mono-Amin-Oxidase (MAO) blockieren. Dieses Eiweiß ist für den Abbau bestimmter Stoffe im Körper zuständig, unter anderem Serotonin. Wenn man den Serotonin-Abbau hemmt, erhöht man die verfügbare Menge von diesem Botenstoff, erreicht also über einen gewissen Umweg das, was auch andere Antidepressiva machen (siehe auch Teil 1). Gefährlich wird es aber, wenn man gleichzeitig andere Medikamente gibt, die serotonerg wirken, denn dann kann man ein Serotonin-Syndrom auslösen, also eine Art Serotonin-„Überdosis“. Das gleiche gilt im Übrigen auch für andere Botenstoffe wie Dopamin oder Adrenalin, weil die MAO auch diese Moleküle abbaut. Hier ergibt sich die Wechselwirkung also nicht dadurch, dass die Mittel sich gegenseitig beeinflussen (siehe unten), sondern dadurch, dass sie beide den gleichen Angriffspunkt haben, eben das Serotonin.

Harte Konkurrenz

Etwas weniger intuitiv zu verstehen sind die anderen Wechselwirkungen, die die Verstoffwechslung betreffen. Grundsätzlich gibt es zwei Hauptwege, über die der Körper Stoffe ausscheidet: über die Nieren und den Urin oder über die Leber und den Kot. Arzneimittel, die über die Nieren ausgeschieden werden, sind besonders dann heikel, wenn der Patient eine Niereninsuffizienz hat. Oder wenn Arzneien mit Diuretika (Entwässerungsmitteln) kombiniert werden, weil auch die das Ausscheidungsverhalten der Niere verändern. Die Nieren funktionieren im Prinzip wie ein Filter, der bestimmte Stoffe hindurchlässt und andere zurückhält. Moleküle werden dort aber nicht verändert.
Das macht die Leber. Dort werden große Moleküle, z. B. eben Arzneimittel, mit Hilfe von Enzymen in kleinere Teile zerlegt. Diese können dann besser ausgeschieden werden. Manche Arzneimittel werden überhaupt erst wirksam, wenn sie in der Leber zu einem „anderen“ Produkt umgebaut wurden. Man spricht dann von einem Prodrug (das Arzneimittel in seiner anfänglichen Form) und einem aktiven Metaboliten (das Endprodukt, das schließlich wirksam ist). Einige Stoffe durchlaufen die Leber mehrfach und werden jedes Mal in kleinere Schnipsel zerteilt.
Es gibt eine Reihe von Enzymen, die diese Abbauarbeiten in der Leber erledigen. Das wichtigste ist das sogenannte Cytochrom P450, von dem es eine Reihe Untertypen gibt. Man weiß mittlerweile sehr genau, welche Arzneien von welchem Cytochrom verstoffwechselt werden. Das Problem ist, dass diese Cytochrome von den Medikamenten, die sie verarbeiten, gehemmt oder induziert werden können. Das bedeutet, dass ihre Aktivität entweder blockiert oder angeheizt wird. Kommt dann ein zweites Mittel hinzu, das eigentlich auch hierdurch abgebaut werden soll, so wird dieses Mittel nicht in gewohnter Weise verstoffwechselt.
Falls das Cytochrom gehemmt wurde, bedeutet das, mein Präparat wird nicht mehr so stark abgebaut wie gewohnt. Bei gleicher Dosis bleibt also mehr davon im Blut. Das Ergebnis ist gleichbedeutend mit einer höheren Dosierung. Ich kann also plötzlich Nebenwirkungen bekommen, die ich üblicherweise erst bei einer viel höheren Dosis erwarten würde. Ein sedierendes Medikament kann dann extrem müde machen. Im Extremfall kann ich Vergiftungserscheinungen verursachen. Wenn also ein Patient plötzlich Nebenwirkungen erleidet, die typisch für eines seiner Medikamente sind, die er aber unter dieser Dosis früher nie hatte, dann sollte man als erstes fragen, ob er ein neues Mittel hinzubekommen hat.
Im anderen Fall, der Induktion, wird die Aktivität des Cytochroms verstärkt. Andere Stoffe, für die dieses Enzym zuständig ist, werden also schneller abgebaut als gewohnt. Ergebnis ist eine ausbleibende Wirkung. Oder ein Rückfall in die Krankheit. Tückisch wird es, wenn man ein induzierendes Mittel nach längerer Zeit weglässt: Auf einmal verstoffwechselt der Patient wieder normal und verträgt viel weniger eines zweiten Präparats als unter der Enzym-Induktion.
Nikotin kann beispielsweise so wirken. Es induziert das Cytochrom P450 CYP 1A2, das auch für den Abbau des Antipsychotikums Clozapin zuständig ist. Viele psychisch Kranke rauchen. Wenn sie dann damit aufhören kann es sein, dass sie plötzlich Nebenwirkungen von ihrem Clozapin bekommen, obwohl sie das Mittel eigentlich schon seit Jahren gewohnt sind.

Krebs wegen Antidepressivum

Tamoxifen ist ein Mittel gegen Brustkrebs. Es hemmt Östrogenrezeptoren und verhindert dadurch das Wachstum von Krebszellen. Tamoxifen wird in der Leber von CYP 2D6 erst zu seiner wirksamen Variante verstoffwechselt, es ist ein Prodrug. Die gleichzeitige Gabe mit Mitteln, die CYP 2D6 hemmen, führt also dazu, dass die Substanz nicht in ihre aktive Form umgewandelt wird. Statt, wie sonst bei einer Hemmung, zu hohe Spiegel des anderen Mittels zu haben, führt bei einem Prodrug die Hemmung ihres Abbaus also zu einer ausbleibenden Wirkung. Aus dem Bereich der Psychopharmaka gehören z. B. die Antidepressiva Paroxetin, Fluoxetin und Bupropion zu den CYP 2D6-Hemmern. Es sind Fälle bekannt, wo Frauen diese Mittel verordnet bekamen, woraufhin ihr Brustkrebs wieder ausbrach, weil das Tamoxifen nicht mehr wirkte. Ein Kunstfehler, der auf komplizierten Wechselwirkungen beruht, was für den verschreibenden Arzt nicht unbedingt intuitiv zu erfassen ist, aber gravierende Folgen hat.
Von solchen dramatischen Fällen abgesehen, müssen Wechselwirkungen aber nicht unbedingt problematisch sein, wenn man um sie weiß und auf sie reagiert. Üblicherweise machen sie einfach eine Veränderung der Dosis erforderlich. Wenn ich weiß, dass der Spiegel eines Mittels steigen wird, weil ich eine hemmende Substanz hinzugebe, dann muss ich bei diesem Mittel eben einfach die tägliche Dosis reduzieren. Oder umgekehrt, wenn ich sehe, dass ein Präparat nicht ausreichend wirkt, weil es verstärkt abgebaut wird, gebe ich mehr davon. Es soll sogar ganz clevere Psychiater geben, die bewusst bestimmte Kombinationen geben, um die Wirkung eines Mittels zu verstärken, ohne die Zahl der Tabletten zu erhöhen.
Auch wenn es leider viel zu oft Patienten gibt, die viel zu viele Medikamente gleichzeitig erhalten, gerade auch in der Psychiatrie, muss man den Psychiatern auch zugute halten, dass sie dem Problem schon lange besondere Aufmerksamkeit schenken. Gerade die Psychiater erforschen Wechselwirkungen intensiv und machen sich vielleicht öfter als andere Facharztgruppen die Mühe, die Listen mit den verschiedenen Cytochromen zu durchforsten und zu schauen, ob sich ihre Präparate vertragen. Denn die Forschung ist hier schon sehr weit und man kann für praktisch jedes Medikament nachschlagen, ob es sich gut mit anderen verträgt oder nicht. Mittlerweile gibt es auch Computerprogramme, wiePSIAC, in die man eine ganze Liste von Tabletten eingeben kann, und die einem ausführlich ausrechnen, was davon sich verträgt oder nicht. In einem Projekt wie AMSP werden Neben- und Wechselwirkungen systematisch erfasst und erforscht. Das Projekt erfährt zwar auch finanzielle Unterstützung durch Pharmafirmen, ich habe dort aber eine Weile selbst mitgearbeitet und kann bestätigen, dass dort unabhängig von jeder Einflussnahme die Sicherheit der Patienten im Mittelpunkt steht.

Fazit: Für einen Medikamentencocktail kann es gute Gründe geben und er muss nicht automatisch schädlich sein. Aber jeder, der mehr als ein Mittel erhält sollte mit seinem Arzt darüber sprechen, ob dies 1.) wirklich erforderlich ist und ob 2.) mögliche Wechselwirkungen berücksichtigt wurden.

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