Aufmerksamkeit ist einer der härtesten Währungen unserer Zeit: Wem es gelingt, seine Identität, seinen Beruf oder seine Befindlichkeiten in der Öffentlichkeit zu platzieren, kann mit Unterstützung, Geld und vielen nacheifernden Anhängern rechnen. Doch ausgerechnet die Gruppen, deren Arbeit unsere Gesellschaft künftig prägen werden und für ihren Wohlstand sorgen finden zu wenig Beachtung.
Sichtbarkeit ist in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie wichtig, das haben zahllose Aktivisten auf der ganzen Welt verstanden: Ob Transsexuelle, Menschen, die keine Lust auf Sex oder Alkohol haben, sie alle drängt es danach die anderen wissen zu lassen, wie es sie geht und natürlich, dass sie sich schon bedrängt fühlen, wenn ihnen zum Beispiel jemand ein Glas Sekt anbietet. Nicht, dass das alles für die Betroffenen wichtig ist, aber all diese Debatten sind ein Luxus, den sich nur Gesellschaften leisten können, die so reich sind, dass die meisten vergessen haben, woher der Wohlstand kommt.
Und auch hier geht es um Aufmerksamkeitsökonomie: Der Wohlstand Deutschlands wird von Naturwissenschaftlern geschaffen, die Grundlagenforschung betreiben, Ingenieuren und Informatikern, die daraus Produkte entwickeln und hochqualifizierten Facharbeitern, die dafür sorgen das alles in bester Qualität gebaut werden kann. Damit verdient dieses Land einen großen Teil seines Geld auf den Weltmärkten und dieses Geld finanziert alle anderen: Journalisten, Krankenpfleger, Lehrer, Politiker und Aktivisten. Die Abhängigkeit von der Industrie ist so hoch, weil es zum Beispiel die subventionierte deutsche Filmwirtschaft im Gegensatz zu Holly- und Bollywood nicht schafft, Produkte ins Kino zu bringen, für die Menschen Geld ausgeben und es hierzulande, die Ausnahme ist SAP, keine Softwarefirmen gibt, die wie Facebook oder Google weltweit erfolgreich sind.
Die USA sind die besser aufgestellt als Europa und auch Asien ist dabei, in allen Bereichen zu wachsen.
Naturwissenschaftler, Facharbeiter, Ingenieure und Informatiker erhalten nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen – und viel zu wenigen ist klar, was sie leisten.
Ugur Sahin und Özlem Türeci gehören zu den wenigen Ausnahmen: Das Biontech-Gründerpaar hat den ersten Impfstoff gegen Corona entwickelt und ist dabei die Behandlung von anderen Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer zu revolutionieren. Biontech gilt als das Amazon der Pharmaindustrie, als ein Unternehmen, das die Welt verändern könnte.
Auch wenn Sahin und Türeci herausstechen, es gibt viele Wissenschaftler und Techniker, die Herausragendes leisten, die kreativ und mutig sind, alte Wege verlassen und neues wagen. Es wäre wichtig, ihnen mehr Freiräume zu geben und sie nicht durch immer neue Regeln und Angstdebatten in ihrer Freiheit einzuschränken.
Und an ihrem Erfolg sind auch all jene beteiligt, die dafür sorgen, ihre Ideen Wirklichkeit werden zu lassen. Es mag nett sein, dass über Menschen geredet wird, die irgendwie betroffen sind, weil andere Alkohol trinken oder Sex haben. Aber es ist auch vollkommen egal, weil Befindlichkeiten nicht überbewertet werden sollten. Erwachsen sein heißt, auch mal mit Situationen klar zu kommen, die nicht einem nicht angenehm ist. Viel wichtiger ist es über Menschen zu reden, die kein Teil der Betroffenheitsindustrie sein wollen und die es verdient haben, wegen ihrer Leistung und ihren Fertigkeiten bewundert zu werden. Finde sie andere, die ihnen folgen, wird dieses Land auch weiterhin kein übler Ort sein. Folgt man den Berufsnabelbeschauern wird sich so machen bald wundern wie unangenehm das Leben in einem ärmer werdenden Land wird. Denn die Welt ist kein Safe Space.
Show, don't tell.
Volle Zustimmung. Manchmal habe ich den Eindruck, daß unser Wohlstand Erscheinungen hervor bringt, die nur aufgrund von Wohlstand entstehen können, aber auch gleichzeitig seinen Untergang hervor rufen.
Ketzerische Frage: Bekommen Ugur Sahin und Özlem Türeci ihre Aufmerksamkeit aufgrund ihrer hervorragenden Leistungen? Das kann ich mir in Merkelstan nicht vorstellen. Sonst hätte Honeckers Rache oder ihre unselige Epigonin UvdL versucht, diese Entwicklung zwecks Nutzung zu marktüblichen Preisen zu erwerben. Meine Mutmaßung geht eher in die Richtung, daß ihnen die Aufmerksamkeit widerfährt, aufgrund ihrer Herkunft. Die Wahnsinnsleitung in Sachen Forschung kann doch kaum einer der Aufmerksamkeitsspender erfassen und würdigen.
@Emscher-Lippizianer, meine persönliche Anerkennung ihrer Leistung bezog sich auf die Leistung, Aber bei einigen Kommentatoren hier im Blog war die Anerkennung ihrer Leistung eindeutig mit ihrer ganz speziellen Herkunft verknüpft. Wären sie EU-Ausländer, oder sogar EU-Mugranten an einer deutschen UNI, hätte die Herkunft keine Rolle gespielt, weil die ja fast immer bei den Veröffentlichungen mit dabei sind. Das wäre auch keine Story gewesen. Ein schönes Beispiel: über die Erfinderin von CrisprCas Emmanuelle Charpentier, eine Erfindung, die all die neuen Mdikamente überhaupt erst ermöglicht, wurde nie geschrieben, daß sie als Französin an einer deutschen UNI geforscht hat. das hat niemanden interessiert. Nicht einmal, daß sie als Frau eine der wichtigsten Entdeckung der Forschungsgeschichte gemacht hathaben, wurde als erwähnenswert empfunden, weil diejenigen, die an solchen Aussagen normalerweise interessiert sind, einiges gegen den Forschungsgegenstand Gentechnik an sich haben. Das kann sich natürlich ändern, sobald solche Medikamente in Massen auf dem Markt sind.
@Helmut Junge #3
Vielen Dank für diese Information. Ich bin in diesen Fachbereichen informationsmäßig leider sehr weit hinterher. Im Fall Sahin/Türeci hat es mich halt aus wissenschaftlicher Sicht sehr interessiert, da ich aus Angst vor Enttäuschung eine gewisse Skepsis bei der Impfstoffentwicklung hatte und den Fortgang interessiert beobachtet habe. Nach der herrschenden Meinung unserer Grüninnen und Grünen dürfte für dieses gentechnische Teufelszeug ja nicht einmal Forschung, geschweige denn eine Massenproduktion stattfinden. Das Thema Kernfusion traut man sich dann in unserer offenen und ach so toleranten Gesellschaft ja kaum als forschungswürdig zu bezeichnen. Und meinen Senf zum Thema "Bildungs-/Schulpolitik" verkneife ich mir. Ich habe Sorge, als spengler'scher Kulturpessimist dazustehen, wenn ich sage, daß wir dort die Zukunft hinter uns haben.
"Viel wichtiger ist es über Menschen zu reden, die kein Teil der Betroffenheitsindustrie sein wollen und die es verdient haben, wegen ihrer Leistung und ihren Fertigkeiten bewundert zu werden."
Ist das wirklich so wichtig? Erwachsen sein heißt doch, auch mal mit Situationen klar zu kommen, die nicht einem nicht angenehm ist…
Abgesehen davon werden doch gerade in Deutschland alles Technisch-Handwerkliche und Ingenieurswissenschaftliche als die höchsten Tätigkeiten angesehen und geistige und soziale Arbeit eher belächelt (und chronisch unterbezahlt). Wenn man in den USA sagt, dass man Musik macht oder schreibt, wird man gleich als "writer" oder "musician" anerkannt. In Deutschland hingegen muss man dann gleich anfügen, dass man natürlich noch einen "richtigen Job" hat.
Schlimm ist eher , dass die Experten für Luxusprobleme aktuell in vielen insbesondere Bereichen Leitungsfunktionen haben.
Das ist aus meiner Sicht auch ein Grund für das Staatsversagen im Bereich Corona.
Die USa haben aktuell nach einem Radiobeitrag Fan T Shirts für Pharmafirmen im Umlauf. Bei uns ist Ökolandbau auf dem Niveau des 18. Jahrhunderts toll, nur will keiner der Befürworter auf dem Feld arbeiten.
Leistung wird im Zeitalter der Teilnehmerurkunden einfach zu wenig gefördert.
Die Leistung von Biontech/Pfizer ist schon extrem. Sie liegt aber neben dem Impfstoff auch in der schnellen Skalierung der Produktion. Nur Produktion will hier keiner.
Die Filmförderung geht mir auch absolut gegen den Strich. Da genehmigt sich die Kulturblase doch eher tolle Veranstaltungen auf Steuerzahlerkosten.
Übrigens ein Grund warum sich in Bochum u. Dortmund eine Startup-Szene entwickelt hat: Schwerpunkte auf technische u. ingenieurwissenschaftliche Fächer (und passende hochschulnahe Flächen).
Essen fokussiert sich auf Lehramtsausbildung, Medizin, Geisteswissenschaften und ein bisschen Bauingenierwesen und hat im Grunde keine passenden hochschulnahen Freiflächen. Das Resultat: Keine relevanten Start-Ups und die Stadt zehrt weiter von ihren Unternehmenszentralen und der alt-industriellen Substanz.
Nur die schrumpft und schrumpft und schrumpft…