Mehr als ein Krieg gegen Frauen

Eine "nichtahnende, wehrlose" Frau.
Eine „nichtsahnende, wehrlose“ Frau.

Der Journalist Martin Niewendick hat auf diesem Blog einen Text zum „Krieg der Männer gegen die Frauen“ veröffentlicht. Er listet dort Gewaltverbrechen auf, die unlängst von Männern an Frauen verübt wurden. Teilweise endeten sie tödlich, zumeist jedenfalls wurde der Tod des jeweiligen Opfers entweder bezweckt oder in Kauf genommen. Und wenn mitten in unserer Hauptstadt oder im provinziellen Hameln in Niedersachsen Frauen verätzt oder an einem Seil um ihren Hals hinter einem Auto hergezogen werden, dann gilt es dies selbstredend zu thematisieren. Nur auf diese Weise kommen wir nicht weiter.

Das Tagesgeschehen zu verfolgen bereitet mal wieder Schmerzen: Männer verbrühen Frauen, bevor sie achtzehn mal auf sie einstechen und sie dann bestehlen. Besuchen sie auf Arbeit und überschütten sie mit 30-prozentiger Salzsäure. Schmeißen sie Treppen herunter oder auf Gleise, bevor die Bahn einfährt. Und diese Liste, damit liegt Martin Niewendick nicht falsch, ließe sich beliebig fortsetzen. „Es herrscht ein Krieg der Männer gegen die Frauen. Scheinbar wahllos bewegen sich Männer wie Wahnsinnige durch die Landschaft um an nichtsahnenden, wehrlosen Frauen die grausamsten Verbrechen zu verüben“, resümiert er.

Das Klischee vom Mann als Täter. Es hat unterschiedliche Ursachen, biologische, wie gesellschaftliche, Y-Chromosom und Fußball. Und es ist wahr: Den meisten physischen Gewaltverbrechen machen sich Männer schuldig, wie in zahlreichen Statistiken immer wieder festgehalten wird. Verständlicherweise ermahnen Eltern ihre Söhne also nicht, in der Dunkelheit Abstand zu unbekannten Frauen zu halten. Und vor dem Hintergrund einer weiterhin patriarchalen Gesellschaft erscheinen einem solche Fälle, wie die, auf die Martin Niewendick sich beruft, umso bedeutungsschwerer. „[D]er pure Hass auf Frauen, gepaart mit einer Blutrünstigkeit, einer Willkür, einer rasenden Mordlust“ scheinen für sie verantwortlich zu sein. Einer genaueren Prüfung kann sein Märchen von einem Geschlechterkrieg, der sich in ihnen niederschlagen soll, jedoch nicht standhalten.

Trotz regelmäßiger eindeutig sexistischer Mordmotive wie Ehrenmorde, intime Femizide oder die damaligen Töchtermorde, die unter der Ein-Kind-Politik Chinas stattfanden, gibt es eindeutige Statistiken darüber, dass auch die Opfer von Morddelikten schon lange ganz überwiegend männlich sind. Auch dieses Phänomen ist unbestreitbar zuvorderst mit Sexismus zu erklären, anstatt etwa mit einer vermeintlichen moralischen Überlegenheit der Frau: In der organisierten Kriminalität beispielsweise sind Frauen seit jeher unterrepräsentiert. Sie werden nicht dahin gehend erzogen, einen solchen Werdegang einschlagen zu wollen und entsprechende Banden lassen sie nicht mitspielen, selbst wenn sie es wünschen; die Mafia-Mutti geht stellvertretend für ihren Mann und ihre Söhne in die Kirche, wenn diese noch einen Job zu erledigen haben. Sie lebt weniger gefährlich.

Ließe sich darum vertreten, dass eine Mordstatistik mit einer Nichtmännerquote von min. 40 % unter den Opfern ein Zeichen feministischen Fortschritts sei? Natürlich nicht. Doch der „Krieg der Männer gegen die Männer“ wird als gegeben hingenommen. Gewalt per se wird medial als etwas männliches dargestellt. So etwas tun die einander nun einmal an, lässt man uns glauben, „die brauchen das eben, müssen sich auch einmal schmutzig machen“. Der zusammengeschlagene Mann, selbst wenn er nur ein mittelmäßiger Vorstadtdealer ist oder er die Freundin eines anderen angeschaut hat, ist, kaum weniger als der Täter, einfach voll in seinem Element. Nur mit Frauen hat man Mitleid, man bezeichnet sie als „nichtsahnend, wehrlos“, wie Martin Niewendick in seinem Blogbeitrag. Doch ermordet, wie vor eineinhalb Wochen in Niederösterreich, eine Frau ihre gesamte Familie, bevor sie sich selbst erschießt, so verharmlost man diese Tat als „Familiendrama“ und die Staatsanwaltschaft vermutet zunächst ein „Fremdverschulden“.

Wer jede grausame Gewalttat eines Mannes gegenüber einer Frau ohne Tatmotiv reflexartig als Ausdruck einer persönlichen Frauenverachtung werten will, müsste konsequenterweise, im Falle eines männlichen Opfers bei ungeklärten Hintergründen auf „männlichen Selbsthass“ spekulieren. Genauso verhält es sich bei der Vergewaltigung von Jungen, wenn man vertritt, dass der durchschnittliche Vergewaltiger von Frauen, ganz einfach ein Mann sei, der sie noch weniger respektiert, als es für Männer üblich ist. „Bald ist Silvester“, schreibt Martin Niewendick.

Es erfordert keine große Anstrengung, auf Fälle zu stoßen, in denen es Frauen sind, die Männer auf Bahngleise schubsen oder mit Säure überschütten. Und dass es häufiger andersherum geschieht, ist nicht von der Hand zu weisen. Dies allerdings so zu simplifizieren, bis es ein einziger, einseitiger Geschlechterkrieg ist, ist nicht weniger sexistisch als einige der zugrunde liegenden Umstände. Sexismus ist schließlich selbst dann nicht legitim, wenn er sich gegen eine abenteuerlustige Mafia-Mutti richtet.

Anders gefragt: Ließe sich darum vertreten, dass eine Mordstatistik mit einer Nichtmännerquote von min. 40 % unter den Tätern ein Zeichen feministischen Fortschritts sei? Nein, viel eher sollte man es optimistisch mit Marx halten, der (als im Grunde eher schlechter Feminist) den Fortschritt einer Gesellschaft an der Stellung der Frau in selbiger zu messen gewillt war. Hier im Okzident haben wir auf der einen Seite ein Sexismus-Problem, unter dem überwiegend die aufgeklärten Frauen leiden. Auf der anderen Seite gibt es ein Gewaltproblem, dem auch Frauen zum Opfer fallen. Diese Probleme muss man in der Beschäftigung mit ihnen nicht angestrengt und grundsätzlich auseinanderdividieren, doch wenn man eine Schnittmenge sucht, um mit ihnen wissenschaftlich oder journalistisch zu arbeiten, bietet es sich an, behutsam vorzugehen. Es ist kein „Krieg“. Was allerdings auch den Nachteil hat, dass es sich nicht so leicht mit Friedensverhandlungen beenden lässt.

Es besteht eine gute Chance, dass ein finaler Kampf gegen Sexismus auch eine grundsätzliche Abkehr von der Barbarei zur Folge hat. Und ein allgemeines Vorgehen gehen Gewalt wird zwangsläufig die Situation von Frauen und anderem nicht-männlichen Leben verbessern. Diese beiden Prozesse, die seit Anbeginn der Menschheit mit größeren und kleineren Rückschritten viel zu langsam Gestalt annehmen, werden mit Sicherheit noch weitere Jahrhunderte währen. Entsprechend eine unheimliche Erleichterung ist es, dass die größten Aufgaben unserer Zivilisation mittlerweile so viel männliche Unterstützung, wie unter anderem die von Martin Niewendick, sicher haben.

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D. Holz
D. Holz
7 Jahre zuvor

Liebe Frau Nabert, kennen Sie die Schrift "Jargon der Dialektik", von Jean Amery? Darin beschreibt er, wie eine falsch verstandene Dialektik, so nannte man damals die Ideologiekritik, droht, den bei aller Vermittlung festzuhaltenden Unterschied von Tätern und Opfern zu nivellieren. Ist ganz lesenswert, wie ich finde.

B. Holunder
B. Holunder
7 Jahre zuvor

Als Physiker ohne soziologische Kenntnisse enthalte ich mich einer Bewertung des Artikels von Frau Nabert; ich möchte aber doch der Vollständigkeit halber aus der jüngsten Todesursachenstatistik zitieren:

Position X85-Y09, Todesursache "tätlicher Angriff":
174 Männer
194 Frauen

B. Holunder
B. Holunder
7 Jahre zuvor

Natürlich das Land, von welchem der Artikel, den Sie in Ihrem Artikel kritisieren, handelt:
Bundesrepublik Deutschland.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Todesursachenstatistik 2014.

Zu den Tätern gibt es bessere Zahlen (Kriminalitätsstatistik, dauert aber etliche Stunden, sich da durchzuwühlen, und Vorsicht beim Nachrechnen: die Zahlen der Verurteilten stimmen nicht mit den Zahlen der Taten überein, unter anderem, weil die Prozesse in der Regel nicht im gleichen Jahr stattfinden):
2014 wurden 128 Männer und 14 Frauen wegen Mordes verurteilt (versuchter Mord: 58 Männer, 4 Frauen). Ungefähr die Hälfte der Verurteilten sind schon vor den Mord/Mordversuch mindestens einmal strafrechtlich verurteilt worden, ungefähr ein Viertel der Täter sind vor dem Mord/Mordversuch bereits öfter als viermal strafrechtlich verurteilt worden (ohne Verkehrsdelikte).

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