Torsun Burkhardt, Frontmann der Band Egotronic, hat Rheuma. Dadurch könnte eine Corona-Infektion für ihn gefährlicher verlaufen als für andere in seinem Alter. Im Frühling schloss er sich deshalb in seiner Wohnung ein, nun ist er wieder in Selbstisolation. Wie fühlt es sich an, wenn man sich monatelang zuhause einschließt, weil das eigene Immunsystem durch Rheuma-Medikamente sowieso schon geschwächt ist – und gleichzeitig auch noch die eigene finanzielle Grundlage wegbricht?
Die Infektionszahlen sind hoch, es gibt wieder starke Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Bleibst du viel zuhause?
Ja, ich habe mich seit Anfang Oktober wieder zurückgezogen. Im Gegensatz zum Frühjahr habe ich mich früh auf die Kontaktbeschränkungen vorbereitet, weil ich schon geahnt hatte, dass es im Herbst wieder dazu kommen wird.
Wie hast du denn im Frühjahr reagiert?
Schon bevor die Kontaktbeschränkungen verkündet wurden, hatte ich die Wohnung länger nicht verlassen. Es war ja am Anfang noch gar nicht klar, wie Corona übertragen wird und wie leicht man sich zum Beispiel auf dem Gehweg anstecken kann. Aufgrund meiner Rheuma-Erkrankung nehme ich Immunsuppressiva und habe deswegen, als die ersten Corona-Fälle in Deutschland bekannt wurden, mit meiner Rheumatologin telefoniert. Sie hat mir empfohlen, zur Sicherheit zuhause zu bleiben.
Für dich könnte eine Coronainfektion aufgrund deiner Erkrankung schwerwiegender verlaufen als bei anderen Menschen in deinem Alter. Wie fühlt sich das an?
Überhaupt nicht zu wissen, was das genau für eine Krankheit ist und wie gefährlich sie für einen selbst sein kann, ist sehr beängstigend. Ich habe mir im Frühling jeden Tag von morgens bis abends dutzende Artikel zu Corona durchgelesen bis ich gemerkt habe, dass mich diese Dauer-Konfrontation wahnsinnig macht. Den Nachrichtenkonsum zur Corona-Pandemie habe ich dann auf eine halbe Stunde pro Tag reduziert. Erst als es endlich wärmer wurde und mehr über die Übertragung des Virus bekannt war, hat sich die Situation für mich etwas entspannt. Dann habe ich angefangen, viel spazieren zu gehen und auch langsam wieder Freunde zu treffen – natürlich im Freien. Damit kam für mich zwischenzeitlich ein Stück Normalität zurück.
Aber bis dahin hast du die Wohnung überhaupt nicht verlassen?
Genau, ich war noch nicht einmal spazieren, weil mir das Risiko zu hoch war, mich draußen anzustecken. Ich war so verunsichert, dass ich für mich entschieden habe: Ich bleibe komplett in der Wohnung.
Wie hast Du die Zeit dann verbracht?
Es gibt ja zum Glück das Internet. Ich habe dann alle Streamingdienste abonniert, inklusive Disney+. Am Anfang meiner Selbstisolation hatte ich einen Rheuma-Schub und konnte deswegen erst einmal nicht so viel Musik machen. Irgendwann habe ich dann, um meinem Tag etwas Struktur zu geben, jeden Abend ein Kapitel aus meinem Buch „Raven wegen Deutschland“ auf Facebook vorgelesen. Zum Glück war meine Frau mit mir in der Wohnung, dadurch war ich nicht ganz allein.
Hast Du denn wenigstens einen Balkon, damit du ein bisschen frische Luft schnappen konntest?
Leider nicht. Ich habe deswegen auch einen richtigen Stadt-Koller bekommen. Seit ich vom Dorf in die Stadt gezogen bin, habe ich Großstädte noch nie so satt gehabt wie zu dieser Zeit. In der Pandemie hat das Landleben plötzlich sehr viele Vorteile. Ich habe mir jetzt sogar gute Wanderschuhe gekauft. Meine Frau wandert schon länger, bisher hatte ich da aber keinen Bock drauf. Durch Corona hat das aber natürlich an Reiz gewonnen: Man geht raus in Gegenden, wo keine Menschen sind, und läuft stundenlang durch die Natur. Ich habe die Pampa richtig zu schätzen gelernt.
Wie wirkt sich Corona auf deine finanzielle Situation aus?
Wir waren mitten in unserer Tour, als Corona anfing. Die Auftritte waren schön, die Konzerte gut besucht. Dann plötzlich alles pausieren zu müssen, war natürlich scheiße. Wir haben dann alle Konzerte erst einmal in den Herbst verschoben. Mittlerweile haben wir die komplette Tour abgesagt. Wir wollen nicht das meiner Meinung nach unwürdige Schauspiel mitmachen, Konzerte zig mal zu verschieben. Andere Bands verschieben ihre Konzerte jetzt ins Frühjahr 2021, aber realistisch betrachtet wird auch dann keine Clubtour möglich sein.
Wie ist es für dich, nicht mehr auf der Bühne stehen zu können?
Ganz im Ernst: Das ist nicht mehr schlimm für mich. Früher brauchte ich das, das war wie eine Sucht. Mit dem Alter bin ich da entspannter geworden. Ich fand es in der Zeit vor Corona eher ganz schön, wenn ich ein paar Wochenenden zuhause sein konnte und keine Konzerte spielen musste. Aber natürlich hätte ich die Tour gerne zu Ende gespielt – und irgendwann stellt sich auch die finanzielle Frage. Bisher ist noch alles in Ordnung, ich kam im vergangenen Jahr über die Runden und musste mir keine Gedanken darüber machen, wie ich meine Miete zahle. Aber ich frage mich schon, wie es dieses Jahr wird.
Gerade die Festivalsaison trägt viel zu den Einnahmen bei, oder?
Es fehlen eine ganze Menge GEMA-Einnahmen für Liveauftritte. Die bringen mich normalerweise durchs Jahr. Das ist immer ein sehr wichtiger finanziellen Posten eines jeden Musikers, weil immer weniger Geld durch Albumverkäufe reinkommt. Da ist halt dieses Jahr so gut wie nichts, weil ich nur im vergangenen Januar und Februar Konzerte gespielt habe. Das werde ich bei der GEMA-Ausschüttung bitter spüren. Mit Glück wird es im Sommer mit Hygiene-Konzepten Festivals geben, dann würde ich wieder ein bisschen Geld verdienen. Bis dahin sind es aber noch einige Monate. Und ob und in welcher Form Festivals stattfinden werden, weiß natürlich auch noch niemand.
Wie sehr belastet dich diese Unsicherheit?
Ich hatte 2020 noch Glück im Unglück. Ich habe vorletztes Jahr beschlossen, dass ich nicht mehr das ganze Jahr nur Konzerte spielen möchte. Deswegen habe ich angefangen bei einer Einrichtung in Berlin zu arbeiten, die kulturelle Projekte mit sozial benachteiligten Kindern durchführt. Das war zwar nur ein Nebenjob, Musik ist immer noch meine Haupteinnahmequelle, aber die Arbeit in dieser Einrichtung deckte meine monatlichen Fixkosten. Diesen Job habe ich aber vor kurzem verloren, weil dem Träger das Geld für die Stelle fehlt. Ich bin zwar weit davon entfernt, in Panik zu verfallen, aber so langsam merke ich, dass das 2021 wegen der fehlenden Auftritte und dem Wegfall des Jobs finanziell problematisch werden kann. Meine Angst vor einer Corona-Ansteckung ist geringer als im Frühjahr, weil man inzwischen viel mehr über das Virus weiß. Aber die finanziellen Sorgen nehmen zu.
Wie werden denn die laufenden Kosten der Band gedeckt?
Wir haben ein staatliches Corona-Hilfspaket in Anspruch genommen, um unsere laufenden Kosten zu decken. Damit wird zum Beispiel der Proberaum, ein Instrumentenlager und unser Steuerberater bezahlt. Ich glaube, anderen Musikern geht es schlechter als uns.
Du hast gesagt, dass du dich dieses Mal besser auf die Kontaktbeschränkungen vorbereitet hast – was hat sich denn geändert?
Im Frühling hatte ich keine Tagesstruktur, sondern habe die meiste Zeit einfach nur rumgehangen. Das soll jetzt anders werden. Ich mache viel Musik. Dieses Jahr steht ja auch 20 Jahre Egotronic an, da soll natürlich auch etwas erscheinen. Außerdem mache ich jetzt drei Mal pro Woche Fitness-Workouts zuhause. Diesen Winter werde ich nicht so versumpfen wie im Frühjahr.
Vielen Dank für das gute Interview. Auf das man bald wieder Konzerte besuchen oder in Clubs gehen darf.
Eine Frage ist mir beim Lesen des Interviews gekommen.
Frage: Wie werden denn die laufenden Kosten der Band gedeckt?
Antwort: Wir haben ein staatliches Corona-Hilfspaket in Anspruch genommen, um unsere laufenden Kosten zu decken. Damit wird zum Beispiel der Proberaum, ein Instrumentenlager und unser Steuerberater bezahlt. Ich glaube, anderen Musikern geht es schlechter als uns.
Daran schließt sich mir die Frage an: Könntet ihr Torsun mal fragen, ob der Vermieter des Proberaums ob der derzeitigen fehlenden Einkünfte von Bands wie Egotronic die Miete für den Proberaum wenigstens teilweise erlassen hat (also ohne Stundung)? Oder muss die komplette Miete gezahlt werden?
sehr starkes Feature, besten Dank dafür!
Sehr interessantes Interview. Vielen Dank für diesen Beitrag.
Hi Jürgen,
wir haben mit der Band monatlich einige 100 Euro an laufenden Kosten.
Einen Mieterlass für unseren Proberaum, der gleichzeitig Studio und Lager ist, gab es leider nicht.
Beste Grüße,
Torsun
Eine antideutsche Band beantragt staatliche Hilfen.
Konsequent.
PS: Grüße an alle arbeitenden Menschen mit Vorerkrankungen, die nicht so privilegiert sind und sich zu Hause einschließen können.