Eigentlich wollte ich diese Begegnung verschweigen. Aber in Anbetracht der wiederholten religiösen Debatten in den letzten Wochen in diesem Blog konnte ich es dann doch nicht. Und natürlich konnte ich auch nicht ahnen, dass Gott mich ein drittes Mal aufsuchen würde. Ich, wie ihr wisst, würde das umgekehrt niemals tun. Nicht nur weil ich nicht an ein höheres Wesen glaube. Ich würde deswegen ja auch nicht wissen, wo ich ihn finden könnte. Aber er hat mich mal wieder besucht: In Berlin Wedding auf einer Bank direkt an der Panke. Ganz in der Nähe von meinem Büro. Also ganz in der Nähe von dem Ort, ihr erinnert euch, wo er das erste Mal aufgekreuzt , sorry, mir erschienen ist.
Er scheint kanalartige Gewässer zu lieben. Oder besser sie, denn urplötzlich saß eine Frau mit Kopftuch neben mir. Es war das schönste seiner Art, das ich je in Deutschland gesehen habe. Mehrfach zu einer Art Turban um den Kopf gewunden um dann in einem ganz feinen leichtenSchleier über Brust und Schulter zu fallen. Auf jeder orientalischen Modenschau hätte es den ersten Preis für weibliche Kopfbedeckungen abgeräumt.
Sie lächelte mich an und ich erkannte sofort seine Gesichtszüge. Diese unglaubliche Androgynität und alterslose Schönheit war nun mal sein oder besser ihr Markenzeichen. Ich warmir also ganz sicher, dass das das Haar unter dem seidenen, goldverzierten und mit feinen Strassperlen besetzen Kopfschmuck schloweiß und hinten in einem Knoten zusammen gebunden war.
Gott als muslimische Frau, Leute, ich hatte an diesem sonnig-warmen Herbstnachmittag mit allem gerechnet, nur nicht damit. Nicht das im Wedding eine Frau mit Kopftuch eine Seltenheit wäre. Ganz im Gegenteil. Aber dass die sich so mir nicht dir nichts einfach neben einen fremden Mann setzt und ihn offen anlächelt, allein das ist hier schon sehr sehr ungewöhnlich. Aber dass es sich dabei um eine Göttin handelt hätte mir hier niemand geglaubt.
Deswegen ließ ich mir natürlich auch nichts anmerken. Allah als Frau, das wäre auch für einen liberalen Muslimen eine religiöse Überforderung gewesen. Von einer Prophetin hatte ich bislang auch im Koran noch nichts gelesen. Also nahm ich dieses Mal meinen Kontakt mit Gott sehr vosichtig, geradezu unmerklich auf, in dem ich eine Seite meines Notizbuches, dass ich immer bei mir führe, nur mit „Gott?“ bekritzelte und es dabei so hielt, dass meine Göttin es ohne große Kopfbewegung aus den Augenwinkeln lesen konnte.
Sie nickte und ich war erleichtert. Wäre sie nicht Gott gewesen hätt es leicht Stress geben können. Anmache per Zettel ist eben auch Anmache und das mögen(nicht nur) Musliminnen nicht so gerne. Erst recht nicht wenn ein Mitglied der Familie in der Nähe ist und das ist es im Wedding fast immer. Ein kurzer Aufschrei und ich wäre umzingelt gewesen. Aber warum sollte eine Göttin schreien.
Sie tat es auf jeden Fall nicht und so konnten wir reden. Das ist im Wedding auch zwischen Muslimen und Nichtmuslimen kein Problem. Auch nicht wenn sie verschiedenen Geschlechtes sind. Es gibt sogar eine Menge Bekanntschaften, ja sogar Freundschaften über die religiösen Schranken hinweg. Natürlch auch entsprechende Kommunikation auf Parkbänken und damit waren Gott und ich mit einem Schlag in einer ganz und gar unverfänglichen Situation.
„Wieso dieses Mal als Frau?“ legte ich los. Sie schürzte ihre, wie ich nun sehen konnte, unauffällig aber nichdestortrotz deutlich geschminkten Lippen und gab in durchaus weiblicher Schnippigkeit zurück: „Vielleicht, weil ich eine Frau bin?“. Jetzt vielen mir auch ihr Liedschatten und die mit Kajal nachgezogenen Augenränder auf. Unvermeidlich auch die unglaublich tiefbraunen und strahlenden Augen die sie wie ein organischer Bilderrahmen umschlossen. Mir wurde unwohl in meiner Haut, denn Gott gefiel mir als Frau.
Er schien das zu merken und mit einem Schlag nahm das Andrgyne in seinen Gesichstzügen wieder überhand, ja kehrte sich fast ins Männliche. Er konnte wirklich sein Geschlecht wählen. Vielleicht ist Judith Butler nicht nur eine geniale Wissenschaftlerin, sondern zugleich eine Prophetin. Wohlmöglich tun ihr also alle ihre Kritiker unrecht.
„Ich bin natürlich beides“ sagte Gott mit hörbar tiefer gelegter Stimme. „Wie hätte ich sonst Mann u n d Frau erschaffen können.“ Das klang überzeugend. Ich beruhigte mich etwas. „Und wie soll ich dich jetzt anreden? Mit Gott oder Göttin?“ Er/Sie überlegt nicht lange: „ Ist mir egal“. Konnte ihm ja auch egal sein. Er konnte als Gott oder besser als Göttin geschlechtlich ja nicht benachteiligt, geschweige denn unterdrückt werden.
Frauenemanzipation war also nicht sein Thema. Gleichberechtigung von Mann und Frau hatte er für sich selbst von Anfang realisiert. Wenn ihm einer als Göttin doof kam schaltete er einfach auf Gott und zeigt dem Typen im wahrsten Sinne wo der Hammer hängt. Aber wie war es bei ihm mit Sex. War das für ihn oder für sie überhaupt ein Thema?
Unterhalb seines Kopfes war nicht deutlich zu sehen, welchen Geschlechtes er angehört. Ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Kopftuch-Musliminnen im Wedding. Zumindest den Jüngeren. Bei einigen konnte man es sogar ganz besonders gut sehen, ja man hatte das Gefühl, dass sie auch wollten, dass man(n) das tut. Offen gesagt zu meiner Freude, den ich bin nun mal stock-hetero.
Meine Kopftuch-Göttin dagegen legte es eindeutig nicht darauf an. Sie hat das wohl auch nicht nötig, stand sie doch über den weltlichen Dingen. Erst recht wo sie ja beides war, wie ich gerade von ihr selbst gehört hatte. Ergo musste sie auch über dem Sex stehen, bzw. konnte sie ja in gewisser Weise Sex mit sich selbst haben und das im Gegensatz zu uns Menschen in heterosexueller Form.
Was für eine totale sexuelle und emotionale Unabhängigkeit. Mir fiel es wieder einmal wie Schuppen von den Augen. Wie sollte man den sonst absolut über den Dingen stehen. Nur wenn man von Niemanden anderen abhängig ist. Auch und gerade körperlich. Wenn man keine diesbezüglichen Wünsche mehr hat, weil man sie sich alle selbst erfüllen kann. Gott war zwar nicht körper- dafür aber wunschlos. Zumindest nach dem er die Welt geschaffen hatte. Dachte ich.
Aber so ganz konnte das nicht stimmen. Er hatte ja nochmal bei der Entstehung des menschlichen Gehirns nachgeholfen. Aber sexuelle Wünsche hatte er wohl nicht, das war ziemlich logisch. Ehrlich gesagt traute ich mich auch nicht, danach zu fragen. Es war mir beim letzten Mal schon peinlich genug raus zu kitzeln, ob er beschnitten ist. Aber als Frau, dachte ich, ist er vielleicht offener gegenüber diesem Thema. Ich könnte ja nicht nach ihrem eigenen Sex fragen, sondern was sie allgemein davon hält.
„Was hältst du vom Sex zwischen Mann und Frau? Ja vom Sex überhaupt? Wo du beide Geschlechter erschaffen hast. Also ich frage dich jetzt sozusagen als Frau und als Mann gleichzeitig“. Es war gar nicht so schwer wie ich gedacht hatte. Ich hatte diese Sätze fast locker zu ihr rüber geschoben. Sie lächelte dieses allwissende Lächeln, das ich an ihm schon kannte. Als hätte sie mit der Frage gerechnet.
„Sex hält die Menschen auf Trab, auch die die keinen haben. Ja gerade die. Die Menschen können nämlich im Prinzip immer. Und genau das wollte ich auch so.“ Das war eine klare Ansage. Gott hat die Menschen absichtlich als eine Art erotischer Wünschelruten konstruiert, die immer und überall nach körperlicher Vereinigung suchen. So konnten sie dem Wunsch nach Sex einfach nicht entkommen. Egal wie oft sie ihm zu entsagen versuchten oder mussten. Eine verdammt hinterhältige Nummer.
„Aber wieso willst du die Menschen immer auf Trab halten?“ fragte ich. „Warum willst du, dass sie sich immer nur mit sich selbst in Form der anderen beschäftigen?“ Ich hätte mir die Frage eigentlich sparen können, wenn ich mich deutlicher an unsere bisherigen Gespräche erinnert hätte. Aber in der Zwischenzeit hatte meine Göttin zwei kleine aber feine Fläschchen Wein, natürlich ohne Etikettierung, aus ihrem weiten aber nichts destotrotz eleganten mantelartigen Umhang gezogen und mir eine davon ganz unauffällig zugesteckt und ich hatte schon ein paar erfrischende Schlucke zu mir genommen.
„Damit sie mich in Ruhe lassen, Arnold“. Gott nannte mich zum ersten Mal bei meinem Namen und ich war irgendwie gerührt. Unser Gespräch bekam damit eine sehr persönliche und, da ihn eine Frau ausgesprochen hatte, auch eine, wenn auch sehr verhaltene, erotische Note. Ich ließ mir natürlich nichts anmerken. Er jedoch hatte mich als Allwissender natürlich sofort durchschaut. „Erst recht wenn sie mich als Sexobjekt missbrauchen wollen, wie viele der weiblichen und männlichen Frömmler“, kam es laut und deutlich hinterher.
Klar, er oder besser sie hatte die Evolution erfunden, damit sie danach ihre Ruhe hatte. Sie hatte das Weltall mit einem dauernden Selbstausdehnungsmechanismus versehen, damit sie sich nicht mehr darum kümmern musste. Uns hatte sie dafür mit unstillbarem Berührungsverlangen ausgestattet, dass sich in der geschlechtlichen Vereinigung immer wieder seinen Höhepunkt sucht. Damit waren alle ihre Produkte komplett auf Eigendynamik angelegt und sie konnte sich raushalten. Ewiger Feierabend sozusagen. Vielleicht warGott ja der allererste Gewerkschafter. Obwohl, Gott und Ausbeutung? Was für eine abwegiger Zusamenhang.
Es gabe eine wesentlich überzeugendere Erklärung für sein Verhalten: Gott wollte mit seinen eigenen Schöpfung nach ihrer Erschaffung nichts mehr zu tun haben. Sie sollte ihre eigen Wege gehen und ihn nicht weiter belästigen. Genial gedacht.
Aber bei den Menschen hatte das nicht geklappt.Sie ließen ihn trotzdem oder gerade deswegen nicht in Ruhe. Zumindest nicht die Gläubigen unter ihnen. Dagegen konnte er offensichtlich nichts tun. Er fühlte sich von ihnen sogar missbraucht. Zum Objekt ihrer Wünsche gemacht. Der geniale Gedankenschuss war anscheinend nach hinten losgegangen. Zumindest für Gott. Statt bei der Entwicklung des Gehirns noch mal einen beschleunigenden Eingriff vorzunehmen hätte er die Menschen im tierischen Status belassen sollen. Als Allmächtiger hätte er es tun können.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, was sie als Allwissendende ja auch konnte, sagte sie sehr sanft, aber auch leicht verbittert: „Ich habe einfach nicht für möglich gehalten, dass die Menschen, nach dem ich ihnen zu ihrem besonderen Gehirn verholfen hatte, irgendwann umgekehrt mich erschaffen würden. Das die Geschöpfe ihren Schöpfer erschaffen, um ihn dann für ihre Zwecke instrumentalisieren zu können.“
Gott war also doch kein Genie, dacht ich spontan. Er war in gewisser Weise in seine eigene Falle getappt. Er wollte sich nach der Erschaffung der Welt zurück ziehen, quasi existenzlos bleiben, was eigentlich von großer Bescheidenheit zeugt, und wurde dann von den Menschen zu einer Existenz gezwungen, die er selbst nie gewollt hat.„ Das schlimmste war für mich, dass sie auch noch behaupteten, dass ich sie erschaffen hatte. Was für ein abgefeimter Trick, denn nun war ich letztlich an allem schuld.“ Seufzte sie.
„Aber du hast sie doch erschaffen, oder?“ warf ich ein. Sie nickte. „Aber davon konnten sie nichts wissen. Beweise gibt es dafür nämlich nicht. Dafür habe ich gesorgt. Sie lügen also wenn sie sagen, sie hätten welche.“ „Aber nur subjektiv“ gab ich zu Bedenken. „Wie denn sonst? Sie sind nur Menschen!“ gab sie zurück. Das fand ich jetzt etwas überheblich. Aber letztlich hatte sie recht. Nur Allwissende können wissen ob es einen Gott gibt und ob er die Welt erschaffen hat.
„Ich hätte wissen müssen, dass die Menschen liebend gerne jede Art von Schuld auf andere schieben. Sie werden mich also allein aus diesem Grunde nie sterben lassen“ das klang jetzt sogar ein bisschen verzweifelt. Ich war drauf und dran, sie in den Arm zu nehmen. Sie fühlte sich offensichtlich überladen mit all den Wünschen und Hoffnungen der Gläubigen. Überfordert von ihren Rach- und Überlegenheitsgelüsten, ihrem Liebesdurst und ihren nie endenden Ängsten, ihrer Sehnsucht nach dem Glück und ihrem Hass auf alles, wenn es damit nicht geklappt hat.
„ Es gab also nur ein Lösung für mich: Zu Schweigen. Für immer und ewig.“ Oh Mann Leute, die Sache wurde jetzt richtig absurd. Denn sie schwieg ja nicht. Sie saß neben mir und sprach. Hatte ich schon zu viel von dem köstlichen Wein genossen? Und sie vielleicht auch? Ich hatte bei ihr nicht darauf geachtet. Aber es würde ihre zunehmende Offenheit, ja Emotionalität erklären. Sie war anscheinend den Tränen nahe und das macht sie noch schöner und mich verwirrter. Gott war jetzt ganz Frau und eindeutig auch nicht mehr allwissend.
Ich wusste nicht was ich tun sollte. Gott berühren? Ihre Hand nehmen? Ich zwang mich, sie nicht anzuschauen. Ich musste hier den klaren Kopf bewahren. Gott brauchte Hilfe. Aber wer könnte Gott helfen? Ein Mensch wie ich? Obendrein einer, der gar nicht an ihn glaubt? Das war ein Widerspruch in sich, denn dazu hätte ich ja erst mal seine Existenz anerkennen müssen. Dafür gab es aber, wie er selbst gesagt hatte, gar keine Beweise. Ich stand also vor einem logischen Rätsel. Ich kam ins Grübeln und schaute dabei weiter starr nach vorne.
Der Allwissende hatte alle Beweise für seine Existenz verschwinden lassen. Im Prinzip konnte er also nicht mal mehr selbst seine Existenz beweisen. Andererseits musste ich ihm Glauben schenken, weil er ja als allwissend gilt und obendrein leibhaftig neben mir saß. Als Frau. Ich nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Als Muslimin! Ich nahm noch einen. Ich schaute nach rechts.
Sie war weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Ich war mutterseelen allein auf meiner Bank. Nicht zu fassen. Ich nahm noch einen Schluck. Dann war die Flasche leer. Hatte ich Halluzinationen gehabt? Ich schaute unter die Bank. Nein, sie hatte dort noch ein Fläschchen für mich hingestellt. Voll. Mit einem kleinen Gruß drauf statt eines Etikettes: „War gut mal wieder zu reden. Danke Arnold“. Ich konnte nicht anders, ich musste auch diese Flasche noch killen. Sofort. Als ich wieder zu mir kam kam mir alles wie ein Traum vor, obwohl es, glaube ich, wirklich passiert ist.
Auf jeden Fall sehe ich seitdem Frauen mit Kopftuch mit ganz anderen Augen.
Er beschäftigt Sie, Monsignore Voss, oft in letzter Zeit, Ihr Gott! 😉