„Meine Farben zusammengemischt, meine Leinwände übermalt“

Dieter Krieg, Ohne Titel, 1997


Dieter Krieg im Museum Küppersmühle Duisburg.

In seinem 20. Todesjahr macht der schnelllebige Kunstmarkt-Zirkus nun Station im Museum Küppersmühle, um den jahrelang unbeachteten, übersehenen Künstler Dieter Krieg mit der größten Ausstellung seit langem dem Vergessen zu entreißen. Ausnahmen bildeten in der Vergangenheit das Museum Bochum 2001 und 2006, das Arp-Museum Rolandseck und Bonn 2007 und 2022/23, im Jubiläumsjahr der Kunstakademie Düsseldorf, an der Krieg seit 1978 lehrte, die feine, kleine Schau „gut für die Augn“ in deren Galerie. In der Sammlung des Kolumba Köln finden sich immerhin einige seiner Gemälde, die in den thematischen Jahresausstellungen immer wieder in Erscheinung treten.

Wenn die Wünsche nur noch „hohl und weitfaltig um gemagerte Dinge“ hängen, merkte der vor knapp fünf Jahren verstorbene legendäre Religionsphilosoph Klaus Heinrich an, droht sich die Wahrheit in der Gesellschaft selbst als Utopie zu zersetzen. Der Kunst wird eine Aufgabe zuteil, die vielleicht nur sie lösen kann: Dem noch nicht verbrauchten Geist des Wortes Gehör zu verschaffen, die Bedeutung der Dinge zu rekonstruieren, die Lebensfülle der Symbole und Mythen zu sagen, die Phantasie der Macht entgegenzusetzen. Dieter Krieg kämpfte in besonderer Weise auf diesem vorgeschobenen Posten.

Nun haben wir das Glück, 70 Gemälde seines Spätwerks aus den 1980er und 1990er Jahren wiederzusehen, in den weiten, hohen Sälen eines ehemaligen Getreidespeichers, wie geschaffen für die „Riesenbilder“, die dort unter dem Titel „Maler, Diebe und Gesindel“ versammelt wurden.

Dieter Krieg, Ohne Titel, 1994

Gegen die seit Kriegsende vorherrschende Abstraktion setzten sich in Westdeutschland einige wenige Maler wie Dieter Krieg, Walter Stöhrer und Horst Antes mit der Figur /Gestalt auseinander. Um dieses Phänomen mit seinen jeweils individuellen Ausprägungen als Stil handhabbar zu machen, fand die Kunstkritik den Begriff „Neue Figuration“.

Seinen unverwechselbaren Stil begründete Krieg schon in frühen Jahren mit radikalen konzeptuellen Experimenten, um dann in den frühen 1970er Jahren Alltagsgegenstände und Worte auf seine Leinwand zu bannen.1978 wurde er (mit Ulrich Rückriem) ausgewählt, im Deutschen Pavillon der Biennale Venedig auszustellen und sorgte für einen Eklat, weil er seine Arbeiten auf Papier nicht rahmte sondern an die Wand tackerte. Dieser Affront markiert genau genommen schon den Gipfel seiner Bekanntheit.

In einem ungewissen Zustand zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht verharren die riesenhaft vergrößerten Dinge Kriegs Bildraum. Ihr Gewicht und ihre Konkretheit scheinen im Prozess ihrer Auflösung dramatisch zu schweben. „Wir leben ja von der vorgetäuschten Wirklichkeit“, so Dieter Krieg und trotzte aller Vergeblichkeit mit pfundweise Farbe, die er mit heftigstem malerischen Gestus auf die Leinwand brachte.

Das Kotelett, das Spiegelei und eine Reihe anderer Alltagsgegenstände bilden Kriegs Vokabular, das er mit wechselnden Betonungen immer wieder einsetzt. Die Wirklichkeit ist nicht, was sie zu sein vorgibt, sie lässt da sich eben nicht leicht durchschauen: All das komprimiert das Bildmotiv „ach!“. Hier sind die Lügen der Bilder Programm, die Stöcke und Kerzen, Thermometer und Salatköpfe gehorchen nicht herkömmlicher Symbolik und Metaphorik. Sinn wird als bloße Konstruktion entlarvt. In Kriegs Spätwerk treten die Dinge des Lebens als fortwährendes Zugrundegehen hervor.

Betrachten wir Dieter Kriegs „Schriftbilder“ als sprachkritische Kommentare wie auch als Ehrerbietungen an geliebte Dichter, so tut sich uns seine Bibliothek auf wie der Spiegel eines leidenschaftlichen Literaturliebhabers. Wir finden etwa in dem wandfüllenden Gemälde „Dr. Billig“ – eine Verneigung vor dem Dadaisten Richard Huelsenbeck und seinem Roman „Dr. Billig am Ende“ den Satz: „Billig, der sich durch sich selbst mit den Dingen beschäftigt, versteht alles und rast“: Dramatische Wirklichkeit als Quelle fortgesetzter Täuschungen.

Mit Samuel Beckett und seinem Entwurf des absurden Theaters, das in existenzieller Sicht die Sinnlosigkeit der Welt darstellt, hat Dieter Krieg sich eingehend befasst. Auf Thomas Bernhards erstes Peymann-Dramolett bezieht sich die ironische Bilderserie: „Hosn kaufen bis zum Tod“. Die Fragwürdigkeit der Sprache malt der Künstler in Zitat-Bruchstücken von Friedrich Nietzsche, Arno Schmidt, Robert Musil, Franz Kafka u.a. auf seine Bilder und dramatisiert so das unaufhaltsame Zugrundegehen der Welt. „Die Meisterschaft des Bildes triumphiert über die dargestellte Verkümmerung, so wie bei Beckett die Meisterschaft des Wortes über seine amputierten, gefesselten Gestalten triumphiert.“ (Peter Dittmar)

Irmgard Bernrieder

(Ausstellungseröffnung: Montag, 24. März, 19 Uhr; bis 24. August)

 

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