AfD-Chef Bernd Lucke beklagt sich über angeblich manipulierte Ergebnisse für seine Partei bei den Wahlumfragen. Dass diese Zahlen ohnehin wenig aussagekräftig sind, weiß unsere Gastautorin, die selbst jahrelang bei einem großen Meinungsforschungsinstitut gearbeitet hat. Sie berichtet von Tricks, Finten und „Abkürzungen“ bei der Meinungserhebung. Von unserer Gastautorin Kira Blome.
Wenn die Leute wüssten wie bei den Instituten zur Erhebung der öffentlichen Meinung gearbeitet wird, würden sie auf die Ergebnisse nichts geben. Ich selbst habe vier Jahre lang im Call-Center eines solchen Institutes gearbeitet, und tagein, tagaus Umfragen mit Menschen aus der ganzen Republik geführt.
Wir saßen in einem Großraumbüro in einem Gewerbegebiet. Insgesamt waren an die 60 Leute in einem Raum, alle angeschlossen an Headset und PC. Wir waren sozusagen das kleinste Rädchen im Getriebe. Der Anfang eines solchen Gesprächs war immer gleich: Jemand nimmt ab, du sagst brav dein Einleitungssätzchen auf und hoffst, dass die Person mitmacht. Am Anfang einer jeden Umfrage gibt es einen obligatorischen Fragenkatalog, der sich um Produkte und Konsumverhalten dreht. Alles was danach kommt, kann täglich variieren: Fragen zu Wirtschaft und Politik, zu aktuellen staatlichen Kampagnen, Shampoo, Hygieneverhalten, was eben gerade so anfällt.
Den Kunden bei Laune halten? Ätzend!
Bei gewissen Fragen wussten wir: Wenn die Angerufene jetzt mit „ja“ antwortet, ploppt auf dem Bildschirm ein neuer Fragenkomplex auf, den man erst durchgehen muss, bevor es weiter geht. Weil das in manchen Fällen bedeutet, die Kundin eine Viertelstunde länger bei Laune halten zu müssen, hat es sich kultiviert, dass wir das „ja“ des Befragten zu einem „nein“ machten. Beispiel: „Haben sie Haustiere?“ Bei „ja“ öffnet sich ein elendig langer Fragenkomplex der sich um irgendwelche Anti-Floh-Mittel dreht. Da muss man dann etwa 20 Mittelchen, von denen noch nie jemand etwas gehört hat, der Reihe nach durchgehen und zu jedem Fragen ob und wenn ja, wie oft die Person dies benutzt. Als Auftakt zu mehr, versteht sich. Einwände wie: „Mein Haustier hat keine Flöhe!“ lässt der Computer nicht gelten. Da juckt’s in den Fingern, von vornherein pauschal auf „nein“ zu klicken.
Genau so bei Wirtschaftsfragen: Da konnten dann schon mal 50 Fragen zu einem Thema kommen,von dem weder die Anruferin, noch die Angerufene etwas versteht. Widerstand zwecklos. Manche Umfragen dauerten eine dreiviertel Stunde, während wir dazu angehalten waren, den Kunden im Vorfeld etwas von „fünf Minuten“ zu erzählen. Den Ärger darüber mussten natürlich wir ausbaden.
Das gleiche gilt für politische Fragen. Auch hier tippten wir im Grunde ein, was uns die wenigste Arbeit bescherte. Manchmal lasen wir auch nur jede dritte oder vierte Frage vor, während wir in Wahrheit den Großteil via „Weiß nicht“ wegklickten. Oder wir verwickelten die Angerufenen in Gespräche über irgendetwas Spannenderes als diese blöde Umfrage, während wir uns diskret durch sie durch klickten. Vier, fünf Fragen zwischendurch eingestreut, und gut ist.
Witze über die Umfragegläubigkeit
Warum taten wir das? Der Job war zermürbend. Zwischen den Gesprächen gab es praktisch keine Pause, legte jemand auf, dauerte es nur Sekunden, bis der Nächste in der Leitung war. Und das ganze mit einem Einstiegsgehalt von fünf Euro pro Stunde! Hinzu kamen die „Teamleiterinnen“ die eher an Aufseherinnen in sibirischen Arbeitslagern erinnerten. Sie drehten akribisch ihre Runden, immer auf der Suche nach etwas das ihnen nicht passte. Auf irgendeine Art und Weise vertrieben wir uns auch so die Zeit: Wer schaffte es, während der Arbeit unentdeckt Zeitung zu lesen, Sudoku zu spielen oder Uni-Krams zu machen? Nur so blieben wir bei Verstand.
Was ich damit sagen will: Die Leute, die letztendlich die Zahlen erheben, die Sonntagsfrage stellen und nach weiteren politischen Präferenzen fragen, haben dabei recht freie Hand. Ich will nicht sagen dass das jede und jeder macht, aber für mein Call-Center traf das schon auf die Mehrheit der Leute zu. Nach der Arbeit witzelten wir häufig über die verbreitete Umfrage-Gläubigkeit in diesem Land. „Wenn DIE wüssten…“, scherzten wir immer. Seit ich dort gearbeitet habe, vertraue ich erst recht keiner Umfrage mehr und muss immer herzlich lachen, wenn Politik und Sendeanstalten analytisch über die frischesten Erhebungen herfallen.
Naja der Beitrag ist dann empirisch aber auch nicht ganz aussagekräftig 😉 Ich hab auch schon oft als Telefoninterviewer gearbeitet und war eigentlich immer froh, wenn das Interview lange dauerte, da so die Arbeitszeit (gefühlt) schneller rumging.
Das war im Analogzeitalter nicht wesentlich besser. Die Befrager mussten bei jedem Scheißwetter zeugenjehovashaft von Tür zu Tür ziehen. Auch da fand sich immer eine Abkürzung. Mitarbeiter eines seriösen Instituts: „Wir machen ein paar Befragungen, treffen uns in der Eckkneipe und legen den Trend fest.“
Wenn die Leute ebenso wüssten, wie unverfroren und trickreich die Tür-zu-Tür-Interviews gefaked werden (ich kenne so einige Mitarbeiter der ganz großen Institute, welche ganze Dörfer an Interviewten rein erfunden haben), dann würden sie evt. drüber nachdenken, dass rein wissenschaftlich betrachtet das nicht ganz triviale „Erfinden“ einer repräsentativen Grundgesamtheit aus der Auftraggeber-Perspektive sehr viel „brauchbarere“ Ergebnisse bringt als die Realität.
Dass die Institute um solche Schummeleien wissen und sie bis zu dem Moment tolerieren, an dem der Auftraggeber Stichproben-Nachweise verlangt, weiß ich ebenso aus eigener Erfahrung. Es sind halt die Auftraggeber aus Industrie und Handel, die wie vor 40 Jahren auf solche altbackenen Methoden setzen möchten, da ihnen alles Andere (und vor allem das Netz) viel zu suspekt erscheint. Nichts ist reaktionärer als Marketing-Abteilungen der Großindustrie.
Im tagtäglichen Kampf um den höchstmöglichen Gewinn in Banken und Unternehmen, im tagtäglichen Kampf um Macht in Staat und Gesellschaft, im tagtäglichen Kampf der Medien um den höchstmöglichen Werbeetat „heiligt“ eben jedes Mittel diesen Zweck, eben auch das Mittel der manipulierten Umfrage.
Kann das jemanden als Subjekt und Objekt in einer kapitalistischen Staats- und Gesellschaftsordnung, die sich immer mehr, immer schneller, immer radikaler nach dem Vorbild der USA aller sozialpolitisch begründeten Schranken zu entledigen versucht, überraschen?
@Walter Stach: Demoskopische Beeinflussung kennt unsere Demokratie spätestens seit Gründung des Allensbach-Instituts durch Elisabeth Noelle-Neumann, die „Pythia vom Bodensee“ mit ihrer angeblichen Vorhersage der WW2-Niederlage der Nazis und die CDU-„Glückwünscherin“, in 1947.
Ich habe nicht den Eindruck, dass damals schon die USA versucht hatten, „immer mehr, immer schneller, immer radikaler aller sozialpolitisch begründeten Schranken zu entledigen“ oder dass es hierzulande dazu ähnliche Bestrebungen gab.
Es wurde in fremdbeschämender Schlichtheit nur versucht, mittels pseudowissenschaftlicher Beschreibungen die Realität vorherzusagen, was – wenn man die Ergebnisse solcher demoskopischer Untersuchungen im Nachgang vergleicht – nie wirklich gelang.
Jaja,
bald werden die Wahlen durch Umfragen von 1500 Leuten entschieden weil sie ja so zutreffend sind.. ein Schelm wer böses denkt!
gruß
Ekki
Klaus Lohmann,
ich habe u.a. angemerkt, daß „manipulierte Umfragen“ das ganz selbstverständliches Produkt einer Gesellschaft sind, in der der tagtägliche Kampf um die Macht Denken und Handeln der Akteure – „der gesellschaftlich relevanten?“-bestimmt.
Und Allensbach ( mit der Adenauer Vertrauten Nolle-Neuman) hat seinerzeit mit manipulierten Umfragen alles getan, um die Macht Adenauers zu sichern.
Ich habe nur deshalb die USA erwähnt, weil ich der Auffassung bin, daß wir den „Tanz um das goldene Kalb Macht“, Macht in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft,eben auch in der Politik,aber nicht nur dort, in den letzten 5o Jahren von Jahr zu Jahr stetig forciert haben und uns dazu auch immer mehr und immer unverhohlener manipulierter Umfragen bedienen.
Dabei ist Einiges auf der Strecke geblieben, was zu meinem Verständnis von einer menschenwürdigen Staats- udn Gesellschaftsordnung gehört.
#4 | Walter Stach
Im tagtäglichen Kampf um den höchstmöglichen Gewinn in Banken und Unternehmen, im tagtäglichen Kampf um Macht in Staat und Gesellschaft, im tagtäglichen Kampf der Medien um den höchstmöglichen Werbeetat “heiligt” eben jedes Mittel diesen Zweck, eben auch das Mittel der manipulierten Umfrage.
Kann das jemanden als Subjekt und Objekt in einer kapitalistischen Staats- und Gesellschaftsordnung, die sich immer mehr, immer schneller, immer radikaler nach dem Vorbild der USA aller sozialpolitisch begründeten Schranken zu entledigen versucht, überraschen?
Nein – aber warum ist das so?