„Mich mangeln die Wörter“ (5) – Heute: RESPEKT!

NYC/Börse – © Herholz

Bisweilen lese ich – überfüttert – nicht sehr viel, dann wiederum – lesewütig – mehr als mir gut tut. So wird an manchen Tagen – Lesefrucht um Lesefrucht – ein wahrlich sauberes Lese-Früchtchen aus mir.
Wie heute, da ich bei Wikiquote lesen muss, dass Starjournalist Hans-Ulrich Jörges vom Stern unbestritten gesagt haben soll:
„Ich habe Josef Ackermann einmal gefragt, (…), warum er als reicher Mann überhaupt 14 Millionen verdienen müsse, warum es nicht auch sieben oder neun Millionen täten. Er brauche das Geld gar nicht, hat er geantwortet, er lebe bescheiden (…), aber die ehrgeizigen jungen Leute in der Bank verlören ihre Motivation und den Respekt vor ihm, wenn er nicht nähme, was möglich sei.“ (Nr. 44/2008 vom 23. Oktober 2008, S. 60, stern.de)

„Respekt“, das kam einmal von „Rücksicht“
Respekt, so heißt es wiederum bei Wikipedia, komme aus dem Lateinischen (respectus) und bedeute „Zurückschauen, Rücksicht, Berücksichtigung“. Das Wort bezeichne eine Form der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung gegenüber einem anderen Lebewesen (Respektsperson) oder einer Institution. Eine Steigerung des Respektes sei die Ehrfurcht, etwa vor einer Gottheit.

Wolfsrudelmentalität?
Josef Ackermann jedenfalls wähnt, laut Zitat, Respekt fließe ihm vermehrt zu, Respekt verdiene er ganz besonders, wenn er unendlich viel verdiene, wenn er sich nehme, was möglich sei.
Das scheint als Zeitgeist-Lüge sich einzunisten ins Bewusstsein vieler, dieser heruntergekommene Liberalismus: Wenn ich für mich nur das Größtmögliche heraushole, wird’s schon gut gehen, vielleicht auch bei allen anderen. Rücksicht jedoch auf die, die das Geld erst erwirtschaften müssen, das da Banker global und vehement beanspruchen, schimmert nirgends mehr durch. Es lohnt es sich für die Vorweggeher einfach nicht mehr sich umzudrehen, zurückzuschauen auf jene, die man zurücklässt. So wird Respekt heute vor allem jenen gezollt, die keinerlei Rücksicht mehr nehmen, indem auch jeder von ihnen nur selbst sich nimmt, „was möglich sei“. Und wo genau endet dieses „was möglich sei“? The winner takes it all?

Wer kann, rettet sich nach Oben
Managergehälter, das sind längst nicht mehr Entlohnungen für eine 70 bis 80-Stunden-Woche (Arbeitsessen etc. inklusiv), dies leisten auch andere aus der Schicht der Working Poor oder engagierte Lehrer, Ärzte, kleine Selbstständige. Managergehälter sind eine Apanage, eine Abfindung fürs Sich-Abfinden, ein Riesen-VerSchweige-Geld, also Zuwendungen, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Eliteschicht symbolisieren. In der heutigen neoliberalen Ökonomie lässt sich die Elite, die den großen Umverteilungskampf von Unten nach Oben organisiert und führt, großzügig mit der finanziellen Garantie bezahlen, absolut todsicher nie mehr zu den Verlierern zu gehören. Das ist ihr mehr als gerechter Lohn.
(Mehr dazu kann man vom Physiker und Philosophen Klaus Kornwachs* erfahren.)
 
‚Sozialschmarotzer‘
„(…) aber die ehrgeizigen jungen Leute in der Bank verlören ihre Motivation und den Respekt vor ihm, wenn er nicht nähme, was möglich sei.“ So wie es im Jörges-Zitat zu Ackermann aufscheint, so denken heute viele, fast alle. Ich sehe dich, du siehst mich mit den Augen des Geldes. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit, galt neben dem ‚nur‘ gewinnorientierten Banker gar der rücksichtsloseste Spekulant noch als respektabler Held unserer Zeit. Und fast ist er es schon wieder.

Ihr Erfolg beim Geldmachen (auch für sich selbst), ihre hoch strukturierte, aber meist verdeckte Verantwortungslosigkeit um jeden Preis, gab den Spekulanten immer Recht. Und selbst nach dem Finanzcrash bleibt das Gedächtnis der Menschen für erduldetes Erschrecken erstaunlich kurz.
Die Möglichkeiten der Menschen, ihre soziale Lage zu begreifen, schrumpfen sowieso; besonders da, wo der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit längst durch den Kampf gegen die Arbeitslosen ersetzt wurde. Wo kommen sie bloß alle her, die vielen Sozialdetektive, die die Mülleimer, Betten und Kühlschränke der Hartz-IV-Empfänger durchsuchen? Es müssen jene umgeschulten jungen Staatsanwälte sein, die freigesetzt und weggespart wurden bei den Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften zur Verfolgung von Wirtschaftskriminalität. Es müssen all die überflüssigen Steuerfahnder sein, die zu unbequem wurden mit ihren Recherchen in Richtung Luxemburg, Liechtenstein oder den Cayman Islands. Jetzt sind ihre Arbeitswege kürzer. Jetzt jagen sie nur noch die kleinen ‚Sozialschmarotzer‘– fast schon vor der eigenen Haustür.

Ach, was rege ich mich auf, sagt er oft, der Kabarettist Hagen Rether. Also schnell zurückgeschaut ohne Rücksicht auf den roten Faden des Beitrags: Was ist das bloß für ein Respekt, der dadurch erworben wird, dass man sich nimmt (nehmen kann und darf!), was möglich ist? Was ist sein Inhalt, seine Qualität, sein Wert? Nichts scheint zu bleiben als die starke Rücksichtnahme auf die Mentalität jener Gleichgesinnter (und Gleichgeschalteter?), die nichts mehr berücksichtigen außer allein ihrem eigenen Vorteil. Mehr ist von Rücksicht nicht geblieben als die Rücksicht auf jene, die auch ganz ohne Rücksicht leben wollen oder handeln zu müssen vorgeben. Ziemlich kleine Leute, aufgebrochen aus irgendeinem Dorf an den Feldern von Deutsch-Dingsbums, angekommen in Wall Street/New York, um doch wieder nur Acker-Männer zu werden, die hoffen, ein Vielfaches von dem zu ernten, das sie nie gesät haben.

Anders sein?
Meinen Respekt vor großen Teilen der Kaste großer Banker – ich gebe es zu – habe ich fast ganz verloren. Furcht allerdings, auch Staunen vor ihnen als Macht- und Medien-Gottheiten, deren Anhänger um jedes goldene Kalb tanzen, das sie aus kleinen blinden Kuhaugen anglotzt, ist bis heute geblieben.
Und tiefe Niedergeschlagenheit über das Vergessen all dessen, was doch gedacht werden könnte. Man mag gar nicht mehr glauben, dass Baruch D’Espinoza wirklich einmal gesagt haben soll: „Ich will nie an Projekten arbeiten, die nur deshalb für einige nützlich sind, weil sie anderen schaden.“ War es wirklich Günther Anders, von dem es heißt, er hätte formuliert: „Keine Arbeiten anzunehmen und durchzuführen, ohne diese zuvor darauf geprüft zu haben, ob sie direkte oder indirekte Vernichtungsarbeiten darstellen. Die Arbeiten, an denen wir gerade teilnehmen, aufzugeben, wen diese sich als solche direkten oder indirekten Vernichtungsarbeiten erweisen sollten.“
(Zitiert nach: Robert Menasse: Permanente Revolution der Begriffe. Edition suhrkamp 2592. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2009, S.23)

Moralischer Rigorismus? Ich weiß, ich weiß. Es ist sicher nicht leicht auszuhalten, so anders wie Anders zu denken (und vielleicht zu handeln)? Dann doch lieber an Projekten arbeiten, die nur deshalb für wenige nützlich sind, weil sie den meisten schaden?

* Klaus Kornwachs: Zuviel des Guten. Von Boni und falschen Belohnungssystemen. edition unseld. Suhrkamp Verlag 2009.

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Andreas Lichte
13 Jahre zuvor

„The winner takes it all!“

https://www.ruhrbarone.de/e-for-the-love-of-money/

„For the love of money

(…) In der Amerikanischen Fernseh-Reality-Show „The Apprentice“ bewerben sich Kandidaten in einem „13-wöchigen Job-Interview“ für einen mit 250.000 US$ dotierten Einjahresvertrag in einem der Unternehmen des Tycoons Donald Trump.

Als Titelsong dieser Feier des Kapitalismus wurde „For the love of money“ von „The O’Jays“ ausgewählt. Der Song-Titel stammt aus dem Bibelvers 1 Timothäus 6:10 (…)“

Olaf Mertens
Olaf Mertens
13 Jahre zuvor

Ich bin jedenfalls ein Stück weit beruhigt, dass der Ackermann bescheiden lebt und es ihm nur um ein wenig Respekt geht. Ich dachte schon der lebe in Saus und Braus und sei geldgierig.

Mir
Mir
13 Jahre zuvor

Ich stimme ihnen in vor allem in diesem Punkt zu: Kein einzelner Mensch kann gar nicht soviel arbeiten oder auch leisten für das Millionengehalt. Es ist zwar demokratisches, wirtschaftliches, legales Recht dennoch dekadent für eine Arbeit soviel Geld zu erhalten.

Arnold Voß
Arnold Voß
13 Jahre zuvor

Banken bzw. die Banker sind nur so mächtig wie es die von der Politik gemachten Gesetze zulassen. Die Gier dagegen scheint den Menschen von Geburt mitgegeben. Nur Erziehung und Kulturalisierung verbunden mit einer immer wiederkehrende Wertediskussion wird sie in Zaum halten können. In diesem Sinne, Danke für den Beitrag, Gerd.

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