Mich mangeln die Wörter (8) – Heute: „Wahrnehmung nachwirkender Aufgaben“

 

(Ex-)Bundestagspräsident für 20 Jahre?

Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, unser Bochumer in Berlin (einst „das erste von sieben Kindern des Bäckermeisters Ferdinand und dessen Ehefrau Hildegard Lammert“), BO-Mann Lammert also, so konnte man jüngst lesen, wird wohl nie mehr kleine Brötchen backen müssen. Für die acht (8!) hochbezahlten Jahre als Bundestagspräsident kann er voraussichtlich in nicht ferner Zukunft zwölf (12!) Jahre lang weiter Büro, Sekretärin und Fahrdienst in Anspruch nehmen. Zur „Wahrnehmung nachwirkender Aufgaben“.
Schön, dass ein Ex-Bundestagpräsident ab 2013 zwölf Jahre Zeit haben könnte, um etwas wahrzunehmen, Aufgaben zum Beispiel. Dochdoch, die Reihenfolge stimmt schon: 1) Aufgaben erkennen, wahrnehmen, 2) sie ggf. erledigen. Muss aber in diesem Falle gar nicht sein, allein die „Wahrnehmung“ nachwirkender Aufgaben durch Dr. Lammert würde ausreichen; erledigen könnten diese Aufgaben dann andere, die Sekretärin z.B. oder der Chauffeur.

Nachwirkende Aufgaben? Sollte nicht eigentlich weniger eine Aufgabe nachwirken als vielmehr ihre Lösung? Egal, schnurz, schnuppe. Jedoch: Welches achtjährige achtsame Wirken, das nun wirklich wirksam gewirkt hätte, könnte denn überhaupt im Folgenden die Wahrnehmung nachwirkender Aufgaben über zwölf Jahre hinweg auslösen?
Sicher, das Wirken eines Brandstifters, Spekulanten, Irrenarztes, das schon. Alles Leute schließlich, die ihre Umgebung sehr oft sogar länger als zwölf Jahre traumatisieren, okay, okay. Aber das Wirken eines Bundestagspräsidenten doch nicht! Der steht doch seinen Mann, indem er vor allem sitzt – und leitet: „Die wichtigste Funktion des Bundestagspräsidenten besteht in der Leitung der Bundestagssitzungen. Dazu nimmt er vorne auf dem Podium im Plenarsaal des Bundestages Platz, sitzt also allen anderen Abgeordneten gegenüber.“

Wen repräsentiert denn so ein Sitz-Riese, wenn er seinen Logenplatz aufgegeben, seinen Saalordner-Job im Hohen Haus gemacht hat? Wer will da wie lange von ihm in der Funktion als Ex-Oberster-Kammer-Diener der Parlamentarischen Demokratie noch etwas hören? Was könnte so einer noch tun, das ganze zwölf Jahre in Anspruch nähme? Gewiss doch, Dr. Lammert ist Träger der Brauerei-„Fiege-Bierkutschermütze für besonderen Einsatz für das Ruhrgebiet“, aber zwölf Jahre lang öffentlich subventioniert seinen Nachdurst stillen? Das schafft nicht einmal er.
Immerhin, zahlreiche Akademikerbünde veranstalten Autorenlesungen, Lesewettbewerbe und da könnte ein gelehrtes Haus wie Norbert Lammert (die ZEIT nannte den Kreuz- und Querdenker gar einen „Intellektuellen“) sicher unter seinesgleichen in manchem Gelehrtensprengel auftreten. Schließlich hat der verdiente, der honorige und integre Mann über ein geradezu extrem nachwirkend-nachhaltiges Thema bereits in jungen Jahren seine Diss angefertigt: „1975 erfolgte die Promotion zum Dr. rer. soc. an der Universität Bochum, Thema: ‚Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung – Fallstudie am Beispiel eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet‘“.
(Womit man hierzulande so Doktor wird, statt zu einem zu gehen …?)

Was also könnte der Mann uns zukünftig, gar im zwölften Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Amt, noch zu sagen haben? Was wäre von ihm als Ex-BuTaPräs für das Gemeinwohl noch zu erledigen? Dr. Norbert Lammert dürfte dann so um die 77 Jahre alt sein.
Wenn’s nicht dieser feine Mann wäre, der Lammert eben, der Bücherfreund, der bekennende Katholik … bei jedem anderen hätte ich einen Verdacht:
Wer ganze zwölf Jahre benötigt, um Aufgaben aus acht Jahren Berufstätigkeit nachwirkend wahrzunehmen, der hat doch acht Jahre schlicht seine Haus-Aufgaben nicht bzw. fehlerhaft gemacht, oder?
Ich stelle mir – nur als Exempel – einen kurpfuschenden Schönheitschirurgen vor, der nach acht Jahren OPs an Gesichtern, Brüsten und Gesäßen dann zwölf Jahre nichts anderes tut, als seine Kunstfehler aufzuarbeiten. Ärsche korrigieren, bröckelnde Stupsnasen zum siebten Male richten, geplatzte Implantate entfernen, Busen neu aufbauen, Großmäulern die Lippen gratis aufspritzen, Penisse verlängern und literweise Fett absaugen. Das alles, um nicht wegen irgendwelcher Regressansprüche vor den Kadi gezerrt zu werden. Ja, hier könnte das Verhältnis von 8:12 durchaus hinkommen.

Aber doch nicht bei Dr. Lammert. Der hat schließlich nur seinen Job gemacht und wird anderes auch nicht tun. Sagt er sogar selbst – auf der derwesten.de:
„‘Ob und in welcher Weise Regelungen geändert werden, müssen aber Andere entscheiden. Ich will jeden Verdacht der Befangenheit ausschließen.‘ Lammert wies damit Berichte zurück, wonach die Verlängerung der Privilegien sein ‚lang gehegter Wunsch‘ sei. ‚Das stimmt so nicht.‘“

Stimmt, so kann das nicht stimmen, liebe Lämmer und Belämmerte.
Also lasset uns gemeinsam beten für unser aller Bundestagspräsidenten. Am besten das Vaterunser (Matthäus 6 oder Lukas 11) in der veritablen Neuübersetzung des inspiriert-inspirierenden Norbert Lammert selbst:
„Unser Vater im Himmel! / Groß ist dein Name und heilig. /
Dein Reich kommt, / Wenn dein Wille geschieht, /
Auch auf Erden. / Gib uns das, was wir brauchen. /
Vergib uns, wenn wir Böses tun und Gutes unterlassen. / …/…“

 

P.S.:
Für den Kolumnentitel „Mich mangeln die Wörter“ danke ich Jürgen Lodemann. Das schöne Sprachspiel stammt aus „Essen Viehofer Platz”. Roman. Zürich: Diogenes, 1985.

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Helmut Junge
Helmut Junge
13 Jahre zuvor

Ich glaube mich zu erinnern, daß Rüttgers und andere Ex- Politiker auch noch auf Jahre hinaus solche Ansprüche auf ein Büro haben.
Die Wähler und Wählerinnen sollen vermutlich lernen, zumindest wenn sie sparsam sind, daß sie lieber keine Politiker abwählen, denn dann gibt es ja noch mehr Büros für abgehalfterte Politiker, die allesamt bezahlt werden müssen.
Aus Steuergeldern natürlich.
Es wäre doch mal spannend zu wissen, wieviele solcher sinnentfremdeter Scheinbüros es bereits gibt.

FF
FF
13 Jahre zuvor

Bizarr. Diese „Volksvertreter“ sind Lichtjahre vom Leben derer entfernt, die sie vorgeben zu vertreten.

Gäbe es derlei Gestalten nicht – keiner würde sie vermissen. Dabei ist Herr Lammert unter seinesgleichen noch nicht einmal der Schlechtesten einer.

walter stach
walter stach
13 Jahre zuvor

Wie hoch werden die Pensions- und evtl.Rentenansprüche für N.Lammert sein, wenn er nicht mehr aktiv ist? Und welche Beträge sind für ihn zudem zu erwarten, wenn er beratend, vortragend im Lande unterwegs sein wird? Das alles wird nicht reichen, um ein Leben führen zu können, daß zumindest allen sogenannten gutbürgerlichen Ansprüchen gerecht werden kann und zudem ausreicht, auch „nachwirkende Aufgaben“ erfüllen zu können? Es erscheint jedoch müßig, jetzt diese Frage zu stellen, denn sie stellt sich bekanntlich ständig und tagtäglich angesichts der durch Leistung nicht zu rechtfertigenden Höhe der Diätenzahlungen nebst Aufwandsentschädigungen für die Abgeordneten der Landtage, des Bundestages und für ihre diversen Penisonansprüche, sie stellt sich tagtäglich angesichts der Höhe der Leistungen an Manager in Großkonzernen und Banken , und diese Frage wird seit jeher weder von den Abgeordneten noch von den Managern hinreichend begründet beantwortet, folglich auch nicht d.Norbert Lammert. Und was noch bedenklicher stimmt, die Genannten, N.Lammert eingeschlossen, verstehen nicht einmal, warum diese Frage überhaupt gestellt wird, z.B. durch einen Familienvater oder eine Familienmutter, die mit dem Lohn aus drei Jobs kaum über die Runden kommt und die von „einer sicheren Rente“ nur träumen kann.Ich war bisher so naiv anzunehmen, daß N.Lammert nicht nur in dieser Frage, sondern ganz grunsätzlich eine politische Persönlichkeit sei, die sich in Sachen „Glauwürdigkeit, Geradlinigkeit,Empfinden für soziale Gerechtigkeit und damit einhergend für die Vertretbarkeit eigener materieller Ansprüchen“ von anderen positiv unterscheidet. Oder unterliege ich hier nur einer nicht korrekten Berichterstattung/Kommentierung in den Medien? Ich wünsche es mir!!

Michael Voregger
13 Jahre zuvor

Das wäre eine schöne Aufgabe für einen Rechercheur die Kosten in Bund und Land für die „Wahrnehmung nachwirkender Aufgaben“ aufzulisten – inklusive der beteiligten Politiker. Da wird ein schönes Sümmchen bei herauskommen.

Franzica
Franzica
13 Jahre zuvor

Jaja, unser TV-Star Lammert…. 🙁

Burkhard Kahmann
Burkhard Kahmann
13 Jahre zuvor

Fesel & Gorny-Bashing: Jederzeit und gern. Aber warum Lammert? Der Mann ist integer, engagiert sich für das Ruhrgebiet, wo er nur kann und ist unabhängig und schlau. Ist Sozialneid der Grund? Heute morgen konnte man lesen, dass der Essener Ex-Ob Reiniger seit seinem Ausscheiden als OB ca. 200.000 EUR als Aufsichtsrat-Sitzungsgelder für den RWE-Aufsichtsrat kassiert hat. Was war die politische und öffentliche Wirkung?
Lammert wird ungleich wirksamer sein. Warum kann man ihm nicht die Sekretärin und den Dienstwagen gönnen (incl. der daran hängenden Jobs den betreffenden Mitmenschen)? Welche Scheindiskussionen werden hier geführt? In diesem Land wird Geld in großem Stil für nix verbraten, da sollte man dem zweiten Mann im Staat die Verlängerung einer Sekretärin und eines Chaffeurs nach dem Ausscheiden gönnen – zumal er es für das Revier nutzen wird.

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[…] Mich mangeln die Wörter: “Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, unser Bochumer in Berlin (einst „das erste von sieben Kindern des Bäckermeisters Ferdinand und dessen Ehefrau Hildegard Lammert“), BO-Mann Lammert also, so konnte man jüngst lesen, wird wohl nie mehr kleine Brötchen backen müssen. Für die acht (8!) hochbezahlten Jahre als Bundestagspräsident kann er voraussichtlich in nicht ferner Zukunft zwölf (12!) Jahre lang weiter Büro, Sekretärin und Fahrdienst in Anspruch nehmen” … ruhrbarone […]

Arnold Voß
Arnold Voß
13 Jahre zuvor

@ Burkhard Kahmann

Die Frage ist doch nicht, ob man ihm das gönnt oder nicht, sondern ob das Jemand mit seiner Altersversorgung nötig hat. Aber dieses Privileg steht ihm nun mal gesetzlich zu und wer würde es dann nicht auch annehmen.

P.S. Es gibt übrigens eine Menge Leute die sich um das Ruhrgebiet ehrenamtlich kümmern und dafür weder Dienstwagen noch Sekretariat brauchen.

walter stach
walter stach
13 Jahre zuvor

A.Voss/B.Kahmann: Es geht auch mir nicht darum, N.Lammert etwas nicht zu gönnen bzw. ihm etwas zu neiden.Dazu habe ich nicht den geringsten Grund.Ist es deshalb völllig abwegig, daran zu denken, daran zu glauben, daß N.Lammert,gerade weil auch ich -als SPDler- ihn als politische Persönlichkeit außerordenltich schätze, hätte erklären können, er würde derartige Zuwendungen nicht annehmen, auch wenn sie ihm, was ja selbstverständlich ist, rechtlich einwandfrei zustehen? Eine solche Geste hätte ihm „gut zu Gesicht gestanden“.

Franzica
Franzica
13 Jahre zuvor

@ Walter Stach
„rechtlich einwandfrei zustehen“ wie das denn? die Pfründe die sich die abgehoben Politiker selber geschaffen haben<<< ? Lächerlich, Lammert ist total abgehoben und hat außer seine Geburtsurkunde nichts mehr mit Bochum am Hut.. ok. außer vllt zur Wahlperiode schön Wetter reden!

Helmut Junge
Helmut Junge
13 Jahre zuvor

@ Burkhard Kahmann (6),
Sie fragen, ob Sozialneid der Grund sei, daß Autor und Kommentatoren so auf
N. Lammert eindreschen.
Aber „Sozialneid“ ist m.E. das falsche Wort, wenn immer mehr Bürger und Bürgerinnen mit Unwillen beobachten, daß Politiker sich und anderen Politikern Privilegien, wenn auch gesetzeskonform, zubilligen.
Wie soll das „Sozialneid“ sein? Sollte nicht jeder Bürger fragen dürfen, was ein gewählter Reräsentant für seine Arbeit erhält, und sich dann möglicherweise kritisch dazu äußern? Sicher, es gibt Staaten, da dürfen die Bürger solche Fragen überhaupt nicht stellen. Aber in Demokratien sollte man darüber diskutieren können, auch abfällig. Denn wir werden doch alle auf unsere Einnahmen hin beobachtet. Wir diskutieren doch öffentlich über 7 Euro Mindestlohn, weil viele arbeitende Menschen weniger in der Stunde verdienen. Nicht mal da schämt sich manch ein Entscheidungsträger zu sagen, dass 7 Euro zu viel sind.
Ist das auch „Sozialneid“, wenn jemand glaubt, dass das zuviel ist?
Nein, der Begriff „Sozialneid“ wird immer in die Diskussion geworfen, wenn eine Diskussion über die Einnahme eines besser situierten Mitbürgers beginnt.
Wäre Herr Lammert ein normaler Bürger mit akademischer Ausbildung, hätte er, Jahrgang 1948, noch zwei Jahre bis zur Rente zu arbeiten. Mit 7,2% Abzügen könnte er auch jetzt schon gehen.
Ich frage Sie jetzt mal im Ernst Herr Kahmann:
Glauben Sie, dass jemand im ähnlichem Alter wie Herr Lammert, sagen wir, ein Akademiker, der vielleicht noch einige Jahre arbeitslos war, also nicht die erforderlichen 45 Jahre Arbeitszeit geschafft hat, nicht mit einem gewissen Unbehagen auf Politiker blicken darf, die ihm selber diese Hürden auferlegt haben? Soll das dann dieser vielzitierte „Sozialneid“ sein?
Wenn mit diesem Begriff solche Reaktionen gemeint sein sollten, könnte mich keiner damit überzeugen.

Gut, Herr Kahmann, Sie fragen, warum gerade N. Lammert, der einiges an positiven Leistungen aufzuweisen hat, und nicht etliche Andere, und sie nennen da sogar einen Namen, der weit weniger akzeptabler Leistungen verdächtigt wird.
Nur, Norbert Lammert hat eine repräsentative Funktion, und hat damit allen ein Vorbild zu sein.
Wenn solche Diskussionen dazu führen, dass noch andere solcher Geschichten bekannt werden, um so besser.
Nebenbei, auch ich halte Herrn Lammert für die positivste Persönlichkeit des Lagers, das ich nicht gewählt habe. Besonders sein Verhalten im Zusammenhang mit der Plagiatssache ist mir positiv im Gedächtnis geblieben.

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