Zugegeben: Unter Stress und im TV-Interview gelingen niemandem nur klare Sätze und gutes Deutsch. Man darf auch mal den Faden verlieren, aber man sollte ihn zuvor zumindest einmal aufgenommen haben. Nicht so Bundespräsidentendarsteller Christian Wulff (Volljurist) in seinen gestrigen Interviewantworten und deren Subtexten. Wulff würde sich gern öffentlich die Beichte abnehmen lassen, betet aber vor allem viele unverständliche Sätze herunter, fordert indirekt eine Art Referendariat für Bundespräsidenten und spricht sich als Agnus Dei-Imitat mit einem kräftigen „Ego me absolvo“ von allen lässlichen Sünden frei.
Die merkwürdigsten Sätze im kommentierten Überblick.
Nichts Unrechtes, aber auch nicht nur Richtiges. Vielleicht sogar Falsches, das aber rechtens war.
„…und weiß, dass ich nichts Unrechtes getan habe, aber nicht alles richtig war, was ich getan habe.“
Eigene schwere Fehler tun mir leid. Ich habe mich als Opfer gesehen, entschuldige mich (aber trotzdem) und möchte selbst gern Respekt vor den Grundrechten haben, werde also ab sofort „berechtigte Fragen“ beantworten.
„Der Anruf bei dem Chefredakteur der ‚Bild‘-Zeitung war ein schwerer Fehler, der mir leidtut, für den ich mich entschuldige. Ich habe das auch sogleich nach der Rückkehr aus dem Ausland persönlich getan, es ist auch akzeptiert worden. Ich habe mich in der Erklärung vor Weihnachten ausdrücklich zum Recht der Presse- und Meinungsfreiheit bekannt und halte das (Was? Den Anruf? Das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit? G.H.) für mein eigenes Amtsverständnis nicht vereinbar.
Denn ich will natürlich besonnen, objektiv, neutral, mit Distanz als Bundespräsident agieren.
Und ich möchte vor allem Respekt vor den Grundrechten, auch dem der Presse- und Meinungsfreiheit haben und habe mich offenkundig in dem Moment eher als Opfer gesehen, (denn; G.H.) als denjenigen, der eine Bringschuld hat gegenüber der Öffentlichkeit, Transparenz herzustellen und auch berechtigte Fragen zu beantworten.“
Noch einmal, zur Sicherheit:
„Ich habe mich in der Erklärung vor Weihnachten ausdrücklich zum Recht der Presse- und Meinungsfreiheit bekannt und halte das für mein eigenes Amtsverständnis nicht vereinbar.“
(Bei Pennälern stünde hier am Rand ihrer Arbeit: Satzbau! Grammatische Kongruenz, Gedankenführung beachten.)
„Ich muss mein Verhältnis zu den Medien herstellen…“; Wulff hofft auf ‚Verantwortung-selber-unter-sich-ausmachen‘.
„Ich muss mein Verhältnis zu den Medien herstellen, neu ordnen, anders mit den Medien umgehen, sie als Mittler stärker einbinden und anerkennen. Sie haben eine wichtige Aufgabe in der Demokratie. Die Medien haben auch ihre Verantwortung, aber die müssen sie selber unter sich ausmachen.“
Ja, wer möchte das nicht: sich seine Verhältnisse selbst herstellen. Aber das muss jeder „selber unter sich ausmachen“.
Achtung: Sachgemäße Aussagen über den Bundespräsidenten sind erst nach Verschieben unsachgemäßer Veröffentlichung und Darüber-Reden möglich!
„Und ich habe dann gebeten, um einen Tag die Veröffentlichung zu verschieben, damit man darüber reden kann, damit sie sachgemäß ausfallen kann.“
So nicht: Rücksichtslose Journalisten schrecken ganze Dörfer auf, obwohl Wulff nachher doch alles offengelegt hat.
„Und ich hatte vor meiner Auslandsreise, nachdem in meinem Umfeld, im Dorf, recherchiert worden war von den Redakteuren, es ging um Korruption, das hat das ganze Dorf aufgeschreckt, den Vertrag offengelegt, …“
Genau, und gestern war heute noch morgen.
Bundespräsident sollte „Dinge so im Griff“ haben, dass einem nichts passiert, ist aber „trotzdem“ Mensch und macht Fehler.
„… aber man muss eben als Bundespräsident die Dinge so im Griff haben, dass einem das eben nicht passiert. Und trotzdem ist man Mensch, und man macht Fehler.“
Besser nicht aus Hannover nach Berlin gehen. Ministerpräsidenten sollten ohne Training nicht einfach Bundespräsident werden. Vorher Lernprozesse nötig, sonst besteht die Gefahr, dass man den „präsidialen Anforderungen“ nicht genügt.
„Ich musste ja auch einen Lernprozess machen. Ich bin vom Ministerpräsidenten zum Bundespräsidenten ja sehr schnell gekommen, ohne Karenzzeit, ohne Vorbereitungszeit, das ging sehr schnell. Und ich bin aus Hannover nach Berlin gekommen (…), aber trotzdem ist es noch etwas anderes, ob man als Ministerpräsident Akteur ist oder ob man als Staatsoberhaupt den präsidialen Anforderungen genügt.“
„Ich musste ja auch einen Lernprozess machen“: „Ja“, da hat sich Wulff zumindest mal selbst einen Prozess gemacht.
„Ich bin vom Ministerpräsidenten zum Bundespräsidenten ja sehr schnell gekommen …“: „Ja“, wie die Jungfrau zum Kind. Und was hatten die Bundespräsidenten früher noch für eine Vorbereitungszeit. Lübke z.B. soll viele Jahre auch nur Bundespräsidenten-Anwärter gewesen sein.
„Staatsoberhaupt“ – meint der sich etwa selbst?
„Präsidial“, laut Duden ein Adjektiv mit der Bedeutung: – vom Präsidium ausgehend, auf ihm beruhend.
Pressefreiheit ist schmerzhaft. Vor allem für die, über die berichtet wird, ist sie schwer auszuhalten. Da sollte man zu Opfern bereit sein, wenn man in die Öffentlichkeit geht und im Internet gar Fantasien über die eigene Frau findet. Ich danke mir an dieser Stelle einmal für meinen Mut, dies alles zu ertragen.
Deppendorf: „Können Sie jetzt glaubwürdig zum Beispiel die Pressefreiheit in anderen Ländern, auch in Ungarn, verteidigen?“
Wulff: „Ich habe das ja gerade getan, auch bei dieser Reise in der arabischen Welt. Und habe dort vor Studenten und Studentinnen gesagt, das ist schmerzhaft. Das ist für die Betroffenen schmerzhaft, das kann für die Familien sehr schmerzhaft sein. Das ist eben dann auch der Preis der Popularität, der Bekanntheit der Öffentlichkeit, dass man Dinge offenbaren muss, wo viele andere sagen, das würde ich doch niemals offenbaren, ich möchte doch niemals, dass über meine Stiefschwestern, Kinder, Verwandten Geschichten in der Zeitung stehen. Wir müssen auch aufpassen, dass überhaupt noch Menschen bereit sind, sich dieser Sache – auch im Internet, wenn Sie da sehen, was da über meine Frau alles verbreitet wird an Phantasien -, dann kann ich nur sagen, da müssen wir doch auch sehen, dass die Menschen noch bereit sind, sich der Öffentlichkeit zu stellen, in die Öffentlichkeit zu gehen.“
(Aus der Offenbarung des Christianus. Hoffentlich gründet der Mann jetzt keine Offenbarungsreligion.)
Ein Fall für Amnesty International?
„ (…) es gibt auch Menschenrechte selbst für Bundespräsidenten (…)“
Ich möchte nicht Präsident sein.
„ (…) und ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann. Das will ich auch mal sagen, sollten wir auch im Blick behalten.“
Geht mir genauso: Ich möchte auch nur Präsident in einem Land sein, wo sich jemand (der Präsident, also ich) von Freunden viel Geld leihen kann.
Oder müsste es heißen: Und ich kann nicht Präsident in einem Land sein, wo sich selbst ein Präsident noch Geld leihen muss von Freunden und das offenzulegen hat? Schwierig, schwierig, der Wulffsche Satz. Lernt man schon auf der Journalistenschule: Vorsicht vor doppelten Verneinungen. Die sollten wir mal im Blick behalten.
Beziehungen immer gut einräumen.
„Im Landtag hätte ich sagen sollen, es ist zwar nicht nach Frau Geerkens gefragt, sondern nach Herrn Geerkens, seinen Firmen, seinen Unternehmungen. Da habe ich keine Beziehung. Aber ich räume hier ein, dass ich Beziehungen zu Frau Geerkens habe.“
„Ich hätte sagen sollen …“: Wo kämen wir denn da hin, wenn alle nur sagten: „Ich hätte sagen sollen…“ und niemand sagt, was er hätte sagen können, wenn er gewollt hätte. (Sehr frei nach Kurt Marti)
Morgen früh (so Gott will) bricht ein neues Zeitalter der Transparenz an, dafür werden Wulffs Anwälte sorgen, und dann verändert sich die Republik aber sowas von positiv.
„Morgen früh werden meine Anwälte alles ins Internet einstellen. Dann kann jede Bürgerin, jeder Bürger, jedes Details zu den Abläufen sehen und bewertet sie auch rechtlich. Und ich glaube nicht, dass es das oft in der Vergangenheit gegeben hat, und wenn es das in Zukunft immer gibt, wird es auch unsere Republik offenkundig auch zu mehr Transparenz positiv verändern.“
Kraft, uns wieder um Politik zu kümmern: Versprochen, wirklich, Ehrenwort!
„Denn ich nehme meine Verantwortung wahr. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, und ich habe ein nachhaltiges Interesse an unserem Land, es voranzubringen. Und wir brauchen auch jetzt die Kraft, uns wieder um Politik zu kümmern in diesem Jahr, wenn dieses Jahr jetzt beginnt. Denn es kommen schwierige Aufgaben auf uns zu. Und da braucht es eben auch einen Bundespräsidenten, der sich diesen Aufgaben zuwenden kann.“
Toll: Wulff nimmt seine Verantwortung immerhin schon einmal wahr. Eine Verantwortung wahrnehmen, das ist sicher die erste Vorstufe für jedes Verantwortung-Tragen. Und Wulff hat nicht nur Interesse an unserem Land (in dem er nur Präsident sein möchte, wenn er sich von Freunden Geld leihen darf), nein, er hat sogar „nachhaltiges Interesse“. Wikipedia sagt zur Nachhaltigkeit: „Das Konzept der Nachhaltigkeit beschreibt die Nutzung eines regenerierbaren Systems in einer Weise, dass dieses System in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt und sein Bestand auf natürliche Weise regeneriert werden kann.“
Verstehe.
http://www.nanamouskouri.de/gutabend.htm
Guten Abend, gut‘ Nacht
Guten Abend, gut‘ Nacht
Mit Rosen bedacht
Mit Näglein besteckt
Schlüpf unter die Deck‘
Morgen früh, wenn Gott will
Wirst du wieder geweckt
Morgen früh, wenn Gott will
Wirst du wieder geweckt
Guten Abend, gut‘ Nacht
Von Englein bewacht
Die zeigen im Traum
Dir Christkindleins Baum
Schlaf nun selig und süß
Schau im Traum ’s Paradies
Schlaf nun selig und süß
Schau im Traum ’s Paradies
Guten Abend, gut‘ Nacht
Mit Rosen bedacht
Mit Näglein besteckt
Schlüpf unter die Deck‘
Morgen früh, wenn Gott will
Wirst du wieder geweckt
Morgen früh, wenn Gott will
Wirst du wieder geweckt
(J. Brahms / J. Johns / Chappell)
Das TV-Interview und den gesamten Wortlaut des Interviews findet man z.B. hier unter http://www.ruhrbarone.de/reaktionen-auf-das-wulff-interview-von-mailboxen-und-fremdschaemen/ oder unter http://www.youtube.com/watch?v=r735_W1UglA und http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,807232-5,00.html
Hallo Gerd,
auch ich bin gestern meiner Bürgerpflicht nachgekommen, habe das Wulff-Interview gesehen. Mein Fazit heute: Je schneller es vorbei ist, desto besser. („es“ hier Wulff, aber auch N.N.)
Und jetzt kommst du mit deiner treffenden Analyse, die Qual geht weiter … da sag ich nur noch, als Kontrast, gerade in meinem Tagebuch von 1993 gefunden:
„Blume ist Kind von Wiese.“
Er ging schritt über den Rubikon, und landete Waterloo!
Wahrscheinlich hatte er einen Virus auf seinem Navi.
https://www.bild.de/newsticker-meldungen/home/15-wulff-21921288.bild.html
Die Staatskrise nimmt ihren Lauf und Frau Merkel schweigt.
Kneift Diekmann?
Wenn ich mich richtig erinnere hatte in der von mir verlinkten Meldung von Bild zuerst noch gestanden, dass Bild demnächst den Wortlaut auch ohne Zustimmung von Wulff veröffentlichen wollte. Oder habe ich mich in der Eile verlesen?