Me myself I: Das soll ich sein? Meine Mutter glaubt zum Glück immer noch, ich wäre Pianist in einem Bordell. Wenn die wüsste, womit ich als Literaturförderer wirklich mein Brot verdiene … Gut, dass sie nicht internettet oder googelt. Zu ‚googeln‘ fällt ihr nur Gugelhupf ein und zu ‚Suchmaschinen‘ nur Flugzeuge, die nach Abgestürzten suchen. Und irgendwie ist das alles gar nicht so falsch.
Surfen, das besteht in einer gleitenden Bewegung über eine (meist wässrige) Oberfläche. Und beim Egosurfing ist das auch nicht viel anders.
O.k., zieht man mal die namensgleichen Doppelgänger (auch ‚Googlegänger’ genannt) ab, dann tauchen je nach Tageszeit beim Vanity-Searchen oder Self-Googling zu meinem Vor- und Nachnamen 13.000 bis 123.000 ‚Ergebnisse’ auf, von denen Google vorgibt, ich sei dort anzutreffen. Und während ich da so mithilfe der googleschen Benutzeroberfläche wieder mal gelangweilt über mich selbst hinweg gleite, dämmert mir langsam: Mensch Herholz, alter Avatar, im Netz bist du – obwohl im Abseits – doch flüchtig und omnipräsent zugleich, hast dir längst einen Platz im Club der ausgebrannten Dichter, sogar einen auf dem Friedhof der Kuscheltexte erobert.
Die ‚Ergebnisse’ sonst: Ein wahres Googleheim-Museum meiner selbst, restlos barrierefrei, allerdings ohne Museumsshop mit multiplem Herholz-Portrait in Warhol-Manier oder mir selbst als Designsparbüchse mit Münzschlitz am Hinterkopf.
Gedankenstricher
Dennoch, ein virtuelles und käufliches kleines Arschloch im unendlichen Cyber-Raum bin ich so oder so. Ein ‚Ergebnis’ meldet trostlos schlicht, wie billig ich mittlerweile zu haben bin, kaum noch was wert, quasi auf der Resterampe verramscht: „Gerd Herholz – Preise vergleichen und sparen!“
Reputations-Management oder Ego-Marketing kannst du bei solchen Meldungen gleich vergessen, so sehr zappel ich als kleiner Fisch nach Luft schnappend im Inter-Netz. Mein ganzes Patchwork-Leben wird ausgebreitet (und ich hab kräftig mitgeholfen, fuck …). Bilder, Stimme, Radio-Interviews, kleine Filmchen, WDR-Lokalzeit-Mitschnitt, alles da.
Ich erkenn’ mich kaum wieder, so fett bildet mich das aufgeblasene Net ab. Mein Mittelmaß ist vollkommen enthüllt, auch, dass ich Heide bin, temporärer Dichterdarsteller, dass mich der Bochumer Kulturdezernent einmal der „neo-marxistische(n) ‚Gut-gemeint-Kritik’“ geziehen hat (dabei war ich schon zu begriffs-stutzig, den Neon-Marxismus der 70-er/80-er- Jahre wirklich zu kapieren): Steht alles da! Und noch viel mehr.
Lack und Leim
Ausgerechnet die Homepage www.herholz.de führt dann allerdings präzise nicht zu mir, sondern zur Firma Herbers, die in Holz und Lacken macht. Und bei denen und nur da ist ‚Herholz’ als Kunst- sogar auch ein erfolgreicher Markenname. Vor Jahren hatte ich von Herbers-Holz einen Aufkleber (Kulis gab’s auch) auf dem Auto, mit dem Slogan: „Herholz hat die Türe fest im Griff“. Und dann habe ich gemerkt, dass mir die meisten Türen sowieso verschlossen blieben. Seitdem kann ich darüber auch nicht mehr lachen.
Existenzberichtigung
Also, Achtung: Hiermit möchte ich mich laut und deutlich von mir selbst distanzieren. Soweit ich mir bekannt bin, sind alle bei Suchmaschinen angegebenen Handlungen meinerseits und ich („Ich“) als handelnde Person ziemlich frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit mir als lebendigem Menschen wäre rein zufällig. Und auch ich selbst habe zumeist nur aus der Luft gegriffen, was in ihr lag (frei nach Gerhard Köpf).
Sollte mir in der nächsten Zeit etwas zustoßen, so müssen Sie wissen, dass ich alle relevanten Informationen zu mir bei einem Anwalt meines Misstrauens hinterlegt habe. Ich bitte Trauerredner, nur auf der Basis dieser Informationen Asche auf mein Haupt zu streuen. Danke.
P.S.:
Für den Kolumnentitel „Mich mangeln die Wörter“ danke ich Jürgen Lodemann. Das schöne Sprachspiel stammt aus „Essen Viehofer Platz”. Roman. Zürich: Diogenes, 1985.
Na, na, Gerd,
jetzt untertreibe mal nicht. Vor 2 oder 3 Wochen hab ich den Krimiautoren Gerd Herholz im WDR Lokalzeit gesehen.
Aber wenn Du Dich selbst nicht so recht ernst nimmst, warum soll ich mich dann mit Dir beschäftigen?
Ich hab mir überlegt, daß ich dann vielleicht über die, von dir zitierten Personen reflektieren könnte.
Würde Dir das gefallen?
Also, der Gerhard Köpf ist, nachdem wir, 1984 oder 1985 war es wohl, in die Keksdosen gezogen sind, in den Raum LE 507 gezogen, den Raum, der vorher mein Labor war. Vorher hatte er sein Büro gegenüber. War ein netter Typ. Die
GermanistikstudentInnen hatten vorher immer auf der Stuhlreihe auf meiner Seite des Korridors gesessen, mit Blick auf die Tür des jeweiligen Professors, bei dem sie einen Termin zum Abfragen hatten. Warst Du damals auch dabei? Die hatten wohl Prüfungsangst und kamen mir damals immer ziemlich verstört vor.
Obwohl, eigentlich habe ich gedacht, daß Germanistik wohl kein Präsensstudiengang sein könnte. Das hätte mir auch gelegen. Manch einen Prof hatte ich in all den Jahren kaum gesehen. Da war der Köpf richtig aktiv, obwohl der aus Graz kam. Aber als er auf eine Bemerkung über einen nicht anwesenden Studenten sagte: „Da müssen wir ihm eine Botschaft hinterlegen“, mußte ich wegen dieser veralteten Ausdrucksweise doch ein wenig lächeln.
War doch eine schöne Zeit.
Übrigens, falls Du damals bei den wartenden Studenten warst, sind wir uns damals schon bestimmt mal über den Weg gelaufen.
„Germanistik … kein Präsensstudiengang“ – schöner Verschreiber.
Ja, Köpf war eine ungeheure Bereicherung als Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. Er hat einige – auch mich – zu mehr (journalistischem) Schreiben ermutigt. Neben Köpf verdanke ich Prof. Kaiser viel, den Linguisten Jäger, Biehl, Ammon.
Köpf habe ich aber erst nach meinem 2. phil. Staatsexamen kennengelernt, habe von/mit ihm gelernt, war aber nicht sein Student.
Köpfs Wirken ist auch Beispiel dafür, wie ein Literat (auch als Literaturwissenschaftler) einen Studiengang „Kreatives Schreiben“ oder besser „Literarisches Schreiben“ im Ruhrgebiet beflügeln könnte. Ein weltoffener, reisender Schriftsteller im Mittelpunkt eröffnet eben auch anderen weite Horizonte.
Zum Thema „Lehr- und Lernbarkeit literarischen Schreibens“ von mir bald mehr bei den Ruhrbaronen.
P.S.: Natürlich nehme ich mich selbst sehr sehr sehr ernst. Nur 24 Stunden am Tag schaff ich’s einfach nicht.
Ja, hab mich echt vertippt mit der Präsenz.
Aber so hat es eine neue Qualität.
Ein finnischer Gast hat mir mal, in Englisch, über die finnische Grammatik erklärt:
„finish has no future.“
Den Wortwitz erkläre ich jetzt aber nicht.
Insofern habe ich, in aller Unschuld und unbeabsichtigt, möglicherweise eine neue Fragestellung entdeckt.
Ist Germanistik noch Präsens,
oder ist es vom Denglischen bereits verdrängt?
Ich freue mich schon auf das Thema “Lehr- und Lernbarkeit literarischen Schreibens”. Da werde ich was lernen können. Ganz sicher.
Die Transzendenz des Ego, Philosophische Essays 1931–1939 von Jean-Paul Sartre.
# 4 Mir: Obwohl Google ja eher eine fragwürdige ‚Transparenz‘ der jeweiligen Ego-Oberfläche herstellt. Frei nach Wittgenstein könnte man zu Google sagen: Wovon ich fragmentarisch plappern kann, warum sollte ich dazu schweigen?
Google und andere sind halt Such-Maschinen, Melde-Roboter, keine Sinn-Stifter.
Dank für den Sartre-Tipp.
Andererseits landet man beim googeln, je nach eingegebenem Stichwort, ich hab „Selbstreflexion“ eingegeben, nicht unbedingt bei Sartre, oder Jaspers, sondern wenn man Deinem Beitrag nicht als Selbsironie einschätzt, sondern eine pessimistische Grundstimmung unterstellt, auch schnell bei Kohelet und der ganzen Windhauch-Windhauch-Negierung der Welt. „Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch.“
Nun glaube ich natürlich nicht, daß ausgerechnet Du dich in einem Kontext mit einer biblisch religiösen Nabelschau wiederfinden möchtest.
Deshalb soll dieser Quellenbezug aber dennoch nicht unerwähnt bleiben.
Das ist eben die Gefahr, die das Egosurfin mit sich bringt, und wenn man bösen fremden Leuten davon berichtet, daß man bei diesem Egosurfin nachdenklich wurde. „Egosurfin groß geschrieben, weil es ja ein deutsches wort ist,) (smilie)
#6 Helmut: Selbstironie, ach was, ich doch nicht. Mein Textanfang spielt übrigens mit einer Anekdote zu Jacques Séguéla, einer Werbe-Ikone aus Frankreich. Er soll zu Freunden gemeint haben: Erzählt meiner Mutter nicht, dass ich in der Werbung arbeite, sie glaubt immer noch, ich wäre Pianist in einem Bordell.
So ungefähr nachzulesen unter:
https://textergesucht.blogspot.com/2008/09/lieber-bordellpianist-oder-lieber.html
Hab wieder was gelernt, aber heute ist meine freie Zeit knapp.