Michael Townsend ist Bochums langjähriger Kulturdezernent und seit September 2013 auch Stadtdirektor und damit der mächtigste Mann in der Bochumer Verwaltung. Als Kulturdezernent glänzte er bereits durch weitestgehende Abwesenheit. Im Schauspielhaus sah man ihn nur in Ausnahmefällen und auch bei der Enthüllung des restaurierten „Terminal“ – immerhin eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Bochums – suchte man ihn vergebens.
Aus Zeiten, da Townsend noch auf Facebook aktiv war, weiß man, was er abends lieber tut: Mit Hund und einem Glas Rotwein auf der Terrasse sitzen. Nun macht die bloße leibliche Anwesenheit bei Kulturveranstaltungen noch keinen guten Kulturdezernenten, aber es zeigt wenigstens eine gewisse Wertschätzung gegenüber der Kultur. Damit scheint es im Fall von Michael Townsend aber nicht weit her zu sein.
Am 23.5.2014 meldeten die Ruhrnachrichten, dass das Gelände des Freien Kunst Territoriums (FKT) an der Bessemer Straße verkauft wurde und die dort arbeitenden Künstler bereits zum August das Gebäude geräumt haben müssen. Eigentümer der Anlage war bisher Thyssen Krupp, die die Altimmobilie nun an einen Medizintechnikhersteller verkauft hat. Bis hierher ist das alles ein normaler wirtschaftlicher Vorgang. Die Künstler des FKTs hatte die Immobilie gemietet und mussten stets damit rechnen, dass ein Käufer in Erscheinung treten könnte. Aus diesem Grund hatten sie bereits im vergangenen Jahr begonnen, ein langfristiges Entwicklungskonzept für Gebäude und Gelände zu erarbeiten. Das Land NRW zeigte Interesse an dem Konzept, ein Förderantrag stand kurz vor der Fertigstellung und der nötige Eigenkapitalanteil von rund 400.000 Euro war bereits zu einem großen Teil zusammen. Auch Künstler und Institutionen als zukünftige Mieter in dem Gebäude standen bereit, darunter die Volkshochschule Bochum, die dringend Werkstatträume sucht. Das FKT liegt am Rand des derzeitigen Stadtumbaugebietes Westend und in unmittelbarer Nachbarschaft zur Außenstelle der Volkshochschule an der Baarestraße und der Friedenskirche, die gerade zum Stadtteilzentrum umgebaut wird. Es ergibt sich also an dieser Stelle eine bemerkenswerte Agglomeration aus ähnlich gelagerten Institutionen, von denen positive Impulse in den Stadtteil ausstrahlen. Stadtentwicklung wie man sie sich schöner kaum ausdenken kann.
Damit ist nun Schluss. Stattdessen zieht das Medizintechnik-Unternehmen „Stapleline“, das derzeit an der Universitätsstraße 90 beheimatet ist, in die Gebäude – so Dorothee Schäfer vom FKT in den Ruhrnachrichten. Der derzeitige Ateliertrakt soll in Zukunft die Werkstätten des Unternehmens, das laut Internetseite über fünf MitarbeiterInnen und einen verstorbenen Hund verfügt, aufnehmen. Der Haupttrakt der Anlage soll zu Büros umgebaut werden, die dann vermietet werden sollen. Für Unternehmen ist die Lage an der Bessemer Straße nicht unbedingt ideal. Der nächste Autobahnanschluss ist an der Wattenscheider Straße. Die Universitätsstraße ist für Lieferverkehr und Mitarbeiter wesentlich verkehrsgünstiger. Vor allem bringt aber so ein Unternehmen für den Stadtteil überhaupt nichts. Höchst unwahrscheinlich, dass die Mitarbeiter nach Stahlhausen umziehen werden. Ob die neu entstehenden Büroflächen in Bochum und besonders an diesem Stadtort gebraucht werden, ist zumindest fraglich. Zumal am oberen Ende der Alleestraße noch das Krupp-Hochhaus auf seine Zukunft als Bürostandort wartet.
Wie kommt nun aber Michael Townsend wieder ins Spiel. Durch eine Äußerung gegenüber den Ruhrnachrichten. Die Gruppe (FKT) habe nach wie vor seine volle Unterstützung, heißt es dort. Hoffen wir, dass das nur so dahingesagt und nicht dreist gelogen ist. Und dann wörtlich: „Aber wenn sich ein Unternehmen ansiedeln will, dann kann ich das doch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus – gerade für eine Stadt wie Bochum – nicht verhindern wollen.“ Falsch ist zunächst, dass sich ein Unternehmen ansiedeln will, denn Stapleline arbeiten ja längst in Bochum. Richtig ist, dass natürlich Stapleline der Stadt Steuereinnahmen bringt, das FKT vielleicht auch, aber vermutlich in geringerer Höhe. Fraglich ist aber, ob Michael Townsend angesichts seiner Doppelfunktion als Stadtdirektor und Kulturdezernent ausschließlich wirtschaftlich denken sollte. Als Kulturdezernent sicher nicht – und als Stadtdirektor? Auch nur bedingt. Denn zuallererst sollte die allgemeine, planvolle Entwicklung der Stadt sein Denken bestimmen. In diesem Sinne ist an diesem Standort eine Institution wie das FKT weitaus zukunftsträchtiger als ein abgeschottetes Unternehmen. Und Michael Townsend hätte natürlich Mittel gehabt, hier einzugreifen. Er hätte sowohl das FKT bei den Ankaufplänen (nicht nur durch blumige Versprechungen) unterstützen können, hätte Stapleline alternative Standorte aufzeigen und bei Thyssen Krupp einen Aufschub erwirken können. Er hat all dies nicht getan und das kann nur als komplettes Desinteresse an der kontinuierlichen Arbeit des FKTs interpretiert werden. Wenn nicht am kompletten Desinteresse am Kulturstandort Bochum. Ach nein, das kann ja gar nicht sein, denn wie heißt es doch auf der Seite der Stadt Bochum? Da sagte Michael Townsend anlässlich der Ernennung zum Stadtdirektor: „Optimierte Quartiersstrukuren und Urbanität bilden den Charakter einer attraktive, lebenswerten und von einem positiven Lebensgefühl geprägten Großstadt: Bochum als großartige Sportstadt und kulturelles Schwergewicht in der Region bietet dafür optimale Voraussetzung. Hier gibt es viele Pfunde, mit denen wir wuchern können.“ War das auch nur so dauergeplappert? Muss man es nicht „dumm“ nennen? Oder ist es einfach eine dreiste Verarschung? Oder blanker Zynismus, den Michael Townsend Bochum da entgegenschleudert. Medizintechnik in einem Wohnviertel als optimierte Quartiersstrukturen?
Und noch eine kleine zynische Spitze bietet der Zeitpunkt zu dem sich all das ereignet. Gerade fragt das Detroit-Projekt, welche Impulse Künstler der postindustriellen Stadt geben können. Knapp 1,5 Millionen Euro haben Urbane Künste Ruhr und das Schauspielhaus Bochum für die Beantwortung dieser Frage zur Verfügung. Ein Projekt ist eine One Man Sauna von modulorbeat, die gerade auf dem Gelände des FKT zu Gast ist. Auch im FKT wurden die Pflanzcontainer gezimmert, die derzeit die grüne Bühne auf dem Schauspielhaus-Vorplatz bilden. Das FKT ist die beste Antwort darauf, was Künstler für eine Stadt leisten können, aber Michael Townsend interessiert das eben nicht. Und die Medizintechnik gehört einfach auf die Fläche des ehemaligen Opelwerkes, aber da müsste mit dem Umzug ja noch ein oder zwei Jahre gewartet werden. Hoffentlich sind dann noch genug Unternehmen da, die sich nicht schon irgendwo in Wohngebieten breit gemacht haben, weil Michael Townsend mal wieder nichts getan hat. Nichts für die Kultur und nichts für die Stadt Bochum.
Ich finde Herr Townsend hat recht. Das mit der Kreativwirtschaft ist doch eine Lachnummer und ein Gemeinschaftsgarten wird nie Gewerbesteuer zahlen.
„Das FKT ist die beste Antwort darauf, was Künstler für eine Stadt leisten können“, nämlich Pflanzcontainer und mit ordentlich Landesmitteln finanzierte Betonblöcke als „One Man Sauna“ (die, by the way, einer postindustriellen Stadt nochmal genau welchen wichtigen Impuls gibt?). Wenn das die beste Antwort ist, wie sehen dann erst die nicht ganz so guten aus?
Es gibt doch viele leerstehende Gebäude – die FKT-Leute werden doch sicher schnell in Bochum etwas günstiges mieten können.
… oder Kaufen 400.000 haben sie ja schon (fast) zusammen 😉
Sorry, hier werden ja verschiedene Dinge durcheinander geworfen. Sowohl die grüne Bühne als auch die One-Man-Sauna sind Projekte des Detroitprojekts, die hier nur genannt werden, weil das Detroit-Projekt für die Realisierung die bestehende Infrastruktur des FKTs nutzt. Die Impulse, die das FKT in den Stadtteil senden könnte, gehen über bereits Bestehendes wie Workshops und Ausstellungen hinaus, indem – wie weiter oben im Artikel dargestellt – hier ein Stadtteilzentrum entstehen könnte, das in Kooperation mit weiteren Institutionen wie der VHS als offener Treffpunkt und Bildungseinrichtung arbeitet.
@Rambo
wenn da etwas nach 4 Jahren entstehen könnte finde ich das etwas spät.
Die Stadt hat kein Geld, jeder EURO der in das FKT fließen könnte muss anderswo im Kulurhaushalt (!) gespart werden. Und dem dürften die nächsten 10 Jahre noch die 2 MIO zu schaffen machen, die im Schloßpark Weitmar letztlich „versenkt“ wurden.
@Wolfgang: Mannmannmann…..bitte richtig lesen: Das FKT wollte niemals Geld von der Stadt Bochum, der Förderantrag sollte ans Land NRW gehen.
@ Rambo da dürfte es aber wenige Möglichkeiten geben ohne das Komplimentärmittel der Stadt eingesetzt werden müssen, außerdem ist das Land auch pleite 😉
Letztendlich wenn Krupp verkauft hat, hat zuerst das FKT falsch verhandelt, ich denke nicht dass man das Herrn Townsend anlasten kann.
…das mit 220 Mrd verschuldete Land NRW, dass bis 2020 eigentlich seine Neuverschuldung zurückfahren muss, dieses Land NRW?
Warum wollte Stapleline überhaupt von der Universitätsstraße weg und warum sind sie nicht gleich in die Leerstände direkt an der Allestraße gegangen? Warum war ihnen gerade der Standort an der Bessemer Straße so wichtig? Weiß das hier einer?
Berechtigte Fragen, die zu klären wären. Zumal es sich bei dem Gebäude des FKTs um ein denkmalgeschütztes Gebäude handelt, was ja für einen größeren Umbau immer ziemlich unattraktiv – weil: kostenintensiv – ist.
Braucht Bochum ein Schauspielhaus?
Bochum liegt zwischen Essen und Dortmund.
Die Schauspielhäuser dort sollten ausreichen.
Das Gebäude, welches die findigen FKT-Künstler entdeckt haben, ist eben nicht irgendein billiges Mietobjekt. Honke Rambows Artikel ist ebensowenig zusammengeschusterte Proteststimmungsmache, sondern wohl recherchiert und sollte mit seinen Argumenten zumindest aufhorchen lassen.
Wer hier sagt, dass das FKT ja leicht Ersatz finden könne, ist wohl noch nicht da gewesen und hat auch wenig Ahnung von der westendlichen Stadtentwicklung.
Aber ich bin sicher, Herr T. hat da eine Superlösung in der Hinterhand …
„Engagement für junge Kreative? Null. Die Kulturhauptstadtmacher haben ein weiteres Mal gezeigt, dass sie an der Kulturszene im Ruhrgebiet nicht das geringste Interesse haben. Ist das eine Überraschung? Nö. Da war nichts, da ist nichts und da wird auch nichts mehr kommen. In jeder anderen Stadt hätten Kulturhauptstadtmacher die Chance ergriffen […]: In den Dialog mit jungen Künstlern zu treten. Ihnen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen. Dem [Vermieter; Eigentümer] klar zu machen, welche Möglichkeiten [sich bieten]: Die Wiederbelebung eines heruntergekommenen Quartiers durch junge Künstler. Aber allein das zu verstehen ist eine intellektuelle Leistung …“
Stand hier am 20. Juli 2010, Zitat von Stefan Laurin, hier leicht angepasst, es ging um die Besetzung des DGB-Hauses in Essen.
In der Tat verstehe ich nicht – @ 1 ff – welchen Unterschied es macht, ob Künstler ein Haus besetzen, um Kunst zu machen [all die soziokulturellen Zentren …], ob sie ein Haus halten, um weiterhin Kunst zu machen [FKT …] oder ob sie in Häusern auftreten, die andere halten, um andrer Leuts Kunst möglich zu machen [zB Stadttheater].
Wann gilt was als „Lachnummer“?