„Mir vergeht jede Einheitsfeierei“

Sebastian Lucke
Sebastian Lucke

Morgen ist Tag der deutschen Einheit. Die einen feiern, die anderen protestieren. Warum er auch nicht feiern möchte, erklärt unser Gastautor Sebastian Lucke. Er ist aktiv in der Linkspartei, sowie im linken Jugendverband solid.

Unbestritten ist der Tag, der an die Überwindung der deutschen Teilung erinnern soll ein denkwürdiger Tag. Für viele Familien endete am 3. Oktober 1990 mit dem Vollzug der Wiedervereinigung die scheinbar unüberwindliche Trennung voneinander. Gleichzeitig war es das Ende der DDR, deren Versuch, einen Sozialismus mit Mauern und Stacheldraht aufzubauen, scheiterte. Doch ist dieser Tag wirklich für alle Menschen ein Anlass zum Feiern?

Besonders in den östlichen Bundesländern steht dieser Tag für viele Menschen immer noch für den Beginn von Ende ihrer bis dahin gelebten Biographien. Hoffnungen auf Anerkennung der eigenen gemachten Erfahrungen endeten direkt in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung, in der die ehemalige DDR wirtschaftlich und gesellschaftlich abgewickelt wurde. Betriebe wurden geschlossen und die Beschäftigen entlassen, egal ob dieser Betrieb nun wirtschaftlich arbeite oder nicht. Der Generalstempel der allgemeinen Unproduktivität und Unterqualifizierung der dort lebenden Menschen galt als ungeschriebenes Gesetz. Der Blankoaustausch ostdeutscher Führungseliten durch ihre westdeutschen Pendants ist nur ein Beispiel dafür.

Bis heute spiegelt sich dieses Bild im vorherrschenden Lohn/Rentengefälle zwischen Ost und West nieder. Die finanzielle Spaltung steht einer wirklichen Wiedervereinigung bis heute im Wege und degradiert diese Menschen immer noch zu Bürgern zweiter Klasse. Der Tag der Deutschen Einheit erinnert somit vor allem daran, dass wesentliche Ziele der Wiedervereinigung bisher nicht erreicht und die in sie gesetzten Hoffnungen, z.B. eines demokratischen Sozialismus, bitter enttäuscht wurden.

Die Lebensverhältnisse und insbesondere die Lebenschancen in Ost und West sind weiterhin ungleich und ungerecht verteilt. Somit ist der Tag der Einheit nur im ersten Moment ein Grund zum Feiern, genauer betrachtet ist er ein mahnender Hinweis in Bezug auf die prekäre Lebenssituation vieler in Deutschland lebenden Menschen (nicht nur von Ostdeutschen) und auf die zunehmende soziale Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft.

Darüber hinaus stehen fast 25 Jahre deutsche Einheit nicht nur für rassistische Pogrome wie z.B. in Rostock-Lichtenhangen oder den blutigen NSU-Terror, sondern auch für die Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl, die Einführung von HARTZ IV sowie für die zunehmende Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen. Vor dem Hintergrund vergeht mir persönlich jegliche Einheitsfeierei am morgigen 3. Oktober.

Der Artikel erschien zuerst auf Sebastian Luckes Blog.

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Stefan Laurin
Admin
11 Jahre zuvor

Das Einkommensniveau eines Sozialhilfempfängers war im Westen höher als das einen DDR-Arbeiters. Wirtschaftlich hat der Osten nur gewonnen – auf Kosten des Westens. Und das ein Funktionär der Linkspartei das Wort „Freiheit“ im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung nicht in den Mund nimmt, ist bezeichnend. Denn die DDR war nichts anderes als eine Diktatur, die von ihren eigenen Bürgern zum Einsturz gebracht wurde.

Alexander Klomparend
Alexander Klomparend
11 Jahre zuvor

Danke Stefan!

Martin Niewendick
11 Jahre zuvor

Stefan, „Und das ein Funktionär der Linkspartei das Wort “Freiheit” im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung nicht in den Mund nimmt, ist bezeichnend.“

Ich glaube nicht, dass Sebastian aus dem Betonkopflager kommt. Das zeigt für mich auch die Passage:

„Gleichzeitig war es das Ende der DDR, deren Versuch, einen Sozialismus mit Mauern und Stacheldraht aufzubauen, scheiterte.“

Matthias Glotz
11 Jahre zuvor

Hoppla – ich sehe auch eien deutliche Friedensdividende. Vor dem Mauerfall hatte die Bundeswehr 500.000 Mann, die Russen 400.000 Mann, Amerikaner, Engländer und weitere NATO-Partner 150.000 Mann und die NVA 200.000 Mann unter Waffen. SCHÖN, DASS DAS VORBEI ENDLICH IST!
Ob der der Kommentator vor 1990 in DDR hätte bloggen dürfen – das darf wohl bezweifelt werden! Das nennt man Freiheitsgewinn.

der, der auszog
der, der auszog
11 Jahre zuvor

Der Text bietet einige interessante Feststellungen, über die man durchaus diskutieren könnte, wie bespielsweise die Einkommens- und Wohlstandsunterschiede zwischen Ost und West, die ja in fast 25 Jahren Deutsche Einheit lediglich im Ruhrgebiet auf ein vergleichbares Maß den neuen Bundesländern angepasst wurde.

Aber wer die 40 Jahre DDR Unrechtsstaat zu relativieren versucht, indem er das ostdeutsche Faschopack in Lichtenhagen und das NSU Terror Trio aus Zwickau der Deutsche Einheit in die Schuhe schiebt, dem kann ich nur empfehlen, sich Steine, Mörtel und eine Kelle zu besorgen, um den antifaschistischen Schutzwall wieder aufzubauen.
Ich weiß, weder Sebastian Lucke als Ossi noch ich als Wessi haben die Absicht eine Mauer zu bauen… und der Ulbricht hatte die auch nicht.

Stefan Laurin
Admin
11 Jahre zuvor

@Martin: Ich trauere jetzt erst einmal um Tom Clancy!

discipulussenecae
discipulussenecae
11 Jahre zuvor

Das ist doch Ostalgie pur! Wieso sind denn „fast 25 Jahre deutsche Einheit“ die Ursache für „rassistische Pogrome wie z.B. in Rostock-Lichtenhangen oder den blutigen NSU-Terror, sondern auch für die Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl, die Einführung von HARTZ IV sowie für die zunehmende Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen“?
Das heißt doch übersetzt:
1. Es gab in der DDR keine Ausländerfeindlichkeit, weil sie ja ‚Der erste antifaschistische Staat auf deutschem Boden‘ war.
2. Das westdeutsche Regierungssystem als Handlanger des Großkapitals konnte die Sozialsysteme erst nach dem Mauerfall entscheidend abbauen, weil dem westdeutschen Arbeiter die sozialistische Alternative genommen worden war.
3. Alle haben sich in der DDR ganz toll wohl gefühlt und wollten da gar nicht raus.
4: Warum die Mauer gefallen ist, weiß so recht niemand. Vielleicht hat ein Genosse der ‚Grenztruppen der DDR‘ vergessen, eine Grenzbefestigung abzuschließen. Oder auf dem Wachturm das Licht anzumachen. Oder den auf Menschen abgerichteten Schäferhunden ein Leckerli zuzuwerfen.
5. Warum Millionen Ossis am 2. Dezember 1990 Helmut Kohl gewählt haben, bleibt bis heute ein großes Rätsel der Geschichte.

Walter Stach
Walter Stach
11 Jahre zuvor

In Politik und Wissenschaft, in der Literatur, in diversen Fernsehspielen und Kinofilmen usw. wurde ausgiebig und kontroves über das Warum, das Wie, das Wann der deutschen Einheit diskutiert, geforscht, geschrieben, filmisch aufgearbeitet, vom Grundsätzlichen bis hin zu den konkreten menschlichen Erlebnissen, Erfahrungen,Erkenntnissen.
Dem kann ich nichs Neues hinzufügen, weil auch in dem Kommentar von Sebastin Lucke selbstverständlich nicht substantiell Neues ausgesagt , sondern ene oft gehörte Meinung wiederholt wird ,der mindestens so oft widersprochen worden ist.

Deshab zum Inhalt des Kommentares von Sebastin Lucke nichts, aber eine Anmkerkung, die nur indirekt auf den Kommentar von S.Lucke zurückzuführen ist:

Mein Eindruck ist der, daß im Bewußtsten der meisten Menschen in Deutschland -im Osten wie im Westen-der 3.Oktober weder existent ist als der zu feiernde Festtag der deutschen Einheit noch als ein trauriger Tag des Bedauerns über das, was in Deutschland und wie es in Deutschland vor jetzt beinahe 25 Jahren und in den unmittelbaren Folgejahren geschehen ist.

Die Menschen in Deutschland haben am 3.Oktober einen arbeitsfreien Tag.

Auf diesen arbeitsfreien Tag besinnt man sich, auf den bereitet man sich vor. Wie wird das Wetter, was machen wir, was essen und was trinken wir?

All die Versuche, „politische Besinnung“ zu produzieren -Festtag der deutschen Einheit, traurier Tag,weil……- gehen fehl.Sie stören die große Mehrheit der Menschen an ihrem arbeitsfreien Tag.

Wer es trotzdem am 3.1o. politisch-besinnlich will, könnte ja darüber nachdenken, warum die meisten Menschen den 3.Oktober als einen arbeitsfreien Tag genießen wollen-und als nichts Anderes.

Yilmaz
Yilmaz
11 Jahre zuvor

„Gastautor Sebastian Lucke“

Doch nicht etwa mit Bernd Lucke verwandt ?

Froher Leser
Froher Leser
11 Jahre zuvor

Wenn es einen guten Tag in der deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts gegeben hat, dann war es der 9.November 1989 als die verbrecherische Mauer gefallen ist, die unser Volk getrennt hat. Der 3.Oktober 1990 setzte unter diese glückliche Entwicklung nur noch das Siegel.

Alreech
Alreech
11 Jahre zuvor

Ja, der Mauerfall war schon schlimm…
Für uns Westdeutschen.

Ohne die DDR und der Möglichkeit für den Westdeutschen Arbeiter rüber zu machen konnte natürlich der Westdeutsche Wohlfahrtsstaat nicht erhalten bleiben.
Als Besserverdiener konnte man es sich durchaus leisten ein paar Jahre Arbeitslos zu sein. Schließlich gab es unbefristet Arbeitslosenhilfe.
Als Niedriglöhner war man schon vor Hartz IV der Gnade der Sozialämter ausgeliefert, aber hey, seit wann interessiert das irgendwelche Linke die meist aus der Klasse des gut verdienenden Bildungsbürgertums kommt, und die auf Staatskosten eine privilegierte Bildung erhält welcher ihr später Zugang zu Funktion mit Geld und oder Macht erlaubt ?

Das die Sozen und Grünen die Arbeitslosenhilfe abgeschaft haben und das nun der arbeitslose Ingenieur nach einem Jahr genauso behandelt wird wie ein ungelernter Arbeiter wird die Linke der SPD niemals verzeihen.

Ich persönlich hab nichts gegen die Wiedervereinigung, aber musste es ausgerechnet mit der DDR sein ?
Hätte man 1990 die Bundeswehr dazu eingesetzt den Fall des Eisernen Vorhanges zu verhindern wäre alle besser dran.
Wir im Westen hätten keine prekären Verhältnisse, auf der Schwäbischen Alb würden immer noch Näherinnen Schuhe und T-Shirts fertigen, in buchum würde ungelernte Arbeiter Handys zusammenbauen und in der DDR könnten die Sozialisten weiterhin das bessere Deutschland aufbauen.
Es war ja nicht alles schlecht. 😉

Froher Leser
Froher Leser
11 Jahre zuvor

Manche Kommentare sind nur noch schäbig. Das sind arme Menschen.

Wenn mein Bruder vor der Türe steht, nehme ich ihn selbstverständlich auf und frage nicht was mich sein Besuch kosten könnte.

Freidenker
Freidenker
11 Jahre zuvor

Wieso keine Einkommens- und Wohlstandsunterschiede? Was ist eigentlich der Grund für diese links-grünen Gleichmachereiprogramme? Weswegen darf es in der Bevölkerung keine Unterschiede mehr geben? Löhne sind Preise, die sich im Entdeckungsverfahren am Markt zu bilden haben. Löhne (wie Preise) sollen die ökonomischen Knappheiten wieder spiegeln. Entscheidend ist, dass es für den Lohn kein objektives Kriterium gibt, das für alle gleich gilt, sondern dass er situativ ausgehandelt wird und dann gerecht ist, wenn er von beiden Vertragsparteien beim Vertragsabschluss als gerecht betrachtet wird. Genau das ist aber auch der Gerechtigkeitsbegriff, der der Marktwirtschaft zugrunde liegt – Verträge, die frei verhandelt werden, und die von beiden Parteien als vorteilhaft betrachtet werden, führen zu Gerechtigkeit – und nicht der Blick auf die Verteilung. Der wird als Neid demaskiert. Leider gibts in Deutschland keine freien Löhne und Preise, da der Staat mittlerweile in alle gesellschaftliche Bereiche vorgerückt ist.

Man kann die Umsetzung der Wiedervereinigung zu Recht kritisieren, der Beitrag oben geht allerdings in die falsche Richtung.

btw: Demokratischer Sozialismus ist ein Oxymoron!

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