Vor 20 Jahren hat eine große Koalition aus Union, FDP und SPD das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft. Eine direkte Lehre aus der NS-Zeit wurde somit entsorgt. Dass damit eine neue Phase der nationalen Selbstermächtigung eingeläutet wurde, zeigte sich auch in vielen Medien und auf den Straßen, wo der rassistische Mob tobte und zahlreiche Menschen ermordete. Im Mai 1993 erreichte der rassistische Terror in Solingen seinen bisherigen Höhepunkt. Von unseren Gastautoren Andreas Strippel und Felix M. Steiner von Publikative.
Die Grundgesetzänderung vor 20 Jahren markierte einen neuen Höhepunkt einer seit Mitte der 1980er Jahre geführten Kampagne gegen „Ausländer“ und „Asylbetrüger“, in deren Folge nicht nur Gesetze verschärft wurden, sondern auch Menschen ermordet. Das vereinte neue Deutschland entledigte sich einer der direkten Lehren aus der Nazi-Zeit, nämlich der Überzeugung politisch Verfolgten zu helfen. Damit läutete die Bundesrepublik auch eine neue Phase nationaler Selbstermächtigung und das Ende der Nachkriegszeit ein. Das Wort „Asylant“ wurde zum Schmähbegriff einer Nation, die sich mit rassistischen Parolen gegenseitig die Zugehörigkeit zur weißen Mehrheitsgesellschaft versicherte.
Rassistische Debatte um das Asylrecht
Schon seit Anfang der 1980er Jahre hatte die Bundesregierung Stück für Stück die Leistungen für Asylbewerber zurückgefahren. Mitte des Jahrzehnts verschärfte sich der ohnehin schon rüde Ton in der Debatte. Der rechte Flügel der Union kämpfte um sein völkisches Verständnis von Nation und gegen die Realität der Einwanderungsgesellschaft. Von 1986 an betrieb die Union – trotz teilweise innerparteilicher Auseinandersetzungen – bis 1992 eine Kampagne gegen das Asylrecht. Bereits 1985 verstieg sich Franz Josef Strauß zu der Aussage, dass ohne eine Änderung des Grundrechtes auf Asyl Deutschland „bald die Kanaken im Land“ haben werde.
Nach dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nahm die öffentliche Diskussion weiter an rassistischer Fahrt auf. Der neue CDU-Generalsekretär Volker Rühe systematisierte die Hetze gegen Asylsuchende. Er forderte dabei die Ortsverbände seiner Partei auf, insbesondere Beispiele zu nennen, in „denen Asylbewerber staatliche Leistungen unberechtigterweise“ bekommen haben. Damit trug er massiv zur Verbreitung des Klischees des Asylbetrügers bei und forcierte die Verbindung von „Ausländer“ und „kriminell“.
Doch nicht nur die politischen Akteure trieben die Hetze gegen Asylsuchende voran. Ganz entscheidend bei der Schaffung des gesellschaftlichen Klimas war die mediale Begleitung der Debatte. Der umtriebige Arnulf Baring forderte damals in der Bild, das „selbst die Asylgewährung nicht das Recht auf eine Sozialhilfe einschließen (dürfe), wie sie Deutschen zusteht“. In dieser Phase machten einige in der alten Bundesrepublik als liberal geltenden Medien mit; vor allem der Spiegel. 1991 übernahm das Magazin auf seinem Cover die gängige „Das Boot ist voll“-Metaphorik in Kombination mit dem Titel: „Ansturm der Armen“. Die Republikaner bestückten ihren Wahlkampf damals mit ähnlicher Symbolik. Ein Mehr an konstruierter Angst vor dem gefürchteten Statusverlust war kaum möglich. Die logische Folge: Vor eben jenem „Ansturm“ musste man sich schützen.
Die so geschaffene und immer weiter angeheizte Stimmung führte im vereinigten Deutschland der beginnenden 1990er Jahre zu zahlreichen rassistischen Ausschreitungen und Morden gegen Menschen, die gern unter dem Begriff „Ausländer“ zusammengefasst wurden. Den Höhepunkt bildete der Mordanschlag von Solingen, bei dem fünf Menschen ihr Leben verloren.
Opfer als Ursache des Übels
Die Debatte um das Asylrecht befeuerte die Entwicklung der extrem rechten Szene, urteilt der Historiker Ulrich Herbert in seiner Studie „Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland“. Bereits in den späten 1980er Jahren gab es erste Brandanschläge auf Unterkünfte für Asylbewerber in Hessen. Mit den rassistischen Ausschreitungen von Hoyerswerda wurde eine rassistische Gewaltwelle losgetreten, die kaum mehr aufzuhalten war und in der Folge zahlreiche Menschenleben kostete. Vor allem auch die Kapitulation des Staates und der damit einhergehende Erfolg des rassistischen Mobs, sendeten ein Zeichen, welches die pogromartigen Ausschreitungen offensichtlich legitimierten. So verwundert es kaum, wenn Teilnehmer der rassistischen Ausschreitungen von Hoyerswerda fast stolz in die TV-Kamera der ARD sagten: „Die Stadt und alles kann reden, aber das dauert ewig. Aber wenn sie mit Gewalt auftreten, dann geht’s innerhalb von ein zwei Wochen.“ Der Mob sah seinen „Erfolg“ und die extreme Rechte lechzte nach dem Applaus der „Mitte der Gesellschaft“. Nach den Ausschreitungen vom Hoyerswerda (September 1991) folgte Rostock-Lichtenhagen (August 1992) und dann der Mordanschlag von Mölln (November 1992), bei dem drei Menschen starben. Seinen Höhepunkt erreichte die rassistische Gewalt, als vier junge Männer aus Solingen das Wohnhaus der Familie Genç anzündeten und fünf Menschen ermordeten: Saime Genç (4), Hülya Genç (9), Gülüstan Öztürk (12) und Hatice Genç (18) Gürsün İnce (27).
1995 wurden die vier Täter zu langen Haftstrafen verurteilt. Alle sind mittlerweile wieder frei. Teils sind die Täter weiterhin in der extrem rechten Szene aktiv.
Das „deutsche Ansehen“ und die Opfer als Übel
Die gesellschaftlichen Debatten änderten sich auch mit der rassistischen Gewaltwelle Anfang der 1990er Jahre kaum. Statt über Rassismus zu debattieren, wurde weiterhin vom „Asylproblem“ gesprochen. So sagte Golo Mann als Reaktion auf das Pogrom von Hoyerswerda der Welt am Sonntag: „Bei weitem das Beste wäre es, die Grenzen derart zu schützen, dass sie gar nicht erst kommen können.“ In feinster deutscher Schuldumkehr werden die Opfer rassistischer Gewalt zum Problem um etikettiert, während unausgesprochen die deutschen Täter entschuldigt werden.
Als Innenminister Rudolf Seiters nach den Ausschreitungen vor die Kameras trat, wurde auch seine Wahrnehmung der Vorkommnisse mehr als deutlich. So sagte Seiters: „Dies ist ja sicherlich nach übereinstimmender Einschätzung ein Vorgang, der das deutsche Ansehen in der Welt schädigt. Und der auch geeignet ist das Bild vom ausländerfreundlichen Deutschland zu trüben und zu beschädigen, das wir ja auf jeden Fall erhalten wollen.“ Im Laufe des Jahres kippte die SPD um und einigte sich Ende 1992 mit Union und FDP auf die faktische Abschaffung des Asylrechtes. Neben der Drittstaatenregelung, die Deutschland nahezu aus der Verantwortung gegenüber Asylsuchenden herauslöste, kam es auch zur Neuberechnung der Sozialleistungen für Flüchtlinge. Diese wurden völlig willkürlich berechnet und waren keinesfalls ausreichend, wie das Bundesverfassungsgericht 2012 urteilte. Der Bundestag beschloss den „Asylkompromiss“ am 26. Mai 1993. Drei Tage später brannte das Haus der Familie Genç.
Crosspost: Der Artikel erschien bereist auf Publikative