Mit den Stimmen der Union, der FDP und der AfD erhielt gestern eine von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Entschließungsantrag zu einer Asylwende, in dem unter anderem Grenzkontrollen und ein Einreiseverbot für Personen, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen und nicht unter die europäische Freizügigkeit fallen gefordert wurde.
Die Union suchte gestern im Bundestag nicht die Zustimmung der AfD. Sie stimmte einem Antrag zu in dessen Begründung stand: „Wer die illegale Migration bekämpft, entzieht auch Populisten ihre politische Arbeitsgrundlage. Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen. Sie will, dass Deutschland aus EU und Euro austritt und sich stattdessen Putins Eurasischer Wirtschaftsunion zuwendet. All das gefährdet Deutschlands Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Deshalb ist diese Partei kein Partner, sondern unser politischer Gegner.“
Merz und die Unionsfraktion hatten nicht damit gerechnet, dass das passiert und schienen am Ende selbst entsetzt darüber zu sein, was im Bundestag geschehen war. Die Idee, mit einem Schaufensterantrag SPD und Grüne vor sich her zu treiben und der AfD die Deutungshoheit beim Thema Asyl zu nehmen, war gescheitert. Merz hat sich verzockt.
Nach Umfragen will eine Mehrheit der Wähler eine andere Asylpolitik. Selbst unter den Anhängern der SPD standen 56 Prozent hinter den Vorschlägen der Union. Das Ende der linksgrünen Hegemonie hat dazu geführt, dass neben der der Energie- und Wirtschaftspolitik auch die Asylpolitik von SPD und Grünen nicht mehr mehrheitsfähig ist. Allerdings wollen sicher auch viele Anhänger einer restriktiveren Asylpolitik nicht mit der rechtsradikalen AfD in einem Boot sitzen. Ihnen wollte die Union ein politisches Angebot machen. Der Plan scheiterte.
Er scheiterte, weil sich die Union verkalkuliert hat, die AfD ihre Chance erkannte, die Union am Nasenring durch die Manege zu führen und Grüne und SPD nicht in der Lage sind, auf die veränderte Stimmung in der Bevölkerung zu reagieren. Hätte es einen Kompromiss zwischen Union und SPD und Grünen geben können? Wahrscheinlich, aber in der Endphase des Wahlkampfes ganz sicher nicht. Das machte Merz auch deutlich, als er schon im Vorfeld der Bundestagsdebatte ablehnte, Abstriche am Antrag der Union zu machen.
SPD und Grüne werden bis zum 23. Februar einen „Nazis raus-Wahlkampf“ führen. Das schließt die eigenen Reihen. Aber mehr auch nicht: Sie haben gestern keine eigenen Ideen vorgestellt, die Mehrheitsfähig sind. Sie versuchen eine verlorene Hegemonie zu verteidigen. Die Demonstrationen der kommenden Tage und Wochen werden ihnen das Gefühl geben, dass diese Chance besteht. Sie tut es nicht. In nahezu allen westlichen Staaten haben die Migrationsbewegungen der vergangenen zehn Jahre zu einem Aufstieg von rechtsradikalen und rechtspopulistischen Parteien geführt. In Griechenland und Dänemark. Bei den Folketingwahlen 2022 waren die Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen die großen Gewinner, die eine harte Linie beim Thema Asyl verfolgt. In Griechenland hielt die Neo Demokratia, eine Schwesterpartei der CDU, von Kyriakos Mitsotakis die Rechten auf Abstand und gewann die Wahl 2023. Griechenland gehört zu den europäischen Staaten mit dem härtesten Grenzregime. Erkennbar wollte Merz den Weg von Mitsotakis und Frederiksen gehen, um der AfD Stimmen abzunehmen. Weil sie den Rechten ein wichtiges Thema abgenommen haben, konnten sie verhindern, dass deren Chancen ihr politisches Gesamtpaket durchsetzen zu können stiegen, zu dem auch das Ende der Westbindung und die Schwächung des demokratischen Rechtsstaat gehört.
Ob ihm das gelingt, ist nach gestern mehr als zweifelhaft. Gewinner der Abstimmung war die AfD, nicht Merz und die Union. Er war an der eigenen Kompromisslosigkeit und dem Unwillen von SPD und Grünen gescheitert, ihre Positionen in der Asylpolitik in Frage zu stellen und Alternativen zu benennen.
Alles, was die politische Mitte gestern tat, nutzt den Feinden der Republik. Das Land steuert mit voller Kraft auf eine Nebelbank zu. Wenn es schlecht läuft, geht die AfD 2029 als stärkste Partei aus den Bundestagswahlen hervor. Wenn es ganz schlecht läuft, sogar schon am 23. Februar.