Mittendrin in der Hölle: Höcke auf Wahlkampftour in Thüringen

Björn Höcke in Arnstadt Foto: Antje Jelinek


Björn Höcke hatte sein Sommerfest in Arnstadt, das gestern stattfand, groß angekündigt und die Antifa war auch vor Ort. Also ging ich hin. Die Protestaktion gegen diese Machtdemonstration der AfD, denn Wahlkampf brauchen sie ja in Thüringen nicht mehr großartig zu machen, lief unter dem Motto “Höcke sein Sommerfest vermiesen“, war als Kinderfest getarnt und auch so angemeldet.

Es waren um die 100 bunte Leute da und zwar wieder vor der Bachkirche, wo am Donnerstag schon eine Podiumsdiskussion stattfand, von der ich berichtet habe. Es wurde Punkmusik gehört und Trillerpfeifen waren auch am Start. Regenbogenfahnen gab es natürlich auch und Bastelstände für die Kinder. Leider kamen die Wasserspritzpistolen nicht zum Einsatz.

Auf dem direkt danebenliegenden Markplatz war die “große Bühne“ mit den Fascho-Freunden davor. Aber es waren deutlich weniger als ich erwartet hatte, vielleicht maximal 300 Leutchen, mit Hosenträgern, Reichsadler-Tattoos, meist mit aufgeknöpftem Hemd den Fans entgegengestreckt, mit vereinzelten Thüringen- und AFD-Fahnen. So groß war die Bühne übrigens gar nicht, hätte auch eine Frittenbude sein können, und der Marktplatz war auch höchstens zur Hälfe gefüllt.

Autogrammstunde Foto: Antje Jelinek

Die AfD-Veranstaltung war als Friedensfest getarnt und möglicherweise als das „Große Sommerfest von Superstar Björn Höcke“ angemeldet. Ich hörte von fern „Kleine weiße Friedenstaube“ und “Unsere Heimat“, beides Lieder, die meine DDR-Kindheit geprägt haben. Hier allerdings verstärkten sie die unterschwellige Übelkeit, die mir dieser ganze AFD-Zirkus bereitete, doch deutlich. Kinderschminken gab es auch, denn der „Gute Deutsche“ rückt natürlich zu so einem Ereignis mit der kompletten Familie an.

Weil ich so angewidert wahr und mich in der Gegendemo deutlich wohler fühlte, bekam ich von den Weisheiten, die da auf der Bühne so verkündet wurden, gar nicht viel mit. Irgendwann hat dann Renè Aust gesprochen, der der den umstrittenen AFD-Mann Krah in der EU-Delegation abgelöst hatte. Er sagte unter anderem so Dinge wie: „Die Demokratieverteidiger, die stehen hier heute auf dem Platz, die Demokratieverteidiger haben eine AFD-Fahne in der Hand.“ oder „Die jungen Leute sind Patrioten, die stehen auf unserer Seite.“ oder „Führungskraft ist das, was uns in Deutschland fehlt.“ Auf diesen markanten Spruch folgte dann von Aust ein längeres Loblied auf Viktor Orban.

Und dann kam er, der Superstar… So fühlte er sich wahrscheinlich und er badete in der Menge, die er sich einredete. Er meinte, der Marktplatz wäre so voll, dass er hinten die Leute gar nicht sieht. Ich weiß nicht, was für Leute Höcke da gesehen haben will, aber mehr als 250 bis 300 AFD-Fans waren da nicht. Der Markplatz war nicht mal halb voll und die Lücken zwischen drin auch ziemlich groß. Er begrüßte seine Fanbase, in dem er sich selbst auf die Schulter zu klopfte und damit angab, wie stark doch die AFD überall ist, vor allem bei der Jugend und, dass er ja immer vor mindestens 500 oder gar 1000 Menschen spricht. Diese Arroganz und Überheblichkeit, oder nennen wir es Größenwahn, waren nur schwer zu ertragen. Bei der fortgesetzten Selbstbejubelung bekam man das Gefühl, er sieht sich schon als Hitler 2.0. So richtig wohltuend waren da die “Nazis raus“-Rufe, die immer mal wieder zu vernehmen waren. Dann gab er mit seinen vielen Klicks bei Oscar am Freitag, einem regionalen You-Tube-Kanal, an. Und lobte die freien Medien. Ohne sie würde es keine Meinungsfreiheit geben. Ja, das ist wieder ein Beispiel dafür, dass nicht alles falsch ist, was die AFD erzählt. Wenn man aber im Hinterkopf hat, dass sie ein System wie in Ungarn, Russland oder China anstrebt, klingt so etwas einfach nur zynisch. Auch darüber habe ich schon berichtet.

Protest gegen die AfD Foto: Antje Jelinek

Dann folgte Höckes Geschwafel über Thüringen und seine „Kraftorte“ wie Gera oder eben Arnstadt. Wirklich widerlich fand ich, als er die Wendeproteste in Arnstadt, die durchaus bedeutend waren, mit den Montags-Spaziergängern der Corona-Leugner, die jetzt auch die Russlandfahnen schwenken, verglich. “Die Keimzelle der AfD ist hier in Arnstadt und darauf dürft ihr stolz sein“ Ich bin in dieser Stadt geboren und verbringe nahezu mein ganzes Leben schon in Arnstadt und wusste, dass die AfD hier stark verwurzelt ist. Aber es aus dem Mund dieses Faschos live zuhören, war für mich wirklich bitter. Zum Glück folgten darauf keine “Sieg heil“- sondern “Nazis raus“-Rufe von der Gegenseite.

Dann hetzte er gegen die Ukraine und ihrer Unterstützer. Leider hatte er dafür auch den Aufhänger mit der Nordstream-Geschichte, die jetzt aufgedeckt wurde. Er verbreitete also genüsslich sein Friedenspartei-Narrativ und konnte Summen nennen, was das alles so kostet.  Man bekommt natürlich auch viel Applaus mit Geschichtsrelativierung und dem Drücken auf die Tränendrüse. Und immer wieder redete er von sich selbst, seinem Wehrdienst, persönlichen Erfahrungen usw. Das kam mir so vor, als ob er den eigenen Führerkult jetzt schon vorbereitet.

“Der Osten macht’s“ ist das Motto der AfD in Thüringen und das kam dann auch in Höckes Rede vor. Vom Kleinen zum Großen will er. Aha. So sieht sein “demokratischer“ Plan aus: Erst wird er Führer von Thüringen, dann vom ganzen Osten und schließlich von ganz Deutschland. Ich denke tatsächlich, dass er das an dieser Stelle seiner Rede genauso gemeint hat und die Leute, die da vor der Bühne standen, wussten auch genau wofür sie jubeln. Er war in dem Moment wirklich der Popstar der Nazi-Horde und sonnte sich darin. Und mir war zu diesem Zeitpunkt wirklich schon ziemlich schlecht. Mit einer Stimme für die AFD sollen sie ein deutliches Zeichen des Protestes in Richtung Berlin setzen. Dieser Aufruf bringt eine Ursache für dieses ganze AFD-Dilemma zum Vorschein. Die Politik hat versagt und macht die AFD zu einer derart starken Protestpartei. Im Osten der Bundesrepublik macht sich das jetzt deutlich bemerkbar und wird nach den Landtagswahlen unsere Demokratie auf eine harte Probe stellen. Der Graben zwischen Ost und West mit Desinteresse und Arroganz auf der einen und falscher Nostalgie und Trotz auf der anderen Seite und ganz viel Neid auf beiden Seiten wird immer größer. Der AFD kommt die Mauer in den Köpfen zu Gute wie keiner anderen Partei.

Höckes Gelaber von der verfehlten Außenpolitik und das Kriegstreiber-Narrativ führte ihn schließlich zu einem Rundumschlag gegen die CDU. Es ging vor allem gegen Merkel und um die Haltung der CDU zum Ukraine-Krieg. Dieses CDU-Bashing ist aus seiner Sicht verständlich, da die CDU wohl die größte Konkurrenz bei unentschlossenem eher konservativem Wählern ist. Er ging dann zum Thema Energiewende über. Witzig war, dass er aufgreift, dass die Wirtschaft sich von Thüringen abwenden wird, wen die AFD hier das Sagen hat. Einfach nur lächerlich war sein Scheinargument “Die Wirtschaft verlässt jetzt bereits das Land.“

Gegendemonstration Foto: Antje Jelinek

Das Ausländerthema zieht ja immer. Auch damit konnte er sich an der CDU abarbeiten. Und Corona ist auch immer ein Thema. Die geleakten Corona-Files liefern dafür leider auch ordentlich Futter. Es ist schlimm, dass die AfD immer wieder mit Themen gefüttert wird. Und das geht auch wieder auf die Kappe der aktuellen Politik und die der letzten Jahre. Dann sprach er noch eine Weile über Migration. Aber weil es so langweilig war, habe ich nicht richtig zugehört und kann dazu nicht so detailliert berichten, aber es ist ja sowieso immer dasselbe. Er nannte die anderen Parteien übrigens “Kartellparteien“ und kam sich dabei sehr witzig vor. Auch bei seiner bildhaften Sprache merkte man, wie sein Ego Luftsprünge macht. Es muss also der “Haupthahn zugedreht“ werden bei der Zuwanderung. Aha. “Und dann nehmen wir den Eimer und schöpfen das Wasser aus dem Fenster.“ Damit war dann wahrscheinlich diese Remigration gemeint, von der alle reden. Und es kam noch besser. Höcke “zitierte“ Yascha Mounk aus der Tagesschau 2018 allerdings so falsch, dass die verschwörungsideologische Erzählung vom historischen Experiment und dem großen Austausch der Völker gleich mitgeliefert wurde.

Höcke: “Man versucht eine monoethnische, monokulturelle Gesellschaft in eine multiethnische, multikulturelle zu transformieren. Sind wir Deutschen je gefragt worden, ob wir das wollen? Hätte man das deutsche Volk nicht fragen müssen, bevor man anfängt es abzuschaffen? Denn nochmal Freunde, im Grundgesetz steht geschrieben, der Souverän Deutschlands ist das deutsche Volk und was hier gerade von den Kartellparteien betrieben wird, … ist die Abschaffung des Souveräns. Nicht wir sind extrem, die Regierungsparteien, die Regierungspolitik in Deutschland, die ist extrem. Nicht Rechtsextremismus gefährdet dieses Land, Regierungsextremismus gefährdet dieses Land“

Das reißt natürlich das, was Yascha Mounk wirklich gesagt hat, völlig aus dem Kontext.

Originalzitat Yascha Mounk: “Das wir hier ein historisch einzigartiges Experiment wagen, und zwar eine mono-theistische, mono-kulturelle Demokratie in einen multi-ethnische zu verwandeln, das kann klappen, das wird glaube ich auch klappen, aber dabei kommt es natürlich auch zu vielen Verwerfungen.”

Und dann machte Höcke weiter mit seiner Hetze gegen Ausländer und malte die multikulturelle Gefahr an die Wand. Es folgte eine Bauchpinselei der echten Deutschen Menschen, die die Tradition pflegen, und wieder seine bildhafte Sprache: “Deutschland darf nicht aufgelöst werden wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl“ Ja, die Bildsprache beherrscht der Geschichtslehrer. Dann meinte er siegessicher, dass das Multikuli-Experiment in Thüringen beendet werden wird. „Wir sind stolz darauf Thüringer und Deutsche zu sein!“ Höcke träumt von der politischen Wende am 1.9. und Abschiebungsflügen im Minutentakt. Ich will nicht, dass es soweit kommt. Auch wenn ich diese Person wirklich lächerlich finde in ihrem Größenwahn, er machte mir neben der permanenten unterschwelligen Übelkeit, die ich während der gesamten Veranstaltung aushalten musste, auch etwas Angst. Und dann kam die nächste Portion Großsprecherei: “Ich werde als Ministerpräsident in meiner ersten Rede klar und deutlich die Sätze formulieren, dass das Weltsozialamt Deutschland in der Abteilung Thüringen geschlossen ist.“ Und seine AFD bezeichnete er als “Revolutionäre Partei“ und meinte noch im Zusammenhang mit der Ausländerhetze “Deutsche sind Bürger 2. Klasse“.

Dann kam schließlich noch das Thema Rente an die Reihe. Das zieht ja immer. Beim Vergleich mit Österreich, machte er noch die kleine Nebenbei-Bemerkung, dass das ja auch mal Deutschland war. Und außerdem ist nämlich die Energiewende schuld am niedrigem Rentenniveau und die EU auch und natürlich die Ausländer bei uns und überall auf der Welt… Kinderkriegen und Familienförderung war dann der nächste Punkt. Diesmal wurde aber mit der DDR verglichen: “Ja, es war nicht alles schlecht in der DDR“. Nun lobte er noch der Mittelstand und ihm wurden diverse Dinge versprochen. Die Schule soll entmultikulturalisiert werden, so Höcke, weil die Multikulturalisierung nämlich schuld ist am Verfall der deutschen Bildung. “Schulen sind zu Reparaturanstalten einer kranken Gesellschaft geworden“ An dieser Stelle ließ er dann geschickt eine Beleidigung an die Gegendemonstranten fallen, die mit wohltuenden “Nazis-raus“-Rufen antworteten. Er spann sich schließlich noch etwas über Hypersexualisierung im Kindergarten zusammen und tat so, als ob bereits dort schon die Judith-Buttlers-Ideologie von der Abschaffung der Geschlechter vermittelt wird. Und Gendern soll gefälligst aus der Schule verbannt werden. Ich kritisiere auch die Genderideologie, aber man kann es natürlich auch übertreiben. Das muss man sogar, wenn man den Führer-Posten haben will und eine Art Göbbels hat Höcke ja irgendwie noch nicht im Team und muss es selbst tun. “Wir werden die Regenbogenflagge einholen vor unseren Schulen und werden den Thüringer Löwen hochziehen und Schwarz-Rot-Gold“ Hier hat er es tatsächlich geschafft, viel Applaus und Gejubel von seinen Jüngern zu bekommen. Und noch mehr Beängstigendes folgte dem: „Thüringen wird unter einer AFD-Herrschaft nicht nur Freistaat heißen, sondern Freistaat sein“ Bei diesem markigen Spruch ging es ihm wieder um Meinungsfreiheit. Und auch mit Ausrufen wie “Antifa in die Produktion“ konnte er die Stimmung anheizen. So sehr sogar, dass Rufe aus dem Publikum wie “faule Sau“ und „wir wissen, wo du wohnst, du F*tze“ laut wurden, natürlich in Richtung der Gegendemonstranten. Lustig fand ich, dass Höcke zur gleichen Zeit irgendwas von “kultureller Substanz“ erzählt hat.

Plakat Foto: Antje Jelinek

Und dann die Schlussworte “Der 1. September wird eine historische Zäsur für Thüringen. Der 1. September wird eine historische Zäsur für Deutschland.“ Gott bewahre uns. Auch wenn ich den Mann, wie bereits erwähnt, nicht wirklich ernst nehmen kann, fuhr mir hier ein Schauer über den Rücken.

Dann war die Rede endlich vorbei. Bei Abmarsch der Teilnehmer gab es dann noch kleine verbale Rangeleien mit den Gegendemonstranten, wo Sprüche fielen wie “Ich kenne deine Familie, du Assi, du Homo!“ Wo ich mich kurz fragte, ob dieser Mensch überhaupt weiß, was eine Zäsur ist. Höcke hat in der Zwischenzeit schon fleißig Autogramme gegeben und Fan-Fotos machen lassen, während seine Lakaien noch die bunte Meute beleidigten. Aber das war dann zum Glück auch schnell vorbei und ich war froh die Zeit in der Hölle überstanden zu haben.

Meine Erkenntnisse: Er ist nicht der großartige Führer für den er sich hält, sondern nur ein kleiner ehemaliger Geschichtslehrer, der einigermaßen gut mit der deutschen Sprache umgehen kann. Er kann wohl die “Guten Deutschen“ vor seiner Bühne begeistern, aber Format hat er nicht. Und er ist und bleibt ein Faschist und wird nie ein Menschenfreund werden. Schade ist nur, dass das nicht alle in Thüringen so sehen und sich von seinem demagogischen Müll einlullen lassen. Aber wahrscheinlich wollen die meisten es genauso haben. Bald ist Wahl. Mir graut vor dir.

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