Für Komponisten kann es inzwischen zum Alltag gehören, auch Audios ihrer Kompositionen anzubieten, Demos, manchmal sogar Alben, wenn sie nicht für bestimmte Ensembles schreiben, ob frei oder im Auftrag. Helge Bol, ein Duisburger Komponist, der gleichsam zwischen zwei Stühlen Platz gefunden hat, zwischen zeitgenössischer Klassik und zeitgenössischem Jazz, hat sich nicht nur eine individuelle musikalische Sicht erarbeitet, sondern auch ein Projektstudio aufgebaut. Entstanden sind bislang vier digitale Alben. Im folgenden Text erläutert er, dass für ihn auch der Aufbau eines Projektstudios primär eine individuelle Sache war. Besondere Berücksichtigung erfährt die populär gewordene Audio-Kompression, die erlaubt, die durchschnittlich wahrnehmbare Lautstärke zu erhöhen, ein Vorgang, der z.B. in der modernen Tanzmusik ausgiebig genutzt wird und der bis zu einer mittelalterlich anmutenden Kasteiung reichen kann.
Audios zu erstellen, ist vom einsetzbaren Material abhängig, musikalisch als auch im Hinblick auf die Werkzeuge. Eine allgemein beschreibbare Orientierung kann es nicht geben. Bei mir gelangt die Musik von einem analogen Mixer (Soundcraft Spirit M8) in einen Rechner, in die dort installierte DAW (Digital Audio Workstation). Ich nutze Reaper, unter anderem aufgrund des besonderen Lizenzmodells.
Mit allen auf dem Markt erhältlichen DAWs werden auch Bearbeitungswerkzeuge als PlugIns geliefert, die in ihren Möglichkeiten allerdings sehr unterschiedlich ausfallen. Aus der Reaper-Kollektion hervorheben möchte ich ReaFIR, mit dem sich eine Rauschentfernung pro Spur bzw. Audio-Stem vornehmen lässt.
Je differenzierter eine Musik in der Lautstärke ist und je feiner musikalische Passagen sind, um so schwieriger wird es, einen brauchbarer Einsatz von Kompressoren zu finden. Kompressoren gleichen vor allem die Lautstärkeunterschiede innerhalb eines Stücks an, auf einem niedrigeren Niveau, um eine durchschnittliche Pegelanhebung zu ermöglichen. Feinheiten können untergehen. Eventuell wird sogar das musikalische Material angegriffen, in dem sehr, sehr kurze Passagen einfach geschluckt werden. Kompressoren können, achtet man auf verschwindende Details, rabiate Allesfresser sein, besonders im Summeneinsatz.
Liegt aber die Musik ohnehin auf einem sich kaum ändernden Pegel und sind keine musikalischen Feinheiten auszumachen, allenfalls im sogenannten Sound, wie es in der modernen Tanzmusik üblich ist, muss eine rabiate Vorgehensweise nicht einmal auffallen. Das vielleicht wichtigste Merkmal einer solchen Musik wäre, dass sie zu ‚knallen‘ hat, ‚durchschlagen‘ muss, bis vom malträtierten Leib imaginär nur wunde Fetzen übrigbleiben. Eine mittelalterliche Selbstkasteiung, um Glück empfinden zu können und zu dürfen, hätte nicht vollendeter gelingen können.
Mit Kompressoren lässt sich auch völlig anderes anstellen, falls nicht die Kompressionsrate, sondern Attack und Release ins Zentrum rücken. Der Sound eines Moduls kann durch weite Attack- und lange Releasezeiten dazu ermuntert werden, größer und voller zu klingen, als im Modul ursprünglich programmiert. Ich habe zwei Hardware-Module im Einsatz, mit denen ich in beschriebener Weise verfahre, mithilfe zweier Hardware-Kompressoren. Im vorliegenden Kontext interessiert mich jedoch ein möglicher Summeneinsatz in der DAW.
Methodisch verzichte ich auf ein typisches ‚Premastering‘, bei dem nur der Summenauswurf, das Mixresultat eines Stückes zur Verfügung steht. Mitunter wird statt vom ‚Premastering‘ auch vom ‚Mastering‘ gesprochen, falls die technische Arbeit zur Erstellung einer CD-Produktion keine Rolle spielt. Weil ich meine Audios nicht an ein externes Studio geben möchte, lässt sich eine Bearbeitung auch schlicht in der Summe vornehmen. Dies hat den Vorteil, dass alle Spuren und Audio-Stems separat erreichbar bleiben, um während der Summenbearbeitung auch dort noch Korrekturen vornehmen zu können. Ohne ein technisches Mastering käme ich allerdings auch bei einer Digitalproduktion (EP) nicht aus. Abschließend sind die verschiedenen Stücke zumindest in der Lautstärke zueinander anzupassen.
Innerhalb der DAW, auf den Spuren und Audio-Stems eines Stückes, verzichte ich weitgehend auf den Einsatz von Kompressoren. Um so wichtiger war und ist es, einen für die Summe geeigneten Kompressor zu finden. Dieser Einsatz ist äußerst komplex, kommen doch zahlreiche unterschiedliche Signale gleichzeitig an. Ich nutze das ‚Modell 670‘ von IK-Multimedia, das einer Rarität, einem Fairchild 670 nachempfunden wurde. Und dahinter ist noch ein soft betreibbarer Limiter von Stillwell Audio geschaltet, um Pegelspitzen abfangen zu können, das ‚Event Horizon‘.
Nur in Sonderfällen kann es geschehen, dass eine Spur / ein Audio-Stem separat mit einem Kompressor belegt wird. Der Entscheid erfolgt nach der Summenbearbeitung, um ein zu starkes komprimieren verhindern zu können.
Zur Summenbearbeitung gehört freilich mehr als nur zu ‚komprimieren‘ und zu ‚limiten‘. Vor dem ‚Modell 670‘ ist ein EQ geschaltet, um den sich eventuell frequenzweise ballenden Gesamtklang korrigieren zu können, und am Schluss, nach dem ‚Event Horizon‘, ein Reverb- bzw. Hall-PlugIn, das Impulsantworten eines Lexicon 960L bereitstellt. Mir haben die räumlichen Eindrücke der Chambers in außergewöhnlicher Weise gefallen. Speziell über meinen Umgang mit Reverb entstand ein Text für Amazona.de.
Für mehr visuell Ansprechbare: http://www.pleasurizemusic.com/de/de/wie-ist-der-loudness-war-entstanden (im Video den "Dynamic Range" im Lauf der Zeit beachten) 😉 Und für Audiophile auch plastisch was auf die Ohren: https://www.youtube.com/watch?v=3Gmex_4hreQ
Mittlerweile haben die "Großen" der Industrie (u.A. Sony, Spotify und Apple) diese Kasteiungs-Kompression aufgegeben und man kehrte zu wesentlich mehr Dynamikumfang im gemasterten Material zurück. Apple und Spotify haben schon vor einigen Jahren zunächst die Gesamtpegel der von ihnen digital angebotenen Titel gesenkt und die sog. "Lautheitsanpassung" (oder auch "Sound Check" in itunes) eingeführt, die zwar bei grobem Hinsehen eine Art "Einheitslautstärke" generiert, diese aber mit wesentlich mehr "Luft nach oben und unten", also mit mehr Dynamikreserve versieht, damit kurze Pegelspitzen deutlicher vernehmbar bleiben. Beachtet man die Marktmacht der Online-Streamer, ist der Loudness War also over.
Hier noch ein hübsches Video über die Geschichte des Loudness War, beginnend mit der Geburt der CD Anfang der 80er bis heute, verfasst von Mastering-Legende Bob Katz: https://www.youtube.com/watch?v=u9Fb3rWNWDA
Danke für die vielen Links. Aber der Loudness War ist noch längst nicht vorbei. Die besondere Faszination von Tiefbässen, die im normalen Wohnungsbau durch nichts aufgehalten werden können, gilt weiterhin, darüberhinaus sind völlig überkomprimierte Produktionen, die speziell für Clubs produziert werden, weiterhin im Rennen.
Das mit dem "normalen Wohnungsbau" hab ich mal sehr plastisch erlebt, als unser damals selbst gebautes und mit Dämmung und Schleusen total schallisoliertes Studio in einem Mietshausanbau am Erdgeschoss noch vor der Eröffnung dichtgemacht werden musste, weil zwar Niemand der Mieter auch nur einen Ton hörte, aber im 5. Stock die Blumenvase langsam vom Fernseher tanzte, da die Betonbodenplatte unseres Studio-Hauptraums für uns unsichtbar direkt in die Hauswand eingelassen war:-(
Trotzdem denke ich, dass der LW zwar noch in den letzten Zuckungen der Tinnitus-geschädigten Disco-Opas liegt, aber die Streamer das Ding endgültig begraben werden. Ich hab mir hier in meinem Projektstudio mittlerweile angewöhnt, vieles nur noch über billigste Compi-Speaker zu kontrollieren, weil man da einfach mehr hört, weil man sich mehr dabei anstrengt. (Ein bissken Underworld über die dicken Bertas ab und an mit 'nem schönen Whiskey muss trotzdem sein;-)