Die stetige Weltsensation Moers Festival steht vor der tiefgreifendsten Änderung ihrer Geschichte. Von unserem Gastautor Thomas Meiser.
Vor mehr als dreissig Jahren von Anarchopatriarch und Plattenlabel-Eigner Burkhard Hennen gegründet war das New Jazz Festival zu Moers zunächst ein fast intimes Date von Freunden der irrwitzigen Saxophon-Kakaphonie.
Über die Jahre mauserte sich die pfingstliche Veranstaltung zur definitiv relevanten Grösse für zeitgenössische Improvisationsmusik.
Ganze Generationen von Avantgardemusikern trugen den Sound von Moers, der am linken Niederrhein gelegenen kleinsten Grossstadt Deutschlands hinaus in die Welt. Ganze Generationen von Hipstern, den jungen Leuten mit dem komplexen Musikgeschmack, liessen sich dort als Publikum ihre Gehörbildung vervollkommnen. Inmitten eines irrwitzigen Basislagers von Campern, in deren Mitte das Festivalzelt, das grösste Zirkuszelt Europas, stand.
Damit ist es nun Pfingsten 2014 vorbei. Das Zelt als Ankerpunkt wird es nicht mehr geben. Statt dessen lässt es sich die Kommune angelegen sein, eine Art Turnhalle am Rand der Stadt zur zentralen Spielstätte aufzumöbeln. Denn dafür kriegt die klamme Stadt Moers Fördermittel.
Thomas Meiser sprach mit Reiner Michalke, dem künstlerischen Leiter des Moers Festivals über das neue Lagebild.
Reiner, wie gehts Helge? Du warst ja Producer von Helge Schneiders TV-Show im Dritten Programm. Nur zweimal ausgestrahlt, schon legendär geworden. Auch, weil Helge danach inn Sack gehauen hat. Er sagte, dat is nich mein Ding.
Ja, leider. Ich halte Helge nach wie vor für einen genialen Entertainer, der auch mit dem Medium Fernsehen umgehen kann. Wir wollten gemeinsam nicht weniger als das Thema „Fernseh-Show“ auf eine besondere, Helge-spezifische Art umdrehen. Es hat Helge auch Spaß gemacht, aber dann doch nicht so viel Spaß, dass er das Projekt fortsetzen wollte.
Das mit dem inn Sack hauen, das mit dem Aufgeben, das hat aktuell den Sound der Planung des Moers Festivals. Rausgetrommelt wurde die Tage, das grösste Festivalzelt Europas solle nun mehr durch eine schnöde Turnhalle ersetzt werden. Was ist dran?
Es stimmt, wir planen für 2014 den Umzug in die jetzige Theaterhalle, eine ehemalige Tennishalle, die wir mit finanzieller Hilfe des Landes NRW zur Festivalhalle Moers ausbauen wollen. Wenn alles so klappt wie wir uns das vorstellen, hätte das moersfestival zum ersten mal in seiner Geschichte eine längerfristige Perspektive und müsste nicht immer Jahr für Jahr um seine Existenz kämpfen. Dieser jahrelange Kampf hat meinen Vorgänger Burkhard Hennen so ermüdet, dass er dann irgendwann „in den Sack gehauen“ hat. Soweit bin ich tatsächlich noch nicht. Im Gegenteil: Ich erwarte mir von der neuen Festivalhalle eine deutliche Verbesserung der Bedingungen für Publikum und Musiker. Vor allen Dingen was die Akkustik betrifft.
Ist schon klar, dass viele für das Moers Festival kämpfen. Aber – wer sind die Verhinderer?
Offen gesagt kann ich zurzeit keine Verhinderer ausmachen. Ok, es gibt weiterhin die Skeptiker, und diejenigen, die es lieber sehen würden, wenn das Festival seinen Geist aufgeben würde. Das eigentliche Problem aber ist, dass der wichtigste Träger des Festivals, die Stadt Moers pleite ist. Moers sah sich gezwungen, den Zuschuss zum Festival ab 2014 um 40% zu kürzen, was das faktische Aus des Festivals bedeutet hätte. Da das teuerste am Festival nicht etwa das Programm, sondern der Aufbau einer Spielstätte mit Infrastruktur für 2.500 Personen auf der grünen Wiese ist, lag es nahe, eine feste Spielstätte für das Festival zu suchen. Es war Carla Bley, die uns eher zufällig den entscheidenden Hinweis gab, als sie die guten akustischen Bedingungen in der Theaterhalle lobte, als sie dort für das vergangenen Festival geprobt hatte.
Jeder weiss, dass das Moers Festival ohne das grosse Zelt und das Knuddelbunte, was sich darum kilometerweit schart, nicht vorstellbar ist. Sessions auf dem Campingplatz, Kiffen und Saufen. Die lokale CDU hat also endlich Morgenluft gewittert, um den anarchischen Geist von Moers auszulöschen?
Wir sind uns doch alle im Klaren darüber, dass wir fürchten etwas zu verlieren, was wir schon vor langer Zeit verloren haben. Das Festival begann 1972 im kleinen Moerser Schlosshof, zog 1975 in den größeren Schlosspark, dann 1983 – um dem Regen zu entgehen – in die Eissporthalle, und ist seit 1987 im Zirkuszelt untergebracht. Bei jeder Veränderung wurde der Verlust des „Geistes von Moers“ beschworen, und jedes mal war das Festival stärker als seine Beschwörer. Gleichzeitig hat sich das Festival von einem Gesamtkunstwerk, das von einem Geist getragen war, immer mehr zu zwei sehr unterschiedlichen Veranstaltungen weiterentwickelt. So gab es weiterhin das Musikereignis, das viele Menschen aus der ganzen Welt anzieht, und – nennen wir es – das Pfingsttreffen, das im wesentlichen Jugendliche und solche, die es an Pfingsten bleiben wollen, aus der Region anspricht. Als man mir 2006 für das Festival die Verantwortung übertrug, hatten sich diese beiden Veranstaltungen bereits soweit auseinander gelebt, dass es mir trotz verschiedener Bemühungen nicht mehr gelungen ist, hier wieder eine Nähe herzustellen.
Reiner, wie ist Deine Prognose? Wird es ein Moers Festival wie immer geben? Oder dräut den Enthusiasten jetzt eine neue Eiszeit? Wie vor Jahrzehnten, als doofe Kommunalpoliticos das Festival in eine sterile Halle, die Moerser Eissporthalle verpflanzten?
Für mich steht „Moers“ in allererster Linie für eine musikalische Idee, für ein Programm der Offenheit, der Toleranz und der Unabhängigkeit. In diesem Sinne bin ich davon überzeugt, dass nur eine längerfristige Perspektive dem Festival eine Zukunft geben kann. Eine Festivalhalle mit optimalen Konzertbedingungen und optimalem Umfeld einschließlich der Camping-Möglichkeiten für Festivalgäste ist eine solche Perspektive. Da diese Halle in das Eigentum der Festival-GmbH übergehen wird, besteht darüber hinaus die Möglichkeit, die Halle ganzjährig zu nutzen und dem Festival zusätzliche Einnahmemöglichkeiten zu verschaffen. Gleichzeitig spricht nichts dagegen, das „Pfingstjugendtreffen“ im Schlosspark weiter zu veranstalten. Dann jedoch ein paar Meter voneinder getrennt, mit der Möglichkeit, beide Veranstaltungen je nach Interesse und Laune besuchen zu können.
[…] mit den Ruhrbaronen. Dorten aber fünf Stunden […]