Mord im Rückfall – 45 Fallgeschichten über das Töten

(Quelle: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft)

„Was unterscheidet die 3% der Tötungsdelinquenten […], die nach einer ersten Tötung erneut einen Menschen zu töten versuchen […] von den 97% der wegen Mord oder Totschlag Verurteilten, die ihre Strafe absitzen und zumindest nie wieder eine Straftat gegen das Leben begehen?“ (S. 213). Dieser Frage geht Hans-Ludwig Kröber in seinem Buch „Mord im Rückfall – 45 Fallgeschichten über das Töten“ auf den Grund. Das 247-seitige deutsche Buch wurde am 14. Februar 2019 von der MMV Medizinisch-Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft veröffentlicht. Der Autor Prof. Dr. med. Hans-Ludwig Kröber wurde im Jahr 1951 in Bielefeld geboren und ist seit vielen Jahren in der forensisch-psychiatrischen Forschung und Begutachtung tätig. Von 1996 bis 2016 war er Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie an der Charité Berlin. Schwerpunkte seiner Arbeit sind vor allem Schuldfähigkeit, Kriminalprognostik und – wie auch im hier rezensierten Buch thematisiert – die Erforschung von Rückfälligkeit bei Straftätern. Von Leonie Windau.

Die Abschätzung des Rückfallrisikos ist für die Verhinderung eines erneutes Tötungsdelikts äußerst relevant. Durch eingehende Betrachtung der Fallbeispiele versucht Kröger zu erörtern, aus welchen Gründen Menschen töten – und warum, wann und unter welchen Rahmenbedingungen auch trotz Bestrafung ein weiteres Mal. 45 Fälle männlicher Straftäter beschreibt er dabei. Die unterteilen sich in sieben verschiedene Gruppen und sechs Motivgruppen: Besitz (Raubmord), sexuelles Begehren (Vergewaltigung und Tötung, Taten gegen die ablehnende oder verlassende Frau, sadistisch motivierte Taten), Scham für sexuelle Orientierung und Angst vor Bloßstellung (Tötung des homosexuellen Partners) und „Mordlust“ (reine Gewalt und Gewöhnung ans Töten). Die letzte der sieben Gruppen stellen schizophrene Mehrfachtöter dar; sie begehen Delikte „im Rahmen der tiefgreifenden Daseinsabwandlung“ (S. 185) – so versucht ein Mann nach einem unbegründeten Mord an seinem Vater auch seine Mutter zu töten, da er vermutet sie wolle ihn vergiften. Und ein anderer, kurdischer Mann, der sich für den letzten Propheten hält, tötet, weil es ihm Stimmen befehlen.

Neben der Motivation spielen auch situationale und persönlichkeitseigene Aspekte eine entscheidende Rolle beim Ausüben von Tötungsdelikten. Als wichtige Risikofaktoren werden frühere Entwicklungsbedingungen wie Instabilität und erzieherische Gewalttätigkeit benannt: viele Täter hatten in ihrer Kindheit schlechte Startbedingungen und zeigen bereits früh Persönlichkeits- und Verhaltensauffälligkeiten. Ein besonderes Rückfallrisiko zeigt sich, wenn die Zeit zwischen den verbüßten Haftstrafen sehr kurz ist und der Täter sich auch nach der Haft weiterhin in kriminellen Kreisen aufhält. Auch junge Täter, die zeitlich nur begrenzte Strafen erhalten, und Täter, bei denen das Gericht besonders nachsichtige Entscheidungen fällt (z.B. Umdeutung einer Tat in Notwehr), begehen mit größerer Wahrscheinlichkeit ein erneutes Tötungsdelikt.

Sehr stabile Rückfallraten bis ins letzte Lebensdrittel finden sich bei Sexualstraftätern. Der Verdacht „eine[r] anhaltende[n] Gefährlichkeit“ besteht bei Menschen, „die einmal den Triumph des Tötens genossen haben“ (S. 143). Insgesamt gibt es für das erneute Begehen von schweren Gewalttaten laut Kröber aber „kein stabiles Erkennungszeichen“ (S. 219).

Kröber fasst am Ende seines Buches zusammen: „Diese Männer sind keine […] Persönlichkeitstäter und keine Täterpersönlichkeiten, sondern Männer mit einer sehr belasteten, aber letztlich selbst gestalteten Lebensgeschichte. Die Vielgestaltigkeit dieser Geschichten beweist, dass es keine allgemeine Theorie ihres Rückfalls geben kann, und dass Gott eben doch bisweilen würfelt.“ (S. 219).

Wie der Autor schreibt

Der Schreibstil des Autors setzt für ein gutes Verständnis stellenweise einen gewissen, etwas psychologisch geprägten Wortschatz voraus. Der sehr sachliche Schreibstil wird teilweise durch einige eher umgangssprachliche Ausdrucksweisen unterbrochen („Möglicherweise aber hat der Junge dann Sven B. irgendwie gekrängt oder beleidigt gehabt“, S. 63). Der Inhalt ist vereinzelt aufgrund verschachtelter Sätze ein wenig zu kompliziert dargestellt, unnötigerweise. Trotzdem: mit etwas Konzentration kann dem Geschriebenen gut gefolgt werden, da Kröger insgesamt sehr wortgewandt, anschaulich und detailliert beschreibt. Er beschönigt nicht, sondern konfrontiert den Leser sachlichermit der oftmals sehr brutalen Realität.

Diese detail- und kenntnisreichen Beschreibungen der einzelnen Fälle zeichnen sehr umfassende und realistische Bilder der Täter, der verschiedenen Persönlichkeiten, der unterschiedlichen Lebensgeschichten und Tathergänge. Trotz vieler Details und Informationen sind die Fallgeschichten nicht zu ausschweifend oder langatmig. Der Autor betrachtet Täter und ihre Taten auf mehreren Ebenen und führt sie auf allgemein geläufige Beweggründe zurück. So gelingt es ihm sehr gut, dem Leser eine Vorstellung davon zu vermitteln, warum Menschen töten, wie es Mördern gelingt, einfach mit ihrem Leben weiter machen können, als sei nichts geschehen, und, warum sie sich erneut dazu entscheiden, zu töten.

Ein roter Faden zieht sich durchs Buch

Der Autor thematisiert zu Beginn die Konstrukte Macht und Gewalt, kommt anschließend auf das Töten und dann auf Mord- und Totschlagsdelikte im Rückfall sowie auf die zentrale Frage „Wird er es wieder tun?“ zu sprechen. Das Kapitel „He did it again.“ am Ende des Buches knüpft an die Eingangsfrage an.

Auch der Rest des Buches ist gut strukturiert: Vor den jeweiligen Fallbeispielen der einzelnen Motivgruppen findet sich ein jeweils kurzer Einschub mit einigen sehr eindrücklichen Hintergrundinformationen und Erörterung des Motivs. Zusammenfassungen der wichtigsten (und für den Leser wahrscheinlich befremdlichsten) Fakten vor jedem Fallbeispiel sowie deren einprägsame Titel geben einen guten Vorgeschmack auf die folgende Tätergeschichte (z.B. „Lebenslanger Gewalttäter aus Gewohnheit und mit Leidenschaft“, S. 83).

In der Darstellung der Fallbeispiele geht Kröger nicht immer chronologisch vor; teilweise nennt oder beschreibt er zu Beginn die (versuchten) Tötungsdelikte der jeweiligen Person und geht anschließend genauer auf deren Lebensgeschichte ein. So wird erst nach und nach klar, wie es zu den Delikten gekommen ist und mit was für einer Person man es zu tun hat. Da die Delikte und Haftstrafen im darauffolgenden Lebenslauf jedoch nur noch einmal kurz aufgegriffen werden, stellt es sich für den Leser mitunter schwierig dar, die anfänglichen Schilderungen der Delikte in den darauffolgenden Lebenslauf gedanklich einzufügen bzw. diese zuzuordnen. Womöglich hätte ein durchgehend chronologisches Vorgehen das Verständnis des Lesers erleichtert.

Krögers Ziel durch sein Buch und die darin enthaltenen Erzählungen Erfahrungen zu liefern, ist ihm überaus gut gelungen. Er beleuchtet in anregender Art und Weise das vielschichtige Feld der Straffälligen mit Tötungsdelikten im Rückfall und reflektiert die Ergebnisse kritisch hinsichtlich der Fragestellung. Aufgrund des neu gewonnen Wissens und der aufschlussreichen Einblicke in unterschiedlichste Lebensläufe ist das hier rezensierte Buch durchaus zu empfehlen, besonders dann, wenn ein gewisses Interesse für Forensik, Psychologie und Motive menschlichen Handelns besteht und dem Leser die genauen Schilderungen von Tötungs- oder Vergewaltigungsdelikten nicht zu nahe gehen. Alles in allem ein äußerst bereicherndes und hochspannendes Buch!

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Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
5 Jahre zuvor

"Täter, bei denen das Gericht besonders nachsichtige Entscheidungen fällt (z.B. Umdeutung einer Tat in Notwehr)"
Wie kommt es zu der revidierten Einschätzung der früheren Tat? Gibt es ein entsprechendes Gerichtsurteil, oder ist dies die Einschätzung des Autors resultierend aus seinen Interviews?
Die zunächst etwas krittelige Frage erscheinende stellt sich mir, wenn ich die Expertise des Autors einzuschätzen versuche und u.a. den Wikipedia-Artikel hinzuziehe. Mit diesem Detail und dem mindestens merkwürdigen Umgang mit dem Fall Mollath, bleiben Zweifel an der Objektivität eines Autors, der vielleicht etwas zu eingenommen von sich selbst ist.

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