Unser Gastautor Ioannis Dimopulos über die Nähe eines Kinos in Münster zu antiisraelischen Aktivisten.
Wer einmal wissen möchte, was der lokale, kleine Mann des Kultursektors in puncto Nahost-Konflikt als inklusiven Raum des Gesprächs versteht, muss dafür nur einen Blick auf die neusten Ausschweifungen derjenigen werfen, die es als Schausteller ihrer eigenen geistigen Begrenzung noch nicht auf die Bühnen der Berline oder Documenta geschafft haben. So ließen sich in etwa die neusten aktivististischen Ergüsse des „Cinema & Kurbelkiste“ in Münster beschreiben lassen. Ein Blick auf keine neue Eskalationsstufe.
Das „Cinema & Kurbelkiste“, ein beliebtes Kino im Osten Münsters, durfte sich erst vor kurzem für eine recht merkwürdig anmutende Kooperation rechtfertigen. Und natürlich bestätigt sich das mittlerweile kaum noch zu übersehne Vorurteil gegenüber – man könnte sagen – interessanten Positionen zu Israel und dem Antisemitismus in Deutschland. Dafür hat man sich aber auch umso liebevoller mit der persönlichen Diffamierungen der Kritiker zu rechtfertig versucht. Am 26. Februar wurde im entsprechenden Kino Alon Schwarz´s Dokumentarfilm „Tantura“ gezeigt. Der Film verhandelt die von Palästinensischer Seite sogenannte „Nakba“ von 1848. Der Film zeigt die vermeintlich andere Seite des israelischen Unabhängigkeitskrieg, die Vertreibung der „indigenen“ palästinensischen Bevölkerung, die von Palästina-Aktivisten gerne als „ethnische Säuberung“[1] bezeichnet wird. Der Film wurde in Kooperation mit der Gruppierung „Palästina Antikolonial“ gezeigt.
Die Gruppierung „Palästina Antikolonial“ ist in der Vergangenheit immer wieder mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen. Zusätzlich kooperieren sie mit der Hamas-nahen „Palästinensischen Gemeinde Deutschland e.V.“ und der verbotenen Gruppierung „Samidoun“, die dem Netzwerk der PFLP zugehörig ist. Darüber hinaus ist Palästina Antikolonial vermehrt durch antisemitische Äußerungen – etwa im Zusammenhang mit dem 7. Oktober – aufgefallen. So bezeichneten Sie das größte Massaker an jüdischem Leben seit der Shoah durch die Hamas als „Ausbruch aus dem Gefängnis“. Auf der Internetseite von „Palästina Antikolonial Münster“ empfiehlt die Gruppierung nicht nur die antisemitischen „Ergüsse“ des Politik-„Wissenschaftlers“ Norman G. Finkelstein, sondern auch die typischen jüdischen Palästinaunterstützer wie etwa die eindeutig „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“.
Nun könnte man behaupten, dass die immergleichen und kreativen Positionen und der Versuch antisemitischer Gruppierungen sich in den Kultursektor zu integrieren, nichts Neues in die deutsche Kulturlandschaft tragen. Lokale Kinos, die mit Palästinensischen Gruppierungen zusammenarbeiten, wären einfach nur die mikrologische Ebene dessen, was sich in geübter Regelmäßigkeit auf staatlich finanzierten Kulturveranstaltungen auf die Bühnen traut. Der Fall in Münster liegt doch ein wenig anders. Die „Jüdische Gemeinde Münster“, der Antisemitismusbeauftragte der Stadt, die „Deutsch Israelische Gesellschaft“ und das „Jugendbündnis gegen Antisemitismus“ richteten nach Bekanntgabe der Kooperation eine E-Mail an das Kino und äußerten darin ihre Bestürzung. Darin ist etwas zu lesen: „Ungeachtet der Inhalte des Filmes stellt die Kooperation mit der benannten Gruppe eine Grenzüberschreitung dar, welche für uns nicht nachvollziehbar ist. Palästina Antikolonial ist wiederholt durch Äußerungen, die als Shoah-Relativierung gewertet werden müssen, aufgetreten […].“Weiter heißt es die „Veranstaltung kann daher auch nicht bloß als Screening eines Filmes und als Beitrag zur Diskussion verstanden werden, sondern stellt in unseren Augen den Versuch dar, Räume einzunehmen und in Richtung einer Selbstverharmlosung und Normalisierung dieser Gruppe […] zu wirken.“
Das Bündnis hat damit recht klar gemacht, dass die Kritik nicht auf die Ausstrahlung des Filmes bezogen ist, sondern auf die Kooperation mit der Gruppierung „Palästina Antikolonial“. Was jedoch folgte, war eine Stellungnahme des Kinos, die sich mit allen Wassern der glühenden Israelkritik gewaschen hat. Das auf Instagram aufzufindende geistige Meisterwerk regressiven deutschen Geistes erklärt: „Unsere Veranstaltung mit anschließendem Raum für Diskussion ist ein Angebot für jüdische und palästinensische, aber auch andere Menschen, zusammenzukommen und darüber zu sprechen.“ Weiter heißt es: „Die Forderung, die Veranstaltung abzusagen empfinden wir als antidemokratisch, weil sie die Welt in Gut und Böse einteilt und Differenzen einer pluralen Gesellschaft ausblendet. Es werden alle Palästinenser*innen als Hamas und linke jüdische Positionen als antisemitisch diffamiert.“ In der Rechtfertigung verschwindet die eigentliche Kritik an der Kooperation zugunsten eines angeblichen Cancelns der Filmvorführung. Mit keinem Wort ist etwa eingegangen auf die Kritik an den antisemitischen Äußerungen der Gruppierung „Palästina Antikolonial“, geschweige denn erwähnt, dass die Kritik sich nur auf diese bezog. Diejenigen, die für diese Stellungnahme verantwortlich sind, sehen anscheinend berechtige Probleme mit antisemitischen Positionen als antidemokratisch an. Gleichzeitig scheint das Gerede von einer Einteilung in „Gut und Böse“ auf palästinensischer Seite für die Verantwortlichen nicht zu funktionieren.
Ob damit wohl ein berechtigter Antisemitismus gegen israelische Juden von einem unberechtigten Antisemitismusvorwurf gegen propalästinensische Halbdenker wie Judith Butler unterschieden werden soll, wissen nur die Verfasser selbst. Offensichtlich aber ist, dass ihnen Antisemitismus nur dann zu kritisieren notwendig scheint, wenn dies „linke“ Juden betrifft, womit sie pauschal alle Juden, die nicht propalästinensisch eingestellt sind, automatisch rechts verorten. Scheinbar ist die Freude über die Vernichtung jüdischen Lebens nicht eindeutig als antisemitisch zu verurteilen. Vor allem aber wird hier gegen einen Strohmann argumentiert, um sich nicht mit der eigentlichen Kritik an der Gruppierung auseinandersetzen zu müssen. Dass Juden antisemitische Positionen aus demokratischem und pluralistischem Selbstopfer ertragen müssen, ist so widerlich wie Antisemitismus selbst kein wünschenswerter Teil demokratischer Öffentlichkeit sein sollte.
Die Stellungnahme geht in bekanntem Gestus weiter: „Wir sind der Meinung, dass wir Räume für Austausch und Kritik brauchen, um auf die ausgeübte Gewalt aufmerksam zu machen. Nur durch Dialog können wir einander verstehen und lernen und nicht durch Ausschlüsse.“ Das Kino inszeniert sich hier als Ort der Begegnung, in dem unterschiedliche Meinungen sich begegnen und austauschen können. Dieser Raum wird selbstverständlich als frei von Antisemitismus dadurch erklärt, da die Kritik an „Palästina Antikolonial“ mit keinem Wort erwähnt wird. Sollte an den Vorwürfen etwas dran sein – die Verantwortlichen hätten dies durch eine kurze Recherche herausgefunden – müssen sich Andersdenkende wohl damit abfinden sich antisemitischen Positionen gegenüber öffnen zu müssen, als gäbe es eine goldene Mitte zwischen der Glorifizierung von toten Juden und dem Recht des jüdischen Lebens auf Existenz. Inwiefern die Problematisierung von antisemitischen Positionen diesen Raum des Dialogs stören würde, weiß niemand. Inwiefern es möglicherweise legitim wäre, antisemitische Positionen aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen, kann in der hauseigenen Logik nicht gedacht werden.
Wohl aber gibt es eine beschworene Abgrenzung, die aus der Dialogbereitschaft herausfällt. Die Stellungnahme endet mit den Worten: „Wir grenzen uns von Antisemitismus und antipalästinensischen Rassismus ab. Aber fallen nicht auf die gängigen Narrative der deutschen Erinnerungskultur rein, die, um von der deutschen Verantwortung und Täterschaft abzulenken, den Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus ihr Recht auf Trauer und ihre Grundrechte absprechen.“ Welche Grundrechte verletzt und wie Trauer im Dialog mehr produzieren soll als wahlweise Mitleid oder Selbstmitleid, ist schleierhaft. Was mit antipalästinensischem Rassismus gemeint sein soll, wird konkludent, wenn man die Verfasser der Kritik, die in der Stellungnahme unterschlagen werden, miteinbezieht. Rassistisch wäre es ein Problem mit einer Gruppierung zu haben, die den Anschlag auf jüdisches Leben am 7. Oktober 2023 bejubelt hat. Darin liegt auch eine intersektionale Perspektive der Schuldabwehr. Denn der Vorwurf des Antisemitismus gegen eine palästinensische Gruppe wird hier mit dem Argument gekontert, dass Opfer von Rassismus scheinbar gar keine Täter und dementsprechend keine Antisemiten sein könnten. Die Kritik an antisemitischen Positionen wird damit zum rassistischen Angriff umgedeutet.
Dieser Angriff wird anschließend durch eine deutsche Erinnerungskultur hergeleitet. Diese Erinnerungskultur bestehe wohl in der Verdrängung der eigenen Schuld gegenüber Opfern von Gewalt, die nun wahlweise auch die Verantwortung miteinschließt, dass man Antisemiten bitte nicht mit dem Schuldkomplex des deutschen Tätervolks zum Stillschweigen bringen soll. Im Hinblick darauf, dass die Kritik unter anderem von der Jüdischen Gemeinde Münster formuliert wurde, wird durch das Kino „Kurbelkiste“ nun denjenigen Juden, die nicht palästinasolidarisch genug sind, um israelbezogenen Antisemitismus einfach zu ertragen, erklärt, worin sie fehlgehen. Sie seien – obwohl sie Juden sind – nun leider so sehr deutsch geworden, dass sie selbst schon durch die Täterschaft und Verantwortung sich selbst gegenüber so verblendet sind, dass sie Opfern von Rassismus und Antisemitismus ihr Recht auf Trauer absprächen. Die Rechtfertigung geht also in seiner Unlogik so weit, die Kritik durch die Jüdische Gemeinde zu etwas „Deutschem“ zu verklären, um es anschließend einer Verdrängung durch die Erinnerungskultur zu überantworten. In dieser Unlogik wäre die Jüdische Gemeinde entweder Teil der Erinnerungskultur, der zufolge sie Täter an sich selbst wäre, oder aber sie lassen sich von einer deutschen Erinnerungskultur dazu instrumentalisieren Antisemitismus und Rassismus zu entschulden.
Unabhängig davon, welche falsche Deutung man dem Halbgedachten zumuten möchte, bleibt dennoch etwas recht Eindeutiges übrig. Die mikrologische Ebene deutscher Kultur arbeitet im kleinsten an der Etablierung von Räumen, die in wenigen Jahren schon die großen antisemitischen Performances bei Veranstaltungen wie der Berlinale oder Documenta vorträglich entskandalisieren sollen. Finanziert durch die deutsche Öffentlichkeit sollen Begegnungsräume entstehen, die antisemitisch strukturiert sind und all diejenigen zum Dialog einladen, die sich damit abfinden können, dort auf antisemitische Akteure zu stoßen. Inkludiert sind dabei alle, solange man keinen positiven Bezug zum imaginierten Feindbild Israel hat. Das „Angebot“ zum Dialog ist folglich eine inklusive Echokammer, in der man sich ausreichend von sich selbst beschallt weiß, solange man nicht das Bedürfnis verspürt, Widerrede zu äußern.
Dies bestätigt sich auch im Umgang mit der Kritik an der Stellungnahme des Kinos. Geantwortet wurde entweder gar nicht oder ausweichend. Die Bitte um Stellungnahme als auch die Bitte, einige Fragen, die dem Kino am 26. Februar durch den Verfasser zugestellt wurden, zu beantworten, ist bis heute unbeantwortet geblieben. Möglicherweise hat das etwas damit zu tun, dass man Uneindeutigkeiten und antisemitische Floskeln nicht zu erklären bereit ist. Das ist wahrscheinlich auch der beste Selbstkommentar auf die eigene Gesprächsbereitschaft.
[1] https://palaestina-muenster.jimdofree.com/