Rolf Mützenich gefährdet nicht nur die Ukraine, sondern auch die westlichen Demokratien.
Ignoranz und Arroganz prägten die Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich während der Taurus-Debatte im Bundestag. Mützenich fragte: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“ Die Konsequenz wäre der Verlust weiterer Teile des ukrainischen Staatsgebiets und eine Ausweitung der russischen Hegemonie. Bis wohin? Putin strebt danach, den Westen zu schwächen. Vielleicht wird er in einigen Jahren die baltischen Staaten angreifen, ganz sicher aber wird er versuchen, den Einfluss Russlands auf Westeuropa massiv zu erhöhen. Polen, Deutschland, Frankreich und all die anderen demokratischen Staaten würden spätestens zu Satelliten Russlands werden, wenn die USA das Interesse an Europa verlieren. Auf den Straßen wäre nicht die russische Armee zu sehen, aber mit ihr als Drohmittel im Hintergrund würde die Politik weitgehend den Wünschen Russlands folgen.
Online kursieren Memes, in denen Mützenich als Putins Mann gesehen wird. Bei aller Verquickung, vor allem der SPD mit Russland seit den späten 90er Jahren, trifft dieser Vorwurf nicht zu. Mützenich will Putin keinen Dienst erweisen, sondern glaubt, dem Frieden und damit der Sicherheit der Bundesrepublik zu dienen. Seine Biografie ist geprägt von dem, was man Entspannungs- und Friedenspolitik nennt: Als Student arbeitete er im Büro des Bundestagsabgeordneten Konrad Gilges, der Beisitzer im Vorstand des Arbeitskreises Darmstädter Signal war, in dem sich der Friedensbewegung nahestehende Bundeswehrangehörige zusammengefunden hatten. Mützenich promovierte in Politik mit einer Arbeit zum Thema „Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik“. Nachdem er 2002 in den Bundestag einzog, war er Sprecher der Arbeitsgruppe „Abrüstung und Rüstungskontrolle“ der SPD-Bundestagsfraktion und er war Vorsitzender der Deutsch-Iranischen Parlamentariergruppe. 2007 war er einer der Autoren des Buches „Die atomare Gefahr wächst“.
Konflikte sind etwas, das man für Mützenich in Verhandlungen lösen kann. Dieses Denken setzt voraus, dass alle Seiten kein Interesse an einem Krieg haben und eine friedliche Koexistenz anstreben, die Nikita Chrustschow als Erste Sekretär der KPdSU, 1961 so beschrieb: „Es ist eine Koexistenz zweier entgegengesetzter Gesellschaftssysteme, die gegenseitig darauf verzichten, den Krieg als Mittel zur Lösung von Streitigkeiten zwischen den Staaten anzuwenden.“
In dieser Welt gab es Gegner, aber keine Feinde mehr. Und diese Welt ist untergegangen.
China, der Iran und Russland sind heute die wichtigsten der Staaten, die den Westen nicht als Gegner oder Konkurrenten sehen, sondern als Feind, den es zu vernichten gilt. Sie wissen, dass es in Zeiten der Digitalisierung und Grenzen, die zumindest für alle offen stehen, die über eine Scheckkarte verfügen, eine Abschottung des eigenen Herrschaftsgebiets nicht mehr möglich ist.
Dass man versucht, den Westen zu denunzieren und zu destabilisieren, ist ein alter Hut: Schon Mao pumpte Geld in kommunistische Sekten im Westen, und Friedensbewegung und DKP wären ohne Rubelhilfe undenkbar gewesen. Putin stützt rechte und linke Parteien in ganz Europa. Die iranischen Mullahs und andere Islamisten investieren ebenfalls in gläubige Hasser von Demokratie und Menschenrechten. Aber das alte Unterwanderungsspiel reicht ihnen nicht mehr. Krieg ist für sie wieder eine Option: Der Iran unterstützt Angriffe auf Israel und droht dem Land mit Vernichtung. Russland hat die Ukraine überfallen. China hat klar gemacht, dass es bis 2049, dem Jahr, in dem die Volksrepublik 100 Jahre alt wird, Taiwan zurückerobern will. Verhandlungen reichen nicht mehr ausund Drohungen schrecken nicht mehr ab. Der Westen ist der Feind und Mützenich ist zu arrogant und ignorant, um das erkennen zu können. Dies zu tun würde bedeuten, dass die Politik, für die er sein Leben lang stand, ebenso wie er selbst ein Fall für die Geschichtsbücher sind. Und vielleicht hofft er auch darauf, im kommenden Jahr mit einem „Friedenswahlkampf“ Olaf Scholz das Kanzleramt und der SPD die Macht zu sichern.
Mützenich kann oder will nicht in den Kategorien der Gegenwart denken, in denen es wieder Freunde und Feinde gibt und die demokratischen Gesellschaftssysteme und ihre Bevölkerungen in ihrer politischen und physischen Existenz bedroht sind. Butscha und der Kibbuz Kfar ʿAza sind nur zwei von hunderten Beispielen in Israel und der Ukraine dafür, dass der Konflikt zwischen den demokratischen Staaten und den autoritären Regimen längst in eine Phase getreten ist, in der es für den Westen schlicht ums Überleben geht. Bei dem Slogan „Israel Today – The West is Next“ kann man statt Israel auch Ukraine einsetzen und vielleicht bald schon Taiwan. Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der man Konflikte in Gesprächen bei Keksen und Schnittchen beilegt. Der Krieg ist zurück, und er kennt nur Gewinner oder Verlierer. Ist das schrecklich? Ja, das ist es. Aber man kann sich die Zeit, in der man lebt, so wenig aussuchen wie die Herausforderungen, denen man gegenübersteht. Politiker wie Mützenich sind zugleich intellektuelle Zombies aus Friedensbewegungszeiten und zynische Zocker der Macht, die versuchen, aus der Angst der Menschen politisches Kapital zu schlagen. Sie sind eine Gefahr für die Demokratie und das Land.
Dieser lupenreine Sozialdemokrat ist halt der nützliche Nützling des lupenreinen Demokraten.