Die letzte Uraufführung eines großen Musicals in Essen ist lange her. Mit etwas guten Willen war das der etwas holprige Zusammenschnitt von deutschen 80er-Jahre-Hits, den die Stage Entertainment 2008 unter dem Titel „Ich will Spaß“ im Colosseum zeigte und der letztlich mit seinem geringen Erfolg dazu beitrug, dass das Haus heute nur noch Gastspielstätte ist. Dem 90jährigen Jubiläum der Folkwang-Universität ist es nun zu verdanken, dass Essen am 4.4. wieder zum Zentrum der deutschsprachigen Musical-Welt wurde. Als echte Uraufführung firmierte die Premiere von „Goethe – Auf Liebe und Tod“ allerdings nicht, sondern als „Tryout-Premiere“. Hintergrund für die merkwürdige Bezeichnung ist wohl, dass die Stage Entertainment bei der Produktion in der Neuen Aula der Universität in Werden mit im Boot sitzt und sich die Möglichkeit, das Musical an einem ihrer Häuser als richtige Uraufführung zu präsentieren, offen halten will.
Das Musical entstand auf Basis des Films „Goethe!“ von Philipp Stölzl und wurde von Gil Mehmert (Buch), Martin Lingnau (Musik) und Frank Ramond (Texte) im gleichen Jahr geschrieben, nachdem das Team gerade erfolgreich bei der Musicalversion von „Das Wunder von Bern“ zusammengearbeitet hatte. Dennoch verschwand es erst einmal in der Schublade. Die Story folgt weitestgehend der des Films und erzählt eine Episode aus den Studentenjahren Johann Wolfgang von Goethes, nimmt es dabei allerdings mit der historischen Wahrheit nicht so genau, verknüpft Goethes biographische Daten mit Motiven aus dessen „Die Leiden des jungen Werther“ und inszeniert den Dichter in seiner Sturm-und-Drang-Phase als Popstar. Der junge Goethe wird von Straßburg nach Wetzlar versetzt, lernt dort Lotte kennen und lieben, die dann jedoch einen anderen heiratet. Dass Goethe sich mit diesem duelliert und im Gefängnis landet, ist pure Erfindung, genauso wie seine vorübergehenden Selbstmordgedanken. Zuletzt kehrt er nach Frankfurt zurück, wo er längst durch den „Werther“ zum Literaturstar geworden ist.
Martin Lingnau hat dafür Songs geschrieben, die sich aus Pop und Rock bedienen, einige sehr eingängige und Musicalhitverdächtige Nummern enthalten, aber gern auch mal einen wirklich eigenen Ton finden könnten. Die sechsköpfige Band aus Studenten der Folkwanguniversität bringt sie mit saftigem und dank des Keyboards meist fett orchestralem Klang auf die Bühne. Das Darstellerensemble wird in fast allen Hauptrollen durch Gäste verstärkt. Das kann man schade finden, hätte man doch gerne mehr über die Qualitäten der Studierenden der Hochschule erfahren und ihnen nicht zuletzt gegönnt, sich schon einmal für das Berufsleben zu empfehlen.
Bei der Premiere singt sich Philipp Büttner durch die kräftezehrende Hauptpartie des jungen Goethe. Er ist genauso Gast an diesem Abend wie Sabrina Weckerlin, die als Lotte die herausragende Stimme des Abends ist. Die größte von einem Folkwangstudenten übernommene Rolle stemmt Marvin Schütt als Goethes Konkurrent Gerichtsrat Kestner, leider mit einem oft unangenehmen Klang besonders in den Höhen.
Dass der Abend trotz der beschränkten Mittel auf der Bühne der Folkwang-Aula auch für echte Musical-Fans zu einem runden Erlebnis wird, liegt neben dem glänzend aufgelegten Ensemble und den zugebuchten Gaststars vor allem an der Regie von Folkwang-Professor Gil Mehmert. Gemeinsam mit den Ausstatterinnen Eva-Maria van Acker und Maria Wolgast schafft er auch ohne große Bühnentechnik viele eindrucksvolle Bilder und Atmosphären und findet wie etwa bei dem Ozzy-Osbourn-Mephisto durchaus originelle Lösungen.
Der Eindruck, man säße in einem Studententheater oder einer besseren Schulaufführung kommt nicht auf. Stattdessen beweist Gil Mehmert mit dieser Inszenierung, dass Musical durchaus auch ohne spektakuläre Technik und eigens dafür errichtete Häuser möglich ist.
Weitere Termine: 05., 07., 10., 11. ,12.,18., 19. und 20. April, jeweils um 19.30 Uhr
Tickets zum Preis von 5 und 10 Euro unter: karten@folkwang-uni.de und 0201/4903-231