Seit dem letzten Wochenende ist das „Anneliese Brost Musikforum Ruhr“ in Bochum eröffnet. Damit verfügen die Bochumer Symphoniker erstmals seit ihrer Gründung im Jahre 1919, der industriellen Hochphase an der Ruhr erstmals über eine eigens für sie geschaffene Aufführungsstätte. Die BoSy-Konzerte müssen nicht mehr in eigentlich anderen Zwecken zugedachten Räumlichkeiten mit deren atmosphärisch fremdelnden Architektur stattfinden. Das Traditionsorchester, dessen bildungsbürgerliche Ursprünge bis weit ins 19.Jahrhundert reichen, hat jetzt ein Domizil, eine eigene und vor allem ansehnliche Adresse. Für diesen Gunstbeweis musste man lange kämpfen und viel Geduld mitbringen. Von unserem Gastautor Dieter Nellen.
Bauherr ist – wie könnte es anders sein – die Stadt Bochum. Sie befindet national in bester Gesellschaft. Die Elbphilharmonie, das neue kulturelle Flaggschiff der Freien und Hansestadt Hamburg annonciert sich nach einer turbulenten Entstehungsgeschichte jetzt mit dem stolzen Attribut „FERTIG!“. Ihre offizielle Eröffnung steht für den 11. Januar 2017 an. Im März 2017 folgen der Pierre Boulez Saal der Barenboim-Said Akademie in Berlin und Ende April der wiedereröffnete Fest- bzw. Konzertsaal im Kulturpalast Dresden.
Die Baukosten der Elbphilharmonie machen übrigens mit 800 Mio. € das Zwanzigfache (!) des Bochumer Investments von gut 38 Mio. € aus. Dieses refinanziert sich wiederum großenteils aus öffentlichen Fördermitteln (Städtebau, Kultur) in Höhe von 16,5 Mio. € und privaten Spendengeldern im etwas geringeren Umfang. Das ist eine beachtliche und in der mit Mäzenen nicht gerade reich gesegneten Region eine beachtliche bürgerschaftliche Leistung, ein Statement zugunsten der eigenen Stadt. Bochum selbst ist demgegenüber „nur“ mit 7.1 Mio. € dabei. Alles in allem hat es aber gereicht. Die Kostensteigerungen gegenüber der Planung halten sich im Rahmen.
Kein Kulturinfarkt
Die aktuelle Gegenwart widerlegt die medienwirksame These jener seinerzeitigen Streitschrift „Der Kulturinfarkt – Von allem zu viel und überall das gleiche“, nach der für die Bundesrepublik ein Überstand kultureller Infrastruktur und ein Nachfragedefizit zu testieren sei. Die statistischen Zahlen unverdächtiger Institutionen sprechen für die klassische Konzertmusik eine andere Sprache: So vermeldeten die deutschen Orchester für die Zeit zwischen 2005 und 2013 einen Nachfrageanstieg von 3.9 auf 5.2 Mio. Besucher – keine schlechte Zahl gegenüber den gut 13 Mio. jährlichen Fans in deutschen Fußballstadien. Der Kulturredakteur Jan Brachmann bezeichnet in dem FAZ-Artikel „Es geht darum, wer den Ton angibt“ (FAZ 10.08.2016) die Orchester als die „großen Gewinner der Branche“.
Man muss das Publikum nicht erfinden
In Bochum muss sich das neue Haus sein Publikum zudem nicht erst auf dem Markt suchen oder gar dieses erfinden. Auch (teure) Fremdproduktionen sind nicht unverzichtbar Sie sind eher Ergänzung als konzeptionelle Substanz des Programms.
Die Bochumer Symphoniker und deren gleichermaßen langjähriger wie geliebter Generalmusikdirektor Steven Sloane bringen nämlich ein treues und stabiles Publikum mit ca. 45.000 Konzertbesuchen pro Jahr schon mit. Zudem werden weitere Kultureinrichtungen wie die Musikschule die neue Adresse mit deren unterschiedlich großen Räumlichkeiten nutzen, um das Angebot mit kultureller Bildung zu bereichern. Die Ruhr-Stadt Bochum setzt nicht wie die Elbmetropole auf einen exklusiven Mix von repräsentativem Konzertsaal, Luxushotel und noblen Wohnungen (in zugegebenermaßen bester internationaler Lage), sondern gibt den kulturellen Kräften in der Stadt neuen und größeren Raum für die eigene Entwicklung.
Ab in die Mitte
Das Ruhrgebiet verfügt mit dem neuen Musikzentrum in Bochum, dem Konzerthaus in Dortmund und der Philharmonie in Essen über eigene kommunale Konzertstätten. Die hiesige Stadtpolitik hat anders als aktuell in München (wo die bayerische Landesregierung einen Konzertsaal am östlichen Stadtrand plant) jeweils einen Standort in der urbanen Mitte gewählt. Die Investition bedient nicht wie die strukturpolitisch konditionierten Kulturstätten der Ruhrtriennale die Konversionsziele der NRW-Landesregierung für Industrieareale.
Die kommunale Planung lenkt die städtebaulichen und kulturellen Entwicklungsschübe vielmehr „in die Mitte“. Sie verknüpft diesen Impuls nun in Bochum mit den benachbarten Stärken von aufgewerteten Springer-Platz, etabliertem Bermuda3eck und Schauspielhaus als großer historischer Theateradresse. Entwickeln soll sich daraus ein Kreativquartier als starkes urbanes Gravitationszentrum. In einem zentralen Areal soll sich das für Nordrhein-Westfalen bekannte Prinzip einer sich gegenseitig stimulierenden Kultur- und Stadtentwicklungspolitik erneut bewähren.
Städtebauliche und architektonische Varianten
Die weitere kulturelle Verdichtung von Westpark und Jahrhunderthalle durch einen den Bochumer Symphonikern zugedachten Konzertsaal war lange Zeit eine ebenfalls plausible Option. Ihre Umsetzung hätte sicherlich der Bochumer Stadtentwicklung manchen Mehrwert gebracht. Diese Variante erledigte sich aber spätestens zu dem Zeitpunkt, als der Hauptsponsor seine Förderzusage von 5 Mio. € mit einer innerstädtischen Präferenz verknüpfte.
Projekte wie diese verschlingen für ihre endgültige Realisierung schnell mehr als eine Dekade. In Bochum dauerte es rund 15 Jahre, führte immer wieder zu neuen Überlegungen und generierte ganz nebenher qualifizierte Entwürfe namhafter Büros für die beiden räumlichen Alternativen (von Jahrhunderthalle und konsekutiv Viktoria Quartier/Marienkirche). Die neugotische Kirche konnte vor Abriss und banaler Umnutzung bewahrt werden. Nun dient sie als lichtes Foyer und Veranstaltungsraum für kleinere Musikformate – unter Bewahrung ihres sakralen Zaubers.
Die jetzige bauliche Variante, die gestalterische Konversion der Marienkirche als Erschließungsportal für den großen Konzertsaal und einen zweiten kleineren Saal entstammt dem finalen Realisierungswettbewerb von 2012. Gewonnen hatte diesen das Stuttgarter Büro „Bez + Kock Architekten“ aus Stuttgart. Es müssen nicht immer die großen internationalen Architekturfabriken sein, die die überzeugendsten Lösungen liefern. Ideenkraft und Phantasie können auch aus viel kleineren Entwurfsschmieden kommen.
Von der Stadtlandschaft zum Quartier
Das Architekturensemble aus Marienkirche und Musikzentrum mit ihrer responsiven Lineatur zu den tangentialen Straßenläufen kommt nicht als selbstreferenzielle Gebäudeskulptur daher. Die Architektur setzt eher auf maßstäbliche Bescheidenheit und verzichtet auf hybride Posen. Das Haus mindert das Trennende der angrenzenden Viktoriastraße. Es befördert die Quartiersstruktur und reduziert städtebaulich die bisher durch die innerstädtische Verkehrsachse geprägte Stadtlandschaft an dieser Stelle.
Verzicht auf überhöhende Gesten
Schlichte Eleganz und gestalterische Rücknahme sind auch andernorts wieder stärker angesagt: Beim Berliner Kulturforum bevorzugte die Jury für das dort geplante neue „Museum des 20.Jahrhundert“ den Entwurf der renommierten Schweizer Architekten und Herzog und de Meuron, welcher ebenfalls durch „ästhetische Beruhigung, Befriedung“ (FAZ, Niklas Maak) und den Verzicht auf die große, sich selbst überhöhende Geste bestimmt ist.
Bochum leuchtet: Es gibt jetzt eine wunderbare Adresse für konzertante Musik und kulturelle Bildung. Sie schafft, wie Michael Groschek als zuständiger Minister für Städtebau am Freitag bei der Premierengala sagte, mit Architektur und Programm einen überzeugenden Ort von hoffentlich hoher Adhäsions- und Imagekraft. Der Stadt Bochum, ihren Symphonikern, dem musikalischen Nachwuchs und dem Ruhrgebiet kann man das nur wünschen.
Ein schöner Besinningsaufsatz, bleibt nur zu hoffen, dass keiner von den Wohnungslosen, denen man als das Konzerthaus finanziert wurde zum Zwecke der Haushaltskonsolidierung die Übernachtungsstelle nahm, erfriert.
Augen zu und durch?
Der Artikel überzeugt mich nicht, warum?
Die Stadt Bochum steht regelmäßig an der Klippe, wo der finanzielle Zwangsverwalter nicht weit weg ist. Allein vor diesem Hintergrund der allzu leeren Stadtkassen verbietet sich jegliches finanzielles Engagement der Stadt für ein solches Bauwerk. Auch ergeben sie sich nun zusätzliche Ausgaben für Bau und Betrieb, die beglichen werden wollen.
Nun kann der Bochumer Bürger zeitgleich an vielen Stellen den Verfall der städtischen Infrastruktur bewundern, für deren Erhaltung leider wg. der allzu leeren kommunalen Kassen keine Mittel zur Verfügung stehen. Diesen Widerspruch muss der Bochumer Bürger irgendwie verarbeiten, Verständnis für dieses neue Bauwerk ist daher eher selten vorhanden.
Bürgerschaftliches Engagement und das private Spendenaufkommen ist lobenswert, allerdings sollte vor dem Hintergrund der leeren Kassen der Staft der Betrieb des Hauses dann auch von Teilen der interessierten Bürgerschaft getragen und nicht der Staft aufgehalst werden.
Vor Hintergrund des gerne zitierten Ruhrgebietes erscheint dieser Bau eher als weiteres Kirchturmprojekt im eigenen Sprengel. Die bisherigen Häuser in relativer Nähe im Ruhrgebiet sind derzeit nicht als Goldgruben zu bewerten, da ist die Schaffung eines weiteren Hauses nicht seriös – es sei denn der eigene Kirchturm muss aufgewertet werden.
Die Architektur mit ihren Schießscharten zur Bochumer Viktoriastr hat nichts offenes an sich und signalisiert eher eine abweisende Grundhaltung gegenüber anderen Bevölkerungsteile.
Das Ding steht und wird bespielt. Jammern ist jetzt nur noch was für Looser.
Vier Karten für die "Schöpfung" sind gebucht.