Auch in Bochum wird nun darüber diskutiert, ob Antisemitismus öffentlich gefördert werden muss.
Der Bahnhof Langendreer, ein soziokulturelles Zentrum in Bochum, wollte Anfang September die Ausstellung „Guernica-Gaza“ des palästinensischen Künstlers Mohammed Al-Hawajri zeigen. Zur Eröffnung der Ausstellung war der ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete Norman Paech eingeladen. Paech ist jemand, den man als glühenden Israelkritiker bezeichnen muss. Der Verteidigungskrieg Israels gegen die Hamas nach den Massakern des 7. Oktobers vergangenen Jahres ist für ihn „Völkermord“.
Die Ausstellung „Guernica-Gaza“ sorgte schon bei der Documenta 15 im Jahr 2022 für einen Skandal. Im Abschlussbericht zu den antisemitischen Vorfällen auf der Kasseler Kunstshow ist zu lesen: „Der Hinweis auf ‚Guernica‘ hat die meiste Kritik an der Installation ausgelöst. Offensichtlich bezieht er sich sowohl auf ein historisches Ereignis als auch auf ein Picasso-Gemälde mit Symbolcharakter. Das historische Ereignis war der Angriff auf die baskische Stadt Guernica am 26. April 1937, einem Markttag: Die nationalsozialistische ‚Legion Condor‘ bombardierte wiederholt den Ort – in dem sich überwiegend Frauen und Kinder befanden, da die meisten Männer für die Spanische Republik kämpften – und tötete oder verwundete ein Drittel der wehrlosen Bevölkerung. Wenn sich ‚Guernica‘ im Titel dieses Zyklus in erster Linie auf dieses spezifische historische Ereignis bezieht – wie viele Kritiker behauptet haben –, dann setzt das Werk die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte mit den Nazi-Truppen gleich; in diesem Fall kann Guernica Gaza als antisemitisches Werk gelten.“
Der Plan, die Ausstellung im Bahnhof Langendreer zu zeigen, ist einer von mehreren Versuchen in diesem Jahr, beim Thema Antisemitismus und Israelhass die Grenzen zu verschieben, was bislang wie auch in diesem Fall nicht gelang: Der CSD wurde abgesagt, weil eine Gruppe Israelhasser mitmarschieren wollte. Die Palästina Solidarität Bochum musste dazu übergehen, ihre Treffpunkte nicht mehr öffentlich zu nennen, nachdem sie zuvor offen für ihre Veranstaltungen zum Beispiel im Hipster-Lokal Neuland oder den Naturfreunden in Langendreer geworben hatte. Auch der Bahnhof Langendreer sagte die Ausstellung ab, nachdem die demokratischen Parteien und die Stadt Bochum deutlich machten, dass sie nicht bereit sind, Antisemiten-Shows mit Steuergeldern zu finanzieren.
Die Grünen, die über Jahrzehnte eng mit dem Bahnhof verbunden waren, schrieben einen Tag vor dem geplanten Ausstellungsbeginn: „Die Bochumer Grünen missbilligen die am morgigen Freitag im Bahnhof Langendreer beginnende Ausstellung „Guernica-Gaza“ scharf. Die Bilder eines palästinensischen Künstlers hatten bereits auf der letzten Documenta erhebliche Kritik auf sich gezogen und wurden in dem Documenta-Abschlussbericht als antisemitisch bewertet.“ Barbara Jessel, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, zugleich Vorsitzende des Kulturausschusses, stellte die Frage: „Warum wurden im Vorfeld nicht jüdische Ansprechpartner mit einbezogen? Unser Fazit: Die Veranstaltung läuft der Resolution des Rates zum Schutz jüdischen Lebens in Bochum vom 14. Dezember 2023 zuwider. Wir fordern den Bahnhof Langendreer auf, die Ausstellung abzusetzen.“
Auch die Stadt reagierte eindeutig und distanzierte sich von dem Bilderreigen. In einem Brief an die Leitung des Zentrums schrieb Kulturdezernent Dietmar Dieckmann: „Es steht außer Frage, dass der Bahnhof Langendreer gesellschaftspolitisch relevanten Diskursen Raum eröffnet und Möglichkeiten bietet, diese öffentlich zu diskutieren und zu verhandeln. Dabei greifen wir als Stadt nicht in die inhaltliche Ausgestaltung der Formate, Themen und Programme ein. Aber natürlich werden wir – wenn nötig – Position beziehen. In diesem Fall ist das mehr als nötig. In einer Mail an mich zitieren Sie den Abschlussbericht zur Documenta 15 und liefern damit selbst die Argumente, die gegen die Ausstellung sprechen. Es müsste Ihnen also klar sein, dass diese Ausstellung antisemitischen Ressentiments Vorschub leistet. Vor dem Hintergrund der Brisanz und Komplexität gerade dieses hochsensiblen Themas halte ich eine solch einseitige Besetzung und Sichtweise auf das Thema Gaza für völlig inakzeptabel. Im Namen der Stadt Bochum distanziere ich mich ausdrücklich von den Ausstellungsplänen des Bahnhofs Langendreer und halte es für angemessen, diese Ausstellung nicht durchzuführen.“
Die Stadt Bochum prüft nun, wie die Förderbedingungen so angepasst werden können, dass konkrete Förderziele und benannte Projekte gegen Antisemitismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit, Homophobie oder weitere Formen von Diskriminierung vorgegeben werden.
Geht es ums Geld, hört der Spaß auf. Wie selbstverständlich gehen Israelhasser und Antisemiten davon aus, dass sie ein Anrecht auf Staatsknete haben. In das Bild passt ein offener Brief der Initiative Langendreer/Werne gegen Nazis, der auf dem Blog Bo-Alternativ veröffentlicht wurde. In dem Schreiben heißt es: „Zwar ist es ein richtiger Grundsatz, dass das Kulturbüro keine Veranstaltungen fördert, durch die Bevölkerungsgruppen diskriminiert und herabgesetzt werden. Aber was ist die Kunst- und Meinungsfreiheit in Bochum noch wert, wenn notwendige Fördermittel davon abhängen, dass jeder einzelne Programmpunkt von der Stadt Bochum inhaltlich für richtig bzw. politisch für opportun gehalten wird? Eine solche Zensur stellt die Existenz jeder Kulturinstitution in Frage, die sich für eine offene und vielfältige Gesellschaft einsetzt. Dazu gehört es nämlich auch, Kontroversen nicht totzuschweigen, sondern zur Diskussion zu stellen. Was den konkreten Inhalt des Konflikts betrifft, schließt sich die Initiative „Langendreer und Werne gegen Nazis“ all denen an, die es ablehnen, dass der Begriff „Israelbezogener Antisemitismus“ dazu benutzt wird, jede Kritik an der Politik der israelischen Regierung zu unterbinden. Es geht nicht an, dass die Menschenrechtsverletzungen, die Israel in Gaza begeht, nicht einmal diskutiert werden dürfen. Denn diesen Diskussionsraum zu öffnen, war ja die Absicht des Bahnhofs mit der Ausstellung.“
Damit hat die aktuelle und erbittert geführte Debatte über die Finanzierung antisemitischer und von Hass auf Israel geführter Kunst erneut Bochum erreicht. Schon 2018 wurde nach Berichten dieses Blogs, das auch über die Ausstellung des Bahnhofs zuerst geschrieben hatte, darüber debattiert, ob auf der öffentlich finanzierten Ruhrtriennale mit den Young Fathers eine Band spielen sollte, die zum Boykott Israels aufgerufen hatte. Der Landtag Nordrhein-Westfalens reagierte daraufhin noch im selben Jahr mit einer BDS-Resolution. Der Bundestag folgte NRW ein Jahr später. Tenor beider, rechtlich nicht verbindlicher, Parlamentsbeschlüsse war, sicherzustellen, dass Antisemiten und Israelhasser nicht mehr mit Steuergeldern finanziert werden. Viele Städte, auch Bochum, schlossen sich dem an.
Es dauerte etwas, aber Ende 2020 holte die staatlich finanzierte Kulturszene zum Gegenschlag aus. Die Vorstellung, nicht mehr steuerfinanziert am von Antisemitismus und Israelhass geprägten Kulturzirkus teilnehmen zu können, war für viele eine erschreckende Vorstellung. Mit der Initiative GG Weltoffenheit stellten sich die bestens finanzierten Top-Manager der großen Kulturinstitutionen gegen den BDS-Beschluss des Bundestages, die finanziell in der Regel minderbemittelten folgten mit einer eigenen Erklärung. Ziel war es, auch künftig sicherzustellen, dass der Staat fördert, ohne inhaltliche Forderungen zur Grundlage zu machen. Als Argument wurden Kunst- und Meinungsfreiheit angeführt sowie die Sorge einer kulturellen Isolation Deutschlands.
Der Streit eskalierte in diesem Jahr, nachdem der Berliner Kultursenator Joe Chialo eine Klausel vorstellte, nach der das Land Berlin künftig keine Institutionen oder Projekte mehr fördern will, die antisemitisch oder rassistisch sind. Chialo steht seitdem in der Kritik und wurde vor wenigen Tagen sogar körperlich angegangen. Peter Laudenbach brachte es in der Süddeutschen auf den Punkt, als er schrieb: „Die Empörung über das Ausbleiben steuerfinanzierter Planstellen für den antiimperialistischen Kampf zeigte sich bei der Demo in Form eines Plakats mit der Parole „Zensurhauptstadt“. Damit ist vermutlich nicht Teheran gemeint, die Hauptstadt der Islamischen Republik Iran, die den Terror der Hamas finanziert, sondern das notorisch liberale und für Spinner aller Art sperrangelweit offene Berlin.“
Nun ist Bochum, was die Finanzierung „für Spinner aller Art“ betrifft, traditionell nicht ganz so offen wie Berlin, was der Stadt allerdings bislang nicht zum Nachteil gereichte. Berlin ist ein Sonderfall, auch in Fragen der Finanzierung von Antisemiten, Israelhassern und postkolonialen Ideologen, der genau dieses unter seinem christdemokratischen Kultursenator nicht mehr sein will. Die Stadt Bochum hat sich hingegen immer konsequent gegen Antisemitismus gestellt. Eine Haltung, die von den demokratischen Parteien im Rat mitgetragen wird.
„Aber was ist die Kunst- und Meinungsfreiheit in Bochum noch wert, wenn notwendige Fördermittel davon abhängen, dass jeder einzelne Programmpunkt von der Stadt Bochum inhaltlich für richtig bzw. politisch für opportun gehalten wird?“ fragt die Initiative „Langendreer und Werne gegen Nazis“. Daran ist alles falsch. Die Fixierung auf die staatliche Förderung zum Beispiel: Kunst- und Meinungsfreiheit sind auch ohne staatliche Gelder gesichert. Kunst- und Meinungsfreiheit sind Individualrechte, die nur durch das Strafrecht eingeschränkt sind. In diesem Rahmen kann jeder sagen und machen, was er will. Aber ein Recht auf Staatsgeld ist damit nicht verbunden, wie der Jurist Hans Michael Heinig im Verfassungsblog erklärte: „Es zeugt doch von einem sehr speziellen Freiheitsverständnis, wenn jede Hürde auf dem Weg zu einer staatlichen Subventionierung als Grundrechtseingriff verstanden wird, der funktional mit einem Verbot äquivalent sein soll.“
Wer sich abhängig von Staatsgeld macht, hat sich auf einen Teilmarkt begeben, der politisch bestimmt ist. Der Staat und auch die Stadt müssen keine Kultur fördern und auch keine soziokulturellen Zentren wie den Bahnhof Langendreer. Das zu tun war eine politische Entscheidung. Man wollte damals auch alternative Stimmen fördern, widerständiges, provozierendes. Natürlich wohl auch mit dem Hintergedanken, die Hausbesetzerszene, aus der der Bahnhof hervorging, einzubinden und zu beruhigen. Geld für den Bahnhof Langendreer und andere Initiativen zu geben, war eine politische Entscheidung, für die es viele unterschiedliche Gründe gab und gibt.
Politiker gestalten vor allem, indem sie Regeln erlassen und Geld für bestimmte Zwecke in Haushalten bereitstellen. Durch Wahlen sind sie dazu legitimiert. In der aktuellen Politik des Rates spiegelt sich der politische Wille der Bürger wider, die ihn 2020 gewählt haben. Zwar mischt sich die Politik nicht in einzelne Programmpunkte ein und sichert so die Autonomie der geförderten Institutionen, aber sie ist frei, einen Rahmen zu bestimmen und zum Beispiel Akteuren kein Geld mehr zu geben, die, wie es Bochums Kulturdezernent Dietmar Dieckmann deutlich machte, „Antisemitismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit, Homophobie oder weitere Formen von Diskriminierung“ Raum geben. Jeder Cent, den Politik und Stadtverwaltung ausgeben, kommt von den Bürgern. Dass sie dauerhaft Institutionen fördern wollen, die sich durch Antisemitismus und Rassismus hervortun, darf bezweifelt werden. Eine Mehrheit für Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie ist im Rat nicht zu erkennen. Wer solche Programme bieten will, kann das natürlich weiter tun. Nur muss er damit rechnen, keine Förderung mehr zu erhalten. Die Freiheit des Rates, im gesetzten rechtlichen Rahmen über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu bestimmen, schränkt nicht die Freiheit von Veranstaltern ein, die sich ja anderen Geldquellen suchen können. Die Stadt und die demokratischen Parteien haben dazu zum Glück eine klare Position bezogen.