Ein umstrittener Polizeieinsatz bei einer Gegendemonstration zu einer Pro NRW Kundgebung in Essen am vergangenem Samstag sorgt weiter für Aufregung. In einem offenen Brief an Essens Polizeipräsidentin Stephania Fischer-Weinsziehr kritisiert Max Adelmann, Kundegbungsleiter von „Essen stellt sich quer“, das Vorgehen der Polizei:
Essen, 15. März 2013
Offener Brief an die Polizeipräsidentin von Essen, Frau Stephania Fischer-Weinsziehr:
Sehr Frau Fischer-Weinsziehr,
mein Name ist Max Adelmann. Ich war Leiter der Kundgebung von „Essen stellt sich quer“ gegen die Pro NRW – Kundgebung in Essen-Haarzopf am 9.3.2013.
Am Tag der Gegenkundgebung stellte sich die Situation so dar, das der Bürgerpark Haarzopf durch eine Postenkette der Polizei geteilt war. Die südliche Hälfte, zur Tennisanlage hin, war unser Kundgebungsbereich. Nach Norden bildete der Park eine freie Fläche, die am Rande des Bürgersteigs der Straße Auf´m Bögel mit Sperrgittern abgeteilt war.
Zu Beginn der Kundgebung wies ich die Teilnehmer darauf hin, das beim durchschreiten der Polizei-Postenkette das Kundgebungsgelände verlassen wird und das weitere Geschehen dann nicht mehr vom Versammlungsgesetz abgedeckt sei.
Als dann mit einiger Verspätung das Häuflein Reisedemonstranten der Pro NRW – Gruppe eintraf verließen fast alle Teilnehmer das Kundgebungsgelände und begaben sich an die Absperrungen zur Straße um dort ihren lauten Protest gegen die rechtsextremen zu bekunden.
Einige Minuten später teilte mir der Kontaktbeamte, Herr Bartels, mit das es an den Absperrungen einige Personen gab, die mehr als zwei Erkennungsmerkmale im Gesicht verdeckt hatten, also „vermummt“ waren. Er bat mich dass ich und einige Ordner bei den Teilnehmern darauf hinwirken sollten das diese Personen ihre „Vermummung“ wieder abnehmen.
Nun standen diese Personen allerdings außerhalb des Kundgebungsgeländes. Insofern war die Kundgebungsleitung nicht zuständig. Um allerdings deeskalierend zu wirken taten wir der Polizei den Gefallen und sprachen einige der Personen darauf an, wohlwissend dass diese „Hilfstätigkeit“ für die Polizei ein durchaus unübliches Verfahren ist.
Die Polizei hätte möglicherweise eine Lautsprecherdurchsage machen können, aber ein entsprechend ausgerüstetes Fahrzeug war wohl nicht vorhanden. Dies ist anscheinend eine Unterlassung oder ein Fehler in der Einsatzplanung.
Ansonsten gab es während der Pro NRW – Kundgebung keine Vorkommnisse die mir von der Polizei mitgeteilt wurden. Also verlief das Geschehen an den Absperrgittern völlig friedlich.
Nach dem Abzug der Pro NRW Rechtsextremisten gingen die Leute zurück auf das Kundgebungsgelände.
Plötzlich jedoch übersprangen einige Polizisten die Absperrgitter und rannten in Richtung eine Gruppe von Leuten. Gleichzeitig setzte sich eine weitere Gruppe Polizisten von links kommend ebenfalls in Bewegung zu dieser Personengruppe. Dabei sah ich das mindestens zwei völlig unbeteiligte Leute einfach überrannt und zu Boden gestoßen wurden.
Es bildete sich eine Gruppe von ungefähr 10 Polizisten wovon mindestens zwei sich auf eine Person stürzten, diese zu Boden warfen und im Klammergriff, gedeckt durch die restlichen Polizisten, zur Seite abführten.
Dies führte natürlich zu großer Aufregung. Ich machte dann mehrere Durchsagen mittels unseres Lautsprechers damit die Menschen ruhig blieben und sich nicht durch das Verhalten der Polizei provozieren lassen sollten.
Es bildeten sich mehrere Gruppen die dann den Platz verlassen wollten. Gruppen von Polizisten wollten diese Menschen umstellen, was allerdings nicht gelang. Man fand zusammen und verließ dann als geschlossene Gruppe, verfolgt durch die Polizei den Kundgebungsplatz.
Etliche Teilnehmer unserer Kundgebung kamen zu mir und beschwerten sich über das völlig maßlose Verhalten der Polizei, die, so wie ich es auch gesehen habe, mit völlig überzogener Gewalt mit 10 oder mehr Polizisten einen langsam gehenden Jugendlichen festnahm und dabei mögliche Verletzungen unbeteiligter offensichtlich in Kauf nahm.
Der Jugendliche wurde bei der Polizeiaktion mehrfach verletzt und geht zumindest diese Woche an Krücken. Er und einige andere, die sich angeblich vermummt hatten, taten dies wohl nur deshalb, weil Teilnehmer der Pro NRW – Kundgebung die Gegendemonstranten ausgiebig fotografierten. Insoweit ist das Vermummen wohl lediglich als Gefahrenabwehr zu sehen. Dass lautere Absichten bei allen Teilnehmern vorhanden waren, sieht man daran, dass außer an den Absperrgittern niemand vermummt war. Auch der verhaftete Jugendliche ist in der Fotostrecke auf der derwesten zu sehen. Unvermummt!
Was anfing wie eine gute, friedliche Kundgebung bei der alle Seiten deeskalierend wirkten, wurde durch das Verhalten Ihrer Beamten, Frau Fischer-Weinsziehr, ins Gegenteil verkehrt. Namentlich der Einsatzleiter, Herr Thiesmann, war offensichtlich nicht in der Lage die allgemeine Situation korrekt zu überblicken und sachgerecht zu handeln. Mehrere Personen hatten sich angeblich vermummt. Gejagt und festgenommen wurde nur eine.
– Warum wurde von Seiten der Polizei nicht an den Absperrungen auf möglicherweise rechtswidriges Verhalten hingewiesen?
– Warum stürzen sich ca. 10 Beamte auf eine Person die festgenommen werden soll?
– Warum wird billigend in Kauf genommen das andere Personen bei der Festnahme geschädigt werden können?
– Wo sieht die Polizei Essen die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt in Anbetracht solcher Vorgehensweisen?
– Wie wird bei der Essener Polizei eigentlich Deeskalation definiert?
Mit freundlichen Grüßen
und in Erwartung einer qualifizierten Antwort
verbleibe ich
Max Adelmann
Wie sehr die Versammlungsgesetze der Länder unser Grundrecht auf Versammlungsfreiheit einschränken, habe ich auch erst vor einem Jahr gelernt (Demo gegen Wulff vor dem Schloss Bellevue).
Die Situation war ähnlich wie die des Kundgebungsleiters. In dieser Rolle wird man für das Verhalten aller Demonstranten verantwortlich gemacht. Und als Teilnehmer muss man genau auf die zeitlichen und räumlichen Grenzen achten.
Als die Demo offiziell vorbei war, richtete ein Demonstrant mit einem eigenen Megaphone seine Stimme gegen Schloss Bellevue. Unmittelbar stürzte sich eine Gruppe Polizisten spektakulär auf den Mann und riss ihn zu Boden.
Der Adrenalinpegel aller Umstehenden ging sofort nach oben. Es entsteht eine Atmosphäre von Unsicherheit, was als nächstes kommt, ob man sich selbst schon unwissend ins Unrecht gesetzt hat und ob man dem Mann helfen kann, soll. Instinktiv redeten einige deeskalierend auf die Polizisten ein, andere hielten ihre Kameras auf die Szene, um Beweismittel zu sichern.
Ich bin der Meinung, dass die Aufgabe der Polizei vorrangig die Unterbindung von Gewalt ist. Aber die Feinheiten unseres Versammlungsrechts kennt doch kaum einer. Wenn kleine Abweichungen genügen, um einen Polizeitumult auszulösen, wirkt das abschreckend auf demonstrierende Bürger.
Aber vielleicht ist genau das beabsichtigt.
Interessanter Weise gibt es sogar zu diesem Fall der „Vermummung“ ein Gerichtsurteil. Das Landgericht Hannover hat unter dem Aktenzeichen 62 c 69/08 2009 so entschieden. Ich würde an Stelle des Bündnisses auch ein entsprechendes Urteil erzwingen und in Folge dessen Strafanzeige wegen Rechtsbeugung, Körperverletzung und Misshandlung eines Schutzbefohlenen gegen den Einsatzleiter stellen. Die übergreifenden Beamt*innen sind ja leider nicht zu identifizieren.
Ich kenne zig Videos auf Youtube, mit der Überschrift „Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten“ o.ä. Wenn ich mir die Filmchen dann anschaue sehe ich häufig zwar keine (übertriebene) Polizeigewalt, dafür aber unintelligent und hysterisch agierende Demonstranten.
was deeskalation bei der polizei bedeutet ist doch klar. die deeskalieren eben wie jede schlägerbande: kommen mit mehr leuten und den besseren waffen. ist die eskalation ruckzuck vorbei.
@Robert: Ihre Beobachtung und Ihre Wertungen mögen auf einige Demonstrationen zutreffen. Z. B. die 1. Mai Demos in Kreuzberg-Friedrichshain, mit dem Schirrmherrn Christian Ströbele.
Auf der Demo gegen Wulff war aber ein guter Querschnitt durch die Bevölkerung vertreten. Keine schwarzen Blöcke, keine Vermummten. So wie bei S21.
Wenn die Polizei dann so auftritt verschleißt sie unser Vertrauen und muss sich am Ende neu legitimieren.
Ich finde gerade bei der S21 Demo wurde unintelligent und hysterisch agiert. Vom schwarzen Block rede ich nicht. Da finde ich das Verhalten kriminell und terrorisierend.
[…] Nach Pro NRW Demo: Offener Brief an Essener Polizeipräsidentin (Ruhrbarone) […]
[…] Nach Pro NRW Demo: Offener Brief an Essener Polizeipräsidentin “Ein umstrittener Polizeieinsatz bei einer Gegendemonstration zu einer Pro NRW Kundgebung in Essen am vergangenem Samstag sorgt weiter für Aufregung. In einem offenen Brief an Essens Polizeipräsidentin Stephania Fischer-Weinsziehr kritisiert Max Adelmann, Kundegbungsleiter von “Essen stellt sich quer”, das Vorgehen der Polizei…” Artikel von Stefan Laurin vom 16.3.2013 bei den Ruhrbaronen und darin der Offene Brief […]
Auf den Webseiten von Essen-stellt-sich-quer ist die lange
veröffentlicht. Um es kurz zu machen: Der Betroffene habe sich im „zugewiesenen Versammlungsbereich und somit im Zuständigkeitsbereich des Versammlungsleiters“ befunden (nur dieser eine Satz zur Raumdiskussion), dann sei der Übergriff in dieser Form nötig gewesen, weil der Betroffene auf der Flucht gewesen sei und überhaupt soll Essen-stellt-sich-quer offenbar froh sein, dass die Essener Polizei nicht schon während der Versammlung, sondern erst gegen Ende reingerauscht sei (=“deeskalierend“)