Eine Stunde dauert die Fahrt von Oxford ins Zentrum von London. Mit dem Zug. Das Auto ist keine Alternative. Die Autobahnen sind voll und im Zentrum von London ist eigentlich immer rush hour. Fehlender Parkraum und hohe Parkgebühren kommen hinzu. Pendler von weiter außerhalb sind mit dem Personenverkehr schicksalhaft verbunden. Auch mit der Entwicklung der Fahrpreise. Beobachtungen von Dirk Schmidt.
Streiks, verkürzte Züge und Hitzekollaps – so betiteltet der Evening Standard die Situation des Nahverkehrs in und um London, als die anstehende Preiserhöhung für den Schienenverkehr veröffentlicht wurde. Die 90 km zwischen dem Londoner Zentrum und Oxford würden dann mit 5.398 Britischen Pfund 142 Pfund mehr kosten als in diesem Jahr. In Großbritannien werden die Preise von Jahresabonnements verglichen. Die Transportkosten reduzieren das Einkommen jeden Pendlers. Eine Preiserhöhung im Regionalverkehr kommt einer Steuererhöhung gleich. Und da wird öffentlich die Frage gestellt, was bekommt der Pendler dafür?
Preiserhöhung oberhalb der Inflationsrate
Der Evening Standard wird nachmittags kostenlos in der Londoner U-Bahn – der Tube – verteilt. „Wir zahlen Tausende, aber der Service ist ein Desaster“, wird ein Fahrgast zitiert, der sein Abo gekündigt hat. Er sei mit Einzelfahrkarten besser bedient. Auch die Times greift das Thema auf. Sie stellt ein neues jährliches Hoch bei den Zugverspätungen in den Vordergrund. Der Tenor der Meldungen ist gleich. Unverständnis besteht für eine Fahrpreiserhöhung oberhalb der Inflationsrate. Der Titel des Evening Standard lautet: „Ein 100-Pfund-Schlag-in-die-Fresse aller Pendler“.
So manches kommt mir aus der heimischen Debatte an Rhein und Ruhr bekannt vor. Mit verkürzten Zügen und Zugausfällen haben wir hier auch zu kämpfen. Im Gedankenexperiment frage ich mich, wie lange die Fahrt nach Münster oder Mönchengladbach von Bochum aus dauert. Für die 80 km müsste ich eine Stunden veranschlagen. Mit dem Auto. Mit Bus und Bahn bräuchte ich mindestens 90 Minuten. Der Regionalverkehr ist nicht alternativlos. Nach Mönchengladbach kostet das Jahresabo 2442 €. Damit kann ich im gesamten VRR-Gebiet fahren. Teurer wird’s nicht. Im Vergleich zu London besticht das Angebot mehr durch den Preis, nicht nur den Zeitaufwand. Eine Autofahrt von täglich 160 km müsste mit etwas über 10.000 € im Jahr veranschlagt werden.
Klimaschutz ist kein Argument
Die Diskussion über die Attraktivität des Nahverkehrs dreht sich in Deutschland immer um die Aufgabenstellung, wie können mehr Menschen bewegt werden, den Nahverkehr zu benutzen. Umweltschutz und zuletzt vordringlich Klimaschutz sind die Hauptmotive. Im derzeitigen Diskurs der Preiserhöhung in England fehlen diese Aspekte. Der Nahverkehr zumindest in der Landesmetropole ist zwar teurer, aber auch schneller und alternativlos.
Gemeinsam ist den Diskursen, dass es um die Qualität des Angebots geht. Streiks, verkürzte Züge und Hitzekollpas in der sommerlichen Hitzewelle beschäftigen die Londoner. Und wie sieht’s bei uns aus? Großräumige Ersatzverkehre bestimmen die Sommermonate, Ostern und Herbst. Ein Schienennetz aus der Kaiserzeit muss generalüberholt werden. Pünktlichkeit ist im Schienenverkehr eine Herausforderung. Zugführermangel lässt ganze Züge entfallen. Angesichts dieser Probleme und Forderungen, etwas für den Klimaschutz zu tun, wird es schwer, weitere Preiserhöhungen zu realisieren.
Sicher, die Fahrgäste sind bereit für ein gutes Angebot mehr zu bezahlen. Und es tut sich etwas bei der Qualität. Der neue Rhein-Ruhr-Express begeistert mich. Noch nicht der Takt, in dem er fährt, aber die deutlich besseren Fahrzeuge. In den nächsten Monaten werden sie nach und nach auf den RegionalExpress-Linien eingesetzt. Ein Baustein im regionalen Schienenverkehr dem viele Bausteine auch in den Städten und Kreise folgen müssen. Allerdings wird dafür zunächst investiert werden müssen. Die Fahrgäste werden nicht zu überzeugen sein, dies über höhere Fahrpreise über Jahre hinweg vorzufinanzieren. Die Qualität muss zuerst erlebbar werden.
Links:
„Fury at above-inflation ‚£100 kick in the teeth‘ on rail tickets after summer of delays“, Evening Standard, London 6. August 2019, https://www.standard.co.uk/news/transport/fury-at-aboveinflation-100-kick-in-the-teeth-on-rail-tickets-after-summer-of-delays-a4206551.html
Commuters face 3% train fare rise, The Times, London 7. August 2019, https://www.thetimes.co.uk/article/commuters-to-be-hit-by-3-train-fare-rise-ckrkzhnw7
Unser Gastautor Dirk Schmidt ist CDU-Ratsmitglied in Bochum und im Verwaltungsrat der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr AöR (VRR)
90km sind für mich kein Nahverkehr.
Bei diesen Strecken muss man sich fragen lassen, wie sinnvoll pendeln ist, wenn es dauerhaft angelegt ist.
Interessanter wäre der Vergleich wie es in Liverpool oder Manchster um den Nahverkehr bestellt ist. London ist ja hlchstens noch mit Paris zu vergleichen.
Aber momentan macht es hier einem die Stadt Bochum und die Bogestra auch nicht gerade leicht seinen Frieden mit dem Nahverkehr zu schließen. Die größte Blamage ist aber die 310 mit der man wie vor 30 Jahren durch Bochum ruckelt, sofern man kein körperliches Handicap hat, das einen daran hindert überhaupt in die Bahn zu gelangen.