Uwe Knüpfer, einer der Initiatoren des gestrigen Verkehrsgipfels, will, dass auch im Ruhrgebiet die Busse und Bahnen häufiger fahren. Aber dazu braucht es auch neue Strukturen.
Uwe Knüpfer Foto: Privat
Ruhrbarone: Herr Knüpfer, was ist als einer der Veranstalter Ihr Fazit des gestrigen Verkehrsgipfel?
Uwe Knüpfer: Zum Teil wurde uns ein beeindruckendes Schauspiel geboten. Die Vertreter der hiesigen Verkehrsunternehmen konnten wortreich erklären, warum es so, wie es ist, gut ist und es nicht anders geht. Martin Sindelar von den Wiener Linien und Hans-Werner Franz vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg zeigten, dass Nahverkehr in Großstädten anders funktioniert als im Ruhrgebiet – und zwar schnell, mit dichtem Takt und preiswert.
Die Nahverkehrsbosse im Ruhrgebiet sind also einfalls- und phantasielos?
Das haben Sie jetzt gesagt. Die können ja gar nicht anders. Jeder kann nur in den Grenzen denken, planen und fahren, die ihm gesetzt sind. Aber der Zusammenschluss der Nahverkehrsbetriebe Essens, Duisburgs und Mülheims zeigt ja, dass einige Städte die Zeichen der Zeit erkannt haben. Die meisten setzen allerdings noch auf die Bewahrung überholter Strukturen. Den Preis zahlen wir alle: in Form teurer Tickets, langer Wartezeiten, unverständlicher Tarifstrukturen und lausiger Verbindungen, sobald man es wagt, nicht sichtbare Stadtgrenzen zu überfahren.
Ein guter Nahverkehr ist eine teure Sache, und Geld ist knapp im Revier.
Knüpfer: In Berlin auch, und selbst in Wien ist man finanziell nicht auf Rosen gebettet. Aber der Wiener Nahverkehr kommt mit deutlich weniger Personal aus und leistet mehr als die Heerschar der Gesellschaften im Ruhrgebiet.
Sie wollen den Busfahrern ihre Jobs wegnehmen?
Knüpfer: Nein, würden Nahverkehrsunternehmen zusammengelegt, würde kein Busfahrer seinen Job verlieren. Aber ein paar Vorstände und sonstige Häuptlinge bekämen die Chance, sich neu zu orientieren. Außerdem geht es ja nicht nur um Einsparungen: Die Beispiele aus Wien und Berlin zeigen, dass ein attraktiver Nahverkehr mehr Nutzer anzieht und auch höhere Einnahmen bedeutet. Man muss nur mutig und groß denken. Im Ruhrgebiet wird im Bereich Nahverkehr eher klein gedacht. Und über Mut müssen wir leider gar nicht erst reden. In Wien soll bald 40 Prozent der Verkehrsleistung vom Öffentlichen Nahverkehr erbracht werden – im Ruhrgebiet sind es gerade einmal elf Prozent. Die Ruhrstadt hat dadurch einen strukturellen Nachteil.
Wie hoch schätzen Sie denn die Bedeutung eines gut funktionierenden Nahverkehrssystems für den Wettbewerb mit anderen Regionen ein?
Als sehr hoch. Ein leistungsfähiges Nahverkehrssystem wird sowohl von Unternehmen als auch von Menschen, die ins Revier ziehen, einfach vorausgesetzt. Entsprechend peinlich ist die Leistung, die ihnen hier geboten wird: Ein Zehn-Minuten-Takt, wie wir ihn fordern, ist keine Spinnerei – in Wien fährt die U-Bahn tagsüber im 2,5-Minuten-Takt und nachts alle zehn Minuten. Wir haben uns daran gewöhnt, abgespeist zu werden. Aber vielleicht ändert sich das ja jetzt. Immerhin haben alle Anwesenden unserer Resolution zugestimmt. Und die Zukunftskommission der Landesregierung hat den Ausbau des ÖPNV an Ruhr und Rhein als Kernaufgabe der Landespolitik identifiziert. Unter dem Titel „10-10-60“ fasst unsere Resolution das Ziel in einer griffigen Formel zusammen: Vorbild des Nahverkehrssystems der Region muss die Vorzeige-Metropole des Landes sein. Wie in Berlin muss es auch in der Städtelandschaft Ruhrgebiet möglich sein, innerhalb von zehn Minuten die nächste ÖPNV-Haltesselle zu erreichen, maximal zehn Minuten bis zur Abfahrt des nächsten Busses oder der nächsten Bahn warten zu müssen und innerhalb von 60 Minuten jedes Ziel innerhalb der Metropolregion Ruhr zu erreichen – 10-10-60 eben. Zu Preisen wie in Berlin. Dort kostet eine Fahrt durch die komplette Metropole 2,10 Euro. Dafür kommen sie in der Ruhrstadt heute gerade von Herne bis Bochum-Mitte.
Relativ wenig Ruhrbezug hier bei den „Ruhrbaronen“……
Zur angeblichen Zensurulla äußern sich 65 mehr oder WENIGER qualifizierte Kommentare, zur ZUKUNFT des SPNV im Ruhrgebiet genau NULL.
Lieber Herr Laurin und Herr Schraven, sollten die Ruhrbarone nicht zu den Zensurbaronen umfirmieren?
@Dortmunder: Das Thema ist nicht strittig – anscheinend stimmen alle die hier lesen Herrn Knüpfer zu, dass wir einen besseren Nahverkehr benötigen und nur noch eine Nahverkehrsgesellschaft.
Manchmal stelle ich mir vor, was in Berlin passiert, wenn der Oberbürgermeister der Ruhrstadt hustet?
? dann wäre vermutlich so, dass der VBB sich deknt, wie schön es doch der VRR hat?
Hin und wieder stelle ich mir auch mal vor, wie freundliche Busfahrer (vor allem im NE) eigentlich aussehen 🙂
Danke für den guten Beitrag!
Das Ziel eines leistungsfähigen Nahverkehrs in der Region dürfte in der Tat unbestritten sein; auch eine starke und prägnante Vision für einen regionalen Nahverkehr ist sicherlich vonnöten, um die bisherigen Routinen zu überwinden helfen. Warum aber ausgerechnet Berlin oder Wien ? Städte, von denen ja nun jeder weiß, dass sie vollkommen andere raumstrukturelle Voraussetzungen aufweisen ? als Vorbilder für den öffentlichen Nahverkehr im Ruhrgebiet herangezogen werden, das machen die Protagonisten von ?10-10-60 ? wie Berlin? nach wie vor nicht überzeugend klar. Ich fürchte, es ist (im Sinne der Initiative) sogar kontraproduktiv, weil man den Bewahrern des bisherigen Systems die denkbar einfachste Ausrede gleich mitliefert: Weil die Siedlungsstruktur Berlins (oder Wiens) so deutlich anders ist, sind auch die Lösungen (und im nächsten Schritt: seien eben auch die Qualitätsmaßstäbe) einfach nicht übertragbar.
Womöglich sollte man zunächst nüchtern bilanzieren, für welche (inselhaften) Teilräume der Region ?10-10-60? tagsüber bereits Wirklichkeit ist (d.h. überhaupt erstmal etwaige Mini-Berlins im Ruhrgebiet identifizieren).
@ Dirk E. Haas: So unterschiedlich sind die Anforderungen an den Nahverkehr in Berlin/Brandenburg und dem Ruhrgebiet gar nicht. Berlin hat, anders als die Ruhrstadt, zwar ein, zwei dominante touristische Zentren, aber das Leben der Einwohner spielt sich überwiegend in Stadtteilen ab, die – wie an der Ruhr – einst Dörfer und selbstständige Städte gewesen sind. Und in allen Metropolregionen der Welt ist seit Jahren zu beobachten, dass sich die Verkehrsströme diversifizieren: früher floss der Verkehr morgens in die Mitte und abends zum Rand zurück. Inzwischen, da selbst Verlagshäuser in einstigen Schlafstädten residieren und Shopping Malls das Zentralkaufhaus ersetzen, fließt der Verkehr kreuz und quer, ganz wie im Ruhrgebiet.
@ Uwe Knüpfer: Die Innenstadtbezirke Berlins sind nicht nur ?touristische? Zentren und für ein Leben in den Stadtteilen bräuchte es ohnehin kein 10-10-60-Modell; es sind ja gerade die Überschüsse an Zentralität sowie die innerregionalen Spezialisierungen, die ein derartiges Modell auf stadtregionaler Ebene einerseits notwendig, andererseits tragfähig machen.
?Kreuz und quer? fließt der öffentliche Verkehr in Metropolregionen bestenfalls auf der Erscheinungsebene, denn wenn an bislang peripheren Standorten Verlagshäuser, Shopping Malls, Universitäten, Filmstädte o.ä. entstehen, dann i.d.R. im Zusammenhang mit bestehender oder neu zu schaffender öffentlicher Verkehrsinfrastruktur ? falls nicht, liegt ohnehin kombiniertes Plan-, Staats- und Marktversagen vor (-:
Noch einmal: Interessant und für die weitere Debatte um ein regionales Nahverkehrssystem enorm hilfreich fände ich es, wenn wir wüssten, wo und in welchem Umfang Ihr Berlin-Modell im Ruhrgebiet en miniature bereits Wirklichkeit wäre.
@ Dirk E. Haas: Berlin „en miniature“ wäre eben nicht Berlin. Dass aber auch in der RuhrStadt gute grenzüberschreitende ÖPNV-Angebote angenommen werden, zeigt der unerwartete Erfolg der Bogestra-Linie U 35. Die endet zwar im Norden unsinnigerweise am Herner Schloss Strünkede, weil Recklinghausen es damals so wollte, fährt von dort aus aber in Rekordzeit zur Ruhr-Universität Bochum – und ist in Spitzenzeiten ausgelastet wie eine echte Metro in New York oder Tokio – bei ruhruntypischen Taktfolgen von 5 Minuten. Herne ist durch die U 35 attraktiv für Studenten geworden; von Herne-Mitte bis Bochum Rathaus und damit nahe ans Bermuda3eck dauerts keine zehn Minuten. Hier schlägt der ÖPNV das Auto um Längen.
Den traurigen Kontrast zur Verbindung Herne-Bochum bietet die Strecke Herne-Essen. Auch hier könnte die Bahn die Straße locker übertrumpfen, wenn sie wollte. Denn wenn ein Zug fährt, ist er in zwanzig Minuten am Essener Hbf. Aber er fährt nur einmal pro Stunde, und das in Gestalt einer S-Bahn, die an DDR-Zeiten erinnert.
Übrigens: Den Wandel der Verkehrströme hat das RWI schon vor Jahren untersucht. Konsequenzen wurden daraus nicht gezogen.
Im Kern gibt es zwei große Probleme im ÖPNV der Ruhrstadt. Ab 20 Uhr werden die schon nicht tollen Frequenzen auf der Mehrzahl der Strecken bis zur Unzumutbarkeit reduziert. Vor 20 Uhr sind zwar die Taktzeiten besser, die Umsteigzeiten sind aber in der Mehrzahl auch dann unerträglich.Zumindest verlocken sie auch tagsüber nicht zum Umstieg vom – sofern (noch) vorhanden – eigenen PKW auf Bus und Bahn.
Es gibt also nicht einmal Inseln in denen Ruhr einem Vergleich, sofern man ihn überhaupt zuläßt, mit Berlin standhalten kann. Es gibt nur, wie Uwe Knüpfer es an der U35 verdeutlicht hat, Linien, die Berlinniveau haben.Ob das wirklich nur an der Siedlungsstruktur liegt, wage ich zu bezweifeln. Die Siedlungsdichte ist insgesamt nachwievor fast flächendeckend groß genug, um einen erfolgreichen ÖPNV zu installieren.