Nancy Fraser, die Uni Köln, Claus Leggewie und Marie Ebner von Eschenbach

Marie von Ebner-Eschenbach Bild: Unbekannt Lizenz: Gemeinfrei

Die österreichische Schriftstellerin Marie Ebner von Eschenbach war nicht nur eine der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts, sondern auch eine Frau, die ihrer Zeit voraus war: Sie absolvierte eine Uhrmacherlehre und gründete 1891 den „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“. Es mag sein, dass dieses politische Engagement sie dazu brachte, den Aphorismus “Der Gescheitere gibt nach! Ein unsterbliches Wort. Es begründet die Weltherrschaft der Dummheit.” zu formulieren, dessen Lektüre man dem Politologen Claus Leggewie nahelegen möchte. Leggewie, der lange Zeit im Ruhrgebiet als Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) in Essen tätig war, wandte sich in einem Gastbeitrag im Kölner Stadtanzeiger gegen die Ausladung der US-Philosophin Nancy Fraser durch Joybrato Mukherjee, den Rektor der Universität Köln. Fraser wird nicht wie geplant die Albertus-Vorlesung an der Hochschule halten.

Der Grund für die Ausladung war ihre Unterschrift unter dem am 1. November vergangenen Jahres verfassten offenen Brief „Philosophy for Palestine“. In ihm wird Israel die Schuld an dem Überfall der Hamas am 7. Oktober gegeben. Es wird behauptet, dass die Staaten, in denen die Unterzeichner leben, nur Israel finanzieren: „Am wichtigsten ist, dass wir uns nur allzu bewusst sind, dass die Länder, in denen wir leben und arbeiten und an die wir Steuern zahlen, in diesem zutiefst asymmetrischen Konflikt nur eine Partei finanzieren und begünstigen. Diese Partei ist nicht die Unterdrückte, sondern der Unterdrücker.“ Das ist natürlich Unsinn. Staaten wie die USA, aus denen zahlreiche der Unterzeichner kommen, finanzieren wie Deutschland und andere EU-Staaten zum Teil seit Jahrzehnten die Palästinenser und trugen so dazu bei, dass sie sich ihr Aufrüstungsprogramm überhaupt leisten konnten. Am Ende des Textes wird der Boykott Israels gefordert: „Wir laden unsere Philosophenkollegen ein, sich uns in der Solidarität mit Palästina und dem Kampf gegen Apartheid und Besatzung anzuschließen. Unterstützen Sie insbesondere gemeinsam mit uns den akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen – abgesehen von Einzelpersonen –, wie er von der Palästinensischen Kampagne für akademische und kulturelle Boykotte Israels (PACBI) dargelegt wird. Wir fordern alle Menschen auf, sich offen und furchtlos zu äußern und daran zu arbeiten, die Sache der palästinensischen Befreiung und Gerechtigkeit für alle voranzutreiben.“

Leggewie beschreibt den Text im Stadtanzeiger treffend: „Das Manifest strotzt vor Ignoranz über die historischen Ursachen und akuten Dilemmata des Konflikts in und um Palästina. Was ist davon zu halten? Es ist die Weltsicht überengagierter „Antiimperialisten“, für die – wie der Direktor der Biennale in Venedig gerade statuierte – Israel zum Globalen Norden zählt, gegen den sich der Globale Süden (inklusive Russen, Chinesen und Dschihadisten?) legitimerweise zur Wehr setzt. Für eine Philosophenschar, die sich im besagten Manifest selbst als hervorragend präpariert lobt, ist die Verwirrung der Begriffe, der Zeiten und der Räume eine Armutserklärung.“ Nur ist Leggewie gegen die Ausladung von Fraser, obwohl er sie für nachvollziehbar hält: „Wir sollten weiter sein und dringend die Spirale der Boykotte und Diskursverweigerungen durchbrechen. Solche Stellvertretergefechte haben weder die verbliebenen jüdischen Geiseln zurückgebracht noch das Leid der Palästinenser im Gaza-Streifen verringert.“

Womit wir wieder bei Marie Ebner von Eschenbach wären. Warum soll die Universität Köln und ihr Rektor Joybrato Mukherjee ihre Entscheidung zurücknehmen und nicht Fraser  ihre Unterschrift unter dem Philosophen-Pamphlet?  Sie hat Diskursverweigerung, mal abgesehen von den ebenso einseitigen wie falschen Vorwürfen gegen Israel, zu ihrem Programm erhoben. Wer Diskursverweigerung fordert, dem ist durchaus zuzumuten, die Folgen dieser Politik selbst zu erleben. Fraser könnte sagen, dass sie auf der Seite der Palästinenser steht, das militärische Vorgehen Israels falsch und die Zahl der palästinensischen Opfer für durch nichts zu rechtfertigen findet aber einsieht, dass ein Boykott aller Israelis, im Kern also eine pure antisemitische Forderung, falsch ist.  Israel hat nun einmal mehr Feinde als Freunde und es ist nicht möglich, sie alle vom Diskurs auszuschließen. Man muss und kann sich mit solchen Positionen auseinandersetzen und sollte sich streiten. Durch Sprechverbote sind sie ja nicht aus der Welt. Doch Fraser geht den entscheidenden Schritt weiter: Sie sucht nicht die Debatte, sondern will ein ganzes Land mit Millionen Menschen von ihr ausschließen. Sie will nicht die Auseinandersetzung, sie will den Boykott. “Der Gescheitere gibt nach! Ein unsterbliches Wort. Es begründet die Weltherrschaft der Dummheit.” schrieb von Eschenbach. Würde die Uni Köln Leggewie folgen, wäre sicher nicht die „Weltherrschaft der Dummheit“ die Folge, dafür sind Fraser und ihre Kollegen schlicht zu unwichtig, aber ein Sieg der Dummen wäre es allemal. Jürgen Kaube schrieb treffend in der FAZ: „Professoren, die glauben, das müsse vielmehr „der internationale Diskurs“ definieren und aus „internationaler Anerkennung“ entspringe das Recht auf folgenloses Unterschreiben jeglichen Unfugs, sehen sich im Irrtum. Mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit hat das aber nichts zu tun, und dass „internationale Forschungszusammenhänge“ durch die Absage zweier Gastvorlesungen gefährdet sein sollen, kann wohl nur behaupten, wer gar nicht weiß, was das ist.“

 

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