Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Dortmunder Rat, Utz Kowalewski, hat eine Fachaufsichtsbeschwerde eingereicht. Er hält die Gefahrenprognose der Dortmunder Polizei im Vorfeld des Nazi-Angriffs auf das Rathaus vom 25. Mai für fehlerhaft:
Fachaufsichtsbeschwerde nach Art. 17 GG zur Erstellung der Gefahrenprognose zum 25. Mai durch den Dortmunder Staatsschutz
Sehr geehrter Herr Polizeipräsident Lange,
vor dem Hintergrund des Berichtes der Dortmunder Polizei an den Innenminister des Landes NRW über das Zustandekommen der Gefahrenprognose des Dortmunder Staatsschutzes bitte ich Sie Ihrer Aufsichtspflicht als Dienstherr der Dortmunder Polizeibehörden nachzukommen. Ich erlaube mir, diese Fachaufsichtsbeschwerde auch dem Innenminister des Landes NRW zuzuleiten.
Der Innenminister berichtet dem Innenausschuss des Landtages NRW wie folgt: „Im Hinblick
auf das Verhalten von Angehörigen der rechten Szene im Falle eines möglichen Wahlerfolges der Partei „Die Rechte“ wurden am 23.05.2014 sowie am 24.05.2014 direkte Gespräche zwischen Beamten der KI Staatsschutz des pp Dortmund und dem stellvertretenden Landesvorsitzenden der Partei „Die Rechte“, Herrn Michael Brück, geführt. Dieser erklärte auf Nachfrage, dass man beabsichtige, mit wenigen Parteiangehörigen der Auszählung der Stimmen in einem Wahllokal beizuwohnen (hierzu gab es einen entsprechenden Aufruf auf der Seite „Dortmundecho.org“). Ein Besuch der Wahlparty im Rathaus sei, unabhängig vom Ausgang der Wahl, nicht geplant, da die Stimmauszählung der Kommunalwahl erst nach der Auszählung der Europawahl stattfinden würde. Dieses sei eindeutig zu spät, um sich im Anschluss noch zum Rathaus zu begeben. Für den Fall, dass es etwas zu Feiern gäbe, würde man dieses in kleinem Kreis in Dortmund-Dorstfeld tun.“
Die offenbar maßgeblich aufgrund der Absichtserklärung eines einschlägig bekannten Neonazis getroffene Gefahrenprognose war angesichts des gewalttätigen Angriffs von rund 30 Neonazis der Partei „Die Rechte“ auf eine Wahlparty im Dortmunder Rathaus grob fehlerhaft. Die Einstufung eines Neonazis als vertrauenswürdige Quelle, der aus einer Organisation kommt, die sich als Nachfolgeorganisation einer vom Innenminister des Landes NRW verbotenen verfassungsfeindlichen Naziorganisation unter dem Deckmantel des Parteiprivilegs neu gegründet hatte, stellt ein grobes fachliches Versäumnis dar.
Die fehlerhafte Gefahrenprognose hat am Abend des 25. Mai weitere fachliche Fehleinschätzungen zur Folge gehabt und auch für den eigentlichen Einsatz Probleme bereitet:
1) Im Bericht des Innenministers heißt es: „Das „Posting“ mit dem Konterfei des Siegfried Borchardt und der Textzeile „Mit einem Schlag ins Rathaus“ wurde um 21.16 Uhr bei Twitter festgestellt. Es wurde zu diesem Zeitpunkt nicht als entsprechende Ankündigung bewertet, das Rathaus am Wahlabend aufzusuchen bzw. sich gewaltsam dort Zutritt verschaffen zu wollen.“ Diese Einschätzung war fachlich falsch. Im Rathaus selbst wurde dieses Posting als Beleg für aufziehendes Unheil wahrgenommen und auch so bewertet. Die Bewertung der örtlichen Politik war hier sichtlich näher an der Realität als die Bewertung des Staatsschutzes.
2) Die Aufgabe der Observation der Wahlparty von „Die Rechte“ in der Tusneldastrasse um 21:00 Uhr lag ebenfalls einer fachlich fehlerhaften Einschätzung zugrunde. Auch nachdem die Beamten des Staatsschutzes erkannt wurden, wäre eine Beobachtung der Wahlparty zur möglichen Gefahrenerkennung weiterhin möglich gewesen, möglicherweise auch mit anderem Personal. Auch hier schien ein nahezu kindlich naives Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der oben genannten Neonaziaussagen zugrunde zu liegen. Als Resultat haben sich die Neonazis offensichtlich rasch nach dem Abzug der Polizeibeamten auf den Weg ins Rathaus gemacht und konnten unbeobachtet mit der Straßenbahn von Dorstfeld bis in die Innenstadt fahren
3) Ein erster zweiköpfiger Erkundungstrupp der Neonazis in gelben T-Shirts mit Werbung für eine verbotene Naziorganisation erschien bereits gegen 21:45 Uhr auf dem Friedensplatz mit dem Ergebnis einer ersten testweisen Auseinandersetzung. Ich selbst habe unmittelbar nach diesem Vorfall über die Mitarbeiter der Pforte des Rathauses die Polizei verständigen lassen. Laut dem Bericht des Innenministers NRW verließen die Staatsschützer aber erst gegen 22:05 Uhr das Rathaus, um sich zum Polizeipräsidium zu begeben. Dies entspricht auch mehreren Aussagen von mir leider nicht persönlich bekannten Wahlpartyteilnehmern, dass das Fahrzeug des Staatsschutzes sich erst nach dem Betreten des Friedensplatzes durch Neonazis entfernt habe. Diese Fragestellung ist im Rahmen dieser Fachaufsichtsbeschwerde eingehender zu überprüfen.
4) Aufgrund der genannten fachlichen Fehleinschätzungen der Gefahrenanalyse wurden offenbar keine Polizeieinheiten in ausreichender Zahl in Rathausnähe bereit gehalten. Der Bericht des Innenministers NRW enthält daher den Hinweis, dass der Dortmunder Polizei durch „59 Einsatzkräfte aus umliegenden Behörden (Bochum, Recklinghausen, Essen, Oberhausen, Hagen, Unna, Ennepe-Ruhr-Kreis, Hamm, Märkischer Kreis, Coesfeld, Wuppertal) sowie der Bundespolizei und Polizeifliegerstaffel“ ausgeholfen werden musste.
5) Im Rahmen dieser Fachaufsichtsbeschwerde bitte ich ebenfalls eine Überprüfung des sehr unterschiedlichen Einsatzverhaltens von Polizei und Feuerwehr/Rettungsdienst vorzunehmen. Der Bericht des Landesinnenministers sagt aus, dass die ersten Polizisten um 22:14 Uhr auf dem Friedensplatz erschienen sind. Die ersten Rettungswagen erschienen aber bereits rund eine Viertelstunde vor der Polizei auf dem Friedensplatz. Daraus leitet sich die Frage ab, inwieweit polizeiseitig Notrufe auch wirklich als Notrufe gewürdigt wurden und entsprechend bearbeitet wurden. Auch stellen sich Fragen nach Mängeln in der Kommunikation zwischen den Einsatzkräften der Polizei und der Rettungsdienste, die auch zur Verbesserung künftigen Einsatzverhaltens aufzuarbeiten sind.
Mit freundlichen Grüßen,
Utz Kowalewski