Die Gemüter in Dortmund beruhigen sich nicht so schnell, wie das einige möglicherweise gehofft haben – vor allem diejenigen, die durch falsche Einschätzungen im Vorfeld zu dem Desaster am Wahlsonntag in Dortmund beigetragen haben. Mitglieder der Partei „Die Rechte“ wollten sich am 25. Mai, mit Tränengas und Flaschen bewaffnet, gewaltsam Zutritt zum Rathaus verschaffen. Weder die Verwaltung der Stadt Dortmund noch die für den Wahlabend verantwortliche Wahlleiterin, Rechtsdezernentin Diane Jägers (CDU), tragen offenbar aufgrund eigener Fehleinschätzungen eine Mitverantwortung dafür, dass die Dortmunder Wahlparty katastrophal verlief und mit mehreren Verletzten endete. Vielmehr verließ sich die Verwaltung auf die Profis – den Staatsschutz. Zurecht.
Im Vorfeld der Kommunalwahlen gab es Gespräche zwischen Polizei und Verwaltung zu dem Problem, dass mit der Partei „Die Rechte“ Vertreter einer verbotenen Organisation und zum Teil mehrfach vorbestrafte Nazis zur Wahl angetreten sind und gute Chancen auf einen Wahlerfolg haben. Für die Erkenntnis, dass zu den Rats-Kandidaten stadtbekannte Gewalttäter gehören, braucht man weder Staats- noch Verfassungsschutz.
Bei den Vorbereitungsgesprächen ging es nach Auskunft der Stadt um den Umgang mit den Rechten in den betroffenen Wahllokalen, im Briefwahlzentrum und im Rathaus – also an allen Orten, an denen die Rechten während der Wahl und nach der amtlichen Feststellung des Wahlergebnisses auftauchen könnten. Anhand der Wahlprognosen musste man mit einem triumphalen Aufgebot des Spitzenkandidaten der Rechten und Borussenfront-Hooligan, Siegfried Borchardt, am Wahlabend fest rechnen. Daher gehörte folgerichtig zu den Verabredungen die „gegenseitige telefonische Erreichbarkeit“ – also der direkte Draht vom Rathaus zur Polizei. Die Verwaltung nutze die vergebenen Spezialnummern mit direkten Zugang zum Polizeipräsidium in dem Moment, als die Situation vor der Rathaustür eskalierte. Um wie viel Uhr genau, ist nicht bekannt. Doch Notrufe gingen unabhängig davon auch von Zeugen und Beobachtern unter der Notrufnummer 110 ein, wie zum Beispiel von Olaf Schlösser, Ratskandidat von „Die Partei“. Er hielt über Telefon Kontakt zur Polizei und berichtete live am Telefon von dem Angriff der stadtbekannten Gewalttäter.
Die mehr als seltsame „Vermutung“, dass mit gewalttätigen Aktionen nicht zu rechnen sei, geht offensichtlich nicht auf das Konto der Rechtsdezernentin, andere Mitgliedern der Stadtspitze oder auf den Oberbürgermeister Ullrich Sierau. Kursierende Gerüchte, man hätte aktiv, um sich die Feierlaune nicht verderben zu lassen, den Staatsschutz um wenig Polizei am Wahlabend gebeten, haben sich damit nicht bestätigt.
Vielmehr beruht die Vereinbarung zwischen Verwaltung und Polizei auf präventive Polizeipräsenz zu verzichten, nach Auskunft der Stadt auf der Einschätzung des Staatsschutzes. Selbst auf konkrete Fragen, wie mit bestimmten rechten Parteimitglieder mit gewalttätiger Vergangenheit umzugehen sei, stellte der Staatsschutz fest, dass „nach seinen Erkenntnissen nicht mit Gewaltanwendung zu rechnen sei“. Damit ist die Stadtverwaltung aus der Mitverantwortung erst mal raus.
Thema bei den Vorgesprächen zwischen Stadt und Polizei war auch die rechtliche Einschätzung, welche juristischen Möglichkeiten man habe, den Rechten den Zugang zur Wahlparty zu verweigern. Das Rechts-Instrumentarium bietet hier nicht viel an. In der Folge müsse man den Zugang zur Bürgerhalle gewähren. Einigkeit herrschte auch darüber, dass das Hausrecht in den oberen Räumen gilt, in denen traditionell die Fraktionen feiern. Dort könne das Recht der Hausherren, wenn nötig, auch umgesetzt werden. Würde es zu einem Widerstand der Rechten gegen ein Verweisen aus dem Rathaus kommen, könnte man dann die Polizei um Vollzugshilfe bitten.
Von Maßnahmen zur Beobachtung der Nazi-Szene hat sich die Stadt Dortmund deutlich distanziert. Das ist richtig, denn eine eigene Gefahrenabschätzung gehört nicht zu den verwaltungs- sondern klar zu den polizeilichen Aufgaben. Die Gewaltenteilung ist ein hohes Gut in der Demokratie – daran lässt sich selbst bei solchen Situationen nicht beliebig rütteln.
Dass sich die Rechtsdezernentin am Wahlsonntag vor Ort ein sehr realistisches Bild von der gewalttätigen Nazi-Szene in Dortmund verschaffen konnte, ist dennoch wichtig. Nicht nur, dass ihre christdemokratische Partei den überparteilichen Aufruf nicht unterzeichnet hat – die Dortmunder CDU fällt auch immer wieder unangenehm durch Verharmlosungstendenzen in Blick auf ein handfestes, inzwischen international beachtetes, Problem mit Rechtsextremismus in Dortmund auf. Das nimmermüde Beteuern von der Gleichwertigkeit des Gewaltpotentials des Rechtsextremismus und Linksextremismus bei den Debatten und fast reflexhafte Unmutsäußerungen, wenn Probleme mit Nazis diskutiert werden, ist vor allem ein Zeichen von Unkenntnis der Szene und hilft am Ende den Falschen. Bochum, wo Jägers vorher tätig war, kennt kein Nazi-Probleme in diesem Ausmaß. Zeit also für die Dezernentin, Wissen aufzuholen – und an ihre Partei weiterzugeben.
Schuld an der Schutzlosigkeit der Ratsleute und ihrer Gäste am Wahlabend hat Jägers allerdings nicht: Um 22:05 Uhr verließ laut Polizeibericht, der vom NRW-Innenminister unterzeichnet wurde, der Staatsschutz das Rathaus. Höchst verwunderlich, dass die Staatsschutzbeamten es nicht für notwendig hielten, mit den zuständigen Verwaltungsmitarbeitern, die den Abend über den „heißen Draht“ zur Polizei halten sollten, informierten: „Tschüüüß, wir gehen jetzt – Sie sind ab jetzt allein“. Auch an dieser Stelle sind Stadtverwaltung und Wahlleiterin aus der Mitverantwortung raus. Nach Darstellung der Stadt haben sich die zuständigen Mitarbeiter auf den Staatsschutz verlassen – wurden aber von ihm, der an diesem Abend für den Schutz der Menschen zuständig war, verlassen.
Einen Staatsschutz kann man nicht entlassen. Aber es werden immer mehr Zweifel an der Kompetenz des Polizeipräsidenten laut. SPD-Innenminister Jäger hielt während der Innenausschuss-Sitzung im Landtag fest zu seinem Mann in Dortmund, Polizeipräsident Gregor Lange. Wie lange noch, wird maßgeblich daran liegen, wie viel Druck von den Genossen in Dortmund auf den Parteifreund im Düsseldorfer Ministerium ausgeübt wird.
Unter den beratungsbedürftigen Gästen vom DGB am Dienstag organisierten Infoveranstaltung für die von Nötigungs-Anzeigen betroffenen „Rathausverteidiger“, waren sehr viele SPD-Mitglieder. Das lässt auf einen breiten Protest der SPD, der sich auch an die Landesebene richtet, unterstützt von Stadt-Chef Ullrich Sierau, hoffen. Der findet bekanntlich, wenn es darauf ankommt, auch mal durchaus deutliche Worte. Darauf warten nicht nur die, die von den volksverhetzenden Parolen in ihrem Ehrgefühl – sondern auch diejenigen, die von den Rechten ganz real verletzt wurden.