Nazi-Fahndung: Probiers mal mit Gemütlichkeit…

Fahndungsplakat_-_RAF182 Neonazis sind im Untergrund. Stören tut das anscheinend niemanden.

Wer in den 70er und 80er Jahren in Deutschland ein Postamt, einen Bahnhof oder auch nur eine Bäckerei aufsuchte, sah sie: Die Plakate des BKA, mit denen nach Mitgliedern der Rote Armee Fraktion gefahndet wurde. Mehr oder weniger finstere Gestalten schauten einem da entgegen und war einer von ihnen erschossen oder festgenommen worden,  wurde sein Foto mit einem dicken Filzstift durchkreuzt. Neben den Fahndungsplakaten gab es auch immer mal wieder Aufrufe im Fernsehen, in denen erklärt wurde, woran man einen Terroristen erkennt: Zum Beispiel daran, dass der seine Miete bar zahlt und anonyme Hochhaussiedlungen als Wohnort bevorzugt.

Der ganze Aufwand hat sich augenscheinlich gelohnt: Fast alle Gesuchten wurden erwischt, die RAF ist längst Geschichte.

Heute gibt es wieder Terroristen in Deutschland. Neben verschiedenen Salafisten befinden sich 182 Neonazis im Untergrund. Sie werden mit Haftbefehl gesucht, aber wo sie sind weiß niemand. 49 von ihnen werden wegen Gewalttaten gesucht. Die taz hat das Thema aufgegriffen (Link funktioniert im Moment nicht) und gestern auch Friedrich Küppersbusch in Tagesschaum.

Was verwundert, ist die Lässigkeit, mit der nach ihnen fahndet wird. Auch nach der Erfahrung mit dem NSU, der über zehn Jahre mordend und Banken überfallend durchs Land zog, ist das Engagement des Staates, die Nazis aus dem Verkehr zu ziehen, eher gering. Wer schon einmal erlebt hat, mit welcher Akribie in Deutschland auch nicht bezahlte Strafzettel wegen Falschparkens unter Androhung von Beugehaft  durchgesetzt werden oder  tausende Polizisten sich mit Blitzgeräten aufmachen, Flottfahrer zu stellen, ist nur noch erstaunt: Keine Fahndungsplakate beim Bäcker, nur dann und wann mal eine Razzia bei Naziveranstaltungen – geht es gegen die Nazis, handelt der Staat noch immer nach dem Balu-Prinzip: Probiers mal mit Gemütlichkeit…

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Nansy
Nansy
11 Jahre zuvor

Jetzt kann ich nur noch zynisch werden: Vielleicht liegt es daran, dass der Terror der RAF sich überwiegend gegen die Herrschenden richtete, während die NSU „nur“ die kleinen Leute terrorisiert?

Davon abgesehen finde ich es schade, wenn man heute NSU zwangsläufig nur noch mit Terror in Verbindung bringt – die Automarke NSU hat das nicht verdient.

Flusskiesel
11 Jahre zuvor


Da brauchst Du nicht zynisch zu werden – das ist meiner Meinung nach so.
Wenn die NSU statt Ausländer/Migranten mal ein paar Banker erschossen hätte, dann hätten spätestens nach dem vierten toten Anzugträger Panzer auf jeder Straßenkreuzung gestanden.
In Deutschland ist das Leben eines Gemüseladenbesitzers eben doch weniger wert als das eines Thilo Sarrazins. 🙁

iNfIlTrAtOr
iNfIlTrAtOr
11 Jahre zuvor

: Was genau ist an deinem Kommentar zynisch? Das „nur“? Der Rest ist doch eine absolut realistische Einschätzung.

Ulf
Ulf
11 Jahre zuvor

Na ja, ein gewisser Zynismus ist schon zu erkennen, wenn man Opfer katalogisiert nach wichtigen und weniger wichtigen (den kleinen) Menschen. Die „kleinen“ Springer-Mitarbeiter, die aus ihrer Redkation gebombt wurden, die Angehörigen der ermordeten Buback-Begleiter oder die des Herrhausen-Chauffeurs sehen die RAF-Aktivitäten wahrscheinlich anders als Nansy. Allerdings stimmt es, dass unsere Chance, seinerzeit während einer Verkehrskontrolle von hypernervösen Polizisten (die hatten die Hosen sowas von voll) versehentlich erschossen zu werden, größer war, als Opfer der RAF zu werden. Im Vergleich dazu sind die Jungs und Mädels in Uniform heute sehr entspannt und cool. Mal sehen, wie lange noch.

Arnold Voss
11 Jahre zuvor

Auf dem rechten Auge blind zu sein hat in Deutschland eine verdammt lange und bis heute durchgehende Tradition.

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[…] Nazi-Fahndung: Probiers mal mit Gemütlichkeit … 182 Neonazis sind im Untergrund. Stören tut das anscheinend niemanden. Wer in den 70er und 80er Jahren in Deutschland ein Postamt, einen Bahnhof oder auch nur eine Bäckerei aufsuchte, sah sie: Die Plakate des BKA, mit denen nach Mitgliedern der Rote Armee Fraktion gefahndet wurde. Mehr oder weniger finstere Gestalten schauten einem da entgegen und war einer von ihnen erschossen oder festgenommen worden, wurde sein Foto mit einem dicken Filzstift durchkreuzt. Neben den Fahndungsplakaten gab es auch immer mal wieder Aufrufe im Fernsehen, in denen erklärt wurde, woran man einen Terroristen erkennt: Zum Beispiel daran, dass der seine Miete bar zahlt und anonyme Hochhaussiedlungen als Wohnort bevorzugt. Der ganze Aufwand hat sich augenscheinlich gelohnt: Fast alle Gesuchten wurden erwischt, die RAF ist längst Geschichte. Heute gibt es wieder Terroristen in Deutschland. Neben verschiedenen Salafisten befinden sich 182 Neonazis im Untergrund. Sie werden mit Haftbefehl gesucht, aber wo sie sind weiß niemand. 49 von ihnen werden wegen Gewalttaten gesucht. Die taz hat das Thema aufgegriffen (Link funktioniert im Moment nicht) und gestern auch Friedrich Küppersbusch in Tagesschaum. Quelle: Ruhrbarone […]

Jumbo
Jumbo
11 Jahre zuvor

Tja, das wundert mich überhaupt nicht. Als ich letztes Jahr in einer Polizeidienststelle eine Sachbeschädigung angezeigt habe, sah ich einen ganzen Stapel dieser Fahndungsplakate auf dem Tresen gestapelt herumliegen, teilweise bereits mit Eselsohren (offenbar vom Hin- und Herrücken). Auf meine Frage, ob ich eins haben könnte, da ich Hoheit über einen hoch frequentierten Schaukasten habe und bereit wäre das Plakat dort zu platzieren, kam die verwirrte und verwirrende Antwort, dass die Plakate nur für „öffentliche“ Einrichtungen wären. Privat ginge das nicht, sie dürften mir keins geben. Ich konnte mich zwar auch noch gut an die Plakate in Bäckereien und ähnlichen „öffentlichen“ Orten in den Siebzigern und Achtzigern erinnern, das half allerdings auch nicht, solch ein Plakat der Öffentlichkeit abseits des Polizeitresens der Betrachtung zugänglich machen zu dürfen. Was soll man sich da noch denken?

Walter Stach
Walter Stach
11 Jahre zuvor

Arnold -5-
das ist so und das läßt sich, wenn jemand zweifeln sollte, umfassend belegen -von 1945 bis heute-.

Gründe dafür?
Nachdem altersbedingt sog. Altnazis -mit Parteibuch oder “ nur“ nach Gesinnung und Sympathie für nationalsozialistisches Gedankengut- ausgestorben sind oder dabei sind auszusterben und die heute in der Polizei, in der Strafjustiz, im Verfassungschutz Tätigen in ihrer Ausbildung/Fortbildung mit den Prinzipien des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates vertraut gemacht und danach sogar auf diese Prinzipien als Beamte mittels Eid eingeschworen wurden, kann es „eigentlich“ diese Blindheit gegenüber (Neo-) Nazis, gegenüber nationalsozialistichem Gedankengut nicht mehr geben. Da das aber der Fall ist, frage ich mich, was hier falsch gelaufen ist bzw. weiterhin falsch läuft -auch in der Ausbildung/Fortbildung der beteiligten Personen in der Polizei/in der Strafjustiz/im Verfassungschutz, vor allem auch seitens des weisungs-, des anordnungsbefugten Führungspersonales in den betr.öffentlichen Institutionen

Bernie
Bernie
11 Jahre zuvor

Vielen Dank für den vortrefflichen Text 😉

Mir schwant schon seit Anbeginn Übles, wenn ich an die Terroristin Beate Tschäpe denke, und den medialen Umgang mit ihr, der schon fast an Hofberichterstattung grenzt.

Ulrike Meinhoff rotiert wohl im Grabe, wenn die an den Umgang mit der Rechtsterroristin in München denkt – Apropo München: Wieso hat man diese rechtsextreme Terroristin eigentlich ausgerechnet dort vor Gericht stellen müssen – hat man, ganz zynisch ausgedrückt, nichts aus der Geschichte mit A.H., und dessen „Prozeß“ in München gelernt?

Frägt sich
Bernie

Bernie
Bernie
11 Jahre zuvor

Als Ergänzung, und zur Erinnerung – aus der Geschichte:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hitler-Prozess

….leider „Wikipedia“, aber dennoch bleibt die Frage:

Hat man hier nichts gelernt?

Wäre ein anderer Ort als München nicht besser gewesen?

Etwa der Ort wo Meinhoff & Co. verurteilt wurden, und nicht wie A.H. Freispruch erneten, und sogar ein Buch in Haft schreiben durfte, dass „Mein Kampf“ hieß?

https://de.wikipedia.org/wiki/Stammheim-Prozess

Frägt sich
Bernie

Ganz zynisch: Schreibt Frau Tschäpe, oder irgend ein rechtsextremer Haftgenosse bereits an einem neuen „Mein Kampf“?

ralle, the other one
ralle, the other one
11 Jahre zuvor

Leutz, habt Ihr es noch nicht bemerkt?

Wir, ja wir alle leben in einem „rechten“ Rechtsstaat!?!

D.h. nur wer „rechts“ ist, bekommt immer und immer wieder Recht –> Bank(st)er, Konzerne, Nationale Untergründige – mit Hilfe deutscher Richter und Rechtsanwälte, mit Hilfe von Geldspenden von Milch(müller)Konzernen und anderen, die nur vor einem Angst haben – einem wirklich sozialem Staat, vor Kommunisten und eventuell vor Feuer und Bazillen! ;-)))

… und ausserdem, muss man ja gelegentlich seine Bluthunde gegen die Proll´s (früher Arbeiterklasse genannt) füttern und sich an den untersten Schichten abarbeiten lassen.
Was soll´s, dem grünen Kleinbürger der nur in einer übersättigten Gesellschaft die ständig auf anderer Menschen Kosten lebt, ist das schnurz – im geht es um Grünkern, grünen (blutroten) Strom und missbräuchlichem Umgang mit Ressourcen und Umwelt – hauptsache, sein Kontostand und sein „grünruhiges“ Gewissen ist am Ende des Monats ( ä´hm am Ende des Tages) ruhiggestellt!

… und was Kapital mit seinen Bütteln anstellen kann, das sehen wir derzeit, trotz Geheul von Claudi-Mausi Roth, am Gezi und anderswo auf dieser Welt!

Gute Nacht und kein Bett! ;-(((

Puck
Puck
11 Jahre zuvor

@Walter Stach #8

Das Problem „auf dem rechten Auge blind“ stirbt anscheinend nicht aus mit den altgedienten Protagonisten, das dauert wohl ein paar Generationen.
Man kann wohl davon ausgehen, daß die „altgedienten“ in höheren Positionen erstens den Nachwuchs geschult und zweitens auch einen gewissen Einfluß (durch entsprechende Benotung z. B.) darauf hatten, wer auf höhere Posten nachrückt.
Das Problem wird also quasi vererbt.
Was die Sache nicht einfacher macht: Zumindest in früheren Zeiten, bis weit in die 60er Jahre hinein, konnten die Herrschaften bei Justiz und Polizei sich sicher sein, daß ihre Einstellung mit der Einstellung der Bevölkerungsmehrheit aufs schönste korrespondierte, die ebenfalls keine große Lust an der Verfolgung von Altnazis hatten, die Medien schon gar nicht.
Oder erinnert sich jemand daran, daß bei „Aktenzeichen XY“ mal ein Altnazi gesucht worden wäre?
Da hing doch eine riesige Käseglocke über dem Land, die hielt den Mief schon drinnen und verhinderte neue Ideen von außen.
Und als sich endlich eine Opposition gegen dieses Vertuschungskartell bildete, driftete ein Teil in den Terrorismus ab, was wiederum ein prima Alibi war, sich mit dieser unappetitlichen Sache erst gar nicht zu befassen.

Auch würden natürlich Polizei und Verfassungsschutz zugeben, daß sie komplett versagt haben, wenn sie jetzt plötzlich einen Zahn zulegen.
Und wer gibt schon gerne zu, daß er versagt hat!

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[…] und Folge 6 Besonders schön der Vergleich zwischen RAF- und NSU-Terrorismus (klick), was auch von den Ruhrbaronen aufgegriffen wurde: "Wer in den 70er und 80er Jahren in Deutschland ein Postamt, einen Bahnhof oder […]

Nansy
Nansy
11 Jahre zuvor

Für ältere Menschen ist es schon manchmal erstaunlich, wie die politische Gemengelage in den Anfangsjahren der Bundesrepublik heute interpretiert wird. Es scheint für jüngere Menschen nicht vorstellbar zu sein, dass man einen neuen Staat nicht nur mit „unbelasteten“ Bürgern und Fachleuten aufbauen konnte – wo hätte man sie auch hernehmen sollen? Das mag man aus heutiger Sicht beklagen, war aber damals wohl nicht anders durchführbar.

Diesen „unbefleckten“ Aufbau hat wohl nur die DDR geschafft, die einfach verkündet hat, dass alle Nazis in den Westen gegangen sind – Nazifrei durch Proklamation!

Mary-Louisa Perez
Mary-Louisa Perez
11 Jahre zuvor

@ralle, the other one: Genauso sieht’s aus, dem ist nichts hinzuzufügen und nichts wegzulassen.

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[…] Die LINKE deckt auf: 220 per Haftbefehl gesuchts Neonazis auf freiem Fuß Damit kommen wir zum Unterschied zwischen mordenden Rechtsextremisten und mordenden Linksextremisten: "Wer in den 70er und 80er […]

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[…] um denselben Betrag. So sieht er aus, der "Kampf gegen Rechts" seitens der CDU. Man kann es nur immer wieder wiederholen: "Wer in den 70er und 80er Jahren in Deutschland ein Postamt, einen Bahnhof oder auch […]

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[…] linksradikalen Mordgruppierung zum Opfer gefallen, würden wir genau solche Sätze NIEMALS hören. Ganz im Gegenteil. Deutschland ist nämlich ein RECHTSstaat. Und das wird er auch bleiben. Nostalgie schadet nie […]

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