Nazi Horror Picture Show am Düsseldorfer Schauspielhaus

Wenn den Zuschauer nichts mehr zu erregen, nichts mehr zu verstören und nach all den von Kunstblut, Kotze und Koitus geprägten Inszenierungen des modernen Regietheaters nichts mehr zu schockieren vermag, hilft nur noch eins: Nazis und Juden müssen her!

So oder so ähnlich scheinen deutsche Regisseure zu denken, wenn sie darüber nachsinnen, wie sie mit einer Inszenierung am ehesten auf sich aufmerksam machen können. Denn eines haben die Theatermacher mit der Zeit gelernt: Eine Woyzeck– oder Faust-Aufführung ruft für gewöhnlich nur wenig Resonanz bei Publikum und Medien hervor. Aber die Aufführung eines Stückes, in dem »Heil Hitler« gerufen wird und Juden erschossen werden, kann sich von vornherein großer Aufmerksamkeit gewiss sein. Als etwa der Regisseur Roberto Ciulli vor rund einem Jahr am Mülheimer Theater an der Ruhr Fassbinders antisemitisches Drama Der Müll, die Stadt und der Tod inszenierte, berichtete sogar die Tagesschau über die Premiere. Auf Anhieb waren alle Vorstellungen des finanziell angeschlagenen Hauses ausverkauft.

Diesem Prinzip der kalkulierten Provokation seines Mülheimer Nachbarn folgend, zeigt nun das Düsseldorfer Schauspielhaus Elfriede Jelineks Stück Rechnitz (Der Würgeengel) – und löst prompt einen handfesten Theaterskandal aus. Offenkundig scheint man nicht nur an der Ruhr, sondern auch am Rhein genau zu wissen, welche Knöpfe man drücken muss, um einen Eklat zu produzieren.

Elfriede Jelinek, österreichische Literaturnobelpreisträgerin von 2004, reflektiert in ihrem Stück den Umgang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Der Titel steht für ein Massaker, bei dem im März 1945 in Rechnitz an der österreichisch-ungarischen Grenze am Rande eines rauschenden Festes 180 jüdische Zwangsarbeiter ermordet wurden. Zum Zeitpunkt des von Margit Gräfin Batthyány, einer Enkelin des Stahlmagnaten August Thyssen, veranstalteten alkoholseligen Kameradschaftsabends, zu dem auch HJ-Führer, örtliche NSDAP- und SS-Größen geladen waren, stand die vorrückende Rote Armee bereits 15 Kilometer vor dem Dorf. Gegen Mitternacht bat Franz Podezin, Ortsgruppenleiter der NSDAP, einen Teil der Gäste nach draußen, verteilte Waffen und lud dazu ein, die Zwangsarbeiter zu erschießen. Ob die Gräfin Batthyány mitgeschossen oder »nur« zugeschaut hat, ist bis heute ungeklärt. Die Adelige floh Ende März 1945 in die Schweiz, wo sie 1989 hochbetagt starb, ohne je zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.

Doch Jelinek scheint das an Grausamkeit nicht zu reichen. Sie spannt am Schluss des Stückes einen Bogen von Rechnitz zu dem »Kannibalen von Rotenburg« und zitiert dessen authentischen Dialog mit seinem Opfer. Der damals 39 Jahre alte Armin Meiwes hatte im Jahr 2001 einen Ingenieur aus Berlin mit dessen Einverständnis entmannt, getötet und Teile der Leiche gegessen.

Holocaust plus Kannibalismus: Damit schockt man schlagzeilenträchtig Publikum und Kritik. Wobei die Düsseldorfer Theatermacher ihre Inszenierung als eine Art Erweiterung der historischen Perspektive verstehen. »Wir Nachgeborenen haben uns einen Blick auf die NS-Zeit zurechtgelegt, der mehr oder weniger sagt, der Holocaust ist ein bürokratischer und verwaltungstechnischer Akt gewesen«, sagt Hermann Schmidt-Rahmer, Regisseur der Düsseldorfer Inszenierung. »Und die Jelinek sagt, es ist ein dionysischer Rausch gewesen, in dessen Verlauf Menschen gegessen worden sind.«

Die Premiere vor rund drei Wochen rief jedenfalls tumultartige Publikumsreaktionen hervor (und entsprechend breite Medienberichterstattung). Zahlreiche Zuschauer verließen den Saal noch während des Stücks, andere riefen wütend »Aufhören!«. Bei der zweiten Aufführung einen Tag später bespuckte ein empörter Besucher die Spielleiterin.

Ganz anders bei der Aufführung vergangene Woche. Nichts mehr war von Empörung und Eklat zu spüren. Gebuht, geschimpft und gespuckt hat dieses Mal niemand. In kaum drei Wochen scheint alle Wut verpufft und einer zurückhaltenden Zustimmung gewichen zu sein. Ganz sicher lag das daran, dass die Aufführung diesmal quasi pädagogisch eingebettet wurde. Vor der Inszenierung führte der Dramaturg in die Thematik des Stückes ein. Nach der Vorstellung stellten sich die Schauspieler und die künstlerische Leitung in einem Publikumsgespräch den Zuschauern.

Ungeklärt blieb dabei jedoch die zentrale Frage: Warum stellt das deutsche Theater die Jahre 1933 bis 1945 immer wieder geradezu obsessiv aus der Perspektive der Täter dar? Auch in Jelineks Stück treten die Opfer nicht ein einziges Mal in Erscheinung – und bleiben so das, was sie sind: anonym, stumm, tot.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“.

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Ralf Lambrecht
14 Jahre zuvor

„Warum stellt das deutsche Theater die Jahre 1933 bis 1945 immer wieder geradezu obsessiv aus der Perspektive der Täter dar?“
1. Was ist das „deutsche Theater“ ? Ich kenne in diesem Zusammenhang nur deutschsprachiges Theater!
2. Das kann sein, vor allem in großen Häusern, die solche Stücke der Auslastung halber inszenieren, es gibt aber auch Theater, die ihren Auftrag jenseits der Unterhaltung etwas ernster nehmen und gerade den Opfern auf der Bühne ein Gesicht geben:
https://www.kijukuma.de/sites/Spielplankijukuma.htm#10.11
Wer sich selbst ein Bild machen möchte,
morgen, 10.11 um 10.oo Uhr & 12.oo Uhr
Do. 11.11. um 10.oo Uhr gibt es im KiJuKuMa in Bochum dazu Gelegenheit.
Die drei Vorstellungen sind zwar eigentlich ausverkauft, aber zwei drei freie Plätze für Rezensenten gibt es noch.

Philipp Engel
Philipp Engel
14 Jahre zuvor

Sehr geehrter Herr Lambrecht,

vielen Dankf für Ihren Hinweis, dass es nicht “deutsches Theater”, sondern „deutschsprachiges Theater“ heißt. Ich bin sicher, meine Leser auf diesem Blog und in der „Jüdischen Allgemeinen“ konnten dennoch nachvollziehen, was gemeint war. Und wo wir gerade bei der kleinkarierten Fehlersuche sind: Ja, an einer Stelle habe ich ein Komma gesetzt, wo es nicht hingehört.

Nun aber zu etwas viel Wichtigerem: Dass Ihr Theater – auch wenn es sich „nur“ um ein Jugendtheater handelt – es besser macht als das Düsseldorfer Schauspielhaus ist sehr erfreulich. Leider aber ist und bleibt das die Ausnahme an unseren (hoch) subventionierten (deutschsprachigen) Theatern.

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