Innenminister Ralf Jäger will mit aller Härte gegen Nazis im Land vorgehen. Mit mehr Personal und neuen Konzepten setzen die Städte die Politik um.
Es war einen Tag vor Heiligabend, als es an der Haustür des Dortmunder Oberbürgermeisters Ullrich Sierau (SPD) schellte. Als seine Frau die Tür öffnete, stand dort ein als Weihnachtsmann verkleideter Neonazi und überreichte ein Geschenkpaket für Sierau – unter anderem mit Nazi-Musik für seine Kinder und Flugblättern. Verbunden war das alles mit dem auch als Drohung zu verstehenden Gruß „Wir vergessen niemanden.“
Der Besuch des braunen Weihnachtsmanns war eine Reaktion auf die verstärkten Bemühungen von Polizei und Stadt in Dortmund, sich den Nazis entgegenzustellen, für die sich auch Oberbürgermeister Ullrich Sierau einsetzte. Die Stadt will künftig verstärkt gegen Nazis vorgehen und mag nicht mehr mit dem Stigma der Nazi-Hochburg leben. Mit Überfällen der Rechten, bundesweite Großdemonstrationen und Bedrohungen von Nazi-Gegnern vor allem im Stadtteil Dorstfeld machte Dortmund in den vergangenen Monaten Schlagzeilen. Damit soll nun Schluss sein. Mit einem umfassenden Aktionsprogramm, zu dem Opferbetreuung, Aufklärung an den Schulen und ein Aussteigerprogramm gehört, will die Stadt gegen die Nazis vorgehen. Ein Haus an der Rheinischen Straße, in dem ein Nazitreff beheimatet ist, wurde von der Kommune gekauft und den braunen Mietern gekündigt. Die haben nicht nur Widerstand mit rechtlichen Mitteln angekündigt: Maskiert, mit Knüppeln und Schilden bewaffnet zeigen sie sich auf einem Foto im Internet bereit, ihr Zentrum auch mit Gewalt zu verteidigen.
„Ich lasse mich von so etwas nicht beeindrucken. Wir wollen den Nazis in Dortmund auf die Füße treten und werden das auch tun.“ Norbert Wesseler ist seit dem 1. Januar Polizeipräsident in Dortmund. Und er hat sehr genaue Vorstellungen, wie er gemeinsam mit der Stadt den Nazis das Leben schwer machen will: „Wir werden unter anderem zusammen mit dem Ordnungsamt auf Streife gehen und überall wo die Nazis auftauchen Präsenz zeigen. Wir werden nicht dulden, das Menschen bedroht und eingeschüchtert werden und wir werden jedes Delikt konsequent verfolgen.“ Wie so etwas in der Praxis aussieht, kann man sich in der Nordstadt anschauen, wo Polizei und Stadt mit einer Task Force gegen bulgarische Prostituierte und ihre oft kriminellen Partner vorgehen: Personenkontrollen, Polizei und Ordnungsdienste an jeder Ecke und die Verfolgung jedes noch so kleines Deliktes und jeder noch so kleinen Ordnungswidrigkeit.
Möglich wird das verstärkte Engagement der Polizei in Dortmund durch eine Initiative von Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD): In den von Naziaktivitäten besonders betroffenen Städten und dem Landeskriminalamt unterstützen 35 weitere Ermittler den Staatsschutz bei seiner Arbeit gegen Rechts – eine Verstärkung, die auch der Dortmunder Polizei neue Möglichkeiten gibt. Hier verrichten nun zehn zusätzliche Beamte ihren Dienst.
Wesseler: „Wir werden die Handlungsräume der Nazis einengen. Im Moment ist es noch so, das Nazis aus dem Umland nach Dortmund ziehen. Unser Ziel ist, dass sie erkennen, dass in Dortmund kein Platz für Rechtsextremisten ist.“
Das dieses Ziel nicht einfach zu erreichen sein wird, ist Wesseler bewusst: Für den 1. Mai haben die Nazis einen Aufmarsch in der Stadt angekündigt – genau drei Jahre nachdem sie Teilnehmer einer Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes angegriffen haben. Und Anfang September soll wieder mit dem „Nationalen Antikriegstag“ eine der größten Nazidemos Deutschlands in Dortmund stattfinden. Auch für Norbert Wesseler persönlich sind diese Aufmärsche unerträglich, er weiß aber auch: die meisten Demonstrationsverbote scheitern spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht. „Wir werden sehr genau prüfen, ob wir diese Demonstrationen verbieten können und wenn wir eine Chance sehen, vor Gericht zu bestehen, werden wir es tun.“
Wie in Wuppertal, wo die Polizei im vergangenen November eine Nazidemonstration am Tag der Reichspogromnacht verhindern konnte. Leitende Polizeidirektor Georg Schulz: „Wir konnten uns vor Gericht mit der Auffassung durchsetzen, dass ein Aufzug von Nationalen Sozialisten am Tag der Reichspogromnacht nicht mehr durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist.“ In Wuppertal verbietet die Polizei Naziaufmärsche nur wenn sie glaubt, gerichtsfeste Gründe zu haben: „Wenn wir wissen, wir verlieren vor Gericht, unterlassen wir es – wir wollen den Nazis keinen propagandistische Erfolg auf dem Silbertablett liefern!“
Auch in Wuppertal wurde eine Task Force gegen Nazis eingerichtet. Sie ist Teil des Projekts „Hellwach gegen Rechtsextremismus“ und nahm ihre Arbeit schon im vergangenen Herbst auf. Da hatte vor allem ein Nazi-Überfall auf ein Kino im 30. November 2010 für Aufregung in der Stadt gesorgt: Während des Aufklärungsfilms „Das braune Chamäleon“ stürmten Nazis das Kino „Cinemaxx“ und griffen Besucher und Kinomitarbeiter an. Die Ermittlungen, werfen Anti-Nazi-Gruppen der Polizei vor, seien schleppend verlaufen. Die Polizei sei auf dem rechten Auge blind und hätte Zeugen eher verunsichert als die Täter zu verfolgen. Kriminaloberrätin Claudia Greve, sowohl Leiterin des Wuppertaler Staatsschutzes als auch des Projekts „Hellwach gegen Rechtsextremismus“ wehrt sich gegen die Vorwürfe: „Wir nehmen Kritik sehr ernst und werden unsere Arbeit, wo es erforderlich ist, verbessern, aber auf dem rechten Auge blind waren wir nie.“
Das bekommen die Nazis, die sich im vor allem Wuppertaler Stadtteil Vohwinkel festgesetzt haben, seit dem Herbst zu spüren: „Wir zeigen, dass wir da sind und greifen auch ein, wenn noch keine Straftaten vorliegen.“ Zum Beispiel wenn die Nazis eine Gruppe von jungen Ausländerinnen belästigen und fragen, wo die denn hinwollen und ob sie nicht mitkommen können. Greve: „Verboten ist das nicht, aber es soll Angst machen und wir dulden so etwas nicht.“
Besorgt ist die Kriminialoberrätin über die zunehmende Gewaltbereitschaft der rechten Szene: „Die Brutalität nimmt in Auseinandersetzungen deutlich zu.“
Die Nazis in Vohwinkel haben auf die Aktivitäten der Polizei reagiert, treten nach Greves Beobachtung nicht mehr so offen auf wie früher: „Sie halten sich in der Öffentlichkeit zurück, sind aber noch immer aktiv. Bei Nazi-Demos in Dortmund und Köln und auch auf Kundgebungen von Pro NRW sind sie dabei.“
Doch wie in Dortmund setzt man auch in Wuppertal stark auf Prävention. Leitender Polizeidirektor Georg Schulz: „Wir wollen Jugendliche stark machen und mit unseren Netzwerkpartnern dafür sorgen, dass sie sich erst gar nicht mit Nazis einlassen.“
In Dortmund und Wuppertal arbeiten Polizei und Stadt eng mit Vereinen, den Schulen und Kirchen zusammen, um ein Klima zu schaffen, das Nazis keine Chance gibt. Schulz: „Wenn es zu Straftaten kommt, zeigt das nur, dass wir als Gesellschaft im Vorfeld nicht so erfolgreich waren, wie wir es hätten sein müssen. Nazis sind nicht nur ein Problem der Polizei, sie sind ein Problem der Gesellschaft und nur die Gesellschaft kann es auf Dauer lösen.“
Der Artikel erschien in ähnlicher Version bereits in der Welt am Sonntag.
Direkt 10 neue Beamte für eine Anti-Nazi Taskforce ?
Sehr gute Sache, aber WARUM war das vorher nicht möglich ?
@Locke: Durch die NSU-Morde ist die Politik in dieser Frage sensibler geworden. Ein weiterer Grund: Bis vor kurzem wollten die Städte nicht wahrhaben, dass sie ein Nazi-Problem haben. Der Hauptgrund dürfte die Sporge ums Image gewesen sein.
Dazu kommt, dass die Nazibande eine Polizistin ermordet hat. Erst nachdem das publik geworden war und die Beziehung zu weiteren Morden nicht mehr unter den Teppich zu kehren war, konnten die Menschen, die mehr Aktivitäten gegen Rechtsradikale fordern, auf Unterstützung von „oben“ hoffen. So läuft das hierzulande.
„Der Hauptgrund dürfte die Sporge ums Image gewesen sein.“
Ja aber, kann man nicht mit entschlossen Maßnahmen das Image fördern, zumindest Jahre später in dem man sagt: schaut her wir haben das geschafft, könnt das auch?