Nein, Israel unternimmt in Gaza nicht eine der tödlichsten und zerstörerischsten Militärkampagnen der Geschichte

Gaza 2023 Foto Fars Media Corporation Lizenz: CC BY 4.0 DEED

In vielen Artikeln der letzten Wochen wurde der israelischen Armee vorgeworfen, im Krieg gegen die Hamas besonders brutal und ohne Rücksicht auf die Zivilisten im Gazastreifen vorzugehen. Der Spiegel zitierte den US-Politologen Robert Pape mit der spektakulären Aussage, die israelische Militärkampagne gehöre zu den tödlichsten und zerstörerischsten der Geschichte.Das ist Unsinn.

Als Beleg wurde die Zerstörung von 33 Prozent der Gebäude und geschätzte 20.000 Tote angeführt. Im Artikel wird korrekterweise darauf hingewiesen, dass der Zerstörungsgrad deutscher Großstädte im 2. Weltkrieg zwischen 40 bis 50 Prozent lag. Spitzenwerte im Zweiten Weltkrieg lagen jedoch deutlich höher: Stalingrad wurde von der Wehrmacht nach Einschätzung des Bundesarchivs weitgehend zerstört, was deutlich mehr als 33 Prozent ist. Yokohama wurde an einem Tag zu 90 Prozent zerstört, Warschau zu 85 Prozent und Hull zu 95 Prozent. Wer einen Zerstörungsgrad von 33 Prozent bei einer Ansammlung von Städten mit zwei Millionen Einwohnern auf einer Fläche, die mit 360 Quadratkilometern deutlich kleiner ist als Köln mit 405 Quadratkilometern, als das Ergebnis einer der zerstörerischsten Militärkampagnen der Geschichte bezeichnet, hat ein Problem mit Zahlen.

Auch die Opferzahlen der israelischen Kampagne sind überschaubar. Schätzungen gehen von 20.000 Toten aus. Belegbar ist die Zahl nicht, aber da sie immer wieder verwendet wird, macht es Sinn, mit ihr zu arbeiten. Sie umfasst zwei Gruppen: Terroristen, die getötet werden sollen, und Zivilisten, die nach Möglichkeit geschont werden sollen. Die Hamas ist keine reguläre Armee, die Grenzen zwischen Terroristen und Zivilisten sind fließend. Israel meldete Mitte Dezember 7.000 tote Terroristen, also könnten 13.000 Zivilisten gestorben sein. Beide Opferzahlen sind für einen Krieg, der jetzt mehr als zwei Monate dauert, nicht hoch. Wenn man mit 75 Tagen Kriegsdauer rechnet, kommt man auf gut 250 Tote am Tag auf palästinensischer Seite. In Stalingrad waren es allein auf russischer Seite mehr als 2300 Tote am Tag und das über einen Zeitraum von Juli bis Februar. Sicher, man kann die beiden Schlachten nicht miteinander vergleichen, aber Pape hat sich mit seiner Aussage von einer der „tödlichsten und zerstörerischsten“ Militärkampagnen auf dieses Feld begeben. Und er geht mit diesem Vergleich unter: Während der Operation Overlord, der Kampagne, bei der die Alliierten 1944 in Frankreich landeten, kamen 2500 deutsche Soldaten am Tag um, bei der Schlacht um Berlin 1945 starben über 5000 deutsche Soldaten am Tag und bei der Schlacht um Moskau 1941 über 8300 Rotarmisten jeden Tag.

Natürlich führt Israel in Gaza einen entschlossenen Krieg, aber es ist offenbar sehr bemüht, die Zahl der Opfer auf der gegnerischen Seite stark zu begrenzen, was natürlich den Nachteil hat, dass das Risiko für die eigenen Truppen steigt. Ein Prozent der Bewohner Gazas wurden bislang getötet. Was Israel in diesem Krieg macht, ist alles, nur kein Genozid. Und wenn man die Militärgeschichte betrachtet, geht es eher behutsam vor. Davon ab gibt es eine Macht, die diesen Krieg sofort beenden könnte: Wenn die Hamas kapituliert, wäre alles vorbei.

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Leser
Leser
11 Monate zuvor

Opferquote 7.000 Kombattanten zu 13.000 Zivilist:innen?
Also fast doppelt so viele tote Zivilist:innen wie Kombattanten?

Zugleich: „aber es ist offenbar sehr bemüht, die Zahl der Opfer auf der gegnerischen Seite stark zu begrenzen“

Wie geht das zusammen?

Und jetzt bitte weder Stalingrad-Vergleiche (das ist einfach nur völlig daneben) als die Behauptung, eigentlich seien alle Zivilist:innen ja auch irgendwie Terrorist:innen. Für Frauen, Kinder, Greise gilt dies sicher nicht.

vormals SvG
vormals SvG
11 Monate zuvor

@ Leser: In den kriegen seit dem Weltkrieg I. ist der Anteil der zivilen Opfer auf mittlerweile 95% aller kriegstoten gestiegen; weltweit in allen Konflikten. Die von Ihnen angegebenen Zahlen sprechen dann doch eher für die These des Autors.

Leser
Leser
11 Monate zuvor

@vormals SvG

Das ist leider ein ignoratio elenchi.

Ich habe angesichts der Opferquote gefragt, wie der Autor zur Aussage kommt, die IDF sei „offenbar [sic!] sehr bemüht, die Zahl der Opfer auf der gegnerischen Seite stark zu begrenzen“. Belege für diese Mutmaßung erkenne ich keine.

Wenn man sich hingegen das Ausmaß der Zerstörung in Gaza ansieht (und das geht auch über Satellitendaten), dann entsteht eher der Eindruck, insbesondere in Nord-Gaza werde die von den Ruhrbaronen vor ein paar Jahren geäußerte Vernichtungsfantasie „Transform Gaza to Garzweiler“ im Ansatz Realität.

Ein Satz der laut laut Meron Mendel (Direktor der Bildungsstätte Anne Frank) in der Tat eine „explizite Vernichtungsfantasie“ darstellt.

Und ich möchte noch ergänzen: Nicht nur eine explizite, sondern auch noch eine typisch deutsche.

blaumetallic
blaumetallic
11 Monate zuvor

Der südafrikanische Präsident beklagt in dem Kontext die übliche westliche Doppelmoral: Wenn Russland eine Rakete auf Kiew abfeuert und dabei Zivilisten tötet, dann wird sowas als Kriegsverbrechen gewertet.
Aber wenn Israel im Gazastreifen einen Kindergarten bombardiert, dann ist das legitime Selbstverteidigung.

Ich sehe das auch so wie der Präsident. Ist bestimmt ein Antisemit. Oder Aluhut. Nein. Ein Querdenker.

CTemt
11 Monate zuvor

Die IDF bemüht sich wirklich, die Zivilisten nicht zu treffen und Piloten dürfen zB jeden Angriff abbrechen, wenn sie glauben auch Zivilisten zu gefährden.
Aber es mit Andauer des Krieges, wird dieser Ansatz immer schwieriger zu halten sein und Soldaten aus extremen Siedlerfamilien wurden zB schon vom direkten Kampfinsätzen zurück gezogen.
Dass die IDf aber nicht ganz so „human“ ist, wird von israelischen Journalisten hier beschrieben;
https://www.972mag.com/mass-assassination-factory-israel-calculated-bombing-gaza/

‘A mass assassination factory’: Inside Israel’s calculated bombing of GazaPermissive airstrikes on non-military targets and the use of an artificial intelligence system have enabled the Israeli army to carry out its deadliest war on Gaza, a +972 and Local Call investigation reveals.

Psychologe
Psychologe
11 Monate zuvor

Wer mich und meine Beiträge kennt, weiß, dass ich weit davon entfernt bin, in das Horn der „Israelkritik“ zu blasen. Ich spare es mir an dieser Stelle, eine ganze Reihe von Rechtfertigungen für meine diesmal abweichende Meinung aneinanderzureihen. Meine Solidarität mit Israel als Schutz- und Heimstätte der Juden ist unerschütterlich.
Aber die Argumentation in diesem Beitrag gemäß der Devise „im Grunde ist die Quote doch noch okay“ empfinde ich als zynisch und kontextlos. Egal, welche Opferzahlen nun stimmen sollten, dürften sie zu hoch sein. Ich wage auch Zweifel zu hegen, ob hier von einem nachhaltigen „Erfolg“ auszugehen ist oder eher von einem Desaster. Gerade, wenn man sich die Zerstörungen anschaut. Schade, dass ich das mal so schreiben musste.

trackback

[…] Kurzum: Es gibt keinen Völkermord durch Israel und nein, Israel unternimmt in Gaza nicht eine der tödlichsten und zerstörerischsten Militärkampagnen…! […]

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