Neue Trends und freie Szenen – die 17. Internationalen Jazztage Dortmund

Warum alles in Sachen elektronischer Clubkultur dem derzeitigen Szene Mekka Berlin überlassen? Maik Olof, der sonst in der Wuppertaler Peter-Kowald-Gesellschaft wirkt, brachte eine die Techno-Avantgarde ins Dortmunder domicil. Denn was dort unter dem etwas konservativen Etikett „Internationale Jazztage“ rangiert, will das Neue und Besondere, das Etablierte weniger. „Wir präsentieren übers Jahr so viele große Namen , da können wir beim Festival ruhig andere Akzente setzen“ sagt domicil-Chef Waldo Riedl zum Konzept der Jazztage.
Da kommen sie aus ihren Nischen hervor, etwa der DJ „DNMK“ vom Essener Goethebunker oder ein Sven Swift vom Bochumer Error Broadcast. Demonstriert wird, dass sich in Genres wie Dubstep oder Garage die Bassdrum über das stoische Vierermetrum zu erheben weiß. Mit Snare-Gewittern und zuweilen verpackt in psychedelische Samples entsteht sowas wie – Swing! Aus Wien nach Dortmund gereist ist Dorian Concept, um weitere Kreise zu schließen, wenn er über die verfrickelten Elektrobeats aus dem Mini-Netbook live auf dem Synthesizer improvisiert. Da ist wohl das gemeinsame Wiener Blut mit dem legendären Joe Zawinul im Spiel. Wer zaubert die wärmsten, durchgestyltesten Sounds aus den Tasten?
„No Blah Blah“ verbreitet die Jazzwerkruhr-Initiative – und setzt bei der aktiven Pflege einer lebendigen Jazzkultur direkt vor der Haustür an. Dank hervorragendem künstlerischen Niveau ist die Ausstrahlung der vielen realisierten Kooperationen innerhalb der freien Szene längst international. Also begegneten sich auf der Bühne im großen Saal junge Talente von Hamburg bis München, aber auch aus Polen, Frankreich, Belgien und der Slowakei. Die im Vorjahr gegründete „Jazz plays Europe“-Werkstatt setzt hier das Begonnene logisch fort. Nadin Deventer, Geschäftsführerin von Jazzwerk Ruhr weiß jedoch zurzeit nicht so recht, wie es mit der Initiative weiter gehen soll. Das größte Manko ist eine fehlende Planungssicherheit, da die notwendige finanzielle Unterstützung vom Land NRW immer nur – und das sehr kurzfristig – für ein Jahr bewilligt wird. Nadin Deventer: „Die Kulturhauptstadt geht, wir bleiben. Aber es ist schwierig, unter solchen Vorzeichen etwas für eine nachhaltige Sicherung zu tun.
Auch sonst widerspiegeln sich aktuelle Trends in Dortmund: Die Schweizer Band Rusconi stellt das überstrapazierte Klaviertrioformat mal eben in den Kontext der berühmten Gitarren-Noise-Band. Wenn sich beim Flügel auf der Bühne auch nicht für jedes Stück die Stimmungen manipulieren lassen, wie es bei den Sonic Youth Gitarren fast für jeden neuen Song praktiziert wird, so überzeugt bei den Schweizern umso mehr die „verschlankte“ und damit umso mehr auf die Lyrik der Songs fokussierte Tonsprache.
Auf dem „WOMAD“-Festival für Weltmusik kaufte sich der Perkussionspieler Nick Mulvey einen Satz schweizerischer „Hang“-Trommeln. Das beschert dem Spiel des Portico-Quartetts gleichsam frische, wie feinfühlig abgedämpfte Farben. Mit wenigen Tönen lassen sich auf diesen Metallelementen Verbindungen bis hin zu mixolydischen oder dorischen Modi kreieren. Das klingt manchmal wie karibische Steeldrum, offenbart dann aber doch mehr Tiefe und viel mehr sphärischen Obertonreichtum. Sie tut wohl, diese bewegliche, leichtfüßige Musik der Londoner. Aber sie laufen auch Gefahr, in der Falle von zu einseitig aufgetragener Süßlichkeit zu landen. Mehr kompositorischer Wagemut und eine stärkere Auseinandersetzung mit exotischen Stilen – und alles wäre perfekt!
Grubenklang.reloaded ist ein aktuelles „Ruhr 2010-Projekt“, bei dem sich gestandene Improvisatoren aus der Region wie Theo Jörgendsmann, Frank Gratkowski oder Dieter Manderscheid wieder zusammen gefunden haben Unter der Leitung von Georg Graewe ist hier nicht zuletzt ein Stück musikalischer Industriekultur entstanden. „Industrial Folk“ nennt es Bandleader Georg Graewe. Sängerin Almut Kühne bot zum Finale einen unter die Haut gehenden Vortrag, der so ganz variabel zwischen subtiler Laut-Abstraktion, expressionistischen Anklängen und raffiniert ins Spiel kommendem Folk changierte. Drum herum zauberte die „Grubenklang“-Formation eine Umgebung, die vor allem die Aura von Reife verströmte. Mal braust der ganze Klangkörper im atonalen Tutti auf, dann stürzen sich einzelne Spieler in solistische Duelle. Die haben in den vergangenen Monaten viel (und intensiv) zusammengespielt. Das hört man!

Almuth Kühne und der "Industrial Folk"

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