(Brüssel, 16.11.2015) Das European Milk Board (EMB) mit Sitz in Brüssel hat am 16. November in einer Pressekonferenz anlässlich des Treffens der EU-Agrarminister erneut kostendeckende Produktionspreise für Milch gefordert.
Hintergrund dieser Forderung ist die Beendigung der 1984 eingeführten Quotenregelung für die Milchproduktion innerhalb der EU vom 31. März 2015. Die Quotenregelung diente der Begrenzung einer Überproduktion von Milch, die dann zum Teil eingelagert und zum Teil außerhalb der EU zu Dumpingpreisen verkauft wurde und wird – mit oft katastrophalen Folgen für die betroffenen Länder.
In Verbindung mit einem Nachfragerückgang von ca. 1 % nach Milchprodukten innerhalb der EU und in Verbindung mit den Boykottmaßnahmen gegenüber Russland, die auch Milchprodukte betreffen, hat die Aufhebung der Quotenregelung allerdings im laufenden Jahr zu einem erheblichen Milch-Preisverfall geführt. Der gegenwärtige Milchpreis liegt unterhalb der Produktionskosten. Um den Preisverfall wenigstens teilweise auszugleichen, reagieren viele Milchbauern mit einer Steigerung der Milchproduktion, was für die Milchkühe wie für den Milchmarkt negative Folgen hat.
Aus diesem Grund hat das EMB am 12. November EU-weite Protestaktionen durchgeführt, nachdem es zuvor schon eine Großdemo am 07. September in Brüssel gegeben hatte. Das EMB vertritt nach eigenen Angaben 20 Organisationen von milchproduzierenden bäuerlichen Familienbetrieben mit insgesamt rund 100.000 Mitgliedern aus 15 europäischen Ländern, die zusammen rund 75 % der Milchproduktion in der EU bestreiten. Mit den Protesten versucht das EMB den Druck auf die EU-Kommission weiter zu erhöhen, da sie aus seiner Sicht die politische Hauptverantwortung für die Krise der Milchbauern trägt.
Auf der Pressekonferenz im PressClub Brussels Europe begründete EMB-Präsident Romuald Schaber die Forderungen der europäischen Milchbauern und stellte das so genannte Marktverantwortungsprogramm (kurz: MVP) des EMB zur Regulierung des EU-Milchmarktes vor.
Im Kern, so Schaber, fordern die Milchbauern von der EU die Durchsetzung von Marktpreisen ein, die die Produktionskosten decken und den familiären bäuerlichen Milchbetrieben ihre Existenz sichern.
Dabei geht es ihnen nicht um Subventionen, sondern um einen Regulierungsmachanismus, der auskömmliche Markpreise gewährleistet.
Dazu schlägt der EMB vor, die bereits bestehende EU-Beobachtungsstelle für Milchpreise zu einer „handlungsfähigen zentralen Monitoringstelle“ auszubauen.
Diese Monitoringstelle soll den EU-Milchmarkt beobachten, analysieren und gewichten und die eingehenden Daten indexieren. Der Milchpreis-Index soll anzeigen, ob die Milchpreise kostendeckend sind oder nicht und öffentlich zugänglich sein.
Wird die Kostendeckung unterschritten, fordern die Milchbauern ein dreistufiges Vorgehen der EU. Bei einer leichten Unterschreitung der Kostendeckungsgrenze soll es eine Frühwarnung geben. Sie hätte eine verstärkte Öffnung einer privaten Lagerhaltung der Produzenten und Anreizprogramme für eine stärken Eigenverbrauch an Milch z.B. in der so genannten Vollmilchkalberzeugung.
Reichen diese Maßnahmen nicht aus, um zur Kostendeckung zurückzukehren, dann wird von der Monitoringstelle offiziell ein Krisenstatus festgestellt. In dieser Phase sollen finanzielle Anreize geboten werden für eine zeitlich begrenzte Produktionsverringerung und gleichzeitig sollen Betriebe, die ihre Produktion während der offiziell festgestellten Krise erhöhen, mit einer Strafabgabe pro Liter mehr produzierter Milch belegt werden.
Sollten auch diese Maßnahmen nicht zum gewünschten Ziel führe, so der Vorschlag des EMB, soll es eine zwingende Produktionsbegrenzung für einen fest definierten Zeitraum geben.
EMB-Präsident Schaber betonte, dass mit diesem Programm zwei Ziele erreicht werden könnten. Zum einen erlaube das MVP eine sehr schnelle Reaktion auf Marktentwicklungen und könne somit Abstürze der Milchpreise für Erzeuger verhindern, die vor allem kleine Familienbetriebe in den Ruin treiben. Zum anderen sei das MVP sehr viel kostengünstiger als die bisherigen staatlichen Instrumente.
Ein unregulierter Markt, so Schaber weiter in Richtung EU-Agrar-Kommissar Hogan, führe zur Zerstörung von landwirtschaftlichen Betrieben vor allem in Regionen, in denen andere Erwerbsmöglichkeiten oft nicht zur Verfügung stünden. Er sieht die EU-Kommission in der Pflicht, eine Agrarpolitik zu entwickeln, die den Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind, „eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten“, denn sie erzeugen schließ unsere Grundnahrungsmittel.
Erfreulicherweise hat der EMB auch die Lage der Bauern außerhalb der EU im Blick. So heißt es in der heutigen schriftlichen Pressemitteilung des EMB: „Wir müssen hier in Europa dazu beitragen, dass unsere Welt nicht aus den Fugen gerät. Wir müssen die Existenz unserer Bauern sichern und dürfen auch die Erzeuger in Entwicklungsländern nicht ausbooten. Denn dadurch verstärkt sich letztendlich die Armut und es wird der Nährboden für gewaltsame Konflikte geschaffen. Eine verantwortungsvolle EU-Milchproduktion hat daher höchste Priorität.
Beachtenswert ist, dass das EMB nicht wie traditionelle Bauernverbände mehr Subventionen verlangt, sondern faire Marktbedingungen, die den Milchbauern eine angemessene Existenzsicherung aus eigener Arbeit ermöglichen. Bleibt zu hoffen, dass dieser Appell auf offene Ohren in der EU-Kommission und im EU-Rat trifft, denn der Reformprozess der EU-Agrarpolitik läuft zwar, aber von einem erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses ist die EU noch weit entfernt.
Worin unterscheiden sich jetzt angeblich faire Bedingungen von Subventionen bzw. geschützten Bereichen? Ab wann ist etwas fair?.
Das Produkt Milch wird in der EU weiter an Bedeutung verlieren,wenn es keine neuen Erkenntnisse aus der Ernährungswissenschaft gibt. Der Verbrauch wird vermutlich sinken. Ein Export oder eine Reduzierung der Kapazitäten ist deshalb sinnvoll. Ein Export von subventionierten Produkten führt aber zu einem unfairen Wettbewerb auch in anderen Ländern.
Damit bleibt eigentlich nur eine Reduzierung der Mengen, um angemessene Preise zu erhalten.
Auch in anderen Bereichen werden Produkte, die nicht zu den Herstellungskosten nachgefragt werden, nicht mehr produziert.
Liebe(r) keineEigenverantwortung,
du hast völlig Recht, deshalb ist das Kernelement des Konzepts der Milchbauern (wie Jürgen Klute es ja auch beschreibt), dass in Zeiten, in denen die Preise fallen weil die Nachfrage zurückgeht, die Bauern ihre Produktion auch entsprechend drosseln sollen. Das geht für den Bauern sehr einfach, indem er seinen Kühen weniger Kraftfutter ins Frühstück gibt. Dazu braucht es im Prinzip auch keine Subventionen.
Davon abgesehen, steht es dir ja völlig frei, auf Yoghurt, Käse, Butter usw. zu verzichten. In der Not schmeckt die Wurst ja bekanntermassen auch ohne Brot…
Ich verstehe nicht, warum der Markt offenbar bei Milch nicht funktioniert. Wenn ich irgendwas nicht dauerhaft kostendeckend produzieren kann, höre ich auf damit und mache etwas anderes.
Man könnte doch auch, statt dauernd die Verluste durch Verkauf unter Produktionskosten zu mindern, eine Zeit lang mal gar keine Milch verkaufen, bis die Abnehmer eben wieder höhere Preise zu zahlen bereit sind.
@JR: Man könnte auch ganz aufhören Milch zu produzieren, wenn es sich nicht mehr lohnt.
@4: Die Schulmilch wird wahrscheinlich auch schön weiter gefördert. Man muss sich vermutlich vorerst keine Sorgen um die Milche machen. Käseliebhaber zahlen ja auch ganz ordentliche Preise. Über Sinn und Unsinn der Schulmilch-Subvention wird natürlich weiter gestritten. Es geh ja um viel Geld.
Beispiel:
http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/sendung/schulmilch-100.html
Der Verzehr von tierischen Produkten wir auch immer wieder diskutiert.
@ #3 JR: Na, ganz so einfach geht es nicht. Ein Limonadenproduzent z.B. kann natürlich von einem Tag auf den anderen Limonaden mit anderen Geschmacksrichtungen herstellen.
Bei Milchbauern geht eine Umstellung der Produktion nicht so kurzfristig. Man kann zwar über das Futter die Milcherzeugung der Kühe beeinflussen, aber nur in einem begrenzten Umfang. Außerdem müssen Kühe jeden tag gemolken werden und Milch ist leichtverderblich und daher nicht so einfach zu lagern.
Von der Viehzucht zum Ackerbau zu wechseln ist eine Alternative, aber auch ein solcher Wechsel geht nicht kurzfristig. Jede Form der Landwirtschaft ist schlicht an Vorgaben der Natur gebunden, die keine kurzfristigen Strategiewechsel zulassen.
Die Milch produzierenden Familienbetriebe streiten eben für Marktregeln (und wohlgemerkt: nicht für Subventionen und sie wollen Überproduktionen ebenfalls vermeiden, da diese in der Vergangenheit eben zu Niedrigstpreisen of nach Afrika verkauft wurden und die Existenzgrundlage der dortigen Bauern zerstört hat mit den bekannten Folgen!), die dem Rechnung tragen und ihnen ein Überleben ermöglichen.
Natürlich könnten die Bauern ihre Betriebe auch aufgeben – aber wovon sollen sie dann leben, von Tranfereinkommen, von Arbeitslosengeld? Betriebaufgaben sind ja auch gar nicht so selten.
Großbetriebe können natürlich anders agieren als bäuerliche Familienbetriebe. Damit sind dann aber auch politische Konzepte bezüglich des so genannten ländlichen Raumes verbunden. Will man industriell betriebenen landwirtschaftliche Großbetriebe mit Monokulturen oder dem Problem der Müllentsorgung? Will man Großbetriebe, die Futtermittel aus Übersee zukaufen müssen – z.B. Sojabohnen aus Brasilien? Will man Großbetriebe, auf denen nur noch angestellte während ihrer Arbeitszeit anwesend sind? Oder will man kleinere Betriebe, die in regionale Wirtschaftskreisläufe eingebunden sind und deren Inhaber auf dem Hof leben und somit dazu beitragen, dass die ländlichen Regionen nicht immer menschenleerer werden.
Ich will mit meinem Artikel einfach nur beitragen zu einer Sensibilisierung für diese Fragen. Denn beide Konzepte haben Auswirkungen auf Qualität und Preise der Lebensmittel, die ja nicht einfach aus dem Supermarkt oder dem Reformhaus kommen. Sie werden aber kaum öffentlich diskutiert, was m.E. in einer Demokratie aber nötig ist. Aber dazu muss man sich auch ein bisschen vertraut machen mit den verschiedenen Konzepten. Der Vorstandsvorsitzende des EMB, Romuald Schaber, hat übrigens die Situation der Kleinbauern in der EU in einem 2010 erschienen Buch beschrieben und dort auch Alternativen skizziert. Der Band trägt den etwas dramatisierenden Titel "Blutmilch". Trotz dieses reißerischen Titels gibt dieser Band aber einen ganz guten Einblick in die Problemlagen.
Das Thema sieht ja auf den ersten Blick eher umspektakulär und langweilig aus. Bei genauerem Hinschauen ist es das aber keineswegs. Von der Landwirtschaft hängt nunmal nach wie vor unsere Versorgung ab. Deshalb macht es Sinn, sich auch mit diesem wenig spektakulären Thema zu befassen.