Nichts stärkt einen Aggressor mehr als Unentschlossenheit

Ayatollah Khamenei im Gespräch mit Vladimir Putin Foto: english.khamenei.ir Lizenz: CC BY 4.0


Es ist keine gute Zeit für den Frieden, sei es der zwischen Menschen oder zwischen Nationen und Ethnien. Denn für den Frieden reicht nicht nur der eigene Wille und Wunsch. Er setzt voraus, dass ihn alle wünschen und wollen.

Wenn nur einer es nicht tut, hat der Frieden ein Problem, obwohl er an sich eine gute Sache ist. Wie sonst soll ein Leben mit anderen zum Nutzen aller gelingen? Wie sonst soll Leid und Blutvergießen verhindert werden? Wie sonst sollen Kinder froh und sicher aufwachsen, Nachbarn zusammenhalten und Nationen gedeihen? Wie sonst sollen Debatten produktiv geführt und Konflikte fair gelöst werden? Wie sonst können unterschiedliche Meinungen nebeneinander existieren und die Ergebnisse demokratischer Wahlen auch dann akzeptiert werden, wenn sie einem Teil der Wähler nicht gefallen?

Der Frieden ist ein kostbares Gut, das nicht fahrlässig aufs Spiel gesetzt werden sollte. Und das ist auch der grundlegende Gedanke, der alle Friedfertigen in allen Nationen und Kulturen zu Recht eint und verbindet. Der nicht nur sie, sondern auch die großen Philosophen, Religionsgründer und Staatenlenker bewegt hat. Wobei die brutale Wirklichkeit sie jedoch unweigerlich auch mit seinem Antipoden bekannt gemacht hat: Der Idee der Eroberung und der Unterwerfung durch den Krieg. Dem Prinzip der bewaffneten Aggression, der absichtlichen Un-Friedlichkeit aus eigenem Interesse.

Und genau in dieser böswilligen Intentionalität liegt bis heute das Dilemma jeder Friedensbewegung, denn sie setzt das Prinzip der Friedfertigkeit einseitig und zu allem entschlossen außer Kraft. Die Aggression will keinen Dialog,  sie ist mit den Mitteln des Friedens nicht  beeinflussbar. Sie verlangt entweder die Kapitulation oder die ebenso bewaffnete, zum Zwecke des Erfolgs, möglichst besser ausgerüstete Verteidigung. Denn ein Aggressor verhandelt erst, wenn seine Aggression nicht (mehr) zum Sieg führt.

Diese bittere, in der Logik der Aggression liegende, Erkenntnis ist für die Friedensbewegten aus nachvollziehbaren Gründen nur schwer zu ertragen, geschweige denn zu akzeptieren. Ihr daraus erwachsendes Insistieren auf Verhandlungen beruhigt aber mehr sie selbst als die reale Lage. Denn sie ist das Einfallstor für die Böswilligkeit des Aggressors, mit eben dieser Verhandlungsbereitschaft strategisch und taktisch zu spielen. Sie in sein auf Sieg gerichtetes Kalkül einzubauen und auszunutzen.Denn nichts stärkt einen Aggressor mehr, als die Unentschlossenheit und innere Unstimmigkeit, ja Zerstrittenheit des Angegriffenen und seiner Unterstützer. Ob das die Friedfertigen wollen oder nicht, sie werden so zum Teil der Aggression. Das Prinzip der Friedfertigkeit kehrt sich gegen sich selbst, indem es ausnutzbar wird. Die geforderten Verhandlungen werden zum Teil der aggressiven Kriegsführung, statt den Krieg auf Dauer zu beenden.

So gerät die Friedensbewegung in eine selbst gestellte Falle. Entweder sie fördert, objektiv gesehen, den Sieg des Aggressors oder sie verrät – in ihren eigenen Augen – ihre Prinzipien. Um selbst auf keinen Fall als Bellizisten zu gelten, stärken sie den Bellizismus des Aggressors. Und der einzige moralische Ausweg, der ihnen unter diesen selbst gesetzten Denkbarrieren bleibt, ist, die Verteidiger ebenso des Bellizismus zu bezichtigen, weil sie sich ja auch mit Waffengewalt für ihre Ziele einsetzen. Damit wird aber für die Verteidiger jede Diskussion mit ihnen unmöglich, was wiederum dem Aggressor nutzt. Er muss jetzt nur noch die Friedensbewegten unterstützen, um so, über kurz oder lang, die Verteidigungswilligen politisch in eine Minderheitenposition zu bringen.Ja er kann sogar den Spieß umdrehen und sie mit der moralischen Hilfe der Pazifisten als die eigentlichen Kriegstreiber diffamieren. Den Rest bewirken dann wohldosierte Drohungen, massive Propaganda und mediale Hysterie, sprich systematische Angstmache.

Wer das nicht begreift, wird keinen Frieden erreichen, der diesen Namen auch verdient. Denn Frieden ohne Demokratie, Gleichberechtigung und Freiheit ist kein echter, zumindest kein dauerhafter Frieden. Eine Nation, die ohne diese tragenden Elemente keinen inneren Frieden schaffen kann, wird erst recht nicht in der Lage sein, mit anderen Nationen und Gemeinschaften in Frieden zu leben. Friedfertigkeit ist nämlich eine kulturelle Leistung, die selbst in den Ländern, in denen diese drei Elemente vorhanden sind, von Kindesbeinen an erlernt und gefördert werden muss. Allerdings gilt das auch für die Bereitschaft zur Verteidigung dieses so gewonnenen inneren Friedens. Nur so kann sich der Pazifismus aus dem Dilemma befreien, das durch einen Aggressor unausweichlich entsteht.

Das schließt unausweichlich und zum eigenen Wohl die Unterstützung anderer angegriffener Länder und Gemeinschaften ein. Nicht nur, weil kriegerisch überlegene Aggressoren in der Regel nur gemeinsam in die Schranken gewiesen werden können. Jedes Land und jede Gemeinschaft, die einen durch die Menschenrechte fundierten inneren Frieden anstrebt oder schon gefunden hat, bedeutet für die anderen einen potenziellen Aggressor weniger. Wer stattdessen nur den eigenen Frieden will, unterscheidet sich bei näherer Betrachtung nicht wirklich von den Bellizisten dieser Welt. Denn während dem Aggressor die Toten und Verletzten egal sind, die sein Angriff zur Folge hat, ist es solchen Pazifisten egal, wie viele Tote und Verletzte es dadurch gibt, dass sie die Angegriffenen nicht unterstützen und wie viel Leid dadurch entsteht, dass sie sich dem Aggressor ergeben müssen.

Eine beliebte moralische Ausrede dieser Art von egozentrischem Pazifismus ist, dass man entweder allen Angegriffenen helfen muss oder, wenn man das nicht kann, der Fairness wegen, keinem helfen darf. Was nichts anderes bedeutet, als dass man auch denen nicht hilft, denen man helfen könnte. Und das ist moralisch und juristisch nichts anderes als unterlassene Hilfeleistung. Auch in diesem Fall wird der Pazifismus zum Teil der Aggression und kehrt sich so gegen sich selbst. Ob das die Friedfertigen wollen oder nicht.

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