2020 veröffentlichte der heutige Justizminister Marco Buschmann (FDP) ein Buch mit dem Titel „Die sterbliche Seele der Freiheit: Zur Verteidigung der liberalen Demokratie“. Das Buch wurde kein großer Erfolg. Das lag weniger an seinem Inhalt als an der Tatsache, dass Buschmann nicht schreiben kann: Sein Buch ist langatmig und unnötig kompliziert. Aber die schlecht präsentierten Gedanken werden ja nicht durch mangelndes Schreibtalent falsch.
Nach fünf Wahlniederlagen der FDP seit Eintritt in die Ampelregierung, zuletzt flog sie am Sonntag aus dem Berliner Abgeordnetenhaus heraus, lohnt es sich, noch einmal in Buschmanns Buch zu schauen. Dort kritisiert er vieles, was heute den ideologischen Überbau der Koalition von SPD, Grünen und FDP ausmacht und was immer mehr Wähler dazu bewegen dürfte, den Liberalen nicht mehr ihre Stimme zu geben. Viele FDP-Wähler haben gemerkt, dass die von ihnen einst bevorzugte Partei ihren ideellen Kern aufgegeben hat und der lässt sich nicht an einer besser digitalisierten Verwaltung und dem Tempolimit festmachen.
„Demokratie ohne die liberalen Grenzen rechtlich verbürgter Grundrechte begibt sich dazu in Selbstwiderspruch. Wenn die Minderheit nicht mehr offen sprechen, publizieren, wählen oder gewählt werden darf, dann mag zwar die Mehrheit regieren. Demokratie ist das dann aber nicht, sondern Tyrannei. Wenn Demokratie aufhören möchte, liberale Demokratie zu sein, möchte sie in Wahrheit aufhören, Demokratie zu sein.“ schreibt Buschmann. Wie passt das zusammen mit der Förderung einer von einer ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin gegründeten Amadeu Antonio Stiftung, die seit Februar eine mit Geld der Bundesregierung geförderte Stelle betreibt, bei der man Antifeminismus melden kann und über die René Pfister im Spiegel schreibt: „Es wäre ein Irrtum anzunehmen, bei dem Projekt ginge es vor allem darum, Frauen zu helfen, die unter einem gewalttätigen Ehemann oder einem übergriffigen Chef litten. In den Augen der Amadeu Antonio Stiftung sind schon Leute verdächtig, die der Meinung sind, dass ein Mensch mit einem Penis schwerlich eine Frau sein kann.“ Pfister rät seinen Lesern nicht ohne Grund im Vorspann: „Denken Sie ab sofort lieber zweimal nach, bevor Sie Gendersternchen oder Initiativen der Ministerin (Gemeint ist die Grüne Familienministerin Lisa Paus) kritisieren.“
Wenn Buschmann die Demokratie schon bedroht sieht, wenn Minderheiten sich nicht mehr trauen, offen zu reden, wie schaut es dann aus, wenn Mehrheiten vom Staat umerzogen und ideologisch überwacht werden?
Mit den Grünen hat die FDP auch einen Koalitionspartner, der nicht nur mit Robert Habeck den Wirtschaftsminister stellt, sondern die Idee des Wirtschaftswachstums in weiten Teilen kritisch sieht. Auch wenn Habeck sich nicht klar gegen Wachstum ausspricht, sondern seine Bedeutung nur relativiert, sind viele Politiker der Grünen vom Glauben an die Postwachstumsökonomie beseelt. Beim Kampf gegen das Auto, preiswerte Energie und Bauvorhaben fast jeder Art stehen die Grünen in der ersten Reihe. Buschmann indes hält Wachstum in seinem Buch nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen für wichtig: „Die Absage an Wirtschaftswachstum ist aber nicht nur ökonomisch falsch. Sie ist eben auch politisch hochgefährlich, weil sie für die Freiheit unserer Gesellschaften bedrohlich wirkt. Wenn Wachstum der Indikator und die Bedingung für freiwillige Kooperation zugleich ist, dann verstärkt die Deckelung von Wachstum immer die Anwendung von Zwang. Denn nicht nur die Deckelung selber ist Zwang. Mit dem Verbot von Wachstum wird ein Nicht-Nullsummenspiel plötzlich zu einem Nullsummenspiel. Damit entfällt der Anreiz, sich in der Gesellschaft freiwillig freundlich im Sinn des «tit for tat» zu verhalten. Vielmehr steigt der Anreiz zu defektieren, wie in anderen Nullsummenspielen auch.“
Der Flirt vieler Grüner und den ihnen nahestehenden Verbänden und Rackets, die ja zumeist von Steuergeldern leben und sich somit vom wirtschaftlichen Erfolg des Landes abgekoppelt wähnen, mit der Postwachstumsökonomie müsste in Buschmanns Augen ein Angriff auf Freiheit und Demokratie sein. Aber außer rhetorischer Abgrenzung passiert nicht viel. Die Politik der Bundesregierung setzt nicht konsequent auf Wachstum und technischen Fortschritt. Ob Künstliche Intelligenz, Gentechnik oder Kernkraft – bei allen Zukunftstechnologien ist Deutschland weit abgehängt
Buschmann könnte den Anhängern seiner Partei gute Argumente gegen grüne Ideologien liefern, aber er sitzt mit den mehr oder weniger offen auftretenden Anhängern der Postwachstumstheorie an einem Kabinettstisch.
Kaum ein FDP-Wähler wird das Buch des heutigen Justizministers gelesen haben. Viele Liberale haben, da sind sie den Konservativen ähnlich, eine Allergie gegen politische Theorien. Das ist ein Grund, warum sie die Fallen, die ihnen die postmodernen Ideologen stellen, meisten nicht erkennen. In vielen Fällen trinken sie sogar begeistert den Kakao, durch den sie gezogen werden. Die „allergeilste“ FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann rührte ihn sogar gleich selbst an, als sie in ihrer Büttenrede in Aachen zu CDU-Chef Merz reimte: „Den wollte zweimal keiner haben, weil nur schwerlich zu ertragen / Noch so ein alter weißer Mann, der glaubt, dass er es besser kann / Nach außen bürgerlicher Schein, im Herzen aber voll gemein / Wer vor Krieg geflohen ist, verhöhnt er als Sozialtourist / Heißt ein Junge Ali und nicht Sascha, beschimpft er ihn als Grundschulpascha / Und alle Klimaaktivisten sind für ihn nur noch Terroristen / Doch treibt’s ein Nazi-Prinz zu wild, dann wird der Flugzwerg plötzlich mild / Grad die, die christlich sich wähnen, sollten sich für ihn was schämen.“
Warum, fragt Anna Schneider in der Welt, glaubt man, „dem links-grünen Elfenbeinturm gefallen zu müssen, der die FDP nicht einmal für drei geschenkte Lastenräder wählen würde?“ Bei der Wahl in Berlin flohen einstige FDP-Wähler in Scharen zur Union. Sie wurden von der mangelnden Wokeness der CDU offenbar nicht abgeschreckt. Es ist anzunehmen, dass auch der jüngste Erfolg der Kölner FDP, die Einführung genderneutraler Toiletten an den Schulen der Domstadt, mehr Wähler der Grünen als FDP-Anhänger begeistern wird.
Liberale Demokraten haben aus guten Gründen ein Problem mit der Volkserzieherattitüde der Grünen, für die Ampel-Politiker Lisa Paus, Sven Lehmann und Ferda Ataman stehen. Sie spüren, dass sich in diesem Land etwas verschiebt, Freiheit künftig nur noch klein geschrieben wird und die FDP den postmodernen Angriff auf Westen und Aufklärung mitträgt. Zur Floskel des Jahres ist das Wort ja schon ernannt worden.
Eine FDP, die eine solche Politik ermöglicht, darf sich nicht wundern, wenn sie sich immer häufiger in der außerparlamentarischen Opposition wieder findet.