Moshe Zimmermanns unzeitgemäße Streitschrift für eine Zweistaaten-Lösung. Von unserem Gastautor Roland Kaufhold
Die Situation in Israel und Nahost nach dem 7. Oktober erscheint als ausweglos – wenn man denn von einem „Frieden“ spricht. Seit Jahren galt das bereits für das vor allem von europäischen Politikern vertretene Modell einer Zweistaatenlösung: Zwei souveräne Staaten, die leidlich friedlich nebeneinander leben. Bekanntlich war dies bereits im Mai 1948 bei der Staatsgründung Israels so vorgesehen. Die arabischen Staaten akzeptierten dies nicht – und griffen den soeben gegründeten jüdisch-demokratischen Staat an. Es folgten immer neue Angriffskriege von arabischen Ländern gegen Israel, die alle verloren wurden. Von diesen ist in Moshe Zimmermanns im Eiltempo verfasster Streitschrift immer wieder die Rede. Moshe Zimmermann ist ein 1943 geborener Historiker, der teilweise auch in Deutschland aufgewachsen ist und auch in Deutschland gelehrt hat. Wegen seiner Deutschkenntnisse und seiner dezidiert linken, sozialdemokratischen Grundposition ist er hierzulande ein gerngesehener Interviewpartner zu Nahost. Kritik an der israelischen Staatsregierung und an dem Umgang mit Palästinensern ist da jeweils bei garantiert.
Ein „präzedenzlos brutaler und grausamer Angriff“
Ausgangspunkt für Moshe Zimmermanns sachkundige, wegen der historischen Detailfülle gelegentlich durchaus nicht leicht zu lesende historische Essaysammlung – das Buch besteht aus 14 eigenständigen historischen Essays – ist das Hamas-Pogrom vom 7.10.2023. Zimmermann – damit unterscheidet er sich grundlegend von allen hiesigen „Linken“, die argumentativ letztlich das Geschäft der Hamas betreiben (der dogmatische antizionistische „Vulgärmarxist“ Moshe Zuckermann sei erwähnt, auch weil er hierzulande häufig mit Moshe Zimmermann verwechselt wird) – weist in seinen Ausführungen ausdrücklich jeden Versuch einer Relativierung dieses barbarischen Hamas-Pogroms entschieden zurück. „Pessimistisch, aber konstruktiv“ hat er sein Vorwort demgemäß überschrieben: Das Pogrom sei ein „präzedenzlos brutaler und grausamer Angriff“ gegen Zivilisten gewesen (S. 10), bei dem der Iran die Drähte gezogen habe.
Selbstverständlich stelle sich die Frage nach einer Alternative zu der „wütenden Reaktion Israels“ (S. 11) auf die Geiselnahmen und die Morde an mehreren 100 Israelis, was jedoch nur ein vordergründiger Diskurs sei. Das Pogrom sei nur vor dem Hintergrund einer 100-jährigen Geschichte zu verstehen, vor allem jedoch der Geschichte Israels seit der 1948er Staatsgründung. Deshalb müsse man „den Weg in die Katastrophe“ (S. 11) beschreiben, was der Historiker dann im Eilschritt, aus der Perspektive eines israelischen Linken, im Buch vollzieht.
Jede historische Kontextualisierung stehe in der Gefahr einer Instrumentalisierung durch Relativierung – wie wir sie hierzulande seit dem 7.10. ja nahezu täglich medial erleben, mit steigender Grundtendenz. Angesichts des Hamas-Terrorangriffs käme solche Instrumentalisierung einer „Umkehr der Täter-Opfer-Beziehung gleich“ und sei deshalb „moralisch verwerflich.“ (S. 13)
Er habe als Linker mit diesem Buch nicht die Absicht, „das zionistische Unternehmen zu diskreditieren“ (S. 15). Vielmehr suche er nach einem Ausweg aus dem Teufelskreis der Gewalt und Gegengewalt. Und er erinnert an Abba Ebans Ausspruch: „Die Palästinenser haben nie eine Chance verpasst, eine Chance zu verpassen.“ (S. 15) Das antisemitische hiesige BDS-Lager, das gerne Moshe Zimmermann als Kronzeugen zitiert, wird sich ob dieser Klarstellungen eher nicht freuen.
Und er wolle, so fügt Zimmermann hinzu, auf keinen Fall „bei verkappten Antisemiten Genugtuung verbreiten“ (ebd.), schließt er sein Vorwort ab. Auch dies zeigt: Moshe Zimmermann gehört zu den eher wenigen Linken, die einen wirklichen Beitrag zur Lösung eines unlösbaren Konfliktes zu leisten versuchen.
Ein Menschheitsverbrechen
Im ersten Kapitel „Das Versagen des Zionismus: Der 7. Oktober 2023“ hebt Zimmermann die Schärfe der Zäsur dieses Pogroms – das die Hamas ja bewusst live im Internet via Kameras verbreitete (während sogar die Nationalsozialisten ihre Menschheitsverbrechen mit Resten von Schamgefühl zu verbergen versuchten) – hervor: Dieses Pogrom sei noch schlimmer für Juden und Israelis als etwa Ägyptens und Syriens Angriff auf Israel vor genau 50 Jahren, am 6.10.1973. Und zu den Opfern der Hamas gehörten überwiegend Linke, Kibbuzniks – also diejenigen Israelis, die unbeirrt auf die Möglichkeit einer Verständigung beharrten. Die Bereitschaft zur Verständigung versteht Zimmermann als eine politisch Grundposition: Die Bereitschaft und der Kampf um eine Zweistaatenlösung.
Diesen Gedanken spinnt er in dem historischen Rückblick „Die Zweistaatenlösung und ihre Gegner“ weiter: Der Zionismus sei noch nie, auch nicht vor 100 Jahren, eine homogene Bewegung gewesen: Die nationalistischen „Revisionistischen“ – der heutige Likud – standen am Anfang der innerisraelischen Gegnerschaft gegen eine Zweistaatenlösung. Der 1967er Sechstagekrieg, der mit einem Sieg Israels endete, beförderte ein Jahr später die Entstehung der Siedlerbewegung; diese bezeichnet der streitbare Historiker als eine „Ganz-Israel-Ideologie“ (S. 32). Die 1948er Staatsgrenzen als gemeinsame zionistische Grundhaltung sei durch diese sehr rechte Bewegung „in den Köpfen wie auf der Landkarte weitgehend weggewischt“ worden (S. 33). In den Jahren danach, mit den Verschiebungen der innerisraelischen Korrelationen nach rechts, sei die Zweitstaatenlösung deshalb nicht nur von palästinensischen Extremisten, sondern auch von der israelischen Rechten bekämpft worden. In dieser ablehnenden Strategie seien diese scheinbar sehr ungleichen Gruppierungen – israelische Rechte und verständigungsunwillige arabische Länder – deshalb faktisch miteinander verbunden.
Ariel Sharon, der Falke, der Hardliner und Unterstützer der Siedlungsbewegung, habe die arabische Friedensinitiative vom Jahre 2002, die faktisch eine Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 vorsah, durch taktische Maßnahmen, durch ein „komplexes Kalkül“ (S. 37) zu verhindern versucht: Die entscheidende politische Maßnahme von Sharon sei deshalb 2005 die vollständige Rückgabe des Gazastreifens ohne eigene Ansprüche gewesen. Dieser Verzicht galt bei den Siedlern und Sharons Anhängern als „unverzeihlicher Hochverrat“ (S. 3).
„Netanyahu braucht die Hamas“
Nachdem Netanjahu 2009 wieder Regierungschef wurde habe dieser faktisch – nicht jedoch von der verwendeten diplomatischen Rhetorik her – die „Ganz-Israel-Vision“ konsequent protegiert.
Auf der palästinensischen Seite hingegen gewann die Hamas, die die vollständige Zerstörung Israels unmissverständlich in ihrem Grundsatzpapier vertritt, im Gazastreifen die Macht.
Seit 2008 sei es alle zwei Jahre zu neuen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas gekommen. Jede Hoffnung auf eine Verständigung, auf einen zwischenstaatlichen Vertrag, habe auf beiden Seiten immer stärker werdende Gegenkräfte hervorgebracht, die eine solche Vereinbarung verhinderten: „Jedes Mal gab es nach dem Aufflackern des Friedensfeuers dann die Ernüchterung und die Frustration, auf beiden Seiten“ (S. 47). Seit der Rückkehr Netanyahus an die Macht im Jahr 2009 seien die Aussichten auf eine Verständigung auf ein Minimum gesunken. Netanyahu brauche die Hamas; und diese erziehe ihre eigenen Kinder immer stärker zum Hass und zu Terroristen im Kampf gegen Israel.
Staatsräson und Antisemitismus
Im Kapitel 4 „Israel als Deutsche Staatsräson – wohin mit dem Antisemitismus?“ beklagt Moshe Zimmermann das Zögern der deutschen Regierung auch schon unter Angela Merkel, Netanyahu auch nur einmal entschieden zu kritisieren und hierdurch den Kreislauf des wechselseitigen Misstrauens zu durchbrechen. Diese Zögerlichkeit sei dem auch von Angela Merkel verkündeten Credo von der deutschen Staatsräson geschuldet. Hiermit ist Zimmermann entschieden nicht einverstanden. Sowohl Obama als auch Merkel habe es seinerzeit an dem „Mut oder dem Wille“ gefehlt, „sich mit der israelischen Regierung an zulegen.“ (S.53) Wie unschwer zu erkennen ist vertritt Zimmermann hierbei einen „linken“ Standpunkt, der in der bundesdeutschen Debatte eher dem „israelkritischen“ Lager zuzuordnen ist. Folgerichtig lehnt er auch alle antisemitismustheoretischen Interpretationen ab, die BDS-nahe Positionen als im Kern antisemitisch analysieren. Auch an diesem Beispiel zeigt sich erneut, dass die hiesige politische Debatte über diese Themen zuvörderst vom eigenen politischen Standpunkt abhängig sind. Zimmermann, der vorrangig in Israel lebende dezidierte Linke, möchte solchen Theorien zum Antisemitismus entschieden widersprechen, die BDS-Positionen etwa gegenüber der israelischen Siedlerbewegung als eindeutig antisemitisch interpretieren. Bereits vor dem 7.10. sei ihm klar gewesen, „dass gerade die israelische Regierung die größte Gefahr für das Land und die Region ist“, betont Zimmermann (S. 54). Solange die Israelische Regierung die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland und in Ostjerusalem fortsetze und die amerikanische und die bundesdeutsche Regierung dies hinnehme, sei jede Verhandlungslösung, jede Zweistaatenlösung unmöglich.
Folgerichtig verwendet auch Moshe Zimmermann in seinen Analysen mehrfach den Begriff des missbräuchlich verwendeten „Antisemitismus-Vorwurfs“ (S. 63).
Eine Absage an postkoloniale Diskurse
Zugleich jedoch distanziert sich Zimmermann von den hiesigen postkolonialen Diskursen, die ja sogar nach dem Hamas-Pogrom hierzulande fortwirken. Diese Diskurse – Zimmermann verweist hierbei ausdrücklich auf die Elaborate des Historikers Jürgen Zimmerer – seien geschichtsblind: Die Gründung Israels sei ein explizit antikolonialer Akt gewesen, und die Gründung Israels sei 1947 auch durch die UNO völkerrechtlich anerkannt worden. Die postkoloniale Kritik an Israel komme naturgemäß „eher vom linken Flügel der ideologischen Skala“ (S. 73). Von ihrem Gehalt her sei sie wissenschaftlich nicht haltbar. Diese sei Teil einer „antisemitischen Israelkritik“ (S. 74), hebt Zimmermann hervor. Er selbst habe die Gefahr, die von Postkolonialen Diskurs ausgehe, in der Vergangenheit unterschätzt, räumt der Autor ein. Er halte insbesondere die allgegenwärtigen Versuche, das Pogrom vom 7.10.2023 durch Relativierungen faktisch zu leugnen, für „Antisemitismus pur“ (S. 76); dieser müsse insbesondere von aufrechten Sozialdemokraten verurteilt werden, fordert der linke israelische Historiker.
Diaspora-Juden als „Geiseln der israelischen Politik“
Zimmermann streut in seine im Eilflug verfasste, dennoch lesenswerte Studie zahlreiche historische und politische Detailthemen ein, die hierzulande nur „Insidern“ bekannt sein dürften. Insbesondere kreist er um das Thema der Diasporajuden und der israelischen Einwanderungspolitik. Die in Deutschland lebenden Diaspora-Juden würden in Israel nicht als eigenständige Gruppe betrachtet, die eine eigene Meinung entwickeln dürften. Die bundesdeutschen Juden wiederum versuchten sich ganz überwiegend in einer nahezu 100-prozentigen Identifikation mit dem Staat Israel, unabhängig von deren Regierung. Das gelte insbesondere auch für die DIG, die Deutsch-Israelische Gesellschaft.
Auch bestimme in Israel nahezu ausschließlich das orthodoxe Judentum die religiösen Angelegenheiten und Grundhaltungen. Hierdurch würden „die Diaspora-Juden zu Geiseln der israelischen Politik.“ (S. 85) Diese Betrachtung und Sprache – auch die bewusste Verwendung des Begriff der „Geiseln“ – der im Jahr 2024 ja nur im Kontext der barbarischen Hamas-Geiselnahme verstanden und affektiv wahrgenommen werden kann – , ist selbstverständlich höchst problematisch. Als Hoffnungsperspektive für die Bundesrepublik verweist Zimmermann auf den engagierten Pianisten Igor Levit mit dessen Bekenntnis: „Ich bin kein Israeli, ich bin Jude in Deutschland.“ (S. 87)
Ein Staat, in dem auch „Andersgläubige, Andersnationale unter uns wohnen“ dürften
In weiteren Kapiteln schreibt der Historiker über „Von der Säkularisierung zum Fundamentalismus“: Die Anerkennung antizionistischer Strömungen als legitimen Teil des Zionismus – der Staat Israel dürfe eigentlich erst gegründet werden, wenn der Messias gekommen sei – sei ein Kardinalfehler bei der Gründung Israels gewesen. Zimmermann zeichnet die Entwicklung dieser radikalen jüdischen Strömungen nach, die durch jahrzehntelange Tolerierungen und staatliche Subventionen in Milliardenhöhe das Siedlungswesen massiv protegiert haben und heute teils Ministerämter inne haben.
Theodor Herzl sei immer gegen jegliche Theologisierung der Politik gewesen. Monotheistische Religionen hingegen seien generell gegen jede Form von Kompromiss. Hier wird man aus liberaler Perspektive Zimmermann umfassend zustimmen müssen. Es folgt das Kapitel „Jüdischer Staat oder Staat aller Bürger“: Bereits Herzl sei für einen pluralistischen Staat eingetreten, in dem auch „Andersgläubige, Andersnationale unter uns wohnen“ dürften (S. 101). Er erinnert auch an das frühe Wirken des kleinen, intellektuell integeren Brit Shalom (Friedensbund) im damaligen Palästina, der sich bereits 1933 entschieden für eine jüdisch-arabische Verständigung ausgesprochen hatte. Dieser sei tragischer Weise innerhalb Israels ohne bleibende Wirkung geblieben. Auch Jeschajahu Leibowitz´ mahnende Appelle, dass die Demokratie „unteilbar sei“, verhalten in Israel realpolitisch weitgehend. Die Sprache der Araber und Drusen, eine Minderheit von etwa 20 Prozent, sei in Israel nie als Amts- oder Nationalsprache anerkannt worden.
Siedler als Geiselnehmer
Immer wieder kommt der 80-Jährige auf Netanyahu zu sprechen: Dieser habe den Kulturkampf innerhalb Israels im Interesse seines eigenen politischen Überlebens instrumentalisiert, wodurch die israelische Gesellschaft fortgesetzt gespalten werden.
Im Kapitel „Siedler als Geiselnehmer“ verdichtet Zimmermann, unter Verweis auf Israels Geschichte insbesondere seit 1967 und der Eroberung des Westjordanlandes, seine scharfe Kritik an der wachsenden Siedlerbewegung. Erst nach 1967 habe er selbst, als Linker Israeli, durch das Agieren des frühen radikalen Siedlers Moshe Levinger schrittweise verstanden, wie stark die „Ganz-Israel-Ideologie“ (S. 124) unter der Oberfläche in Israel verankert sei.
Der exorbitante, strategisch vorangetriebene Ausbau der Siedlungen, etwa durch den 1974 gegründete Gush Emunim (Block der Getreuen), habe die Siedlungsbewegung von 5000 auf 700.000 Siedler anwachsen lassen. Diese errichteten im Westjordanland ein „apartheid-ähnliches System“ (S. 127), welche wiederum vor allem das unabhängige, liberale israelische Justizsystem immer stärker attackierte. Die Zweistaatenlösung sei hierdurch, zusätzlich verstärkt noch durch Terrorangriffe einzelner Siedlerströmungen gegen palästinensische Bürgermeister und die bauliche und militärische Absicherung ihrer Siedlungen, faktisch immer stärker zuerst ideologisch und dann auch praktisch zerstört worden. Die Intifada im Jahr 1987, 20 Jahre nach Beginn der Besatzung, habe deshalb „eigentlich niemanden überraschen dürfen.“ (S. 130)
Die Siedlerbewegung und deren radikale „Hügeljugend“ (S. 131) habe durch ihr aggressives Auftreten faktisch „die gesamte israelische Bevölkerung“ in eine “Geiselsituation“ hineingezogen (S. 131). Erneut verwendet Zimmermann diesen durch das Pogrom vom 7.10. emotional stark aufgeladenen Begriff bewusst, als politische und historische Interpretation.
Seine eigene Kritik innerhalb Israels an den Siedleraktivitäten habe ihm schon vor 30 Jahre eine Anzeige eines Generals eingebracht. Dieser habe sich ihm gegenüber mit dem „bemerkenswerten Satz“ verteidigt: „Auch wenn ich ein Rassist bin, bin ich kein Nazi.“ (S. 136) Moshe Zimmermann schließt dieses Kapitel mit der Feststellung ab: „Die gesamte israelische Gesellschaft, ja der Prozess selbst bleiben weiterhin Geiseln in ihrer Hand.“ (S. 137) Zimmermanns Empörung ist unüberhörbar.
Wenn die Zivilgesellschaft keinen Widerstand gegen die Abschaffung der Gewaltenteilung leiste – die demokratische Bewegung gegen diese antidemokratischen Bewegungen hatte bekanntlich im Sommer 2023 ihren Höhepunkt erreicht, mit regelmäßig mehreren Hunderttausend Demonstranten – , werde dieser fundamentalistische Prozess mit der „totalen Zerstörung der liberalen Demokratie enden.“ (S. 139)
Zimmermann beschreibt die Äußerungen und Handlungen mehrerer führender Rechtsextremer in Israel, die unter Netanyahu teilweise Minister wurden. So sei der Minister für Nationale Sicherheit bestrebt, „einen Bürgerkrieg zwischen Juden und Arabern zu entfesseln.“ (S. 142) Eine andere Ministerin habe vor 25 Jahren zu der Gruppe von „Hebron-Siedlern“ gehört, die ihn – Moshe Zimmermann – , seinerzeit wegen seiner Äußerung verklagt hatte, diese „erzögen ihre Kinder wie die HJ.“ (S. 143) Er führt weitere Beispiele für politisches Versagen auch nach dem 7.10. an. Seine Hoffnung auf ein baldiges Ende des Nahostkonfliktes sei nur gering – was eher eine Untertreibung ist.
Solange die rechte Regierung in ihrer „Anbiederung an Putin“ sogar eine „schamhaft neutrale Haltung im Ukraine-Krieg“ betreibe, obwohl Russland die Hamas und den Iran ganz unverhüllt unterstütze, bestehe wenig Anlass für Hoffnung.
Sein abschließendes Kapitel hat Moshe Zimmermann mit „Zweistaatenlösung, etwas anders“ betitelt: Liberale Demokratien und Gewaltabstinenz seien immer vom Autoritarismus bedroht. Politisch und moralisch Gebotenes setze sich nicht von alleine durch. Im Gegenteil. Die Stärkung der Hamas, die Ausdehnung der Siedleraktivitäten im Westjordanland führe weg vom Frieden und erhöhe die Gefahr einer erneuten Katastrophe. Es gäbe vom Standpunkt der Ratio keine Alternative zur Zweistaatenlösung. Trotz aller dramatischen Entwicklungen der vergangenen 15 Jahre sei diese Option noch nicht verloren. Der Dialog hierüber müsse geführt werden, und zwar auf gleicher Augenhöhe. Nur die Grundhaltung „des Nebeneinanders“, statt eines „Modus der Feindschaft“, ermögliche eine solche Lösung. Ohne eine Veränderung der Grundhaltung in der israelischen Bevölkerung sei jeder Versuch der Konfliktlösung zum Scheitern verurteilt. Sein rasch verfasstes Buch entspränge der Grundhaltung eines „konstruktiven Pessimismus“, hiermit schließt der 80-Jährige sein nachdenkliches, dennoch verzweifeltes Buch.
Es spricht wirklich nichts dafür, dass sich die von Moshe Zimmermann protegierte Idee einer Zweistaatenlösung durchsetzt. Und doch ist diese Option vermutlich die einzige Möglichkeit einer friedlicheren Lösung unlösbarer Probleme.
Moshe Zimmermann: Niemals Frieden? Israel am Scheideweg
Propyläen Verlag Berlin 2024, 192 Seiten, 16 Euro
Buch bei Amazon bestellen
Der Text erschien bereits auf Hagalil