Man muss wollen – gilt auch für die SPD. Eine Ermunterung an Norbert Walter-Borjans. Von Nils Heisterhagen
Der nüchterne politische Beobachter fragt sich dieser Tage, wenn er überhaupt mal an die SPD denkt:
Wann wacht die SPD aus ihrer esoterischen Selbstbespiegelung auf? Wann geht sie raus ins Leben anstatt sich auf die Social-Media-Kanzel zu stellen? Der alten und großen SPD geht es dieser Tage nicht gut. Ihre kleine Erholung von 12 Prozent auf 16 Prozent ist ein Strohfeuer und dem Dilettantismus der FDP in Thüringen zu verdanken. Bis Thüringen war die FDP auf dem Weg zu 13 Prozent. Nun kämpft sie um ihre Existenz. Und sobald die CDU sich geordnet hat, wird wieder Schluss sein, mit den kleinen Streckübungen der SPD. Dann wird man wieder die Gesichter langziehen, weil man sich wieder auf 13-14 Prozent einpendelt. Es wäre also Zeit für einen Aufbruch – auch aus imaginierten Selbstgewissheiten. Nur passiert das halt nicht.
Anstatt Sozialdemokraten offen über den besten Weg reden, mahnen sie lieber intern zur Solidarität und die braven Jusos beklatschen rhythmisch noch jeden Vorschlag für zielsichere Minderheitenpositionen und Randthemen (Cannabis und Polizeitaktiken lassen grüßen) seitens des neuen Duos Saskia Esken und Kevin Kühnert.
Norbert Walter-Borjans tut mir dieser Tage leid. Er fragt sich bestimmt schon selbst, in was er da hineingeraten ist. Er soll eine Partei führen, deren Durchsetzung mit geisteswissenschaftlichem Hokuspokus er als rationaler Ökonom eigentlich nur mit der Flucht aus diesem Irrsinn goutieren dürfte. Um ihn sammelt sich eine AStA-Linke, die ihn aufs Schild hebt und für ihn halsbrecherische Cheerleading-Aktionen begeht, aber er wird dabei wohl nur innerlich lachen müssen und doch kann er nicht einfach sagen „Ihr spinnt doch“.
„Noch“ kann er es nicht laut sagen. Dies sei hier als eine Ermunterung an ihn gemeint: Wag dich aus der postmodernen Höhle. Das Licht des Realismus außerhalb der Höhle wird zwar stechend sein. Aber deine Augen werden sich gewöhnen. Der Abstieg in die Höhle wird danach der eigentliche Akt. Natürlich werden sie dich halb hassen, wenn du zurückkehrst und ihnen sagst, was sie nicht hören wollen. Aber nur so kann er funktionieren: dein Weg zur Macht.
Nicht zu der Macht, die du schon hast, sondern zu einer neuen Macht. Landläufig nennt man sie Diskursmacht und mit ihr kommt Autorität. Diese Macht gewinnst du durch gesellschaftliche Analyse und dadurch, dass du Konflikte eingehst – auch mit Leuten aus der eigenen Partei, vor allem den falschen Freunden. Natürlich wird die SPD gegen die Wand fahren, wenn man es einfach laufen lässt und nicht nach Deutungshoheit strebt. Manch einer mag vielleicht denken, ein Politikrentner aus NRW lässt sich leicht steuern. Die Wahrheit ist das Gegenteil: Du musst keine Karriere mehr haben. Du kannst nun einfach das Vernünftige tun. Du hast nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.
Kevin Kühnert dominiert gerade eine schwache Partei nur deswegen mit Juso-Politik, weil es in ihr ein intellektuelles Vakuum und eine Führungsschwäche gibt. Anders gesagt: Es fehlt der Basta-Kanzler, der zugleich schöne Leitartikel wie Sigmar Gabriel schreiben kann – also Deutungshoheit und Autorität gewinnen kann. Du, lieber Norbert, hast nur dann eine Chance, diese Partei zu retten, oder ihr zumindest zu helfen, wenn du anfängst auf den Tisch zu hauen und die Zukunft der SPD in einer veränderten Welt zu skizzieren. Es klingt machohaft und von gestern, aber was die Partei jetzt braucht, ist „Führung“. Führung meint hier die Fähigkeit ein Orientierungsgeber zu sein. Die SPD braucht jetzt Linienmaler. Sie braucht intellektuelle Führung. Sie braucht einen Weg. Den muss man zeichnen.
Und an dieser Stelle kommen wir zu Friedrich Nietzsche. Ein bedeutendes Zitat von ihm geht so:
„Wozu die ‚Welt‘ da ist, wozu die ‚Menschheit‘ da ist, soll uns einstweilen gar nicht kümmern […]; aber wozu du Einzelner da bist, das frage dich, und wenn es dir sonst keiner sagen kann, so versuche es nur einmal, den Sinn deines Daseins gleichsam a posteriori zu rechtfertigen, dadurch daß du dir selber einen Zweck, ein Ziel, ein ‚Dazu‘ vorsetzest, ein hohes und edles ‚Dazu‘. Gehe nur an ihm zugrunde – ich weiß keinen besseren Lebenszweck, als am Großen und Unmöglichen, animae magnae prodigus, zugrunde zu gehen“.
Nietzsche will unsere eigene Macht. Er will, dass wir wollen. Wir müssen uns jetzt nicht dort hinbegeben, zu erklären, was Nietzsche uns in „Also sprach Zarathustra“ über den „Willen zur Macht“ sagt. Wir wollen hier kein Nietzsche-Seminar abhalten und uns auch nicht mit der Exegese des „Übermenschen“ aufhalten.
Nietzsche will, dass wir wollen. Dies müssen wir für den Moment wissen. Die „große Gesundheit“ der SPD erlangen wir also nur, wenn wir wollen. Der Vorsitzende der Partei muss das ausstrahlen. Er braucht diesen Nietzsche-Touch der Eigenmächtigkeit. Er braucht auch diesen „Eros“ für die Veränderung. Dieser Eros kommt vom Willen. Nietzsche will unsere Macht, bedeutet, dass er will, dass wir unseren Willen entdecken.
Man kann sagen, jemand wie Sigmar Gabriel hatte ein Übermaß an Willen. So etwas schadet – kann man sagen. In Wahrheit schadet es nicht. Man muss den Willen nur kontrollieren können. Nietzsche lehrt uns von der Souveränität des Homo politicus – Voraussetzung ist allerdings, dass wir in uns entdecken, was die alten Griechen „arete“ nannten und damit „Mut“ als den Inbegriff der Tugend ansahen.
Die alten Griechen wussten noch von Mut. Deswegen erfanden sie die Olympischen Spiele. Deswegen begründeten sie alles, auf dem wir heute als ihre Nachfahren stehen können. Ihr Drang nach Leben und Wettkampf, und ihr Vertrauen auf die Macht souveräner Bürger müssen uns heute eine Lehre sein. Der Altphilologe Nietzsche ging nicht ohne Grund so oft zu den alten Griechen zurück. Nietzsche will uns erinnern. Wir können so sein wie sie. So stolz, so mächtig. So wie diese demokratischen Ritter. Ja, Ritter. Demokratie in Athen war nichts für Schwächlinge. So würde Nietzsche auch heute über den politisch korrekten Irrsinn dieser Tage spotten. Er würde die Ressentimentpolitiker ironisieren und die Politiker der Zärtlichkeit entspannt auslachen. Nietzsche will, dass wir wollen.
Demokraten will er. Meint: Leute, die wissen, was sie wollen. Natürlich müssen Spitzenpolitiker da Vorbilder sein. Nur so kommen wir wieder zu einer großen demokratischen Gesundheit. Und zur eigenen großen Gesundheit kommt die SPD nur dann, wenn sie eine Führung hat, die weiß, was sie will.
Norbert: Dir wurde unverhofft etwas geschenkt. Das Fatum meint es gut mit dir. Mach was draus.
Oder wie der alte Stoiker Seneca sagte:
„Fata volentem ducunt, nolentem trahunt.“
(Den Willigen führt, den Unwilligen treibt das Schicksal).
Zum Autor: Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Dieser Tage erschien sein neues Buch „Verantwortung“ im Dietz-Verlag.