Seit 2008 entstanden in der Bundesrepublik 5,6 Millionen neue Jobs. Die Beschäftigung stieg um 21 Prozent. Auch das Ruhrgebiet profitierte von dem langen Boom – doch deutlich weniger als alle andere Regionen Westdeutschlands. Es ist weiter zurückgefallen.
Auf den ersten Blick sehen die Zahlen gut aus: Mehr Jobs im Ruhrgebiet. Sogar richtig viele neue Jobs im Ruhrgebiet: Um zwölf Prozent stieg die Beschäftigung während des langes Booms nach der Finanzkrise 2008. In vielen Städten sank die Arbeitslosigkeit unter zehn Prozent. Unternehmen, vor allem in Handwerk, melden offene Ausbildungsstellen und suchen Lehrlinge.
Doch schaut man sich die Zahlen genauer an, kommt die Ernüchterung: In keiner Region Westdeutschlands nahm die Beschäftigung in so geringem Maße zu wie im Revier. Die Daten der Business-Metropole-Ruhr, der Wirtschaftsförderung des Ruhrgebiets, zeigen: Das Ruhrgebiet ist weiter zurückgefallen. Es gelang nicht, den Abstand zu den anderen Städten zu verringern, er wurde größer.
Die Zahlenreihe misst die Entwicklung der Beschäftigung ausgehend vom Jahr 1998. Da galt die Bundesrepublik als der „Kranke Mann Europas“. In Bonn, damals noch Bundeshauptstadt, war gerade der rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder ins Amt gekommen. Der wollte sich an der Senkung der Arbeitslosigkeit messen lassen. Doch trotz der 2002 eingeführten Agenda2010 waren die Jahre zwischen 1998 und 2008 auf dem Arbeitsmarkt ein verlorenes Jahrzehnt: Bundesweit stieg die Beschäftigung gerade einmal um ein Prozent. In zwei Regionen, dem Ruhrgebiet und Berlin, sank sie sogar. Neue Jobs entstanden in größerem Maße nur in München und Hamburg.
Ab 2008 setzte dann ein langer Boom auf dem Arbeitsmarkt ein: Bundesweit stieg die Beschäftigung um 21 Prozent. In Berlin, München und Hamburg sogar um über 30 Prozent.
Bis auf das Ruhrgebiet und Hannover/Braunschweig wuchs die Zahl der Jobs stärker als im Bundesdurchschnitt von 21 Prozent. Und mit einem Wachstum von nur 12 Prozent hinkte das Ruhrgebiet allen anderen Städten und Regionen deutlich hinterher.
Grafik: Roland Waniek
Der lange Boom, da sind sich die meiste Experten einig, geht zu Ende. Die großen Industriebetriebe, vor allem in der Automobilindustrie und dem Maschinenbau, aber auch Unternehmen wie die Deutsche Bank, haben einen massiven Stellenabbau angekündigt.
In den nun beginnenden Abschwung, der sich, allein wegen der Veränderungen in der Automobilindustrie, zu einer Strukturkrise ausweiten könnte, geht das Ruhrgebiet weiter geschwächt ein. Der Abstand zu allen anderen Regionen hat sich vergrößert, das Ruhrgebiet hat es nicht geschafft, aufzuholen. Für die Zukunft, in der wohl auch sinkende Steuereinnahmen die Handlungsmöglichkeiten der Städte einschränken werden, verheißt das nichts Gutes. Zehn Jahre wurden mit dem Bau von Konzerthäusern, Radautobahnen und Träumereien über Kreativwirtschaft verplempert. Anstatt ausreichend in neue Gewerbeflächen und Infrastruktur zu investieren, machten die Städte Schulden, um sich an Unternehmen wie der Steag zu beteiligen. Wenn die Oberbürgermeister nun in der kommenden Krise wieder als Jammerwessis bei den anderen um Hilfe betteln können sie ihnen zu Recht entgegenhalten: Hättet ihr, wie wir, eure Hausaufgaben gemacht, würdet ihr besser dastehen.
Die Daten:
1998 |
2008 | 2018 | ||
Deutschland | 27.207.804 | 27.457.715 | 32.870.228 | |
272.078 | 101 | 121 | in % zu 1998 | |
Nordrhein-Westfalen | 5.736.900 | 5.798.424 | 6.852.557 | |
57.369 | 101 | 119 | ||
Stadt Hamburg | 731.363 | 797.514 | 974.482 | |
7.314 | 109 | 133 | ||
Stadt Berlin | 1.132.570 | 1.081.660 | 1.476.248 | |
11.326 | 96 | 130 | ||
Stadt München | 632.982 | 686.734 | 874.099 | |
6.330 | 108 | 138 | ||
Metropole Ruhr | 1.558.555 | 1.516.980 | 1.747.815 | |
15.586 | 97 | 112 | ||
Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg | 1.277.339 | 1.276.970 | 1.505.904 | |
12.773 | 100 | 118 | ||
Rhein-Neckar | 698.333 | 730.069 | 861.858 | |
6.983 | 105 | 123 | ||
Frankfurt/Rhein-Main | 1.896.692 | 1.979.484 | 2.358.327 | |
18.967 | 104 | 124 | ||
Köln/Bonn | 1.142.051 | 1.191.102 | 1.439.132 | |
11420,51 | 104,294992 | 126,012936 |
|
Immerhin ist damit das Märchen vom Fachkräftemangel im Ruhrgebiet widerlegt…
@Andreas: Das geht aus den Zahlen nicht hervor.
Sozialwissenschaft, folgendes Experiment: 90% der Weltbevölkerung arbeit nicht mehr während die 10% der Weltbevölkerung welche noch arbeitet, sich vor den nicht-Arbeitenden in von Mauern gesschützte Orte zurücgezogen hat, als ein Politiker beschliesst: "Einige der Nichtarbeitenden sollen für die übernahme einfacher Tätigkeiten, in die Schutzzonen gelasssen…" ^^
Wie werden in der Statistik Pendler berücksichtigt? Insbesondere die Rheinregion ist auch Arbeitsplatz vieler Ruhris.
Wieso sollten Gewerbeflächen fehlen? Wir haben doch genügend Industriebrachen und landwirtschaftliche Flächen in Baumärkte und Lagerhallen umfunktioniert.
Und noch eins: Journalisten und Kommunikationsexperten werden gar nicht gebraucht
Wenn man sich wie ich seit Jahren im Fachportal Newsroom über die Stellen im Bereich Jounalismus, Marketing und PR informiert, stellt man fest: Der Pott braucht weder PR noch Journalismus.
Egal ob Profit oder Non Profit – kann man an einer Hand abzählen – ganz m Gegensatz z.B wie in den bekannten Großstädten Hamburg, Berlin, Münschen und ganz besonders in Österreich.
Auch das zeigt ja, wie sehr Wirtschaft und Soziales hier stagniert. Bei Letzeren natürlich gern ehrenamtlich.
[…] die Unternehmen mit hohen Gewerbesteuern abschreckt und in der im Boom der vergangenen Jahre weniger neue Arbeitsplätze entstanden als in allen anderen Ballungsgebieten […]
@ke: Die Pendler sind in diesen Daten nicht erfaßt. Dafür gibt es eine extra Pendlerstatistik. Die hier genutzten Daten der "Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten" beziehen sich auf den Arbeits-, nicht auf den Wohnort. Sie spiegeln sehr gut das Bild der wirtschaftlichen Entwicklung einer Region wider, nämlich durch die entstandenen Arbeitsplätze und die damit verbundene Wertschöpfung. Letztere hat auch höhere Steuereinnahmen durch die Gewerbesteuer am Arbeitsort zur Folge. Außerdem bringen Arbeitsplätze Nachfrageeffekte für die örtliche Wirtschaft mit sich. Für ein wirklich vollständiges Bild der Lage müßte man noch die Arbeits- und Kapitalproduktivitäten der Regionen betrachten. Wahrscheinlich fällt das Bild dann noch düsterer aus für das Ruhrgebiet…